Klopstocks Schulter – Sieben

Klopstock sagt:

Es ist überhaupt nicht leicht, die Bewegung des Silbenmaßes ihren Tanz so halten zu lassen, dass man sie in Wendungen leitet, die weder Anstrengung noch Schwäche zeigen, und ihren Zeitausdruck und Tonverhalt mit gleichem Schritt fortführt. Ich nenne dies vollendete metrische Schönheit.

Tanz. Ist Versbewegung Tanz? Ist Dichtung Tanz?

Klopstock lokalisiert das Musikalische der Rede allein in Takt-, Zeit- und Betonungsverhältnissen, nicht aber in deren klanglicher Substanz. Der Tanz nun ist eine solche musikalisch-rhythmische Bewegung ohne Klang.  Zwar wird er meistens von Klang begleitet, unabdingbar ist eine solche Begleitung aber nicht. Zumal auf zugefrorenen Bächen oder Seen fällt sie in der Regel fort: auch deshalb ist der stumme Tanz auf dem Eis ein ideales Paradigma der Klopstockschen Poesie. (Winfried Menninghaus)

Schlittschuhlaufen. Schlittschuhlaufen und Dichtung?

Goethe, Dichtung und Wahrheit:

Besonders aber tat sich, bei eintretendem Winter, eine neue Welt vor uns auf, indem ich mich zum Schlittschuhfahren, welches ich nie versucht hatte, rasch entschloss und es in kurzer Zeit durch Übung, Nachdenken und Beharrlichkeit so weit brachte, als nötig ist, um eine frohe und belebte Eisbahn mit zu genießen, ohne sich gerade auszeichnen zu wollen.

Diese neue, frohe Tätigkeit waren wir denn auch Klopstock schuldig, seinem Enthusiasmus für diese glückliche Bewegung, den Privatnachrichten bestätigten, wenn seine Oden davon ein unverwerfliches Zeugnis ablegen. Ich erinnere mich ganz genau, dass, an einem heiteren Frostmorgen ich, aus dem Bett springend, mir jene Stellen zurief:

Schon von dem Gefühl der Gesundheit froh,
Hab’ ich, weit hinab, weiß an dem Gestade gemacht
Den bedeckenden Kristall.

Wie erhellt des Winters werdender Tag
Sanft den See! Glänzenden Reif, Sternen gleich,
Streute die Nacht über ihn aus!

Mein zaudernder und schwankender Entschluss war sogleich bestimmt, und ich flog sträcklings dem Ort zu, wo ein so alter Anfänger mit einiger Schicklichkeit seine ersten Übungen anstellen konnte. Und fürwahr! Diese Kraftäußerung verdiente wohl von Klopstock empfohlen zu werden, die uns mit der frischesten Kindheit in Berührung setzt, den Jüngling seiner Gelenkheit ganz zu genießen aufruft und ein stockendes Alter abzuwehren geeignet ist. Auch hingen wir dieser Lust unmäßig nach. Einen herrlichen Sonnentag so auf dem Eis zu verbringen, genügte uns nicht; wir setzten unsere Bewegung bis spät in die Nacht fort. Denn wie andere Anstrengungen den Leib ermüden, so verleiht ihm diese eine immer neue Schwungkraft. Der über den nächtlichen, weiten, zu Eisfeldern überfrorenen Wiesen aus den Wolken hervortretende Vollmond, die unserm Lauf entgegensäuselnde Nachtluft, des bei abnehmendem Wasser sich senkenden Eises ernsthafter Donner, unserer eigenen Bewegungen sonderbarer Nachhall vergegenwärtigten uns Ossiansche Szenen ganz vollkommen. Bald dieser, bald jener Freund ließ in deklamatorischem Halbgesang eine Klopstocksche Ode ertönen, und wenn wir uns im Dämmerlicht zusammenfanden, erscholl das ungeheuchelte Lob des Stifters unserer Freuden:

Und sollte der unsterblich nicht sein,
Der Gesundheit uns und Freuden erfand,
Die das Ross mutig im Lauf niemals gab,
Welche der Ball selber nicht hat?

Solchen Dank verdient sich ein Mann, der irgendein irdisches Tun durch geistige Anregung zu veredeln und würdig zu verbreiten weiß!

