Erzählformen: Der Zweiheber (1)

Zweihebige Verse sind von ganz eigener Art. In ihrer Kürze bieten sie wenig Raum, der Sprung in die nächste Zeile ist sehr üblich; trotzdem wollen und müssen sie als eigenständige Einheit erfahrbar bleiben. Ein gutes Beispiel, wie das im eher erzählenden Gedicht gelingen kann, gibt Christian Morgenstern:

 

 Der Wissende

Wer einmal frei
vom großen Wahn
ins leere Aug
der Sphinx geblickt,
vergisst den Ernst
des Irdischen
aus Überernst
und lächelt nur.

Ein Spiel bedünkt
ihn nun die Welt,
ein Spiel er selbst
und all sein Tun.
Wohl läßt er’s nicht
und spielt es fort
und treibt es zart
und klug und kühn –
doch lüftet ihr
die Maske ihm:
er blickt euch an
und lächelt nur.

Wer einmal frei
vom großen Wahn
ins leere Aug
der Sphinx geblickt,
verachtet stumm
der Erde Weh,
der Erde Lust
und lächelt nur.

 

– Passend zum getragen-gelassenen Grundton kommen nur ganz regelmäßige iambische Zweiheber zum Einsatz, „x X / x X“; ungereimte noch dazu. Das könnte abgehackt wirken und einförmig, aber das lässt Morgenstern nicht zu; die Art, wie er jeden Vers als eine Sinneinheit in einen durchströmenden Satz einbaut, zeugt von viel Versverständnis, glaube ich! Am Ende steht jedenfalls ein überzeugender Text.

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