GOETHE ™
(enthält TT 1692, IT 1543, IT 1544, TT 1740)
Ganz leise spricht ein Gott in unsrer Brust
Von Mut und Hoffnung, und sein freies Herz
Ergab sich ganz der Freude, ganz der Lust;
Wer sich entschließen kann, besiegt den Schmerz.
GOETHE ™
(enthält TT 1692, IT 1543, IT 1544, TT 1740)
Ganz leise spricht ein Gott in unsrer Brust
Von Mut und Hoffnung, und sein freies Herz
Ergab sich ganz der Freude, ganz der Lust;
Wer sich entschließen kann, besiegt den Schmerz.
„Der Kaukasus“, geschrieben von Karoline von Günderode, ist ein wunderliches Stück Verskunst … Jetzt habe ich mal im Netz geschaut und gefunden, diesen Eindruck habe nicht nur ich. Hier der kurze Text:
Mir zu Häupten Wolken wandeln,
Mir zur Seite Luft verwehet,
Wellen mir den Fuß umspielen,
Türmen sich und brausen, sinken.-
Meine Schläfe Jahr’ umgaukeln,
Sommer, Frühling, Winter kamen,
Frühling mich nicht grün bekleidet,
Sommer hat mich nicht entzündet,
Winter nicht mein Haupt gewandelt.
Hoch mein Gipfel über Wolken,
Eingetaucht im ewgen Äther,
Freuet sich des steten Lebens.
Und dazu ein Link zu einer Sendung des SRF, „Lyrik am Mittag“:
– Erst eine kurze Einschätzung, dann eine Lesung. Die gefällt mir dann nicht ganz so gut, ich finde, sie nimmt der Sprache Günderodes etwas zu viel an Kraft und Bewegung im Versuch, „besonders“ zu klingen; der Text zerfällt. Andererseits klingt er dann eben, na ja: wunderlich. Trotzdem denke ich, man wird ihm gerechter, wenn er ein wenig mehr vom Vers her gelesen wird?! Wer mag, kann ihn sich (und anderen) ja einmal vorsprechen und sich dabei selbst ein Urteil bilden.
Die alten Meister schäumen
Vor Wut, wenn sie aus Leichtsinn
Den rechten Zug versäumen.
Claus Schuppenhauer: Der Kampf um den Reim
in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts.
Erschienen 1970 bei Bouvier u. Co verhandelt dieser Band sicherlich einen Gegenstand, der nicht jedem sinnvoll erscheinen wird. Trotzdem steckt einiges drin!
In den ersten beiden Kapiteln geht es um die Geschichte des Reims in Frankreich, England und Deutschland; das dritte Kapitel widmet sich dann dem eigentlichen Inhalt, eben dem „Kampf um den Reim“.
Das bedeutet für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts, in der nahezu jedes Gedicht gereimt war: Das Aufkommen neuer Gedanken, die Dichtung betreffend, und dazu zählend die Reimlosigkeit von Versen; und dann in der Entgegnung darauf die Verteidigung des bisher gültigen.
Die dabei bezogenen Stellungen sind für sich schon nachdenkenswert; Aber auch die Handelnden als Menschen sind einen Blick und Gedanken wert, sogar angesichts des „Literaturkriegs“, zu dem sich die Auseinandersetzung bald auswuchs. Man wusste zu streiten, damals!
Und auch einige nette Verse werden geboten, wie zum Beispiel diese vier Alexandriner von Wilhelm Rabener:
Fort, Musen! Reißt den Blitz aus eures Vaters Hand!
Es ist die höchste Zeit. Nehmt Donner, Keil und Brand,
Und kommt, und kämpft, und siegt, und schlagt die Feinde nieder,
Und schützt den lieben Reim, das Hauptwerk deutscher Lieder!
Das klingt heute sehr altertümlich?! Die trotzdem spürbare Dringlichkeit ist jedenfalls nur vorgetäuscht in parodistischer, satirischer Absicht – „Es lebe, was sich reimt!“, wie es später ebenso schön wie scheinheilig heißt.
Aber wie gesagt: Will man die ganzen 400 Seiten angehen, braucht es wohl eine gewisse Begeisterung für die Geschichte der deutschen Dichtung. Was keineswegs heißen soll, der Band sei für das Heute verloren; denn einen „Kampf um den Reim“ kann man im 21. Jahrhundert auch führen – nur dann unter umgekehrten Vorzeichen: Wie dem Reim wieder Geltung verschaffen in einer Dichtung, die von ihm so wenig wissen will wie die Dichtung des beginnenden 18. Jahrhunderts von ungereimten Versen?!
