0

Ritterlicher Kompromiss

„Ich komme dir entgegen, wenn du mir entgegenkommst“, sagte ein Ritter zu einem anderen. „Einverstanden!“ antwortete der, trieb sein Pferd an und legte die Lanze ein.

0

Bücher zum Vers (38)

Daniel Frey: Bissige Tränen. Eine Untersuchung über Elegie und Epigramm von den Anfängen bis zu Berthold Brecht und Peter Huchel.

Erschienen 1995 bei Königshausen & Neumann, macht dieser Band genau das, was sein redseliger Untertitel verspricht. Damit dieses doch Recht umfangreiche Unterfangen auf nur 250 Seiten gelingen kann, muss der Verfasser auswählen und ordnen, und das tut er sehr geschickt meinem Eindruck nach; niemals verliert man als Leser den Überblick, und auch genug „Zug“ ist drin – langweilig wird es nie!

Ein Buch also, nicht nur von Wert für die Freunde der dichterischen Kurzform; aber vielleicht vor allem für die. Und für alle, denen das Distichon am Herzen liegt, denn das kam ab der klassischen Zeit ja sowohl im Epigramm als auch in der Elegie zum Einsatz; und manchmal ist beides gleichzeitig der Fall. Das folgende Distichon stammt aus den Xenien von Goethe und Schiller:

 

Jeremiaden aus dem Reichsanzeiger

Alles in Deutschland hat sich in Prosa und Versen verschlimmert,
Ach! und hinter uns liegt weit schon die goldene Zeit.

 

Ein Distichon, das sicherlich Epigramm ist seinem Wesen nach, aber, so befindet Frey auf Seite 167, durchaus auch Elegie:

„In mancher Xenie  wie in Jeremiaden aus dem Reichsanzeiger lässt Schiller als vermutlicher Dichter ein elegisches Zwielicht durchschimmern.“

0

Go: Die Treppe

Weiße Schritte,
Schwarze Schritte,
Von der Mitte
Hin zum Brettrand
Läuft die Treppe.
Da sich niemand
Auf dem Weg fand
Der sie bricht,
Bricht sie nicht,
Eilt nur schlicht
Immer weiter.
Froh und heiter
Läuft die Treppe,
Läuft die Leiter
Hin zum Ziele,
Wo schon viele,
Die beim Spiele
Lang verharrten,
Auf sie warten.

 

treppe

 

 

 

a zu spielen,
Ist von vielen
Zügen einer –
Kanns gelingen,
So zwei Schwarze
Umzubringen,
Ist’s kein kleiner …

 

(Wer kein Go spielt und wissen möchte, was eine „Treppe“ ist, kann ja mal in diesem wirklich guten Anime über Go vorbeischauen: Hikaru no Go (2) – die Stelle mit der Treppe ist von 3:35 – 4:50!)

0

Die Bewegungsschule (30)

TAM ta ta TAM ta“, diese fünfsilbige Einheit wurde im letzten Eintrag als eigenständiger Vers vorgestellt; hier soll es nun um ihr Vorkommen in anderen Versarten gehen.

Da ist zuerst und vor allem sicher der Hexameter zu nennen, der im vorderen und mittleren Bereich unendlich vielfältig ist in seinen Silben- und Bewegungsmustern, am Schluss aber immer dieselben Wendung nutzt; eben das „TAM ta ta TAM ta“. Wer mag, kann dazu bei „Der Hexameter“ (36) und (37) nachlesen!

Auch in der „Sapphischen Odenstrophe“ kommt das „TAM ta ta TAM ta“ als Schlusswendung vor; da ist es sogar fürs Auge abgesetzt und füllt den vierten Vers! Inhaltlich ist es allerdings oft sehr eng mit dem dritten Vers verknüpft. Ich führe als Beispiel eine Ode von Josef Weinheber an, entnommen seinen 1954 bei Müller erschienenen „Gesammelten Werken“ (2. Band, Seite 418):

 

Beug dich, Fremder, liebend hinab! Die Liebe
zwar ist stumm. Nein, stumm nicht, sie redet nur mit
andern Zungen – oh eine Sprache, fast schon
totengewaltig –

nah den Tränen. Aber das Tränennahe
ist so schön wie schrecklich. Und beide Reiche
gehn hinein, sind dort zu versöhnen; dass nur
ja das Geliebte

stark sei in des Liebenden Feuer; stark ge-
nug, in eins zu betten die Mächte: Guter
Hoffnung. Dies zum währenden Zeichen in den
langen Geschlechtern.

