Und wieder ein Besuch beim „Bewegungsschulen-Vers“:
ta ta TAM ta ta TAM || ta ta TAM ta ta TAM
– Mit ist er, seit die „Bewegungsschule“ ihre Tore aufgetan hat, so ins Ohr gegangen, dass ich ihn inzwischen überall heraushöre, auch, wenn der Text eigentlich anders gebaut ist und die kennzeichnende Vers-Bewegung nur ein einziges Mal aufklingt.
Als Beispiel nehme ich diesmal eine Stelle aus Richard Dehmels „Zwei Menschen. Roman in Romanzen“:
Und es führt ein Wildsteg durch Farrenkraut bergan.
Über Moos und Felsen schlüpft hüpfend das Licht
und blitzt im Dickicht; fern ruft ein Kuckuck.
Und es sprudelt ein Wasser durch tiefen, tiefen Tann;
da sitzt ein nacktes Weib, das Kränze flicht,
Kränze um einen glitzernden Mann.
Der singsangt:
Vor der Nixe vom Rhein kniet der Kobold vom Rhin
und bringt schön bang seine Brautschätze dar:
blaue Blumen, die nur im Freien blühn,
Männertreu, Pferdefuß, Jungfer im Grün,
und zur Hochzeit ein stumm Musikantenpaar:
Unke, die munkelt nur,
Glühwurm karfunkelt nur:
Ellewelline, husch, tanze danach!
Eigenartig, was die Handlung angeht?! Der gesuchte Verse ist jedenfalls dieser:
Vor der Nixe / vom Rhein || kniet der Kobold / vom Rhin
– Wobei das nach allem, was bisher hier über den Vers zu lesen war, ein klein wenig geschummelt ist: „kniet“ ist einmal ein Sinnwort und hat außerdem einen Doppellaut und einiges an Konsonanten – trotzdem habe ich diese Silbe als „leicht“ gewertet! Das lässt sich vielleicht auf zwei Arten begründen: Einmal ist das „Knien“ geschwächt dadurch, dass es hinter „Rhein“ steht – einem noch schwereren Wort; und dann haben es die meisten Dichter auch nicht so genau mit dem Silbengewicht genommen, wie ich das hier der größtmöglichen Deutlichkeit wegen mache. Auch sind die beiden Halbverse ja in gleicher Weise gebaut – ta ta TAM ta / ta TAM – da ist die Versuchung, das „kniet“ im Rahmen einer Angleichung „leicht“ zu sprechen, noch größer?!
Aber das sind so die Stellen, wo sich der Vers des einen Verfassers vom Vers des anderen unterscheidet – und unterscheiden muss; jedem seine eigene Stimme, jeder ihren eigenen Vers.
Wer mag, kann den Vers ja mal wieder schreiben; ich gebe als Anregung noch einige Halbverse, auf die Schnelle bei Dehmel gesammelt. Die können als Startpunkt verwendet werden, oder irgendwo eingebaut; vielleicht sind sie auch für einen der Zweizeiler brauchbar, die ich schon einmal angeregt habe – „Grundvers“ + „Schlussvers“?!
ta ta TAM ta ta TAM || ta ta TAM ta ta TAM
ta ta TAM ta ta TAM ta ta TAM ta
Hier jedenfalls die Halbverse Dehmels:
Wenn der Himmel erscheint, Als ich gestern der Brief, Sonst möchte dir Eins, Der von Berghaupt wild, Dass ich Seelen verließ, Wie sie strahlend den Dunst, Und es blaut eine Nacht, Und sie kehren zurück, Und im Haar einen Kranz, Und ein Lichtstreif schielt, Und die Orgel erbraust, Doch die Orgel verstummt, Und es rauscht nur und weht, Und sie wirbeln im Tanz, Und es rauscht nur und glüht, Und sie staunen ins Land, Und das Weib schluchzt auf, Und sie wirft sich an ihn, Wenn ich spüre, wie’s wächst,
Ich bastle zum Abschluss selbst schnell ein Verspaar –
Doch die Orgel verstummt, und es blaut eine Nacht,
Wie auf ewig vor Schatten behütet.
– wobei der „Schlussvers“ auch bei Dehmel steht, genauso, als eigenständiger Vers. Also eigentlich ein vollständiges, wenn auch sehr kurzes „Cento“ …