Als ich vor Zeiten in „Herders Konversationslexikon“ von 1855 las, dass Johann Ladislaus Pyrker (1772 – 1847) zu den wenigen gehört, denen „schöne deutsche Hexameter“ gelungen sind, habe ich mich flugs seines Epos „Tunisias“ bemächtigt. Und, oh je: Es wurde eine böse Quälerei. Dieser Abschnitt steht ganz am Anfang des ersten Gesangs:
Sehe den Kaiser zuerst, im Sturm des Donnergeschützes,
Werfen des Feindes Schiffheersmacht in den brausenden Abgrund;
Dann ihn, laut umjauchzt von Tausenden, landen vor Tunis,
Schimmern die Fahne des Siegs von Goletta, vom blutigen Schlachtfeld
Fliehen den Feind, und dort in dem Staub die entfesselten Sklaven
Knien, und netzen des Retters Hand mit glühenden Tränen,
Der, o Wonne, sie heim in das Vaterland, und entgegen
Segnenden Lieben führt aus Schmach, und Qual, und Verzweiflung!
O wie bebt mir die Brust: herauf aus den Tiefen des Herzens
Strömt der Gesang, und kündet der Taten erhab’ne Vollendung!
Das klingt einfach verquast. Ich kann es aber, bis auf die offensichtlichen Aussetzer wie „o Wonne“, nicht wirklich in Worte fassen … Wie gut, dass es andere schon getan haben! Zum Beispiel August Sauer in der „Allgemeinen Deutschen Biographie“ – eine Auswahl:
– Pyrker erhebt die Hände zu den Kränzen Homers und Virgils; aber nur dürre Blätter daraus sind ihm zugefallen.
– In der Darstellung des täglichen Lebens wird er leicht geschmacklos; So fällt er oft und leicht aus dem Erhabenen ins Lächerliche.
– Neben manchen schönen und treffenden Vergleichen eine große Anzahl weithergeholter, hinkender, geschraubter, ja komisch wirkender.
– Vers und Sprache, an Klopstock, noch mehr aber an den späteren Auflagen der Voß’schen Homerübersetzung geschult, dürfen kaum mehr als das Lob einer steifen Korrektheit in Anspruch nehmen.
– So hat Pryker unter all seinen Dichtungen nicht ein einziges Kunstwerk hinterlassen.
„Nicht ein einziges“. Aua. Aber ich habe zumindest bei Pyrkers Hexametern bisher noch keinen Grund gehabt, diese Einschätzung anzuzweifeln.
Irgendwie hatten mich Pyrkers Verse an eine Stelle in Hölderlins „Archipelagus“ erinnert, obwohl die inhaltlichen Gemeinsamkeiten eigentlich gar nicht so groß sind. Ich glaube, ein Vergleich ist ziemlich lohnend, um zu erkennen, wie man’s machen kann; und wie eben nicht.
Aber in schwindelnden Traum vom Liede des Tages gesungen,
Rollt der König den Blick; irrlächelnd über den Ausgang
Droht er, und fleht, und frohlockt, und sendet, wie Blitze, die Boten.
Doch er sendet umsonst, es kehret keiner ihm wieder.
Blutige Boten, Erschlagne des Heers, und berstende Schiffe
Wirft die Rächerin ihm zahllos, die donnernde Woge
Vor den Thron, wo er sitzt am bebenden Ufer, der Arme
Schauend die Flucht, und fort in die fliehende Menge gerissen,
Eilt er, ihn treibt der Gott, es treibt sein irrend Geschwader
Über die Fluten der Gott, der spottend sein eitel Geschmeid ihm
Endlich zerschlug und den Schwachen erreicht‘ in der drohenden Rüstung.
Der damals gelobte Pyrker ist heute vergessen, der lange vergessene Hölderlin gilt heute als einer der größten Dichter. So geht das … Wie hieß es noch mal in einem von Klopstocks Hexametern?
Langsam reift die Entscheidung der Nachwelt über ein Kunstwerk.
Schräger Vögel Gesang ist ganz, wie die Vögel sind: schräg halt.
Christian Morgensterns „Der Schlaf“ ist ein seltsames Gedicht; das geht so:
Der Schlaf schickt seine Scharen in die Nacht,
Unholde, Legionen auf Legion …
Vom Rücken schleichen sie ihr Opfer an,
auf leisen Tatzen, und umarmen es,
wie Bären, unentrinnbar und geräuschlos, –
bis alle Muskeln ihm erschlafft, und stumm
von ihrer Brust der Leib zu Boden rollt …
Und wenn so alles hingebettet liegt,
so traben sie zu ihrem Herrn zurück,
und ihr Gebrumm erfüllt wie dumpfer Donner
die düstren Waldgebirge seines Reichs.
