Erzählverse: Der Knittel (8)
Ein recht bekannter Text von Theodor Fontane, „Die Alten und die Jungen“:
„Unverständlich sind uns die Jungen“
Wird von den Alten beständig gesungen;
Meinerseits möcht ich’s damit halten:
„Unverständlich sind mir die Alten.“
Dieses am Ruder bleiben Wollen
In allen Stücken und allen Rollen,
Dieses sich unentbehrlich Vermeinen
Samt ihrer „Augen stillem Weinen“,
Als wäre der Welt ein Weh getan –
Ach, ich kann es nicht verstahn.
Ob unsre Jungen, in ihrem Erdreisten,
Wirklich was Besseres schaffen und leisten,
Ob dem Parnasse sie näher gekommen
Oder bloß einen Maulwurfshügel erklommen,
Ob sie, mit andern Neusittenverfechtern,
Die Menschheit bessern oder verschlechtern,
Ob sie Frieden sä’n oder Sturm entfachen,
Ob sie Himmel oder Hölle machen –
Eins lässt sie stehn auf siegreichem Grunde:
Sie haben den Tag, sie haben die Stunde;
Der Mohr kann gehn, neu Spiel hebt an,
Sie beherrschen die Szene, sie sind dran.
Wie immer beim Knittel muss man ein wenig schauen, wo die Betonungen sitzen; aber meist ergibt sich die Bewegungslinie der Verse ganz selbstverständlich. Etwas ungewöhnlich vielleicht dieser Vers:
Oder bloß einen Maulwurfshügel erklommen,
Da sollte man, denke ich, zwei zweisilbige Worte in die (dann zweisilbige) Senkung „drücken“ und dafür das „bloß“ durch Betonung herausheben?! Tönt mir am sinnigsten …
Die kursiven „sie“ des Schlussverses hat meine Fontane-Ausgabe so; das zweite ist kein Problem, aber wie die Hervorhebung fürs Auge – das Kursive – eine Hervorhebung fürs Ohr werden kann im Vortrag; das weiß ich nicht recht, irgendwie klingt der Vers dann eigenartig?!
„Ob“ steht oft am Versbeginn, aber da mal betont, mal unbetont, fällt das gar nicht auf …
„Eurer Augen stilles Weinen / Kann ich nicht verstehn.“ hat Schiller im „Ritter Toggenburg“ geschrieben; ich nehme an, darauf nimmt Fontane Bezug?!
Ohne Titel
Fliegensummen! Die Katze zuckt
Nur mit den Ohren.
Go: Die alten Meister (13)
Der alten Meister feine
Gedanken werden sichtbar
Im Muster ihrer Steine.
Erzählverse: Der Hexameter (49)
Lessing rezensiert Bodmers „Noah“
Sich in Bezug auf den Hexameter mit den Jahren um 1750 zu beschäftigen, lohnt sich wirklich, weil da etwas völlig neues in die literarische Welt getreten war und viele erst mal gar nicht wussten, was sie damit anfangen sollten. Gotthold Ephraim Lessing rezensierte dabei eines der Nachfolgewerke zu Klopstocks „Messias“. Wie immer fand er klare Worte:
Leipzig. Allhier ist in der Weidemannischen Buchhandlung herausgekommen: [Johann Jacob Bodmer:] Noah, ein Helden-Gedicht. Frankfurt und Leipzig. 1750. In Okt. 71/2 Bogen. Man sieht wohl, dass dieser neue Heldendichter den »Messias« des Hrn. Klopstocks nachahmen will. Ob es nun gleich scheint, dass er dadurch, wodurch dieser sich so viel Ruhm erworben, sich nicht gleich großen Beifall zu versprechen haben werde, so ist doch nicht zu leugnen, dass viel Züge einer erhabenen Dichtungskraft darinne vorkommen. Nur wäre zu wünschen, dass nicht auch so viel sogar matte Stellen mit untergelaufen wären. Von der ganzen Einrichtung können wir nichts sagen, weil der Verfasser der neuen Mode, die Heldengedichte stückweise herauszugeben, gefolget ist. Wir haben hier nur die 2 ersten Bücher vor uns. Übrigens ist es auch in den itzo so beliebten reimfreien Hexametern geschrieben. Wir wollen unser Urteil von dem poetisch-pedantischen Eifer wider die Reime bis auf ein andermal versparen, und nur itzo etwas von den Deutschen Hexametern gedenken. Es ist nicht zu leugnen, dass die Deutsche Sprache dieser Versart fähig ist: es ist aber auch gewiß, dass sie weit weniger dazu geschickt ist, als die Lateinische und Griechische Sprache. Statt der Beweise wollen wir hier nur die beiden eben erwähnten Heldengedichte, den Messias, und den Noah, anführen. Kann man etwas höckrichters in einer Sprache hören, als die hexametrische Versart dieser beiden Gedichte? Beleidigt wohl die elendeste Prose empfindliche Ohren so sehr, als hier die beständige Verlängerung der kurzen und Verkürzung der langen Sylben? Besonders scheint der Verfasser des Noah keinen Begriff von der Lateinischen Prosodie zu haben. Außer dem angezeigten Fehler bringt er die Zäsur fast niemals an den gehörigen Ort. Man lerne also ja bessere Deutsche Hexameter machen, eh man uns diese Versart so mit Gewalt aufdringen will. Ist in den Vossischen Buchläden für 4 Gr. zu haben.
Na das ist ja erstmal nicht so wohlmeinend! Obwohl es in Bezug auf Bodmers Noah gar nicht so unzutreffend ist, dieses „höckricht“… Ich gebe mal ein paar Beispielverse, aus dem achten Gesang – da, wo eben gerade die Flut losgeht:
Plötzlich erhellt die Schatten des Tods ein schlängelndes Blitzen;
Breit wie ein Strom, und kreuzend durch alle Zonen des Himmels.