Eis, Tanz & Deklamatorischer Halbgesang

An Wohllaut und Melodie ist die nach-Klopstocksche Lyrik den ebenso spröden wie enthusiastischen [Klopstockschen] Oden weit überlegen; als metrischer Tanz bewahren diese dagegen einen exzeptionellen Rang, unreduzierbar auf eine bloße Vermittlerrolle, extrem und einzigartig in der deutschen Verskunst. (Winfried Menninghaus)

Klopstocks Schulter – Sechs

Klopstock sagt:

Die Bewegung der Worte ist entweder langsam, oder schnell. Sie hat, von dieser Seite gesehen, Zeitausdruck.

Der Zeitausdruck erreicht den höchsten Grad der Langsamkeit, wenn viele lange, und der Schnelligkeit, wenn viele kurze Silben auf einander folgen.

Die Bewegung muss aber auch noch von einer andern Seite angesehen werden. Die Längen und Kürten haben nämlich solche übereinstimmende, oder abstechende Verhältnisse unter einander, dass selbst das Ohr des Unachtsamen aufmerksam darauf wird. Wenn z.E.  v v — — in dem Reihntanz ausgesprochen wird; so vergleicht man (es geschieht schnell, und daher desto lebhafter) die beiden Kürzen mit den beiden Längen; bemerkt dabei eine Art des Steigens von jenen zu diesen, und hört darin Übereinstimmung. Wenn hingegen v — — v Gerichtsdonner ausgesprochen wird; so bemerkt man das Steigen in Gerichts und das gleich darauf folgende Sinken in donner, und hört darin beinah noch mehr Abstechendes, als man vorher Übereinstimmendes gehört hatte. Wie stark die Wirkung des so verbundenen Steigens und Sinkens sei, wird auch dadurch hörbar, dass die umgekehrte Stellung: — v v — Wonnegesang eine der schönsten Übereinstimmungen hervorbringt.

Die Bewegung von dieser Seite angesehen hat Tonverhalt.

— v v —, TAM ta ta TAM: Der Choriambus.

Schon gewusst?

In einem großen Asklepiadeus – X x X x x X X x x X X x x X x X – kann man drei choriambische Wortfüße unterbringen:

— v, — v v —, — v v —, — v v —, v —

Aber Adel beginnt erst wo der Mensch ahnen gelernt. Es hat

(Josef Weinheber)

Adel beginnt, eins, erst wo der Mensch, zwei, ahnen gelernt: drei. TAM ta ta TAM.

An Apollonia

Traue dem glück! lacht es auch heut · Apollonia · nicht.
Nötiger schmerz blich dein gesicht · doch es zeigt dass du bald
Schmiegsam und stark über ihn siegst · nie mehr lohe dann glut ·
Rüttle dann sturm an deinem haus · nie mehr walte das spiel
Wo unser fuss wange und hand gar zu nah sich gefühlt.
Göttin und welt · gattin des Tros der mich brüderlich liebt ·
Den du erhobst als er zu sehr Pirras halber geklagt!
Fern will ich sein: richtest du neu glänzend blühend dich auf ·
Gemmen dein aug · kirschen dein mund · reife halme dein haar.

(Stefan George)

Choriamben auch hier: TAM ta ta TAM.

Klopstocks Schulter – Fünf

Die Klopstockschen Silbenmaße lassen sich überhaupt besser singen als lesen. Wenigstens kann man sich, sobald man im Lesen das Metrum gehörig beobachtet, nicht wohl enthalten, in eine Art von Melodie zu verfallen, die sich von selber darbietet, und fast unwiderstehlich zum Gesange hinüberzieht.
.                                                                                                                                                       (Karl Philipp Moritz)

 

ausschöpfen: voll auswerten, nutzen, alle Möglichkeiten ausschöpfen.

aussingen, aussprechen: voll und ganz, vollständig singen, sprechen (!?)

v v —  —, v v  — —, v — —, v v — v
v v v — —, v v v — —, v v — —
v — — —, v v — — —, v v — — —
v v — — —, v v v — — —, v v — — —

Da ihr Gang Flug, und ihr Ausruf Gesang ward der Entzückung,
Da vom Gefild her sich ihr Triumphzug zum Gerichtsthron
Emporschwang, nahm zu dem Erb auf er, den am Kreuz Gott sah,
In das Lichtreich auf, die des Altars Blutruf vom Gericht lossprach!

