Erzählverse: Der trochäische Vierheber (7)

In diesem Beitrag möchte ich das erste Kapitel von Ludwig Strauß‘ Legende „Mechtildis unter der Buche“ vorstellen.  Entnommen habe ich diesen Text dem Band: Ludwig Strauß, Gedichte und Schriften, Kösel, München 1963; dort ist das erste Kapitel auf den Seiten 327-329 zu finden.

Die von immergleicher Trauer
Langsam ging, von immergleichem
Traume lieblich aufgehoben
Sinnend schwebte, die Mechtildis,
Guntram väterlichen Grimmes
Zwang sie aus dem Einsamwandeln,
Einsamsitzen vor den Thron.

Ein Eingangssatz, der mich beeindruckt hat, als ich ihn zum ersten Mal las. Man merkt schon, die „normale“ Satzstellung ist aufgegeben, auch der Vers macht sein Gewicht gelten. Die für im Vierheber geschriebene Texte kennzeichnenden Wiederholungen von Satzteilen sind gleich am Anfang vertreten. Beispielhaft für die Versbehandlung in diesem Text ist der letzte Vers: Hier endet der Satz, und Strauß schließt ihn unter Auslassung einer unbetonten Silbe auf einer betonten Silbe! Die lange Sprechpause nach dem Punkt vertritt dabei die unbetonte Silbe.

„Einzig Blut, das von mir dauert,
Soll ich zusehn, wie du absiechst,
Aufgesogen von der Sonne,
Hingenommen von dem Winde,
Wolke halb vergehst im Blauen,
Halb verrinnst im toten Sand?
Eher reiß ich aus der welken
Trauer um den ledigen Fahrer
Der aus Nichts in Nichts geschwunden,
An den Haaren dich herauf.“

Wieder eine lose Satzstellung, Parallelismen, Satzschlüsse auf betonten Silben („Sand“, „herauf“). All das ist kennzeichnend für den Text und bleibt im weiteren so, auch wenn ich es nicht mehr erwähne! Bei „ledigen“ gibt es durch die beiden unbetonten Silben eine kleine Abweichung vom Versmaß.

„Vater“, sagte da Mechtildis,
Ihre Stimme schwer von Ferne,
Mühsam in die blauen, vollen
Blicke fassend Thron und Herrn,
„König, der du Macht hast über
Acker, Wald und Schiff und Menschen,
Hast du aber auch die Krone
Von den Geistern in dem Wasser,
Von den Wesen in den Bäumen,
Von den Seelen in den Leibern?
Kannst dem Winde auch gebieten,
stillzustehn, des Baumes Rauschen
Schweigen und der Welle Stimme
Und die Trauer in der Brust?
Samen streu in deine Äcker,
Bäume setz in deine Forste,
Halm wächst doch im eignen Wesen,
Baum im eigenen Gesetz.“

Wie hält es Strauß mit dem Zeilensprung?! Einige Male trennt er zwar zusammengehöriges, aber im allgemeinen ist er da vorsichtig. Zu dem „über“ etwa, das am Versende steht, tritt der gesamte folgende Vers, was die Trennung weniger hart klingen lässt? Diese Aufzählung ist auch in ihrer Bewegung bemerkenswert:

Acker, Wald und Schiff und Menschen

Ich hatte ja schon auf „klappernde“ Aufzählungen der Art „Silben, Wörter, Sätze, Texte“ hingewiesen mit genau gleichen Aufzählungsgliedern; Strauß‘ Aufzählung ist nun das „andere Äußerste“, denn hier ist kein Glied der Aufzählung einem anderen gleich:

Acker, / Wald / und Schiff / und Menschen

X x / X / x X / x X x

– Ein sehr abwechslungsreich sich gliedernder Vers!

Guntram, vor der fremden Stete
Wirrnis zornig spürend, senkte
Hart zur Brust das bärtige Antlitz,
Nährte aus des Thrones Golde,
Stärkte aus dem Waffenschimmern
Seiner Scharen durch die Tore
Die gebieterischen Mächte
In dem angefochtnen Mute,
Riss das Haupt herauf und schrie:
„Da an Rede Widerrede
Du zu setzen nicht ermattest,
Lass nun schaun, ob auch dem Zwang du
Widerzwang hast aufzubieten,
Welche Kraft wohl länger währt!

„Bärtige“, wieder zwei unbetonte Silben; und an derselben Stelle im Vers wie das „ledige“. Die Satzstellung am Schluss, das scheinbar unverbundene „Welche …“, das aber doch zu „Lass nun schaun,“ gehört, erscheint mir sehr reizvoll!

Unverhoffte Gnade“, sprach er,
„Unverdiente soll dir werden,
Doch gewaltsam wie dem strotzigen
Kind ins aufgehaltne Mundwerk
Heilsam Tränklein wird geflößt.
Um dich wirbt und soll dich haben
Hatto, nachbarlicher König,
Der an Reichtum mit den Reichen
Funkelt, der an Manneswerte
Fürsten, Mannen überstrahlt.

Diesmal steht mit „strotzigen“ eine „doppelt besetzte Senkung“ am Versende! Das ist ziemlich ungewöhnlich … Ich glaube, das werden im Vortrag viele auf „strotz’ge“ verkürzen? Andererseits ist ein recht heftiger Zeilensprung da, das Versende tritt also ohnehin nicht so stark als Pause in Erscheinung; und gerade an dieser Stelle, mit diesem Wort das Metrum zu durchbrechen: passt gut zum Inhalt?!

Dem ein Kampfgott reiht die Heerschar,
Dem ein Blitz wohnt in der Schwerthand,
In den Rennerbeinen Hirschblut,
Dem ein Falkenblick den Spieß lenkt,
Held von Helden, Jäger über
Allen Jägern, wirbt um dich.

Die zusätzlichen unbetonten Silben, die ich angesprochen habe, setzt Strauß häufiger, als es üblich ist. Wenn aber diese Möglichkeit der Auflockerung selten ist, woraus gewinnt der Vierheber dann die nötige Abwechslung, seine Vielgestaltigkeit? Dieser Abschnitt zeigt zwei Möglichkeiten dafür!

Einmal die Wahl der Schluss-Silbe. Es macht für den Eindruck, den der Vers dem Ohr macht, einen gewaltigen Unterschied, ob die letzten beiden Silben durch ein Wort wie „Wesen“ besetzt sind, in dem die letzte Silbe fast ganz stumm bleibt, oder durch ein Wort wie „Heerschar“, in dem die zweite Silbe erstens eine „Sinnsilbe“ ist und zweitens einen langen Vokal aufweist! Dadurch bekommt diese Silbe ein großes Gewicht, sie hat eine starke Nebenbetonung. Strauß setzt diese Möglichkeit nun gleich viermal nacheinander ein: „Heerschar“, „Schwerthand“, „Hirschblut“ „Spieß lenkt“, im letzten Fall durch zwei „schwere“ einsilbige Wörter. Die damit erzielte Wirkung ist sehr stark!

Zweitens entsteht Vielfalt durch die Möglichkeit, sozusagen „am Metrum vorbei“ andere Bewegungsmuster in den Text zu schmuggeln. Hier sieht man das deutlich an diesem Vers:

Dem ein Blitz wohnt in der Schwerthand.

Vom Metrum her ein tadelloser vierhebiger Trochäus:

Dem ein / Blitz wohnt / in der / Schwert-hand.

X x / X x / X x / X x

Allerdings sind zwei der Silben, die in der „Senkung“ stehen, für sich viel bedeutender, „schwerer“, als zwei der Silben, die in der „Hebung“ stehen: „wohnt“ und „-hand“ als Senkungssilben, „Dem“ und „in“ als Hebungssilben. Das führt dazu, dass im lebendigen Vortrag die Versbewegung eher so aussehen dürfte:

v v — —, v v — —

(Wobei ich durch die beiden unterschiedlichen Darstellungsformen keine Verwirrung stiften möchte; hier sollen „X“ und „x“ mehr auf das „theoretische Metrum“ verweisen, „v“ und „—“ mehr, hier: ausdrücklich auf die „gesprochene Wirklichkeit“. Das hängt selbstredend zusammen; aber es ist nicht deckungsgleich.)

Also ein tataTAMTAM, tataTAMTAM – ich weiß nicht, ob die Bewegung deutlich wird, aber in Bezug auf die antike Terminologie sind das „Ioniker a minore“, so gut sie das Deutsche eben hinbekommt; eine sehr eindrückliche Bewegung, und stark vom üblichen „trochäischen Gang“ unterschieden!

Der Vers vor diesem („Dem ein Kampfgott …“) bereitet diese besondere Bewegung schon vor, der Vers danach ist anders gebaut, dann kommt noch eine Erinnerung an den Ioniker; und dann fällt die Versbewegung zurück in üblichere Muster.

Gib mir nun kein Wort und Zeichen,
Denn der Unverständigen muss ich
Fraglos ordnen, was ihr zukommt,
Und zum Neumond wird die Hochzeit
Dir gerüstet hier im Saal.“

Wie weit trägt die angesprochene „besondere Bewegung“ des Ionikers? Hat man sie hier noch im Ohr, liest man die Folge „was ihr zukommt, und zum Neumond wird die Hochzeit“ vielleicht auch als „v v — —, v v — —, v v — —“?! Vielleicht aber auch nicht, denn so klar wie im zuerst besprochenen Vers ist die Bewegung an dieser Stelle längst nicht. „Unverständigen“, noch einmal zwei unbetonte Silben; wie gesagt, Strauß benutzt sie häufiger, als es üblich ist.

Das erste Kapitel endet hier, passenderweise; die Bühne, auf der sich die Legende im weiteren entfaltet, ist bereitet!

Mir gefällt Strauß‘ Text sehr gut. Vom Inhalt her ist es eine „handelsübliche Legende“, aber die Art, wie Strauß sie mit Hilfe des Vierhebers in sprachliche Wirklichkeit formt, beeindruckt mich bei jedem Lesen, jedem Sprechen wieder …

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