Erzählformen: Das Distichon (94)

„Von Ruge einen Brief erhalten …“, schreibt Friedrich Hebbel in seinen Tagebüchern im Eintrag vom 8. Januar 1848, und über dessen Inhalt: „Er gibt mir … Belehrungen über den Versbau“. Nicht zu Hebbels Freude: „Er erweist sich als anmaßlichen Pedanten, dem es entgeht, dass die metrischen Abweichungen von der strikten Voß-Platenschen Observanz in meinen Distichen nicht bloß in dem Beispiel Schillers und Goethes eine Stütze finden, sondern nur aus der völligen Unmöglichkeit, im Deutschen einen vollkommenen, einen zugleich regelrechten und dabei wohlklingenden Hexameter zu Stande zu bringen, hervorgehen“.

Und wie Hexameter und Distichon schon zur Zerrüttung manchen Dichterverhältnisses beigetragen haben, kommt es auch hier, wie es kommen muss, denn der Eingangsatz liest sich vollständig so:

„Von Ruge einen Brief erhalten, der ein weiteres Verhältnis unmöglich macht.“

Doch immerhin weiß ich jetzt, wie das folgende Distichon Hebbels zustande gekommen ist:

 

Der Führer durchs Leben

Nie verbinde dich Einem, der das als Mittel behandelt,
Was dir Zweck ist, du selbst bist nur ein Mittel für ihn!

 

Gegen Ende des obigen Tagebuch-Eintrags findet sich nämlich dieser Satz: „Lehre: Verbinde dich nie mit einem Menschen, dem das Mittel ist, was dir Zweck ist!“ Ein weiteres nettes Beispiel für die Überführung aus der Prosa in den Vers, wobei hier die Prosafassung wohl den Vorzug verdient – das Distichon wirkt doch ein wenig aufgefüllt?!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert