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Erdenrast

Nieder steigt aus dem All gemachsamen Schrittes die Gottheit,
Klopft aus den Falten des Kleids weltenzerwinternden Frost.

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Bücher zum Vers (53)

John Fuller: The Sonett.

Das Sonett ist eine Gedichtform, über die man dicke Bücher schreiben kann und geschrieben hat, ohne dem Gegenstand jemals gänzlich auf den Grund zu kommen.

Schon darum ist ein Blick in Fullers Band reizvoll – er handelt das Sonett auf 60 Taschenbuchseiten ab, ohne dabei etwas wichtiges auszulassen, er kommt immer auf den Punkt und ordnet die Dinge so geschickt, dass der Leser auch auf so kleinem Raum alles im Sinne einer Einführung wissenswerte vorfindet.

Wie das vierte Kapitel, „Sequences“, zeigt, bleibt dabei das Besondere nicht auf der Strecke: Dort finden zwei eigentlich sehr fernliegende Bereiche zusammen, noch dazu zwei, die auch beim Verserzähler gemeinsam vertreten sind: Das Sonett und Go.

Da weist Fuller hin auf „a wealth of structural possibilites inherent in the very notion of the sonnet sequence, and still largely unexplored“, um dann fortzufahren:

„One poet evidently keen to confront these possibilities head-on is Jaques Roubaud. His ‚e‘ (Paris 1967) is composed of 361 ‚texts‘ described as ’sonnets, sonnets courts, sonnets interrompus, sonnets en prose, sonnets courts en prose, citations, illustrations, grilles, blancs, noirs, poèmes, poèmes en prose …‘ and the whole work migt be read in four quite different ways, one of which follows the procedures of a Japanese game of Go (a plan of the game is provided). Another aspekt of the structures may be ssen in Roubaud’s caim that he forms what I suppose could be described as meta sonnets, since each sonnet is given an identity as either a black or white piece in Go, an therefore a series of such black and white sonnets may be arranged as follows (as are the first fourteen in the sequence):

○ ● ○ ● (blanc) ● ○ ● ○ (blanc) ○ ● ○ (blanc) ○ ● ○

forming a ’sonnet de sonnets‘.“

Ich weiß nun nicht, ob aus Fullers Beschreibung so ganz klar wird, worum es geht; aber der grundsätzliche Gedanke ist da – und recht anregend!

Erschienen 1980 in dritter Auflage bei Methuen; die angeführten Zitate finden sich auf den Seiten 48 und 49.

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Ohne Titel

Freund, du sprichst mit der Zeit?!  Sie hört’s nicht, sie redet ja selber,
Immer denselben Satz: Alles, was jung ist, wird alt.

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Erzählformen: Das Reimpaar (11)

Wo Frank Wedekind war, war ein Skandal nicht fern. Auch in seinen Gedichten ging es oft hoch her; in „Gruß“ allerdings, dem ersten Gedicht einer vier Gedichte großen Gruppe, „Tänze“ genannt, lässt sich die Aufregung bestenfalls ahnen:

 

Ich weiß ein allerliebstes Kind,
Ein Kind, wie selten Kinder sind,
Mit schwarzem Auge, schwarzem Haar,
An Wuchs und Bildung wunderbar!
’s ist nicht zu groß und nicht zu klein,
’s ist nicht zu dick und nicht zu fein,
Es singt und springt und tanzt und lacht,
Hat manchen schon verrückt gemacht.

 

– Das ganze Gedicht, vier Reimpaare in zwei Gruppen zu zwei; trotzdem allemal eine runde Beschreibung. Das „’s ist“ kann man, denke ich, auch als „Es ist“ lesen, als zweisilbig besetzte Anfangssenkung, das Gedicht verliert nichts dadurch; aber einsilbig geht es selbstreden auch.

Hier scheint das Reimpaar dem Inhalt eine passende Form zu sein!?

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Erzählverse: Der Blankvers (47)

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben war, im Guten gesagt, ein Mensch, der sich nicht scheute, Schwierigkeiten und Probleme an- und auszusprechen; Im Schlechten gesagt war er ein Nörgler. Mit über 70 –  das „Lied der Deutschen“ hatte er schon 30 Jahre früher verfasst – hat er eine Reihe von Blankvers-Texten geschrieben, darunter auch, am heiligen Abend 1870, „Die Schrubbistinnen“. Den mag und soll jeder einordnen, wie er möchte … Hier der Beginn:

 

Die Reinlichkeit ist gut und lobenswert,
Notwendig auch, das ist einmal gewiss.
Ein Haus von innen wie von außen rein,
Das ist ein gutes Zeugnis für den Wirt,
Für das Gesind und für die Frau vom Haus,
Ein schöner Willkomm für den Freund und Gast.
Wohin man sieht, ist alles rein und nett,
Kein Staub und Schmutz auf Tisch und Stuhl und Bank,
Fußböden, Wände, Türen, ja sogar
Die Hausflur und die Treppen sind geschrubbt
Und alle Fenster spiegelblank geputzt.
’s ist eine Lust, in solchem Haus zu sein!
Es heimelt einen so behaglich an,
Und mancher denkt: Ach, hätt ich’s so doch auch!
Was aber drum und dran, das denkt er nicht.
Wie mancher Hausfrau ward’s zur Leidenschaft,
Dass sie vom Schrubben niemals lassen kann.
Kein Wetter ist zu schlecht, geschrubbt muss sein.
Fleht auch der Mann, was hilft’s? Geschrubbt muss sein,
Und liest man’s aus den Augen auch dem Gast,
Wie unlieb ihm der Wirrwarr ist: Geschrubbt muss sein.

