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Erzählverse: Der Hexameter (182)

Karl Ludwig von Knebels „Philomela in Tiefurt“ ist ein kurzer Text von nur 50 Hexametern, allerdings eigenen Inhalts. Das Ende:

Also sang vom schwankenden Ast weissagend der Vogel,
Und der Nordwind verstummte; es nahten sich lindernde Weste.
Aber es schwebt‘ in der Höh‘ mit ausgespreiteten Rudern,
Und mit gierigem Aug‘ ein Geier, dürstend nach Blute.
Dieser ersah den lieblichen Sänger, und stürzt von der Höhe,
Fasst und drückt ihn gewaltig mit krummgespitzeter Klaue,
Reißt ihm die blutende Brust auf, und hackte begierig sein Leben.
Nicht ein leiser wimmernder Laut ward weiter gehöret;
Es entfloh die Seele mit stiller Wehmut von dannen.

Das „Ende vom Ende“, der letzte Vers, ist bemerkenswert – seines Anfangs wegen; denn viele deutsche Hexametristen haben ja der Versuchung nachgegeben, die erste Hebung mit einer zwar betonungsfähigen, ansonsten aber sehr leichten Silbe zu besetzen, was vor allem im zweisilbigen Fuß nicht so recht befriedigt. Knebels erster Fuß ist zweisilbig, und das „es“ auf der Hebung könnte ein Kandidat für die leichteste jemals dort gefundene Silbe sein – hebungsfähig aber ist sie, da ihr eine Vorsilbe folgt („ent-„), der gegenüber sich das „es“ behaupten kann.

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Ausgestiegen

Kurz, nur ein kleiner Waggon folgt nach, und kommt an den Bahnhof,
Langsamt, hält, und erneut, aber, und wenn: wer es ist?

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Die Uz-Strophe (26)

Schaut man auf die Verwendungszwecke der Uz-Strophe, fällt auf, dass sie nur sehr selten als Epigramm-Strophe verwendet worden ist – da sind die verwandten, durchgängig alternierenden Strophen ihr weit voraus. Gelegentlich ist es aber doch geschehen, so bei Daniel Schiebelers Vierzeiler „Unter Daphnens Bildnis“:

Seht diese Augen, den Mund, schön wie die lächelnde Rose,
Und dieses Wuchses bezaubernde Pracht!
Dies ist das Mädchen, das mich aus einem Narren in Prose
Zu einem Narren in Versen gemacht.

Wie zu erwarten, erscheint die Uz-Strophe hier gereimt – das gibt sicher, bei einer Einzelstrophe, einen größeren Eindruck von Geschlossenheit, als er bei der ungereimten Grundform möglich wäre!

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1624

Nach dem Lesen von Gerhard Storz‘
„Martin Opitz und die deutsche Dichtung“

Ihr ehrt nicht mehr den klugen Mann,
Der damals unsern Vers gewann?
Ich tu’s: Hoch Martin Opitz!

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Zwei Verse

I.
Der erste kurz, der zweite lang:
Folgt nicht dem flinken Blitz des Donners Schütterklang?

II.
Des ersten Tun währt lang, der zweite lärmt nur kurz:
Die Luft im Darm entweicht als Furz.

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Erzählverse: Der Hexameter (181)

Was der Hexameter nicht will, weil er es nicht kann: unanschaulich werden. Wie aber dann zum Beispiel Maße beschreiben? Friedrich Rückert findet in einer Epistel, die den Angeschriebenen auffordert, für das schreibende „Ich“ einen als Geschenk gedachten Spiegel zu kaufen, diese Lösung:

Also, wie breit und wie lang? So lang und so breit als genug ist,
Nicht für ein Prunkgemach, ein fürstliches, sondern ein stilles
Örtchen, wo er soll hangen, um keinerlei Ort zu beneiden.
Also nur eben so lang, dass, wenn das Mädchen hineinschaut,
Unter dem zierlichen Köpfchen der Hals auch noch und des Busens
Oberste Ränder sich zeigen, die schwellenden, ohne dass drüber
Über den Spiegel hinaus entrücket werde das Häubchen.
Und desgleichen so breit nur wenigstens, dass ich zu höchster
Not, wenn ich enge genug an die Schläf‘ ihr mich schmieg‘, in dem Glase
Ihrem Gesicht zur Seite mein eigenes kann mit den dunklen
Locken sehn, wie die Wolke, die schattende, neben der Sonne.

Man kann diese elf Verse noch auf manch andere Eigenschaft hin abklopfen, und mit Gewinn; aber die art, wie Rückert hier eben nicht „40x80cm“ schreibt, ist schon für sich ein helles Licht auf das, was den Hexameter ausmacht …

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Der Gegenbesuch der Quelle

Der Regen hat der scheuen Quelle
Geduldig Mut gemacht; da hat sie sich getraut,
Sich von der angestammten Stelle
Zu lösen, und hat stolz bei mir vorbeigeschaut!
Ich stand, mit Gummistiefeln an den Füßen,
Im Flur, die Gute zu begrüßen,
Und bot ihr einen Eimer an;
Sie dankte lieb und frug,
Als ich sie aus dem Hause trug,
Ob sie mich nächstes Jahr erneut besuchen kann.

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Die Uz-Strophe (25)

Diesmal vier streng gebaute, aber dabei gereimte Uz-Strophen von Anna Louisa Karsch, die in „An Uz“ nicht nur die Form verwendet, sondern auch den Erfinder der Strophe anredet und mit dem ersten Vers das uzsche Erstgedicht auch inhaltlich aufruft ( das beginnt „Ich will, vom Weine berauscht, die Lust der Erde besingen“), danach aber vor allem über sich redet, unter Einschluss von Hinweisen auf Ludwig Gleim (der „liebende Freund“ Uz‘ und Gegenstand der unerfüllten Liebe Karschs). „Felsenspringerin“ meint Sappho, die sich aus unerwiderter Liebe von einem Felsen gestürzt haben soll. Ein knapper Text über die Dichterin von einem Dichter, Jan Wagner: Die deutsche Sappho.

Du, der vom Weine berauscht die Lust der Erde besungen,
Mir gab Apollo kein lyrisches Spiel
Bespannt mit Saiten von Gold, doch sind mir Lieder gelungen;
Süßklingend sang ich der Seele Gefühl.

Mich hört der eiserne Held, mir horcht der ernste Gesandte
Herunter kommend vom Stuhle des Herrn,
Auch höret meinen Gesang, wer sonst die Muse verkannte,
Des Geizes Priester vernehmen ihn gern.

Mir gab dein liebender Freund der Felsenspringerin Laute,
O, ihn nur denken wird süßer Gesang
In der ganz sapphischen Brust; der Liebesgötter Vertraute
Ward ich und habe die Herzen in Zwang!

Mich fühlt der wankende Greis, die abgelebte Matrone,
Mich horcht der Jünglinge klopfendes Herz.
Das Mädchen fürchtet den Pfeil! Er rauscht im sapphischen Tone
Laut, wie im Uzischen Liede voll Scherz.