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Erzählformen: Die alkäische Strophe (1)

Die „alkäische Strophe“ ist eine der wichtigsten antiken Oden-Strophen und damit eigentlich keine Strophe, die sich zur reinen Erzählung eignet; jedenfalls ist sie dafür kaum verwendet worden. Eher haben die Dichter sie zur Betrachtung genutzt. Von daher ist es sicher nicht ganz richtig, sie beim Verserzähler zu behandeln, und auch die Bezeichnung „Erzählform“ führt leicht in die Irre?!

Ich will diese Strophe aber trotzdem etwas gründlicher vorstellen. Zum einen ist sie eine vielgebrauchte Strophe, zum anderen aber auch eine sehr ausdrucksstarke und wandlungsfähige, die vielfach und mit Gewinn eingesetzt werden kann; und schließlich ist sie ein wunderbares Beispiel für die „innere Form“, dafür, dass Strophen eben nicht nur eine festgelegte Abfolge von betonten und unbetonten Silben sind, sondern spannungsreiche Gebilde, in denen Gegensätze und Entsprechungen angelegt sind, denen man als Verfasser gerecht werden muss, soll denn am Ende ein lebendiges, atmendes Gedicht stehen.

Am Anfang soll aber gerade dieses reine Silbenschema stehen! So sieht die deutsche Nachbildung der antiken alkäischen Strophe aus:

 

x X x X x | X x x X x X
x X x X x | X x x X x X
x X x X x X x X x
X x x X x x X x X x

 

Wie immer mit x = unbetonte Silbe und X = betonte Silbe; | meint eine Zäsur –  die tritt in der deutschen alkäischen Strophe allerdings nicht immer in Erscheinung.

Als erstes Beispiel dient ein sehr bekanntes Gedicht des größten deutschen Oden-Dichters, Friedrich Hölderlins „An die Parzen“:

 

Nur einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!
Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,
Dass williger mein Herz, vom süßen
Spiele gesättiget, dann mir sterbe.

Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht
Nicht ward, sie ruht auch drunten im Orkus nicht;
Doch ist mir einst das Heil’ge, das am
Herzen mir liegt, das Gedicht, gelungen,

Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt!
Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel
Mich nicht hinab geleitet; Einmal
Lebt ich, wie Götter, und mehr bedarfs nicht.

 

Und weil es so ein berühmtes Gedicht ist, gibt es auch viele Vorträge davon – hier drei:

Lutz Görner (gleich am Anfang der Folge)

Christian Brückner

Fritz Stavenhagen

– Das taugt schon sehr als erster Eindruck?!

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Das Ein-Vers-Gedicht (13)

Auf einem der vielen Zettel, die hier herumliegen, fand ich heute die Worte geschrieben:

 

Ich frage dich nicht, wem du ähnelst. Ich frage dich, wer du bist. – Charles Nodier.

 

Nun weiß ich wirklich nicht mehr, woher ich das Zitat habe – ich glaube, im dazugehörigen Text ging es an dieser Stelle um Tauglichkeit oder Untauglichkeit von Metaphern?!

Aber diese Frage war der Versmaschine ohnehin herzlich gleichgültig – sie lief an und versuchte, den Gedanken Nodiers in einem eigenen Vers zu formen.

 

Nicht Wem ähnelst du? frage ich dich, ich frage: Wer bist du?

 

Der erste Versuch, ein Hexameter. (Der erste Versuch ist immer ein Hexameter.) Aber das ist gegenüber dem Ursprungszitat keine wirkliche Verbesserung, kein Mehr an Nachdrücklichkeit und Geschlossenheit?!

Das wundert aber auch nicht; schließlich ist das Zitat selbst schon gestaltete Sprache, und einem Hexameter dabei sehr ähnlich:

Ich / frage dich / nicht, wem du / ähnelst. || Ich / frage / dich, wer du / bist.

Ein Vers! Von einem Hexameter nur unterschieden durch das „Ich“, eine unbetonte Silbe, die eigentlich hinter dem „bist“ den Vers schließen müsste, hier aber an den Versanfang gewandert ist:

x / X x x / X x x / X x || x / X x / X x x / X

– Kein Hexameter, doch immer ein Vers von einiger Ausdruckskraft. Aber ich warte ab, was die Versmaschine noch alles ausspuckt – zum Stillstand kommt sie so schnell jedenfalls nicht wieder …

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Auf dem Marktplatz

Wandernd von Stand zu Stand erwirbt, was sein neues Geschöpf braucht:
Gott. Er verstaut das Fleisch, die Seele, den Mut und den Angstschweiß
Sorgsam und trägt nach Haus den überquellenden Brustkorb.

