Erzählverse: Der Blankvers (69)

„Wie die Kinder lesen“ von Hugo Freiherr von Blomberg ist ein Gedicht ohne größeren Tiefgang, dabei aber angenehm zu lesen!

 

Saht ihr einmal – wie freilich solltet ihr!
Doch schade drum, denn hold und lustig ist es!
Wenn meine Kleine, siebzehn Monde alt,
In Vaters Büchern oder Briefen liest?
Wie sie das Ding schon so verständig anfasst,
Den Zeilen emsig mit dem Finger folgt,
Und ihren ganzen, winzgen Wörtervorrat:
Papa, Mama, und Baba und Raubau
Mit ungemeiner Wichtigkeit und mit
Nicht mindrer Modulierung an den Mann bringt?
(Denn, wie natürlich, kennt sie noch kein Jota!)
Und wir, die Eltern – lach uns aus, wer mag!
Wir horchen wie aufs Evangelium
Und sagen: „Ei, wie schön kann Eva lesen!“
Dann blickt sie stolz und glücklich zu uns auf.

Mir aber wird oft wunderlich dabei
Zumut – und auf dem Bänkchen neben ihr
Mein‘ ich ein ganzes großes Publikum
In gleichem Lesewerk vertieft zu sehn;
Gar alt‘ und hochgelahrte Männer drunter
(Auch, dass es niemand übel nimmt, mich selbst,
obwohl ich eben keins von beiden bin)
Und halten tausend klein‘ und große Bücher,
Nicht etwa Märchen und Romane nur,
Im Gegenteil! Recht vollgewicht’ge Bände:
Der Künste Buch, wie das der Wissenschaft,
Den dicken grauen Tröster: „Weltgeschichte“,
Selbst jenes größte – schwer nur klappt sich’s auf!
Das alte, das „Natur“ betitelt ist:
Und lesen ernst und laut einander vor
Und leiten zeilenweis sich mit den Fingern,
Die großen nämlich -Kleinste hören zu;
Doch mancher, fürcht‘ ich, hält das Buch verkehrt,
Und A bis Z steht lustig auf den Köpfen.

Der große Vater aber, denk‘ ich mir,
Sieht lächelnd nieder auf die kleine Welt
Und streichelt manches kluge Lockenköpfchen,
Als spräch‘ er: „Wie das Kind schon lesen kann!“
Im Stillen aber sagt er: „Warte nur,
Nehm‘ ich dich einst aufs Knie und lehre dich,
Dann lernst du’s anders!

 

Also, wie gesagt: Das kann man so weglesen und sich gut unterhalten fühlen dabei. Ein wirklich gutes Gedicht ist es meinem Gefühl nach aber nicht; keine Letztform. Und das hat, denke ich, auch mit dem Vers zu tun: Der nicht so bedingungslos selbstverständlich ist, wie er es in einem solchen Gedicht sein muss – für den Leser nicht mehr zu bemerken, und trotzdem da und wirksam. Stattdessen ist ein gewisses Bemühen zu spüren, was sich inhaltlich auch in einer, wie es mir scheint, übertriebenen Anbiederung an den Leser ausdrückt. Wäre das alles nicht – das Gedicht gefiele mir noch um einiges besser! Gerade und besonders der Mittelteil.

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