Eigenartige Bilder!? Aber nachdrücklich … Na, wie auch immer: Ich glaube, der Blankvers trägt hier nicht wenig zur Wirkung bei durch seine einmalige Mischung aus Vers-Strenge und Prosanähe. Morgenstern hat viele Gedichte in Blankversen geschrieben und hatte ein wunderbares Gefühl für die Möglichkeiten dieser Versart! Sich das Gedicht einige Male vorzusprechen und dabei hineinzuhören; das lohnt sich also auf jeden Fall.
Auf der großen Uhr am Bahnhof
Geht der Zeiger seine Runde,
Immer wieder, und die Züge
Kommen, halten, fahren weiter …
„ta TAM TAM ta“. Es gibt einen antiken Vers, der diese besondere Bewegung zu seinem Markenzeichen gemacht hat: den sogenannten „Hinkiambus“. Das ist ein abgewandelter Trimeter. Die Silben eines Trimeters wechseln regelmäßig zwischen „ta“ und „TAM„:
ta TAM ta TAM ta TAM ta TAM ta TAM ta TAM
Beim Hinkiambus vertauschen sich dagegen die letzten beiden Silben:
ta TAM ta TAM ta TAM ta TAM ta TAM TAM ta
– Und damit ist das „ta TAM TAM ta“ im Vers! Als Beispiel wähle ich einige Verse aus „Der Hausgarten“ von David Friedrich Strauß:
Ich liebe nicht die künstlich warmen Treibhäuser,
Nicht Azaleen oder andre Prachtblumen;
Mein Sinn ist, ich gesteh es, etwas altmodisch;
Er geht auf Rosen, aber nur auf einfache,
Auf braune Nelken, deren Duft das Hirn stärket,
Auf Silberlilien, deren Hauch das Herz reinigt.
Hier ist die besondere Schlussbewegung, das „ta TAM TAM ta“, verschieden gestaltet und auch verschieden stark ausgeprägt! Am deutlichsten klingt es in den letzten beiden Versen auf:
Auf braune Nelken, deren Duft das Hirn stärket,
Auf Silberlilien, deren Hauch das Herz reinigt.
Das Hirn stärket, das Hirn reinigt: „ta TAM TAM ta“. Weniger deutlich, aber immer noch vernehmbar ist die Bewegung in zusammengesetzten Wörtern der Art „TAM TAM ta“ – die zweite Silbe ist zwar um einiges „leichter“ als die erste, aber auch um einiges „schwerer“ als die dritte!
Ich liebe nicht die künstlich warmen Treib-häuser,
Obwohl vernehmbar, kommt die Bewegungslinie sicher besser heraus, wenn der Vortragende das „-häu-“ ein wenig stärker betont, als er es unter gewöhnlichen Umständen täte?! Was aber auch gut machbar ist! Auf eine solche „Hilfe von außen“ angewiesen ist dagegen dieser Vers:
Er geht auf Rosen, aber nur auf ein-fache,
– Das „ta TAM TAM ta“ mithilfe eines Wortes wie „einfache“ hörbar zu machen, braucht einigen Vorwand, beziehungsweise die Kenntnis des Versmaßes?! Das aber prägt sich sicherlich ein, je weiter der Text vorankommt; und deswegen kann Strauß das Gedicht auch mit diesen drei Versen schließen:
Wen ich mir in die Laube wünschte, wohl weiß ichs,
O Götter, habt ihr Ohren, Herzen? Wie könnt ihr,
Was ihr doch füreinander schuft, getrennt halten?
Das „wohl“, das „Wie“ „schwer“ zu lesen, ist unüblich, passt aber gut zum Inhalt und entspricht der inzwischen verinnerlichten Versbewegung. Und während die Sinneinheiten der ersten beiden Verse am Schluss ein „TAM TAM ta“ – „wohl weiß ichs“, „Wie könnt ihr“ – ins Ohr des Hörers rufen, bringt der Schlussvers noch einmal ein reines „ta TAM TAM ta“ zu Gehör: „getrennt halten“.
Insgesamt ist ein Hinkiambus nicht einfach zu schreiben; er hat aber eine sehr herausgehobene Bewegungslinie und macht viel Eindruck. Wer sich an ihm versuchen möchte, wird einigen Spaß mit diesem alten Vers haben!