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Erzählverse: Der Hexameter (118)

In der 2003 bei Pelican erschienenen und von Lewis B. Semple herausgegebenen Ausgabe von H. W. Longfellows „Evangeline“ wird im Abschnitt „Introduction“ auch das verwendete Versmaß erklärt; auf durchaus ansprechende und nachvollziehbare Art, weswegen ich diese Erkärung des Hexameters hier, im Text leicht und in den Beispielen stark gekürzt, vorstellen möchte (sie findet sich auf den Seiten xlvii – li) – ein Blick aus einem leicht anderen Winkel ist immer hilfreich!

„The metre in which ‚Evangeline‘ is written is called dactylic hexameter. Each verse contains six feet (hence the name hexameter). In the normal verse each foot except the last consists of an accented followed by two unaccented syllables (dactyl). The last foot has one accented and one unaccented syllable (trochee).

This is the / forest pri- / meval. The / murmuring / pines and the / hemlocks

As a succession of perfectly regular verses would prove monotonous, substitutions are frequently made, usually a trochee for a daktyl.

Waste are those / pleasant / farms, and the / farmers for- / ever de- / parted.

A trochee is not often found in the fifth foot. Frequently a verse contains more than one substituted foot:

Stand like / harpers / hoar, with / bears that / rest on their / bosoms.

Monotony is further relieved by varying the position of the pauses. Obviously, pauses must be made in so long a verse, and their occurence in any fixed place would give the reader an unpleasant jolt. The rhythmical pause may or may not be indicated by puctation.

There dis- / order pre- / vailed, || and the / tumult and / stir of em- / barking.

It will be noticed that the linking of verses together has much to do with oral reading. Verse structure and sentence structure may correspond: In such a case the sentence is usually a topic sentence. But as a rule the sentence is carried on from one verse to another, and this necessitates pauses of varying length at the end of the lines.“

Das liest sich doch sehr hilfreich?! Darüber, dass eine der „Pausen“, die in der Versmitte, etwas wichtiger ist als die restlichen, hätte man noch ein Wort verlieren können, aber gut: muss man nicht. Erst recht nicht angesichts der nächsten Sätze:

„The scansion of the line offers few difficulties. In general, a safe rule to follow is, accent the first syllable and the rest will take care of itself.“

So einfach ist das also … Entweder ist das Englische doch geeigneter für Hexameter, als immer gedacht; oder Longfellow war ein Verskünstler erster Güte. Vielleicht auch beides!

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Bücher zum Vers (82)

Paul Merchant: The Epic.

Ein nicht mehr ganz taufrischer, englischsprachiger Band, erschienen 1971 bei Methuen & Co. Ltd. in der Reihe „The Critical Idiom“. Diese Reihe schafft es, auf kleinem Raum – „The Epic“ umfasst gerade einmal hundert Taschenbuch-Seiten – große Inhalte auf sinnvolle Weise abzuhandeln; und alleine der Blick auf die Art und Weise, wie dies gelingt, lohnt das Lesen!

„This book surveys the whole field of European Epic from it origins in the oral tradition, through the secondary epics of Rome, Italy, Spain and England, to its varied later development in poetry, prose and drama.“

Sagt die hintere Umschlagsseite; und hat Recht. Sogar für Beispiele bleibt noch Platz – die folgenden (Blank-)Verse stammen aus „The Epic“ von Alfred Lord Tennyson, Sprecher ist ein Dichter, der ein großes episches Werk verbrannt hat:

 

„Why take the style of those heroic times?
For nature brings not back the mastodon,
Nor we those times; and why should any man
Remodel models rather than the life?
And these twelve books of mine (to speak the truth)
Were faint Homeric echoes, nothing worth,
Mere chaff and draff, much better burnt.“  …

 

Klingt erst einmal nicht sehr hoffnungsvoll in Bezug auf ein modernes Epos. Aber ein Freud hat einen Teil des Werkes aus den Flammen gerettet, und der Dichter lässt sich überreden, es vorzulesen; mit großem Erfolg!

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Erzählverse: Der Knittel (16)

Die folgenden Verse sind ein kleiner Ausschnitt aus Eduard Mörikes längerem Knittel-Gedicht „Erzengel Michaels Feder“; die darin Vorgestellte ist taubstumm.

 

Einsmals schön Rahel saß allein
Beim Birkenwald am grünen Rain,
Dacht einem Traumgesichte nach,
Darin ihr Gott der Herr versprach,
Treu und wahrhaft, durch Engelsmund:
Sie sollte werden ganz gesund,
Wenn sie ihm täte dies und das –
Sie wusste leider nicht mehr was.
Hätt sie’s gewusst, sie könnt’s nicht sagen,
Müsst‘ es ewig bei sich selber tragen.
Das fiel ihr nun aufs Herz so schwer,
Dass sie seufzet laut und weinet sehr.

