Schemel nahm den Krug entgegen,
Schwer vom Bier, das drinnen schwappte,
Blies den Schaum fort, hob den Krug an,
Hob ihn an und hielt dann inne:
Denn am Grunde seines Kruges
Saß, von gutem Bier umgeben,
Strengen Angesichts: ein Frosch.
Trafen sich der beiden Blicke,
Die des Mannes, die des Frosches,
Und für eine lange Weile
Rührte sich der alte Narr nicht,
Saß bewegungslos an seinem
Tische Schemel; dann ein Seufzen –
Auf stand Schemel, schob den Bierkrug
In die Falten des Gewandes,
Seiner weiten Narrenkleidung,
Zahlte dieses Abends Rechnung,
Grüßte und verließ die Kneipe,
Bei sich einen Krug, von Bier schwer;
Und im Bier saß stumm ein Frosch.
(Doch der Wirt des Tintenfässchens,
Hocker, kundig vieler Dinge,
wusste von des Narren Handeln
Und vom Krug, der in den Falten
Des Gewands verborgen war;
Und er schwieg dazu, denn morgens,
Wenn noch dicht die Nebel liegen,
Morgens früh am nächsten Tage:
Würde er den Krug entdecken,
Abgestellt vor seiner Tür von –
Nun, das war eins jener Rätsel,
Die dem Wirt des Tintenfässchens,
Hocker, kundig vieler Dinge,
Auch im Laufe all der Jahre
Sich nicht offenbaren wollten:
Oft war er, wenn ihm am Vortag
Schemel einen Krug entwendet,
Früh, beim ersten Morgengrauen,
Aufgestanden, hatte wachsam
Auf den Nebel Ohr und Auge
Lang gewendet, und doch niemals
Mehr bemerkt im Morgennebel,
In des Nebels Grau, als einen
Hauch von Grün, er schien zu hüpfen,
Und dann stand der leere Krug da,
Vor der Tür des Tintenfässchens,
Ein Geheimnis seinem Herren.)
Fort vom Tintenfässchen strebte
Schemel, hin zum Schlosse ging er
Langsam, mit gemachen Schritten,
Dass ihm’s Bier nicht überschwappe;
Sich das Fluchen streng versagend,
Nur mit missvergnügtem Brummeln
Kam er so am Graben an.
Baute sich an dessen Rand auf,
Streckte seinen Arm, den Krug auch
Aus und ließ des guten Bieres
Eine Hälfte, samt dem Frosche,
In das Grabenwasser fließen.
Laut scholl da der Frösche Quaken,
Hocherfreut der Frösche Quaken!
Lärmten noch die Frösche, als sich
Aus dem Graben still ein Arm hob,
Schwanenweiß und wohlgestaltet,
Eine Hand auch, die sich fordernd
Schemel neigte; und der legte
In die Hand den halbgeleerten,
Halb mit Bier noch vollen Krug;
Hand und Krug versanken langsam.
Schemel stand noch kurz am Graben,
Seufzte wieder, lauter diesmal,
Wandte sich und ging dem Schloss zu,
Seines warmen Betts bedürftig.
Erzählverse: Der Blankvers (21)
Ein Gedicht Christian Morgensterns, das mir wieder in Erinnerung kam, als ich den Borchardt-Text des letzten Eintrags abschrieb: „So möcht ich sterben …“
So möcht ich sterben, wie ich jetzt mein Boot
aus sonnenbunten Fluten heimwärts treibe.
Noch glüht die Luft, noch liegt ein gütig Gold
auf mir und allem um mich her gebreitet.
Bereit und heiter tu ich Schlag auf Schlag
dem Schattensaum der stillen Ufer zu …
So möcht ich sterben, Sonnengold im Haar!
Der Kiel knirscht auf – und mich umarmt die Nacht.
Unterschiedlicher können Texte eigentlich kaum sein; so gesehen ein schönes Beispiel für die unendlich vielen Möglichkeiten, die der Blankvers bietet. Den benutzen ja beide Texte, und dazu einen ähnlichen Versanfang, über den ich die beiden Stücke auch verknüpft habe: Hier Borchardts „Ich soll hier sterben“, dort Morgensterns „So möcht ich sterben“.