Leicht zerstörbar, dennoch der Prüfung trotzend
mit dem Sieg der Liebenden: Tun und Dulden
binden – schöner, schrecklicher Mensch! – dich ewig
an deine Sterne.

 

Stark geformte Sprache, die aber dem Rahmen der Odenstrophe gerecht wird?!  Der Kurzvers am Strophenende, um den es hier ja geht, ist zweimal sehr deutlich ausgeprägt in der Bewegung – „totengewaltig“, „langen Geschlechtern“ – und zweimal nur erkennbar aus dem Wissen um die vorgegebene Bewegung heraus: „ja das Geliebte“, „an deine Sterne“.

Trotzdem, auch hier, wie im Hexameter: ein nachdrücklicher und wiedererkennbarer Schluss.

0

Ariadne auf Naxos

Endlich kommst du zum Strand. Dein Blick geht aufs Meer, in der Ferne
Schimmert sein Segel. Du rufst, aber er hört dich nicht mehr.

0

Erzählverse: Der Blankvers (36)

Heute vor hundert Jahren, also am 10. Juli 1914, hat Alfred Lichtenstein dieses Gedicht geschrieben:

 

Doch kommt ein Krieg. Zu lange war schon Frieden.
Dann ist der Spaß vorbei. Trompeten kreischen
Dir tief ins Herz. Und alle Nächte brennen.
Du frierst in Zelten. Dir ist heiß. Du hungerst.
Ertrinkst. Zerknallst. Verblutest. Äcker röcheln.
Kirchtürme stürzen. Fernen sind in Flammen.
Die Winde zucken. Große Städte krachen.
Am Horizont steht der Kanonendonner.
Rings aus den Hügeln steigt ein weißer Dampf
Und dir zu Häupten platzen die Granaten.

 

– Ein Tonfall, wie er in den Gedichten dieser Zeit häufiger zu vernehmen ist?! Sehr kurze Sätze, die dem Vers nicht unbedingt gut tun, bis hin zu den Ein-Wort-Sätzen des fünften Verses, die man auch in Form einer Liste untereinander schreiben könnte statt in der äußeren Form eines Blankverses …

Aber inhaltlich lag Lichtenstein, der seit Oktober 1913 Soldat war, richtig: Keinen Monat später war der Krieg da; und war noch keine zwei Monate alt, als Lichtenstein sein Opfer wurde – er starb am 25. September 1914 in Frankreich.

0

Erzählverse: Der Hexameter (54)

Friedrich Hebbels „Mutter und Kind“

„Ein Gedicht in sieben Gesängen“, sagt der Untertitel; ein mittellanges Hexameter-Werk also.

Der Inhalt ist schnell erzählt: Christian, der nicht genug verdienen kann, um eine Familie zu gründen, will nach Amerika, um sein Glück zu machen und dann zurückzukehren; seine Magdalena ist entsetzt. Da kommt von dem erzwungen kinderlosen Kaufmannsehepaar, bei dem sie arbeitet, ein Angebot: Wenn Magdalena ihr Erstgeborenes den Kaufleuten überlässt, damit die es als ihr Kind ausgeben können, wird Christian als Verwalter eines Guts eingesetzt und die beiden können sofort heiraten.

Christian und Magdalene stimmen zu, doch als das Kind geboren wird, stellt sich heraus, dass Magdalena es nicht wird abgeben können. Christian besteht aber darauf, sein gegebenes Wort zu halten, und so flieht Magdalena mit dem Kind. Christian sucht und findet sie; er gibt nach, sie verlassen das zuvor noch versorgte Gut und verschwinden.

Was sie nicht wissen (im Gegensatz zum Leser): Der Kaufherr hat gleich zu Beginn beschlossen, Christian auch dann als Verwalter zu behalten, wenn die jungen Eltern das Kind doch nicht hergeben wollen. Er lässt nun nach den beiden suchen, doch als Christian und Magdalena das bemerken, glauben sie, man wolle ihnen das Kind abjagen, und verstecken sich nur noch besser. Doch schließlich löst sich alles zum Guten auf, und das Kind bleibt bei seinen Eltern.

Als Leseprobe einige Verse gleich vom Anfang, als es von Mägden und Knechten heißt, des Morgens:

 

Nun, man müsste sie loben, wofern sie sich rascher erhüben,
Aber wer könnte sie tadeln, dass sie sich noch einmal herumdrehn?

