Erzählformen: Die Stanze (2)

Wenn August von Platen Recht hat mit seiner im letzten Eintrag getroffenen Unterscheidung „Italienische Stanze = episch, deutsche Stanze = lyrisch“ – worin liegen dann die Unterschiede?

Einmal im benutzten Vers. Die italienische Stanze verwendet den Endecasillabo, einen sich rhythmisch zwar  zum Iambus hinwendenden, aber eigentlich recht freien und beweglichen Vers. Die deutsche Stanze verwendet an seiner Stelle den fünfhebigen Iambus, also einen Vers mit vergleichsweise wenigen rhythmischen Möglichkeiten. Das fällt bei einem kurzen, zum Beispiel vier Stanzen langen lyrischen Gedicht nicht weiter auf; reihen sich aber im Rahmen einer längeren Erzählung hundert und mehr Stanzen aneinander, entsteht schnell ein unschöner Eindruck von Eintönigkeit.

Ein zweiter Unterschied sind die Reime. Davon hat das Italienische einfach mehr, und vor allem: Im Deutschen haben fast alle weiblich-unbetonten Reime ein „schwaches e“ als Vokal der Schluss-Silbe, und auch das trägt zur Eintönigkeit stark bei. Dem zu entgehen, verwendet die “ Hauptform der deutschen Stanze“ zumindest in drei der acht Verse männlich-betonte Vers-Schlüsse. Der Mangel an Reimen führt dagegen zu einer bestimmten Wirkung, wie Johann Ranftl bemerkt:

Die dreimalige Wiederholung gleichgeordneter Reime ist für den deutschen Dichter, dem lange nicht die unerschöpfliche Reimfülle der italiensichen und spanischen Sprache zuströmt, eine schwierige Aufgabe. Eine reiche Bilderfülle sowie synonyme Erweiterungen müssen oft das Maß bis zum Rande füllen helfen. Diese Notwendigkeit und die langen Verse selbst in ihrer gleichmäßigen Wiederkehr geben der Strophe eine pompöse Pracht und feierliche Würde.

Und da wundert es dann nicht, dass die deutsche Stanze zwar auch für erzählende Dichtungen gebraucht wird, aber eben vor allem für Gedichte, in denen diese feierliche Pracht am Platz ist: repräsentierende Gedichte, Huldigungen, Widmungen, Glückwünsche,  Totengedenken, Zueeignungen … Ein Beispiel ist der erste der drei „Stanzen an die Leser“ von Friedrich Schiller:

 

Die Muse schweigt, mit jungfräulichen Wangen,
Erröten im verschämten Angesicht,
Tritt sie vor dich, ihr Urteil zu empfangen,
Sie achtet es, doch fürchtet sie es nicht.
Des Guten Beifall wünscht sie zu erlangen,
Den Wahrheit rührt, den Flimmer nicht besticht.
Nur wem ein Herz, empfänglich für das Schöne,
Im Busen schlägt, ist wert, dass er sie kröne.

 

Wobei man, wollte man boshaft sein, anmerken könnte, dass Schiller nicht der „pompösen Pracht und feierlichen Würde“ der Stanze bedurfte, um auf den abgehobeneren Pfaden der Dichtung zu wandeln … Die „Stanzen an die Leser“, so schrieb er Körner, sollten jedenfalls, am Ende eines Almanachs stehend, „die Leser auf eine freundliche Art verabschieden“. Nun denn.

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