Erzählverse: Der Blankvers (17)

Conrad Ferdinand Meyer hat auch längere Texte in Blankversen geschrieben, „Cäsar Borjas Ohnmacht“ etwa; Aber mir gefallen seine ganz kurzen Stücke am besten. Zwei von denen stelle ich hier vor, „Erntegewitter“ und „Nach einem Niederländer“!

 

Erntegewitter

Ein jäher Blitz. Der Erntewagen schwankt.
Aus seinen Garben fahren Dirnen auf
Und springen schreiend in die Nacht hinab.
Ein Blitz. Auf einer goldnen Garbe thront
Noch unvertrieben eine frevle Maid,
Der das gelöste Haar den Nacken peitscht.
Sie hebt das volle Glas mit nacktem Arm,
Als brächte sie’s der Glut, die sie umflammt,
Und leert’s auf einen Zug. Ins Dunkel wirft
Sie’s weit und gleitet ihrem Becher nach.
Ein Blitz. Zwei schwarze Rosse bäumen sich.
Die Peitsche knallt. Sie ziehen an. Vorbei.

 

Wie bei vielen anderen Blankvers-Texten Meyers auch enden die Verse immer betont. Von den im Blankvers möglichen Auflockerungen ist keine zu sehen, so dass der Text sehr klar wirkt, hart und streng, auch?!

 

Nach einem Niederländer

Der Meister malt ein kleines zartes Bild,
Zurückgelehnt, beschaut er’s liebevoll.
Es pocht. „Herein.“ Ein flämischer Junker ist’s.
Mit einer drallen, aufgedonnerten Dirn,
Der vor Gesundheit fast die Wange birst.
Sie rauscht von Seide, flimmert von Geschmeid.
„Wir haben’s eilig, lieber Meister. Wisst,
Ein wackrer Schelm stiehlt mir das Töchterlein.
Morgen ist Hochzeit. Malet mir mein Kind!“
„Zur Stunde, Herr! Nur noch den Pinselstrich!“
Sie treten lustig vor die Staffelei:
Auf einem blanken Kissen schlummernd liegt
Ein feiner Mädchenkopf. Der Meister setzt
Des Blumenkranzes tiefste Knospe noch
Auf die verblichne Stirn mit leichter Hand.
– „Nach der Natur?“ – „Nach der Natur. Mein Kind.
Gestern beerdigt. Herr, ich bin zu Dienst.“

 

Wieder nur „männliche“ Endungen, aber hier finden sich auch zweisilbige Senkungen im Versinneren; und versetzte Betonungen am Versanfang! Und das mit Absicht – „Morgen ist Hochzeit“ / „Gestern beerdigt“ wird Meyer kaum zufällig geschrieben haben …

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