Erzählverse: Der Blankvers (20)
„Die Beichte Bocchino Belfortis“ findet sich im Gedicht-Band von Rudolf Borchardts „Gesammelten Werken“, erschienen 1957 bei Klett-Cotta, auf den Seiten 398-413; ein längeres Stück also, das aber trotzdem ausschließlich von der wörtlichen Rede eines einzelnen Menschen bestritten wird – kein wirkliches Selbstgespräch, doch andere Anwesende sind nur zu erahnen durch die Worte, die an sie gerichtet werden. Der Anfang:
Weil ihr mich eben anseht. – Weil der Teufel
Euch Züge gibt wie meine, mich zu äffen. –
Weil ich sonst nicht verhandle mit der Luft
Noch eines Menschen Schemen, oder einem
Der so wie Mönche aussieht, doch nur aussieht,
Und ist vielmehr bloß ein Stück tünchen Werk,
Die Hände in der Kutte, grau auf grau,
Und steht am Pfeiler, rechts in San Matteo
Zu Pisa, wenn ihr in den Chor wollt. – – Wasser!
Ah Wasser! – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – Sagt mir, wo bin ich, wie nennt sich
Der Ort hier? – Ah. Venosa. – Ja, ich weiß,
Ich fiel hier krank … Ihr wollt mir …? Ja, ich weiß,
Ich soll hier sterben. Bischof von Venosa,
Belforti nehmen keine fremden Dienste.
Belforti sind die Könige der Mark
Volterra, und dass ich hier Reisepage
Des Erzbischofs, vielmehr sein Familiar
Zu sein euch dünke, kommt von diesem Fieber,
Das auf der Reise mich befiel. Raimondo
Wird euch vermelden, wer Belforti sind;
Mein Diener. Guter Leute Kind. Recht brav.
Ich bin kein Page. Es ist eine Wette,
Bischof, Verabredung; ihr werdet wissen,
Wie das der Brauch ist unter großen Herren,
Kleider zu tauschen, Leute anzubinden.
Ich bin sehr jung, jedoch kein Page. Bin
Sehr jung und darum sollt ich, weil das Fieber,
Mit dem Erzbischof reisend, mich befiel,
Hier in Venosa, in Venosa sterben.
Das ist sehr einfach. – Das ist Logica.
Sehr einfach, deutlich. – – Wer das nicht versteht,
Und Zweifel hegt, und hinten, da, so frech,
Mit dieser Warze auf der Nase, da
So lacht, und sagt „He Page“ und „Bocchino“ –
– Loslassen! Meinen Degen! Ich durchrenn ihn,
Den Hund! Den Pastasciutta! Was? Du mir?!
Des Schiedsspruchs wegen, da dus schon verdient,
Das Leben dir gefristet, Hundemönch,
Pisanische Grimasse, – – wie, und jetzt,
Als wär das nie gewesen mit dem Abt
Von San Matteo, und dem Buben-Schiedsspruch,
Den ich im Stiefel tragend heimwärts ritt,
Zu sagen „Nichts“ und „Nichts da von Vergeltung“,
„Kein Geld, wir sind nichts wert“, zu sagen „Was?“
Und wenn sie von der Mauer schon, die Köpfe
Zusammen, schreien, schon von weit, „wieviel?“,
So muss ich hochstehn in den Stegereifen
Bergan und leere Hände schütteln aufwärts
Zur leeren Stadt und in die leeren Häuser
Und leeren Säckel und muss schreien „Nichts!
Nichts, garnichts, nichts, und drei Belforti tot!
Nichts, garnichts, es ist nichts mehr mit Belforti!“
Und darum sag ich, Degen her! – – – Ah kalt. –
Ah gut. – Venosa. Freilich ja Venosa.
Und sterben – gut. Ja, freilich. Ja ich dank euch. –
Nur die ersten 56 der insgesamt 471 Blankverse; und bis zur eigentlichen Beichte ist es dabei noch nicht einmal gekommen. Aber dieser Ausschnitt ist sicher lang genug, um den wirklich ganz eigenen Ton zu vermitteln, den Borchardt hier findet. Wortgewaltig, zerfahren, bedrückend, und doch so, das man nicht wirklich loskommt; und das ohne zu wisssen, was hier eigentlich verhandelt wird. Wer das erfahren möchte, kann sich im Netz umschauen, da ist der restliche Texte weitgehend zu finden, und Wissen zu den „Belfortis“ auch; wen nur kümmert, wie Borchardt seine Verse angelegt hat, um diesen Eindruck zu erreichen, müsste mit den 56 Versen hier auskommen?!
Seltsame Spazierfahrt
Der Esel trug den Vater, trug den Sohn, trug beide und keinen und wurde getragen. Endlich verzichtete der Vater auf weiteren Rat, winkte ein Taxi heran, stieg mit Sohn und Esel ein und fragte den Fahrer, was er studiert habe. „Literaturgeschichte“, antwortete der.
Erzählverse: Der Hexameter (14)
Johann Heinrich Voss
Um Johann Heinrich Voss bin ich bisher ein wenig herumgeschlichen, und das, obwohl er für den Hexameter ein sehr wichtiger Mann war – für die Praxis in eigenen Gedichten wie in Übersetzungen (Homer!) und ebenso, eigentlich noch mehr, für die Theorie des Verses.