 

Da stehen die einzelnen Satzbestandteile oft wie zufällig im Vers? aber es klingt trotzdem immer richtig, immer sehr überzeugend: Mörike konnte das.  Vom eigentlichen „Knittel-Klang“ ist dagegen gar nicht so viel zu hören, nur hier und da mal eine zusätzliche unbetonte Silbe, ohne die der Text in Reimpaaren aus iambischen Vierhebern geschrieben wäre; erst am Schluss, im drittletzten Vers (der auch, wie so oft im Knittel, auf zwei Weisen zum Vortrag gelangen kann) und im letzten Vers, wird die Bewegungslinie etwas unruhiger.

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Erzählverse: Der Hexameter (117)

Unüberschaubar groß ist die Anzahl der Hexameter-Beschreibungen, die sich in den Metriken, Poetiken, ästhetischen Schriften und allgemeinen Lexika des 19. Jahrhunderts finden. Trotzdem lohnt es, sie alle anzuschauen; irgendetwas besonderes weiß jede zu berichten. Johann Samuel Erschs „Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge“ zum Beispiel sagt in Bezug auf die Zäsur des Hexameters:

Je verschiedener die Teile des Hexameters durch die Einschnitte werden, desto schöner ist die Gliederung: darum verdient bei einer Zweiteilung der männliche Einschnitt vor dem weiblichen schon deshalb den Vorzug, weil er beide Teile auch im Schlusse verschieden macht.

Das erkennt sich vermutlich leichter an einem Beispiel?! Friedrich Hölderlin, der „Meister des männlichen Einschnitts“ (er hat sie fast ausschließlich benutzt), hat in „An den Äther“ diesen Hexameter:

Aber in- / des ich hin- / auf || in die / dämmernde / Ferne mich / sehne,

v v / v v / || v v / v v / v v  / v

Rein daktylisch, und so ist gut zu erkennen: Die erste Hälfte beginnt betont und schließt betont, die zweite Hälfte beginnt unbetont und schließt unbetont! Zudem sind die beiden Teile mit sieben beziehungsweise zehn Silben auch in der Länge deutlich verschieden.

Das kann man also unterschreiben, und es wird auch durchaus häufiger angemerkt. Dann aber folgt in der „Encyclopädie“ die Ergänzung, dass die alten Griechen einen Vers mit männlicher Zäsur, der eine lange Silbe folgt, und der sonst nur daktylische Wortfüße hat, „als sehr geschickt zum Waffentanze“ betrachtet haben. Aha?!

Hebet den / flüchtigen / Fuß || nun / schwebenden / Schrittes zum / Tanze!

v v / v v / || / v v / v v  / v

So sieht das gegebene Beispiel aus. Stimmt, da ist eine ganz eigene Bewegung zu spüren?! Wobei „nun“ jetzt keine sonderlich schwere Silbe ist … Am besten selbst versuchen, erst schreiben; und dann laut sprechen!

Triffst einen Fuß du beim Tanz, sag reuigen Blickes: „Verzeihung!“

Da bewegt sich der Hexameter sicherer (und schöner!) als der Tänzer, von dem er erzählt …

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Erzählverse: Der Blankvers (68)

Emanuel Geibels „Pfarrhausidyll“ ist ein Text wie viele dieses Verfassers: Sicher geschrieben und dadurch unausweichlich von einiger Wirkung. Aber eben auch ein Text, der sich kaum etwas traut, und dem vielleicht gerade deswegen das Besondere fehlt.

Geibels sichere Handhabung des Blankverses lässt sich auf jeden Fall nicht leugnen, und sich zu vergewissern, auf welche Weise er welche Wirkung erzielt: Das lohnt allemal!

 

Der Samstagabend dämmert. Draußen flockt
Der Schnee herab. Im Zimmer dunkelt’s tief,
Und nur des Ofens Flackerschein umspielt
Den großen Schreibtisch und den Bücherschatz,
Der Band an Band sich an den Wänden reiht.
In seinem Armstuhl ruht zurückgelehnt
Der junge Prädikant und übersinnt
Den Text noch einmal, den er andern Tags
Erläutern soll. Die Predigt hat er schon
Vollendet in der Früh‘, und eben jetzt
Schwebt ihm der Übergang zum Amen vor,
Der Segensspruch, mit dem er schließen will,
Wie wohl ein Gärtner den gelungnen Strauß
Zuletzt noch krönt mit einer Lilie.
Bewegt in tiefster Seele findet er
Das rechte Wort, und hoch und höher trägt
Ihn des Gedankens Adlerflug hinan:
Da tritt sein junges Weib herein mit Licht.
Doch wie sie des geliebten Mannes Stirn
Vom Strahl des Geistes überleuchtet sieht,
Erscheint er plötzlich schöner ihr wie sonst,
Voll fremder Hoheit, fast wie ein Prophet,
Und zaudernd bleibt sie auf der Schwelle stehn.