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Erzählformen: Das Reimpaar (12)

Einem guten Dichter stehen viele Möglichkeiten des Ausdrucks zur Verfügung, auch und gerade bei metrisch geformten Gedichten – da ist die Enscheidung für diese oder jene Form auch immer eine Entscheidung für deren Eigenschaften. Im Falle des Reimpaares ist das bestimmt seine Schlichtheit und Kurzschrittigkeit; aber auch das Anschließen, das Eingliedern in eine sehr, sehr lange Geschichte von Erzähltexten in dieser Form. Friedrich Hebbels „Parabel“ ist ein Beispiel:

 

Jüngst traf ich einen alten Mann
Und hub ihm vorzusingen an,
Doch an den Mienen des Gesichts
Bemerkt‘ ich bald, er höre nichts.
Da dachte ich: der Greis ist taub,
Drum wird dein Lied des Windes Raub,
So tu‘ ihm denn, nicht durch den Mund,
Durch Zeichen dies und jenes kund.
Ich tat’s, doch ward mir leider klar,
Dass er auch schon erblindet war,
Denn, wie der Frosch aus seinem Sumpf
Hervorglotzt, sah er dumpf und stumpf,
Und ungestört in seiner Ruh‘,
Der Sprache meiner Finger zu.
Ich rief: mit dem steht’s schlimm genug,
Doch möcht‘ ich ihm den letzten Zug
Noch gönnen aus dem Lebensquell!
Da reicht ich ihm die Rose schnell,
Die ich für meine Braut gepflückt,
Allein auch das ist schlecht geglückt,
Ihm schien der Duft nicht mehr zu sein,
Wie einem Gartengott von Stein.
Nunmehr verlor ich die Geduld,
Ich dacht‘ an meines Mädchens Huld,
Die mir so schmählich jetzt entging,
Da sie die Rose nicht empfing,
Und jagte ihm im ersten Zorn
Ins dicke Fell den scharfen Dorn;
Doch bracht‘ auch dies ihm wenig Not,
Er zuckte nicht, er – war wohl tot!

 

Das ist, denke ich, auch in Bezug auf den Satzbau und die Wortwahl altertümlicher und schlichter, als es zu Hebbels Zeiten üblich war?! Auch einige Füllsel sind drin, die Hebbel nicht nötig hat, eigentlich. Insgesamt bekommt sein Text dadurch einen eigenen Ton, der zum Inhalt des Textes gar nicht so schlecht passt. Auf eine längere Vers-Strecke würde mir der wanhrscheinlich nicht wirklich gefallen, aber für einen so kurzen Text wie diesen ist er sicher eine Möglichkeit!

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Erzählverse: Der Hexameter (77)

Paul Heyses „Hexameter-Brief“ (5)

Auch in den Versen 104 – 133, die den Schluss seines Briefes bilden, denkt Heyse über August von Platen nach:

 

Traun, wohl glückt‘ es ihm noch im leichteren epischen Versmaß,
Als er die Fischer von Capri sang. Doch in Zuckungen förmlich
Fällt ihm in Oden und Hymnen die gliederverrenkende Muse,
Dass dem geneigtesten Leser, entwöhnt seit Jahren der Schulbank,
Will er im Verstakt bleiben, der Angstschweiß strömend hervorbricht.
Hat ein hellenisches Ohr in Pindars Klanglabyrinthen
Leicht, wie in blühenden Gärten ein Kind, zurecht sich gefunden,
Uns hilft nimmer der Faden des Schemas aus dem verschlungnen
Irrgang künstlicher Rhythmen, wo hinter verschnörkelten fremden
Redeblumen der Sinn sich verbirgt. Wir lieben den freien
Rüstigen Schritt auf ebenem Pfad und die offene Fernsicht;
Ob durch Markt und Gassen und mondlichtschimmernden Meinberg
Herrmann schreitet, am Arm die hohe Gestalt der Geliebten,
Ob uns Reineke führt die geschlängelten Pfade des Märchens,
Oder Mörikes sicherer Mann und am Ufer des Boden-
Sees der listige Fischer mit weitausgreifenden Schritten.

Doch er schläft am sizilischen Strand, und es rauscht ihm die Meerflut
Sanft in den ewigen Traum ein Grablied griechischen Wohllauts.
Mög‘ er sich freuen der Zweige des Lorbeers, die ihm in frommer
Ehrfurcht manch ein Jünger geweiht, der ähnlich dem Meister
Auch in der Kunst nur suchte die Kunst und jenen bestaunte,
Weil ihm ein Äußerstes glückte, wie oft auch drüber die Sprache
Außer sich kam. Und wahrlich: er tat das Seine, mit tapfer
Gläubigem Mut, auf Gold nicht bedacht und das Lob des gemeinen
Haufens. Er diente dem Gott, der ihm der wahre geschienen.
Sag, was kann ein Sterblicher mehr? Drum mag es auch mir nun,
Den zu anderem Glauben das Herz hindrängte, vergönnt sein,
Meinen Göttern getreu hinfort mein Wesen zu treiben,
Wie ich muss und vermag. Du aber vergib mir den lehrhaft
Trockenen Brief und die schlechten Hexameter, die dir ein Greul sind!

 

Die Fischer von Capri: Wie schon erwähnt hat Heyse zu Beginn des Briefes darauf Bezug genommen. Und es ist auch wirklich ein guter, lesenswerter Text Platens!

Oden: Mir gefallen Platens Oden eigentlich gut … Wovon ich wenig halte, sind seine nicht-antikisierenden Ghaseln, zum Beispiel. Aber da sind die Geschmäcker dann, wie immer, verschieden.