 

Ähnlich „sauber“ auch Hoffmanns Vers? Eigentlich schreibt er hier keinen wirklichen Blankvers, da er auf unbetonte Versausgänge vollständig verzichtet und auch die dem Blankvers wesenseigenen Auflockerungen überhaupt nicht in Anspruch nimmt (will man nicht „Fußböden“ als Abweichung ansehen). Trotzdem wirkt der Vers beweglich und vielgestaltig; es macht Spaß, ihn zu lesen und zu hören?!

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Erzählverse: Der Hexameter (72)

Hexameter in Goethes „Faust“

Hexameter im Faust? Gibt es nicht. Im ersten Teil sind die Bezüge zur Antike ohnehin rar, und als Goethe den zweiten Teil schrieb, hatte er zwar Bedarf an antiken Versmaßen, sich vom Hexameter aber schon abgewandt; stattdessen schrieb er viel im iambischen Trimeter – Bewundert viel und viel gescholten Helena … Auch großartige Verse, aber eben keine Hexameter.

Warum also dann dieser Eintrag? Nun, wie Markus Ciupke in seinem recht lesenswerten Buch Des Geklimpers vielverworrner Töne Rausch. Die metrische Gestaltung in Goethes „Faust“ anmerkt, gibt es unter den 12111 Faust-Versen wohl doch einen Hexameter – allerdings nicht auf Deutsch, sondern auf Lateinisch; und es ist auch eigentlich kein Vers, sondern ein Zitat aus einem Prosa-Werk, der lateinischen Bibel nämlich, sprich, der Vulgata:

 

Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum

 

1. Mose 3,5 in der Bibel, im Faust Bestandteil der „Schüler-Szene“ (Vers 2048). Metrisch betrachtet:

Eritis / sicut / Deus, || sci- / entes / bonum et / malum

Gott gleich werdet ihr sein, und wissen vom Guten und Bösen wäre, mal so aus dem hohlen Bauch, der Versuch einer Hexameter-Übersetzung; die evangelische „Bibel nach Luther“ übersetzt eher alternierend, Und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist; die katholische „Einheitsübersetzung“ ist sprachlich noch anspruchsloser, Ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.

Spannend wird dieser etwas eigene Hexameter nun durch die beiden ihm folgenden Verse:

 

Folg nur dem alten Spruch und meiner Muhme, der Schlange,
Dir wird gewiss einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange!

 

Was sind das für Verse? Gut, man könnte einfach auf eine Einordnung verzichten – die Verse werden dadurch ja nicht schlechter. Aber es gehört wohl auch zum Mensch-Sein, auf alles einen Namen kleben zu wollen; und indirekt geht es ja auch darum, mit welcher „Bewegung“ die Verse gelesen werden!

Eine Möglichkeit ist, die Verse als Alexandriner zu lesen, also nach diesem Schema:

x X / x X / x X || x X / x X / x X / x

Folg nur / dem al- / ten Spruch || und mei– / ner Muh– / me, der Schlan– / ge,
Dir wird / gewiss / einmal || bei dei- / ner Gottähn– / lichkeit ban– / ge!

Die Sechshebigkeit ist da, die feste Zäsur nach der dritten Hebung auch; die Verse sind, wie es sich für Alexandriner gehört, gereimt. Allerdings haben sich in den zweiten Vershälten die rot markierten überzähligen Silben eingeschlichen!

Man kann die Verse aber auch als Hexameter auffassen:

Folg nur dem / alten / Spruch || und / meiner / Muhme, der / Schlange,
Dir wird ge- / wiss ein- / mal || bei / deiner Gott- / ähnlichkeit / bange!

Der erste Hexameter ist da etwas besser als der zweite, aber auszusetzen gibt es, finde ich, nicht so viel; nur, dass die Verse halt gereimt sind. Gereimte Hexameter! Ein Unding!

Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich wahrscheinlich „Alexandriner“ sagen. Eben wegen der Reime. Aber es ist auch bestimmt kein Zufall, dass Goethe die dann überzähligen Silben an genau den Stellen gesetzt hat, wo sie zum den Hexameter kennzeichnenden Versschluss „Tam ta ta / Tam ta“ führen, samt solcherart erfolgter Anbindung an den lateinischen Vers?!

