Schon ein einzelnes Distichon hat einige Möglichkeiten der inneren Gliederung; bei einem Doppel-Distichon sind diese Möglichkeiten noch um vieles größer! In Friedrich Rückerts Liedertagebuch aus dem Jahr 1855 findet sich ein Doppeldistichon, dessen erste Hälfte so lautet:
Ruhig horstet der Aar im wogenden Wipfel des Baumes,
Sicher schreitet die Raup‘ über den Bach auf dem Halm;
– Und nun ist die erste Erwartung für die zweite Hälfte des Textes, das zweite Distichon vielleicht eine nähere Ausführung des Gegensatzes zwischen „Aar“ und „Raupe“, den oft genutzten antithetischen Anlagen des Distichons gemäß; es kommt aber ganz anders!
Ruhig horstet der Aar im wogenden Wipfel des Baumes,
Sicher schreitet die Raup‘ über den Bach auf dem Halm;
Ohne Gefahr schaut um von schwindelnder Höhe der Steinbock:
Nur in der Furcht ist Gefahr, Schwindel im Zweifel allein.
„Aar“ und „Raupe“ bilden mit dem „Steinbock“ die Teile einer dreigliedrigen, den eigentlichen Bau des Doppeldistichons überspielenden Aufzählung, der im Schlussvers eine aus diesen Beispielen gewonnene Erkenntnis folgt; die ist dann allerdings, der Zweigeteilt des Pentameters genau entsprechend, verdoppelt und auf die beiden Vershälften verteilt.
Ein ungewöhnlicher Aufbau!