Herrmann, Reineke: „Herrmann und Dorothea“, „Reineke Fuchs“  sind Goethes berühmte Hexameter-Epen, die man gelesen haben muss, beschäftigt man sich mit dem Vers.

Sicherer Mann, Bodensee: „Märchen vom sichern Mann“, Idylle vom Bodensee oder Fischer Martin“ sind zwei Hexameter-Werke Eduard Mörikes; und vor allem der „Sichre Mann“ ist ein wunderbares Stück! Worttrennungen am Versende, wie sie hier Heyse mit „Boden-sees“ vorführt, hat Mörike immer mal wieder genutzt, oft noch unbekümmerter, wie zum Beispiel seine „Epistel“ (beim Verserzähler schon hier vertreten) zeigt:

Jetzo hat er ein griechisches Epos, hör ich, die Argo-
nauten, heroische Form, auf dem Amboss. Segn’ es der Gott ihm,
Aber zu lesen begehr ich es nicht. …

Sag, was kann ein Sterblicher mehr? Schönes, versöhnliches Schlusswort von Heyse. Es gab und gibt so viele Vorstellungen vom Hexameter, wie es Hexametristen gibt; da ist für Aussagen und Einsichten mit Auschließlichkeitsanspruch nicht recht Platz. Wobei die reichlich getroffen worden sind …

Paul Heyse hat in seinem Hexameter-Brief gezeigt, wie man auch in Versen über grundlegende Fragen nachdenken kann. Wahrscheinlich hätte man das auf kleinerem Raum erledigen können als in 133 Langversen; aber wer Hexameter für ein solches Unterfangen wählt, der weiß auch, dass dieser Vers viel Gegenständlichkeit braucht, gierig auf Dinge und Wirklichkeit ist und mit „Leerwörtern“ gar nicht gut zuerechtkommt; und dementsprechend hat Heyse Dinge vor den Leser hingestellt und einen schönen, gar nicht wirklich langen Brief geschrieben, dessen Vers-Fülle den Leser durchaus halten kann?!

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Herbst-Sonett

So fern scheint nun der Beete Blumenduft!
Wo wir in roter Pracht einst Rosen fanden,
Ist nichts als Leere, seit die Blüten schwanden,
Und Laub erfüllt in Braun und Gelb die Luft.

Unendlich breit und tief erscheint die Kluft,
Die uns vom Sommer trennt. Schon längst gewanden
Die Bäume sich in Grau, und sie umranden
Den Park wie Steinfiguren eine Gruft.

Der bleiern-schwere Himmel deckt den Sarg
Der Welt, die öde, ausgeleert und karg
Nicht weiß, ob jemals bessre Zeiten kommen.

Sei unverzagt! In dieser Grabesstille
Erklingt von fern das schlichte Lied der Grille,
Hab ich des Sommers Wiederkehr vernommen.

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Erzählverse: Der Blankvers (48)

1951, also mit fast 60 Jahren, hat Werner Bergengruen seine zurückblickende „Lombardische Elegie“ geschrieben. Das ist ein langer Text in Blankversen, zwar an manchen Stellen ein wenig umständlich, aber insgesamt auf jeden Fall lesenswert! Es gibt viele starke und schöne Abschnitte, und Bergengruens Blankverse gehen einen ruhigen, stetigen Gang, anziehend und einprägsam. So beschreibt er die Lombardei:

 

Vertraun und Dauer war in diesem Boden,
der die Barbaren litt und überstand.
Als unsre Ebnen noch der Urwald deckte,
noch Dämmerung und Sumpf, war dieses Land
zum Garten längst bestellt, durch Bach und Graben
kunstvoll genetzt. So mancher Wasserlauf
folgt heute noch getreu dem Bette, das
lang vor August, vor Caesar und vor Cato
des Sklaven, des Colonen Hand gezeichnet.
Wer aber weiß, ob nicht zu einer Zeit,
die noch kein Eisen kannte, ob nicht längst
bevor den Remus Romulus erschlug,
Ligurer, Umbrer und Etrusker hier
die ersten Wasseradern durch die Triften
gelenkt? Die Überirdischen vergalten
mit Segen die unendliche Geduld.
Ein jeder Herbst bescherte Wein und Öl.
Der Weizen zitterte im leichten Hauch
sanft schäumend wie ein goldgelocktes Meer,
und alles nutzte, Staude, Strauch und Baum
und Schilf, dem frommen menschlichen Bedürfnis.

 

Bergengruen nimmt keine der Möglichkeiten in Anspruch, die das stetige Auf und Ab des Blankverses auflockern können.  Einem zu einförmigen Eindruck wirken allein die Zeilensprünge entgegen, und man muss immer Satz und Vers zugleich denken – und im Vortrag zugleich erfahrbar machen -, soll der Text nicht zu spannungsarm erscheinen?!

Zu finden ist dieser Auschnitt in Bergengruens Gedichtband „Figur und Schatten“, Nymphenburger Verlagshandlung 1958, auf Seite 198.