Der Grund ist einfach der: Voss betrachtete den deutschen Hexameter nicht als einen Vers, der sich lediglich aus betonten und unbetonten Silben zusammensetzt, sondern als einen, in dem zusätzlich auch noch die Silbenlänge eine Rolle spielt. In der Antike war das ja der Maßstab, der Vers regelte sich aus der Abfolge von langen und kurzen Silben.
Bei Voss klingt das so (in der Vorrede seiner Übersetzung von Vergils „Georgica“):
Der deutsche Hexameter ist, wie jener der Alten, eine rhythmisch deutlich begrenzte Periode von sechs vierzeitigen Takten, die mit einer gehobenen Länge anfangen und entweder mit einer Länge, oder, den letzten ausgenommen, mit zwei Kürzen, aber auch (was Neuerung ist), mit einer Kürze sich senken; das ist, die aus einem Spondäus oder Daktylus oder Trochäus bestehen. Füllt ein Trochäus den Takt, so wird seine Länge dreizeitig, oder, mit dem Musiker zu reden, ein punktierter Halbfuß.
Man hört, da wird etwas in den deutschen Vers hineingetragen, das erst einmal fremd ist; Ob es sich zum Guten oder zum Schlechten bemerkbar macht, ist nicht von vorneherein klar. In seiner „Zeitmessung der deutschen Sprache“ gibt Voss ein eindrucksvolles Beispiel:
Wer nicht zugleich Ton und Takt zu halten weiß, dem behagt mehr die kunstlose Natürlichkeit in Versen wie
Düstere Sturmnacht zog, und graunvoll wogte das Meer auf
als die durch Kunst veredelte Natur in
Düsterer zog Sturmnacht, graunvoll rings wogte das Meer auf
Den ersten Vers könnte man ohne weiteres mit dem bisher von mir verwendeten „X-Schema“ der betonten und unbetonten Silben gliedern:
Düstere / Sturmnacht / zog, || und / graunvoll / wogte das / Meer auf
X x x / X x / X || x / X x / X x x / X x
Aber so hat ihn Voss nicht gedacht. Ich wähle ab jetzt für Verse, in denen ich eher die Längen und Kürzen im Auge habe als die Betonungen, ein anderes Schema, in dem „—“ eine lange Silbe darstellen soll, und „v“ eine kurze. Damit ergibt sich für den Vers von Voss:
— v v / — — / — || — / — — / — v v / — —
Ihn so zu lesen, fällt aber sicher manchem schwer. Deswegen ist Voss auf den schon einmal angesprochenen Trick mit den „geschleiften Spondäen“ verfallen. Die zweite Fassung des Verses sieht metrisch genau so aus wie die erste:
Düsterer zog Sturmnacht, graunvoll rings wogte das Meer auf
— v v / — — / — || — / — — / — v v / — —
Aber dadurch, dass Voss die eigentlich stärker betonten Silben auf die Senkungspositionen stellt und dadurch Hebungs- und Senkungspositionen sowohl in Bezug auf die Silbenstärke als auch in Bezug auf die Silbenanlänge angleicht, schafft er eine Strecke von sieben(!) gleich (schwer) betonten Silben:
Düsterer zog Sturmnacht, graunvoll rings wogte das Meer auf
Ist das noch Deutsch? Wer weiß … Es ist aber auf jeden Fall ein rhythmisch sehr, sehr eindrucksvoller Vers. In Voss‘ wirklich geschriebenen Versen treibt er es aber nicht immer so weit. In „Der siebzigste Geburtstag“ schildert Voss etwa einen Haushalt, der sich auf den Geburtstag seines Hausherrn vorbereitet. Dessen Frau, die auf Sohn und Schwiegertochter wartet, macht sich Sorgen über das Winterwetter:
Jetzo sah sie hinaus, wie die stöbernden Flocken am Fenster
Rieselten, und wie der Ost dort wirbelte, dort in den Eschen
Rauscht‘, und die Spuren verwehte der hüpfenden Krähen am Scheuntor.
Lange mit ernstem Gesicht, ihr Haupt und die Hände bewegend,
Stand sie vertieft in Gedanken, und flüsterte halb, was sie dachte:
Lieber Gott, wie es stürmt, und der Schnee in den Gründen sich aufhäuft!
Obwohl man hört, dass hier rhythmisch gestaltet wird, ist die Sprachbewegung trotzdem recht gewöhnlich. Besonders gut gefällt mir der letzte Vers – der metrische Aufbau ist unauffällig, aber die Sinneinheiten gliedern sich sehr schön:
Lieber Gott, / wie es stürmt, / und der Schnee / in den Gründen / sich aufhäuft!
