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Erzählverse: Der Hexameter (57)

Im fünften Band von Ricarda Huchs „Gesammelten Werken“, erschienen 1971 bei Kiepenheuer & Witsch, findet sich auf den Seiten 319 und 320 der kurze Hexameter-Text „Einsame Nixe“:

 

Oft, wenn es dunkelte, hob aus dem Teich sich die reizende Nixe
Halben Leibs; es rieselte sacht von den schilfigen Haaren.
Mondengleich beschien ihre weiße Brust die Gebüsche,
Erlen und Weiden umher, sie leuchteten hell vor den andern,
Und es schimmerten feucht ihre Augen wie Perlen des Meeres.
Nichts bekümmerte sie, die alles von Anfang gesehen.
Wundersam nun erscholl ihre süße, kristallene Stimme
Leicht wie Luft. Und sie sang von den herrlichen Wundern der Schöpfung,
Sang von des Schicksals Gewalt und dem dunklen Geheimnis des Todes.
Bald wie Akkorde der Harfe ertönten die Zaubergesänge,
Bald, wie ihr zärtliches Lied die klagende Nachtigall flötet.
Aber niemand hörte die Einsame; träumerisch lauschte
Nur die heilige Nacht, es lauschten die ewigen Sterne.

 

Das geht gar nicht, oder? Schon die Adjektive lassen Schlimmes vermuten: „sacht“ (immerhin nicht: „sanft“), „süß“, „zärtlich“, „heilig“, „ewig“ … Dazu treten dann die ganz großen Substantive, „die heilige Nacht“, „die ewigen Sterne“, was die Dinge nicht wirklich besser macht; und wahrscheinlich schließt der Text nicht rein zufällig mit diesen Ausdrücken – noch weiter kann man die Dinge kaum treiben?!

Bloß, dass Huch das wahrscheinlich nicht so gesehen hat. Und auch, dass ich den Text trotzdem mag … Immer dasselbe: Wenn die Hexameter gut sind, ist mir der Rest herzlich gleichgültig. Und das sind sie – die Verse bewegen sich gut (nur der vorletzte ist im Eingang etwas gewöhnungsbedürftig), im Vortrag richtet sich die Aufmerksamkeit auf die ausgeglichene, ruhig fließende Bewegung, und die etwas beliebigen Wörter samt der übergroßen Ausdrücke – alles nicht mehr so wichtig …

Was nicht heißen soll, ich würde so was schreiben, heute; denn eigentlich, siehe oben.

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Das Königreich von Sede (52)

Bekam Prinz Klappstuhl was zu hören,
Wo’s sinnvoll schien, sich aufzuregen,
Dann ging er, auszuräumen jeden
Verdacht, er wolle jemand stören,
Das heißt, zuerst der Nachbarn wegen:
Hinaus, um mit der Nacht zu reden.

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Bücher zum Vers (40)

Wolfgang Binder: Hölderlin-Aufsätze

Erschienen 1970 bei Fischer, versammelt dieser Band „während zwanzig Jahren entstandene“ Aufsätze Binders. Die meisten haben nichts mit den vom Verserzähler verhandelten Dingen zu tun; lesen kann man sie aber trotzdem, mehr über Hölderlin zu wissen ist immer gut!

Die erste „Abhandlung“ zum Beispiel trägt den Titel „Hölderlins Dichtung im Zeitalter des Idealismus“, und dort findet sich dieses Hölderlin-Zitat aus dem „Hyperion“ mit anschließender Erläuterung (S. 12):

„Die Natur war Priesterin und der Mensch ihr Gott, und alles Leben in ihr und jede Gestalt und jeder Ton von ihr nur Ein begeistertes Echo des Herrlichen, dem sie gehörte.“

Ein zweifach aufschlussreicher Satz. Denn die idealistische Umkehrung der Wirklichkeit – die Natur ist das Echo des Menschen, nicht dieser das Echo der Natur – und die Stilisierung der Sprache zu melodischer, fast rhythmischer, gleichsam durchsichtiger und dennoch genauer Form bedingen einander.

