Erzählverse: Der Blankvers (104)

In Klabunds „Ben Jonson und der Spitzbube“ fügen sich Blankverse auf eine sehr schöne Art in die Prosaerzählung ein. Erzählt wird von Walter Tracey, der sich, nachdem er in London sein Vermögen durchgebracht hat, als Straßenräuber versucht:

 

Der erste, der ihm auf der Straße vor London in die Hände fiel, war niemand anders als der Dichter Ben Jonson. Dieser zog seine Pistole und apostrophierte den Banditen in dem von ihm erfundenen Blankvers wie folgt:

Du Höllenhund, du Abfall allen Drecks,
Du Jauchetonne, die die Luft verpestet,
Du Schurke, Gauner, Lump und Strolch: entfleuch!
Dass diese Kugel, eisenrohrentsprungen,
Dir nicht die krätz’ge Brust zerreißt, dein Leib
Ein Fraß der wilden Hund‘ und Katzen werde!

Der Räuber, der den Dichter erkannte, parierte seinen Hieb geistesgegenwärtig mit der gleichen Waffe:

Ich habe bessere Verse schon gehört
Und bin vor ihnen nicht davongelaufen.
O schweig, Ben Jonson, schweig und gib klein bei!
(Da du nicht groß beigeben kannst, denn groß
Ist Shakespeare nur, dem seinen Ruhm du neidest.)
Du Schneiderjunge holpriger Trochäen,
Gedankengauner, Dieb an fremdem Geist,
Du Räuber auf den Straßen Phantasias:
Heraus mit deinem Gold! Ich nehme Geld
In Vers und Prosa, wie es eben kömmt.
Doch wehrst du dich mit deiner Donnerbüchse
(Die älter, wahrlich, als der Hammer Thors),
Wird man auf deinem Grabstein lesen können:
Hier liegt Ben Jonson, dessen leere Verse
Den Tod ihm brachten und sein voller Beutel.

Ben Jonson musste sich in jeder Richtung geschlagen bekennen. Er lieferte Tracey seine Guineen aus und ging missmutig seines Weges.

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