Dann folgt die Stimme des Donners mit seeleinschlagendem Schmettern,
Stark genug, das Leben in tödliches Schweigen zu senken.
Itzt zerreißen die Knoten der angefülleten Schläuche
Über den Gürteln des Lands mit ihren kometischen Wassern,
Schütten Eimer von Regen herab und strömende Krüge,
Die stets gossen und stets mehr Wasser im Hinterhalt hatten.
Ich glaube, da hört man schon, dass Bodmer kein Händchen hatte für die Darstellung von Handlung – eben auch, weil sein Vers recht leblos ist, was mit an der schwammigen Zäsur liegt: Der Vers plätschert so vor sich hin. Der Schwung einer Sintflut geht im jedenfalls ab …
Es hat zwar ein bisschen gedauert, aber am Ende haben die Deutschen dann ja auch gelernt, „bessere deutsche Hexameter zu machen“. Was Lessing wohl zu folgenden vier Hexametern gesagt hätte, die in Mörikes „Märchen vom sichern Mann“ die Sintflut beschreiben?!
Vierzig Tage lang strömte der Regen und vierzig Nächte
Auf die sündige Welt, so Tiere wie Menschen ersäufend;
Eine einzige See war über die Lande gegossen,
Über Gebirg und Tal, und deckte die wolkigen Gipfel.
Ich weiß es natürlich auch nicht, aber ich gönne mir den Spaß, anzunehmen, er hätte sich, das Buch im Schoß, zufrieden lächelnd zurückgelehnt.
Wir Dichter
Gramberg wandert im Garten umher. Wir Dichter, wir Sylphen,
Murmelt er, zögert, bedenkt sich; ergänzt Wir singen und schweben,
Sicherer schon, und breitet die Arme – Mit duftigem Flügel
Ruft er, und lacht, und schließt die Strophe: Durchs fröhliche Leben.
Gerhard Anton Gramberg / Wir Dichter
Erzählverse: Der trochäische Vierheber (24)
Unbeweglich ruhn die Wasser,
Und die Terebinthenhaine
Und die dunklen Sykomoren
Spiegeln sich in tiefer Flut.
Wie ein schwarzer Grabeshügel,
Welchen Marmorvasen kränzen,
Kauern Büffel dort am Ufer,
Und auf ihrem Rücken nistet
Alabasterweißer Vögel
Frühlingsjunge Wasserbrut.
Rötlichbraune Tauben gurren,
Wiegen sich auf Palmenzweigen.
Und die Palmen bilden Säulen,
Ihre Kronen ein Gewölbe.
Dort in einsam dunklen Hallen
Fand der Mensch den ersten Tempel,
Kniete hin in Morgenandacht,
Kindlich wie die Welt umher.
Greis und altklug, blutbesudelt,
Gähnt sie heute, hoffnungsleer.
Verse von Carl Bleibtreu. Abgesehen davon, dass Begriffe wie „Terebinthen“ und „Sykomoren“ allemal die Allgemeinbildung und den Wortschatz befördern, steht man als Leser erst einmal leicht verwirrt vor all den vom Dichter aufgeführten Dingen. Warum, wozu? Aber der Vierheber leitet hier sicher, und so lässt man sichs gefallen, bis dann der Schluss die Auflösung bringt.
Bemerkenswert auch der Reim, „-her / -leer“, der im Gegensatz zu einem zuvor aufklingenden, „Flut / -brut“, auch wirklich wahrnehmbar ist durch die Nähe der Reimworte … Gehört das Reimen dann auch zum „greis sein“, zum „altklug sein“? Oder ist es einfach nur ein Mittel, die abgesetzten Schlussverse über den Klang doch wieder enger anzubinden und den Text nachhaltig zu schließen?!
Erzählverse: Der Hexameter (48)
Wie das in (47) gezeigte Gedicht Klopstocks ist auch „Glück, herrenloses“ von Christian Wagner ein „Vier-Hexameter-Epigramm“:
Glück begehr ich von Gott, doch herrenloses und nicht ein
Andern gehöriges Glück. – Denn niemals möcht ich ein Glück, das
Andere kostet Verzicht; nur Glück aus dem Schoße der Gottheit,
Fernher kommend und schön, rotblumig gleich Oleander.
In mancherlei Hinsicht bedenkenswerte Verse?!
Da sind einmal die zwei sehr heftigen Zeilenumbrüche der ersten beiden Verse, gegen die sich die Verseinheit im Vortrag erst einmal behaupten muss – meint, man muss sich überlegen, wie man zwischen „ein“ und „Andern“ eine erkenntliche Verzögerung“ zum Ausdruck bringen kann! Ebenso zwischen „das“ und „Andere“.
Der vierte Vers rettet den ganzen Text ein wenig, der zuvor sehr blass und gedanklich daherkommt und erst hier zu einer gewissen Bildlichkeit und Wirkkraft findet. Bestünde das Gedicht aus Distichen, läse sich die Versmitte ohne Schwierigkeiten:
Fernher / kommend und / schön, || rotblumig / gleich Ole- / an(der).
Aber es ist ja ein Hexameter, der Vers endet auf eine unbetonte Silbe: „-der“. Also:
Fernher / kommend und / schön, || rot- / blumig / gleich Ole- / ander.
Dann ist „schön rotblu-“ einer der Voß’schen „geschleiften Spondeen“, und man muss als Vortragender schauen, wie man das darstellt; wahrscheinlich liest am am besten alle drei Silben auf einer „mittleren Betonung“?!
Alles in allem kein großes Gedicht, aber doch ein eigenständiges Werk.