Hm. „Fast“ rhythmisch?! Ich weiß nicht, aus welchem Grund Hölderlin das „Ein“ mitten im Satz großgeschrieben haben wollte – zusätzliche Betonung? Würde passen … Jedenfalls & eigenartigerweise beginnt genau da ein Hexameter, der bis zum Schluss des Satzes geht:

Ein be- / geistertes / Echo || des / Herrlichen, / dem sie ge- / hörte.

… Und ein Hexameter ist ja nicht nur „fast“ rhythmisch; sondern sehr rhythmisch! (Wobei die Frage bleibt, ob Hölderlin da einen Hexameter im Kopf hatte … Fast alle seiner in Gedichten erscheinenden Hexameter haben die Zäsur nach einer betonten Silbe; der hier nicht!)

Äh … Ja. Das sind Dinge, da wird das Ohr aufmerksam; aber vielleicht entsteht so auch ein Eindruck, wie Binder schreibt.

Der Grund, aus dem ich hier auf diesen Band zu sprechen komme, ist allerdings der zweite Text: „Hölderlins Odenstrophe“. Da ist zum einen zu erfahren, wie die „alkäische Odenstrophe“ und die „sklepiadeische Odenstrophe“ – wenn Hölderlin Oden geschrieben hat, dann fast ausschließlich in diesen beiden Strophen – aussehen, wie ihr inneres Gefüge gestaltet ist, welche Inhalte mit ihnen besser, welche schlechter vermittelbar sind; und dann, wie sich all das in Hölderlins Gedichten wiederfindet. Es sind nur 30 Seiten, die aber trotzdem eine Fülle an Erkenntnissen bieten!

Binder führt zum Beispiel (S. 61) eine asklepiadeische Strophe an, die Hölderlin später in eine alkäische Strophe umgeschrieben hat:

 

Wohl ist eng begrenzt unsere Lebenszeit,
Unserer Jahre Zahl sehen und zählen wir,
Doch die Jahre der Völker,
Sah ein sterbliches Auge sie?

 

Wie eng begrenzt ist unsere Tageszeit,
Du warst und sahst und stauntest, schon Abend ists,
Nun schlafe, wo unendlich ferne
Ziehen vorüber der Völker Jahre.

 

Die askl. Form erschöpft den Gedanken in ausführlicher, begrifflicher Antithese, der die grammatische Form entspricht („Wohl“ – „Doch“). Die alk. benützt ihn nur als Auftakt im ersten Vers und entwickelt daraus sogleich das indivuduelle Beispiel in der Zeit.

– Sagt Binder (immer noch S. 61), und führt dann aus, aus welchen Gründen ihm das kein Zufall, sondern im Wesen der jeweiligen Strophe begründet zu sein scheint.

Alles sehr anregend und zum Nachlesen empfohlen!

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Erzählformen: Das Distichon (10)

Josef Weinheber war ein äußerst formbewusster Dichter; das merkt man seinen Distichen sehr deutlich an. Zum Beispiel denen aus „Vom Gedicht“, zu finden im zweiten Band von Weinhebers sämtlichen Werken, erschienen 1954 bei Müller; dort zu finden auf Seite 581.