Also ist es wahrscheinlich am weisesten, zu sagen: Eine alexandrinisch-hexametrische Mischform. Und es damit gut sein lassen, vielleicht noch mit Verweis auf diese kurz zuvor zwischen Schüler und Mephistopheles gewechselten Worte:

 

Schüler
Doch ein Begriff muss bei dem Worte sein.

Mephistopheles
Schon gut! Nur muss man sich nicht allzu ängstlich quälen,
Denn eben, wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.

 

Ah! Ist da nicht der erste Mephistopheles-Vers ein lupenreiner Alexandriner? Nein, sagt zumindest Markus Ciupke, das ist, „umfeldbedingt“, ein Madrigalvers.

Ojemine!

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Ohne Titel

Als Dr. Sotz den Park betritt, ist’s Abend schon, und kühl,
Und Stille wächst – aus ihr heraus: dem Doktor das Gefühl
Krümelnden Seins, bröckelnden Seins, weniger jetzt: die Welt;
Der Welt ein neuer Rand, ganz rau – weh jedem, der hier fällt …

Aus Rissen steigt, aus Spalten auf, zerbröckelt ist die Zeit,
Zerbröckelt ist, was ewig schien: auf steigt Vergangenheit,
Geräusche, fremd und sonderbar, geweht in Sotzens Ohr:
Aus grübelschwerem Schweigen nickt ein Eulenschrei hervor.

Da fällt der Doktor auf die Knie, wird humpeln wochenlang –
Das spürt er nicht, er spürt dem Schrei, der eben zu ihm drang,
Dem Eulenschrei im Geiste nach, und in den Sinnen nach;
Und neu geglättet liegt die Welt, liegt wieder leer und brach.

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Erzählformen: Das Distichon (11)

Es gibt unzählige Sonette, die über das Sonett reden: Das Nachdenken der Form über sich selbst. Das ist selbstredend nicht an das Sonett gebunden – auch Distichen, die etwas über das Distichon aussagen, gibt es! Nicht ganz so viele, aber immerhin einige. Ein Beispiel ist „Das elegische Distichon“ von Josef Weinheber, zu finden in seinen „Sämtlichen Werken“, Band 2, Müller 1954, auf den Seiten 624 und 625.

 

Hirtlicher Vers, du schwindest dahin? Und hatten doch einstens
Liebende schön dich ersehnt, Sänger dich frurchtbar gemacht!
Wohl rührt Wehmut uns an im Zauber bukolischen Bildes,
aber wie lang noch gelingt’s, dass wir das deine verstehn?
Holde Zerbrechlichkeit, doch eben darum von Bestande,
tief versponnene Welt, Pulsschlag des inneren Seins …
Treulos und klug, vom leiseren fort, erstrebten die Dichter,
und die eherne Zeit greift nach dem wilderen Sang.
Schrecken jeglicher Art umbranden die Pforten des Herzens,
nichts betuliches mehr duldet des Sängers Beruf.
Kriegsmann er, am Kriege entfacht, verschworen dem Kriege,
schließt ihm Gefährdung den Mund, oder ihn spornt die Gefahr.
Furchtbar gehn wieder die Schlachten, o Schlachten der Faust wie des Geistes,
zwecklos Träne, sie irrt um der Getöteten Mal.
Was nicht taugt in des Tags gehäuftes Maß der Verpflichtung,
stirbt, stehn Männer nicht auf, Zwecklosem Anwalt zu sein.
Wer behütet den Sinn und wagt das Unzeitgemäße,
Haben die Dichter nicht Mut: Klage und Trauer und Traum?
Sie, doch ewig im Abschied, um ewig Heimat zu finden,
müssten sie, friedlicher Vers, Deines nicht leidvoll erneun?
Ach, versuch’s, ersterbender Klang! Vielleicht, dass der Götter
Segen noch einmal dir schenkt: Zukunft, Lebendigkeit, Glück.

 

„Tief versponnen“ – das trifft vielleicht gar nicht schlecht auf Weinhebers Verse selbst zu. Ganz einfach ist es nicht, will man ihnen folgen; aber es lohnt sich, denn die Bewegungslinien sind immer klar und ausdrucksstark!

Wie in vielen in Distichen geschriebenen Texten gibt es auch hier manche Distichen, die, statt in einem Text aus elegischen Distichen zu stehen (also einer längeren Reihung von Distichen), als Epigramm stehen könnten, als einzlenes Distichon mit pointiertem Inhalt.  Das letzte Distichon zum Beispiel; oder dieses:

Wer behütet den Sinn und wagt das Unzeitgemäße,
Haben die Dichter nicht Mut: Klage und Trauer und Traum?

Und auch Weinhebers ganz eigener Tonfall tritt hier im Kleinen genauso hervor wie aus dem großen Ganzen des gesamten Textes.

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fama crescit eundo

Entsetzen durchflattert
Die Herzen und schnattert
Durch Münder hinaus,
Durch Ohren hinein –
Zu Beginn ist es klein,
Doch beim Springen von Haus
Zu Haus wird’s gewaltig
Und vielgestaltig;
Und Schrecken durchflattern
Die Herzen und schnattern.