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Erzählverse: Der iambische Siebenheber (4)

Starke Bande gibt es zwischen dem „iambischen Siebenheber“ und der beliebten „Chevy-Chase-Strophe“. Die sieht so aus:

x X / x X / x X / x X a
x X / x X / x X b
x X / x X / x X / x X a
x X / x X / x X b

Wird diese Strophe nun nicht wie üblich und hier gezeigt kreuzgereimt – abab -, sondern nur im Halbreim xaxa, ist der Weg zum Siebenheber nicht mehr weit: Je zwei Kurz-Verse werden zu einem Lang-Vers zusammengefasst, der ehemalige Zeilenumbruch ist jetzt die Zäsur, der Reim ein Paarreim aa:

x X / x X / x X / x X || x X / x X / x X a
x X / x X / x X / x X || x X / x X / x X a

Welche Darstellung die bessere ist, muss sich von Fall zu Fall entscheiden …

Klopstock hat die Chevy-Chase-Strophe auch ganz ungereimt benutzt; Goethe ist ihm nachgefolgt in diesem kleinen Achtzeiler:

 

Monolog des Liebhabers

Was nützt die glühende Natur
Vor deinen Augen dir,
Was nützt dir das Gebildete
Der Kunst rings um dich her,
Wenn liebevolle Schöpfungskraft
Nicht deine Seele füllt,
Und in den Fingerspitzen dir
Nicht wieder bildend wird?

 

Auch das kann in iambische Siebenheber umgeformt werden:

 

Monolog des Liebhabers

Was nützt die glühende Natur vor deinen Augen dir,
Was nützt dir das Gebildete der Kunst rings um dich her,
Wenn liebevolle Schöpfungskraft nicht deine Seele füllt,
Und in den Fingerspitzen dir nicht wieder bildend wird?

 

Goethe wird mir nachsehen, wenn ich sage: Warum nicht! Je weniger sich die Reime bemerkbar machen als Kennzeichnungen der Versenden, desto leichter fließt die Sprache durch die neugebildeten Siebenheber! Allerdings müssen dann die Zäsuren aus der Satzführung erschließbar sein, da die in der strophischen Darstellung vorhandenen Zeilenumbrüche diese Aufgabe nicht mehr wahrnehmen können. Hier sind die Zäsuren, so gesehen, schwach; aber vielleicht gerade noch ausreichend vernehmbar?!

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Erzählverse: Der iambische Siebenheber (3)

Friedrich von Logau war ein großartiger Epigrammtiker! Sicher, durch den zeitlichen Abstand lesen sich viele seiner Texte heute fremd, sie klingen im eigentlichen Sinne „barock“. Aber spannend sind sie trotzdem, und das nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt des Versmaßes – Logau verwendet viele, viele verschiedene Arten von Versen! Darunter auch, und nicht einmal selten: Der iambische Siebenheber.

 

Die Liebe

Was ist die Lieb‘? Es ist die Lust zu dem, das uns gefällt;
Das macht, dass mancher mit der Magd mehr als der Frau es hält.

 

Der Siebenheber hat bekanntlich eine Zäsur nach der vierten Hebung; die kommt hier nicht recht zur Geltung, da Logau die Satzeinschnitte und den Verseinschnitt auseinandertreten lässt:

Was ist / die Lieb‘? || Es ist / die Lust || zu dem, || das uns / gefällt;

Aber vorhanden ist der Verseinschnitt, das muss er als notwendiger Bestandteil des Verses; und im Vortrag hörbar gemacht werden muss er auch. Das ist gar nicht so schwierig – ein leichtes Absetzen, kürzer als bei den Satzeinschnitten, aber vernehmbar; und schon gliedert sich der Vers wie von selbst in angenehm zu sprechende Einheiten.

In zweiten Vers stellt sich die Frage, ob es nach der Zäsur eine versetzte Betonung gibt? Wenn eine solche auftaucht im Inneren eines iambischen Verses, dann fast immer nach dem Verseinschnitt!

Das macht, || dass man– / cher mit / der Magd || mehr als / der Frau / es hält.

Das passt in die Reihe der „M-Betonungen“, jedenfalls … und vom Sinn her auch. Logau lässt seine Verse eher selten langweilig „dahinklappern“ – dieses Epigramm ist ein ganz gutes Beispiel!