 

… aber das Höchste zu tun, was Menschen zu wirken erlaubt ist,
auszusprechen sich selbst, schön, in der reinen Gestalt:
Lebe die Sprache dafür!Und kommst du in fürchtiger Andacht
näher dem Wesen, dem Satz, füge sich Rhythmus und Reim!
Fühl: Schon pochts in den Fingern. Es pulst das Blut dieser Erde,
doch der Geist überhöhts in die beseelte Natur.
So befiehlt es die Kunst. Noch untergründig und ferne,
doch der Sterne gewiss, naht, was geheim: Das Gedicht.
Inniger ruft es dich auf, das Menschliche menschlich zu schauen,
und das getrennte Geschlecht eint es in himmlischer Luft.
Fühl im Gleichklang des Reims die nie erhörte Umarmung,
Schoß an Schoß die Gewalt neu sich gebärender Welt!
Denn es ist das Gedicht gewaltig, doch keimhaft am Anfang,
und Äonen bedarf’s, eh es zum Gleichnisse reift.
Königlich lebt es alsdann. Ihm danken verlorene Menschen,
Sonst durch Welten getrennt, Wiedersehn, Eintracht, Bestehn.
Lässt dich das Melos nicht schlafen, Tonfall verklärtester Liebe,
träum dir die Schönste herbei, leg ihr dein Glück auf das Haupt!
Leg ihr zu Füßen dein Herz, damit gesammelt verbliebe
Ur-Glanz, den schrecklich die Zeit, ach, unsern Herzen geraubt.

 

Die „drei Punkte“ bedeuten nicht, dass da schon etwas gestanden hat, das ich weggelassen habe; so geht der Text bei Weinheber los.

Das erste Distichon habe ich schon immer gemocht – es könnte auch als einzelnes Epigramm stehen!

Das ist kein Zufall: Jedes der zehn Distichen ist in sich abgeschlossen, es gibt keinen einzigen Zeilensprung! Dadurch  bekommt der ganze Text etwas festes, ruhendes … Etwas schweres, auch, was durch die vielen „großen“ Worte noch verstärkt wird – erst recht, wenn sie in einer Aufzählung einander folgen: „Wiedersehn, Eintracht, Besten“.  Insgesamt aber schon schöne Verse!

Inhaltlich fällt auf, wie selbstverständlich Weinheber mit Hilfe von Distichen, die ja niemals nie nicht gereimt werden, über den Reim redet; das klingt ein wenig eigenartig, erst recht, da sich zum Schluss, in den letzten beiden Distichen, plötzlich doch Hexameter und Pentameter reimen! Na, ist ja auch ein gutes Beispiel, warum das nicht geht, eigentlich: Entweder baut ein Vers auf der Bewegung auf, dann achtet das Ohr auf die Bewegungslinie und damit den ganzen Vers; oder auf dem Reim, dann gilt die Aufmerksamkeit dem Versende.

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Erzählformen: Das Madrigal (3)

„Der Ichlehrer“ stammt von Jens Baggesen und ist, hm: ein klein wenig wunderlich.

 

Ich setze mich!
Versammelt euch zu meinen Füßen,
Ihr Herren! Jeder setze sich
Und horche meinen strengen Schlüssen.
Ich selbst bin ich,
Gesetzt durch mich,
Und, weil ich mich gesetzt, verstehet sich!
Du da bist du! Er dort ist er!
Doch diese Duen, diese Erren
Sind alle Nicht-Ich, meine Herren!
Nur wer sich setzt durch sich, wie ich mich setzte, der
Ist ebenfalls ein Ich und aller Nicht-Ich Herr,
Gebietet in der Welt der Duen und der Erren,
Ein jetz’ger Mensch, ein künft’ger Gott!
Da habt ihr simpel, leicht, und zwar im Grunde spott-
Wohlfeil, den Stein der Weisen, meine Herren!

 

Ja. Zum Glück geht es ja vor allem um die Form. Die ist, obwohl das recht bunt aussieht, eigentlich streng: Die Verse sind ausnahmslos iambisch-alternierend gebaut, es gibt keine Waisen; die Verslänge schwankt, nimmt aber recht regelmäßig zu zum Ende hin, so dass der Unterschied zwischen Zweihebigen und sechshebigen Versen vielleicht gar nicht so auffällt?! Sich / ich / mich / sich ist ein Vierfachreim nur aus Fürwörtern, aber das passt ja zum Inhalt.

