Der Vierheber hat, das dürften die bisherigen Beispiele gezeigt haben, eine enge Verbindung mit der Geschichtenerzählerei; Selbst wenn ein „Ich“ vorkommt, geht es weniger um seine Welterfahrung – sein Leiden an ihr, Glück, Liebe, Tod, alles ausgesprochen im Gedicht: Fehlanzeige.
Die folgenden beiden Gedichte stammen von Ricarda Huch, ich entnehme sie dem fünften Band ihrer „Gesammelten Werke“, erschienen 1971 bei Kiepenheuer & Witsch; „Nächtliche Meldung“ findet sich dort auf Seite 70, „Der Nebenbuhler“ auf den Seiten 82-84.
Inhaltlich sind sie eine seltsame Mischung. Immer noch ein Erzählen, aber eben auch ein Berichten über die eigene Befindlichkeiten?!
Nächtliche Meldung
Wachte auf früh vor dem Tage,
Zwischen Mitternacht und Morgen.
Was betörte meinen Schlummer,
Mir vom Auge zu entweichen?
Einen Schleier vor den Augen,
Einen Schleier vor der Seele
Fühl‘ ich, kann mich nicht besinnen.
Da die Schleier nun zerrissen,
Hör ich eines Hundes Bellen,
Hör ihn wimmern laut und kläglich,
Echo ist das nächt’ge Schweigen.
Hündlein, Kauztier, Leichenkünder,
Strich ein Geist an dir vorüber?
Seele eines jüngst Gestorbnen?
Wessen Tod willst du mir melden?
Schwebt‘ er sanft mit leichtem Fluge,
Wie ein Vogel aus dem Käfig,
Hündlein, war es meine Mutter.
Irrt‘ er zitternd auf und nieder,
Wie im Winde Kerzen flackern,
Hündlein, war es mein Geliebter.
Oft noch wird er dir erscheinen,
Wie ein Hauch aus bangen Seufzern,
Wie ein Duft von Blut und Tränen,
Bis in einer Nacht ich selber,
Hündlein, dir vorüberschwebe,
In das stille Land zu schweben.
Mir scheint inzwischen, will man als Verfasser mit diesem Vers einen längeren Text gestalten, so ist dafür vor allem eins vonnöten: Anschaulichkeit. Nun ists Huchs Text nicht übermäßig lang, und anschaulich ist er nicht zuletzt durch die vielen Vergleiche sicher auch; trotzdem mischt sich für mich auch ein Gefühl der Leere ein, als fehlte etwas?! Nicht, dass es dem Gedicht wirklich schadet; aber es ist da.
(Kurzer formaler Zwischenruf: „Hündlein, Kauztier, Leichenkünder“ ist der einzige Vers in beiden Texten, bei dem Wörter der Art „X x“ die Versfüße der Art „X x “ decken; eine Aufzählung. Hatten wir ja schon!)
Der Nebenbuhler
In des Glückes Wonnemonden,
Als wir beide Hand in Hand noch
Durch das frohe Leben sprangen,
Hast du oft zu mir gesprochen,
Wenn dein Haupt an meiner Brust lag:
„Könnt ich doch auf diesem Kissen,
Diesem weichen, vielgeliebten,
Immer wann ich wollte ruhen.
Doch mir ahnt, mich wird das Schicksal
Weit von dieser Stätte bannen,
Nichts mir lassend als im Auge
Wasser und im Herzen Heimweh.
Aber kühlend, wie der Westwind
Weht an heißen Sommertagen,
Wird dein Schwur mein Leid erquicken,
Den du oftmals mir geschworen:
Nie an dieser teuren Stätte,
Wo dein Liebling selig ruhte,
Einen andren Freund zu hegen,
Denn ich müsste daran sterben.“
Oftmals hab ich’s dir geschworen,
Wie ein Wiegenlied, ein altes,
Das man nimmer satt zu hören
wird, dir’s heimlich zugeflüstert.
Sieh, was hab ich nun begangen?
Mir am Busen liegt ein Liebchen,
Schwarz sein Köpfchen wie das deine,
Du mein fernes, doch ein andres,
Schmiegt und drängt sich immer dichter,
Und mit glänzend schönen Augen
Schaut es forschend in die meinen,
Und mir scheint, es macht nicht Miene,
Von dem Platze je zu weichen.
Ach, was sagt nun mein Geliebter?
„Deinen Schwur hast du gebrochen,
Mir, der deiner Seele traute,
Wie ein Kind traut seinem Engel,
Wie ein Moslim seinem Sterne.
Wandle du nun deine Bahnen;
Nicht bei Nacht und nicht bei Tage
Wirst du deinen Gatten treffen,
Dem du Leib und Seele teiltest.“
Höre auf, du Vielgeliebter,
Höre auf mir so zu fluchen.
Nimmer hab ich dich verraten,
Nicht im Traum und nicht im Wachen;
Liebe hielt ich dir und Treue,
Will sie immerdar dir halten.
Der an meinem Busen schlummert
Ist ein kleines junges Kätzchen,
Schwarz von Pelz, und seine Augen
Grün und glänzend wie Smaragden.
Fühl ich’s warm an meinem Halse,
Schließ ich oftmals meine Augen,
Träume von den Wonnemonden,
Wo dein Haupt an meiner Brust lag,
Und wir beide Hand in Hand noch
Wie zwei gute Kameraden
Über Berg und Tal des Lebens
Wanderten bei Sturm und Sonne.
Das ist immer noch eine Art von Erzählen; aber der Eindruck der Leere hat sich verstärkt? Es gibt weniger, und unauffälligere Vergleiche als in der „Meldung“; und der Text um einiges länger. Ich habe den Text gern gelesen (Gedichte mit einer Katze drin sind immer lesenswert), aber ich kann mir gut vorstellen, dass hier mancher die Geduld verliert?! Oder genügt die Schnelligkeit, mit der man durch die Zeilen fliegt, in Zusammenhang mit der Art, wie Huch die Sprache zwar nie besonders, aber doch immer abwechslungsreich in die Verse legt, doch, den Leser bei der Stange zu halten?
Hm … Wenn es da eine Trennlinie gibt, scheint mir, die „Meldung“ ist noch auf der richtigen Seite; der „Nebenbuhler“ aber knapp auf der falschen.
Ich kann es aber nicht wirklich sagen, das sind zwei eigenartige Texte, von denen ich nicht recht weiß, wo ich sie hinstecken soll.