 

Eine hübsche Entgegenstellung  … Grund für solches Verhalten ist: die Kälte! Die Handlung setzt zu Weihnachten ein, und da, sagen die nächsten zweieinhalb Verse,

 

Ist doch die Kälte zu groß! Der Fuß, dem die Decke entgleitet,
Schrickt zurück vor der Luft, als ob er in Wasser geriete,
Welches sich eben beeist

 

Man hört ganz gut, dass Hebbel hier einen sicheren, aber auch recht unspektakulären Hexameter schreibt. Vielleicht noch die Szene, wo Christian und Magdalena sich nach der Geburt ihres Kindes verschieden entscheiden – Christian:

 

„Nun, so wisse noch eins: Ich habe, solange ich lebe,
Nie mein Wort noch gebrochen und werde auch dieses nicht brechen,
Drum entwöhne ihn morgen, ich bring dir den Wermut noch einmal.“
Sie verstummt, denn sie hat noch nie so ernst ihn gesehen,
Und er schreitet hinaus, er sagt, die Kräuter zu pflücken,
Aber er tut es nur, um ihr den Kampf zu verhehlen,
Welchen er selber kämpft, und welcher die Seele ihm spaltet.
Sie hingegen umarmt und küsst den Knaben aufs neue,
Dass sie ihn fast erstickt, und ruft, als ob er’s verstände:
„Nein, ich lasse dich nicht, es möge kommen, was wolle!“

 

Der Nachteil solcher eher prosanaher Verse ist natürlich, dass man ab und an etwas Acht geben muss, um die Vers-Merkmale zu bemerken; in

Sie verstummt, denn sie hat noch nie so ernst ihn gesehen,

etwa in den ganzen Einsilbern die Zäsur zu finden, ist gar nicht so einfach.

Na ja. Ob man das ganze Werk heute noch lesen muss – ich weiß nicht, ich fürchte, der Geschmack hat sich da etwas gewandelt. Schlecht ist „Mutter und Kind“ aber sicher nicht. Ich verabschiede mich von Hebbels Zeilen mit einem weiteren Winterverweis – Christian, im Schneetreiben, knallt auf dem Wagen mit der Peitsche:

 

Und durch diese Bewegung die Kruste vom Leibe sich schüttelnd,
Wird er wieder zum Menschen; bis dahin war er ein Schneemann.

 

Uh. Hier ist zum Glück Sommer – auch wenn es sich stark abgekühlt hat.

0

Erzählverse: Der iambische Trimeter (13)

Stefan Georges „Der Auszug der Erstlinge“:

 

Uns traf das los: wir müssen schon ein neues heim
In fremdem feld uns suchen die wir kinder sind.
Ein efeuzweig vom feste steckt uns noch im haar ·
Die mutter hat uns auf der schwelle lang geküsst ·
Sie seufzte leis und unsre väter gingen mit
Geschlossenen munds bis an die marken · hingen dann
Zur trennung uns die feingeschnizten tafeln um
Aus tannenholz – wir werfen etliche davon
Wenn einer aus den lieben brüdern stirbt ins grab.
Wir schieden leicht · nicht eines hat von uns geweint ·
Denn was wir tun gereicht den unsrigen zum heil.
Wir wandten nur ein einzigmal den blick zurück
Und in das blau der fernen traten wir getrost.
Wir ziehen gern: ein schönes ziel ist uns gewiss
Wir ziehen froh: die götter ebnen uns die bahn.

 

– Im ganz eigenen George-Klang, wie zu erwarten; und im George-Schriftbild, Rechtschreibung, Groß- / Kleinschreibung, Zeichensetzung und alles.

Aber wenn man daran einmal vorbeidenkt und sich die Verse vorspricht , merkt man – jedenfalls ging es mir so: Hier fällt es recht schwer, den Vers als Einheit hörbar zu machen, viel schwerer jedenfalls als zum Beispiel in einem Trimeter-Text von Mörike.

Das liegt auch an den manchmal sehr unscheinbaren Zäsuren, der sich nicht sofort erschließenden Unterteilung des Langverses?!

Viel länger dürfte der Text jedenfalls nicht sein; er fordert dem Leser viel Aufmerksamkeit ab, was über eine kurze Anzahl von Versen sicher zu leisten ist; aber je länger, deso mühsamer, und von daher denke ich, der Text ist aus gutem grund nicht noch umfangreicher.

Aber wie auch immer: Eine eigene Trimeter-Stimme auch dies, und wenn man sich den Text nicht nur einmal, sondern mehrere Male vorspricht, hat man einen Bezugspunkt mehr im Ohr, wenn es an das Schreiben eigener Trimeter geht?!