X x X / x x X / x x X / x x X x / x X X
Das ist natürlich persönlicher Geschmack, aber das sind alles rhythmische Einheiten, die ich als ausdrucksstark empfinde!
Die Pfarrhaustreppe
Ein Schrei, ein Poltern, Stille
War Gottes Wille.
Bücher zum Vers (14)
Astrid Stedje: Deutsche Sprache gestern und heute.
Ich glaube, dass jeder, der sich schreibend betätigt, auch ein Mindestwissen an Sprachgeschichte aufweisen sollte; wissen sollte, wo das Werkzeug, das er da täglich benutzt, herkommt, was es ist, und was es wahrscheinlich mal sein wird. Für den Gedichte-Verfasser dürfte das noch wichtiger sein als für den Prosaisten?!
Von daher wollte ich hier schon häufiger eine Sprachgeschichte vorstellen, aber irgendwie haben mir die meisten nicht zugesagt … Die von Stedje nun, erschienen bei Fink („UTB“) und in meinem Band in der 6. Auflage (2007), ist weder zu allgemein gehalten noch zu „wissenschaftlich“, sie ist auch nicht aufgeblasen und geschwätzig, sondern kurz (270 Seiten) und kommt auf den Punkt, ohne dabei zu sehr zu verknappen oder wichtiges wegzulassen. Ganz reizvoll ist auch, dass, da Stedje Schwedin zu sein scheint, viele Verweise aufs Schwedische im Buch sind, was es angenehm abhebt.
Sicher, nur eine Einführung, aber eine runde und gelungene; und wer über einzelne Gesichtspunkte mehr wissen möchte, kann sich danach anderen Quellen zuwenden.
Erzählverse: Der trochäische Vierheber (15)
In einer als Prosa getarnten, aber in Wirklichkeit in Vierhebern geschriebenen Einleitung zu „Hiawatha’s Photographing“ bemerkt Lewis Carroll:
Any fairly practised writer, with the slightest ear for rhythm, could compose, for hours together, in the easy running metre of „The song of Hiawatha“.
Meint: in ungereimten, trochäischen Vierhebern. Was nicht ganz falsch ist, aber auch weiter nichts sagt – der Vierheber bleibt ja eine wirkungsstarke Möglichkeit der Sprachgestaltung (selbst durch das Englische und die Prosasetzung klingen sie ans deutsche Ohr), die dann für alles genutzt werden kann, das ausgearbeitete Großgedicht wie das kleine Gelegenheitsgedicht. Ein solches Gelegenheitsgedicht findet sich zum Beispiel in Friedrich Rückerts Liedertagebuch von 1846, eingetragen am 23. Dezember:
Rosenkäferchen, o sage,
Wie du dich hierher verirrtest,
Aus dem Sommer in den Winter,
aus dem Garten in die Stube,
Von den frischen grünen Blättern
Auf die dürren dieses Buches,
Wo statt Rosen Reime sprossen,
Und statt Knospen Worte keimen!
Findest du hier deine Rechnung?
Findest du hier deine Nahrung,
Und behilfst dich, wie ich tue,
Zum Ersatz der Sommerweide
Mit dem trocknen Winterfutter?
Riechest hier an einer Rose
Dieses Winterrosengartens,
Leckest dann an einer andern,
Dass du Saft und Duft erbeutest,
Und dein kleines Leben fristest.
Doch ich fürchte, du verhungerst,
Und verschrumpfest zum Gerippe,
Trocknest ein zum leeren Balge.
Wenn du dann gedruckten Blättern
Eingedruckt als Mumie liegest,
Passet ihr erst recht zusammen,
Beide trocken und vertrocknet,
Rosenkäferchen und Rosen.
Keinesfalls große Dichtung, aber allemal eine Beobachtung und Betrachtung, die man mit Gewinn lesen kann – „trocknes Winterfutter“ nicht nur!
Das Königreich von Sede (25)
Prinz, Frosch, Tod
Was ist dir, Frosch, geschehen?
Du quakst nicht mehr!
Ich hab den Tod gesehen;
Mein Herz ist schwer.
Den Tod, in dessen Händen …
Die Sense blinkt.
Die, Leben zu beenden, …
Er kraftvoll schwingt.
Den Tod im schwarzen Kleide!
Was wollte er?
Mich holen, dich, uns beide;
Das wollte er.
Und doch ist er gegangen?
Du warst nicht da.
Wir sind dem Tod entgangen!?
Fürs erste. Ja.
Du hast den Tod gesehen,
Dein Herz ist schwer –
Das ist mir, Mensch, geschehen;
Ich quak‘ nicht mehr.