Der Reim entscheidet auch, was Vers ist und was nicht – „Ich selbst bin ich, / gesetzt durch mich“ sind zwei Verse, „Du da bist du! Er da ist er!“ ist einer; ich glaube aber nicht, dass man den Unterschied im Vortrag hören kann? Eher „andersrum“ …

Ansonsten fälllt noch der heftige Zeilensprung nach dem „der“ auf, das Reimwort ist zum „er“ (wozu noch das „Herr“ tritt. „Er, der Herr“? Hm). So gesehen alles ein wenig dünn, wenn man die Versenden betrachtet; da das ganze aber ohnehin ein wenig nach „heißer Luft klingt (klingen soll), wie gesagt: passt es.

Bestimmt kein großes Gedicht, aber doch erheiternd und ein weiteres brauchbares Beispiel dafür, was man mit der Madrigals-Form so alles anstellen kann!

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Die Bewegungsschule (33)

ta ta TAM ta ta TAM || ta ta TAM ta ta TAM – in (32) tauchte der „Bewegungsschulen-Vers“ einmal in einem Gedicht auf; hier in einem kurzem Stück Prosa. Wo?

 

Nun kam Abend und Nacht und Mitternacht, – der Hund heult, der Wind:
– Ist der Wind nicht ein Hund? Er winselt, er kläfft, er heult. Ach! Ach! Wie sie seufzt! Wie sie lacht, wie sie röchelt und keucht, die Mitternacht!

 

Steht in Nietzsches „Also sprach Zarathustra“, im „Nachtwandler-Lied“. Ob das noch wirklich Prosa ist, hm … Der gesuchte Vers ist jedenfalls der:

Wie sie seufzt! / Wie sie lacht, || wie sie röchelt / und keucht!

ta ta TAM / ta ta TAM || ta ta TAM ta / ta TAM

– Da kann sich niemand beschweren! Sehr wirksam, auch. Da der ganze kurze Abschnitt die Grundbewegung des Verses mehr oder weniger umsetzt, gibt es sogar noch einen weiteren Vers, der in Frage kommt:

Ist der Wind / nicht ein Hund? || Er winselt, / er kläfft,

ta ta TAM / ta ta TAM ||  ta TAM ta / ta TAM

Fast dieselbe Bewegung wie im ausgeguckten Vers, nur dass in der zweiten Vershälfte eine leichte Silbe fehlt! Aber das kann, als Ausnahme, ja durchaus einmal vorkommen – es wäre überhaupt nicht erstaunlich, tauchte dieser Vers in einem Text auf, der dieses Maß gebraucht.

EIn Vers, der etwas zu abweichend ist für den Grundvers, steht ganz am Anfang:

Nun kam Abend / und Nacht || und Mitternacht

ta ta TAM ta / ta TAM ||  ta TAM ta TAM

Da fehlen allerdings gleich zwei Silben in der zweiten Vershälfte, und obwohl es Gedichte gibt, die das genau so machen, ist es im „reinen Vers-Sinn“ vielleicht nicht so angebracht? („Nun“ und vor allem „kam“ sind auch ein wenig schwer, aber ich denke, sie können trotzdem noch als leichte Silben gebraucht werden? Fällt bei dem Schwung, den das ganze hat, nicht wirklich auf …)

Schon eigenartig, diese Häufung; und danach ist auch wieder anderes zu hören, andere Bewegungen – so geht es weiter:

 

Wie sie eben nüchtern spricht, diese trunkene Dichterin! Sie übertrat wohl ihre Trunkenheit? Sie wurde überwach? Sie käut zurück?
– Ihr Weh käut sie zurück, im Traume, die alte tiefe Mitternacht, und mehr noch ihre Lust, Lust nämlich, wenn schon Weh tief ist: Lust ist tiefer noch als Herzeleid.

 

Ganz anders. (Aber: „Sie käut zurück“ … Hm.)