(Klopstock)

ta ta TAM TAM TAM, ta ta ta TAM TAM TAM, ta ta TAM TAM TAM

In das Lichtreich auf, die des Altars Blutruf vom Gericht lossprach!

v v — — —, v v v — — —, v v — — —

Aussprechen. Aussingen.

 

Klopstock sagt:

Für die Kunst ist nichts eine Kleinigkeit. Man kann von ihr schweigen; aber wenn man spricht; so lässt man nichts von dem weg, was zur Sache gehört.

Das Königreich von Sede (6)

– Bruchstück –

Am Rand des alten Waldes, müßig hingelehnt
An einer Eiche schattenschweren, kühlen Stamm:
Betrachten Schemel und sein Prinz den Sommertag,
Der mittagsheiß und träge Schloss und Menschen hüllt.

„Da es viel zu warm ist heute, irgendwas zu tun“,
Beginnt der Prinz, den Schemel lächelnd unterbricht:
„Und irgendwas zu tun uns ohnehin nicht liegt …“
„… Da alledem“, fährt Klappstuhl würdig fort, „so ist:
Erzähl mir, Schemel, heut‘ aus deiner Jugendzeit!“

„Den Kram von früher? Ach, das liegt so weit zurück …
Obwohl: Da war ein heißer Sommer, grad wie der
In diesem Jahr; ich war erst fünfzehn, glaube ich,
Und war mit Patsche – Meister unseres Pulverfass‘,
Und damals Seher – schon seit Wochen unterwegs,
Ein Mittel aufzutreiben, das den Nebelfrosch
Samt seinem stummen Quarren fern vom Schlosse hält.

Mit welchem Horn hast du getutet?!
Ich weiß nicht mehr, mit welchem Horn!
Dann frisch geraten und vermutet!
Ich glaub, es war das Horn da vorn!
Los! Nimm dies Horn und blas es wieder!

Er bläst das Horn; das Horn macht „Tut“;
Das Böse gähnt, und legt sich nieder,
Und schläft, vergessend aller Wut.

Philosophie am Badestrand

Abend wurde es am Strand,
Als ein Jüngling, voll bekleidet,
Dort ein nacktes Mädchen fand.

Sprach der Jüngling:

Eine Maske immer bleibt,
Die verhindert, dass sich zeigt,
Was in unserm Innern harrt,
Die uns vor uns selbst bewahrt.

Sprach das Mädchen:

Kleidung wird im Wasser nass,
Wer schwimmen will, bedenke das!

Schweigend blieb der Jüngling stehen,
Sah das Mädchen baden gehen.

Klopstocks Schulter – Vier

Klopstock sagt:

Durch ein gutes Silbenmaß wird so viel Mannigfaltigkeit der Bewegung bestimmt, als nötig ist, genug ausdrücken zu können. Dies kann man aber nicht, wenn nicht so bestimmt worden ist, dass die Bewegung vornehmlich aus bedeutenden Füßen bestehet. In den bedeutenden Füßen liegt einesteils die metrische Kraft. Andernteils liegt sie in der durch die Bestimmung nothwendig gewordenen Wiederholung der Füße überhaupt, wobei sich von selbst versteht, dass die Rückkehr der bedeutendsten die größte Kraft habe. Das Bestimmte eines guten Silbenmaßes ist also bedeutende und wiederholte Bewegung, und dadurch hervorgebrachte doppelte metrische Kraft.

 

Klopstocks Liste der Wortfüße,
geordnet nach rhythmischer Schönheit:

32:    — v                      Träne
31:    v — v                   gelinde
30:    v —                      der Zorn
29:    — —                    Heerzug
28:    — v v v               Seligere
27:    — v v                  Fliegende

….

6:    v v v — —            Zu dem Gericht kam
5:    v v — — —          von dem Tod aufstand
4:    — v v v —           schwangen sich empor
3:    v v — —              am Olymp scholl
2:    — v v —              Donnergebrüll
1:    v v v — — —      Wo die Posaun hinscholl, und das Gebirg einsank.

 

Klopstock sagt:

Rhythmische Schönheit wirkt auf unsere Seele.

Klopstocks Schulter – Drei

Der Ionikus ist den natürlichen Betonungsverhältnissen des Deutschen wenig gemäß. (Otto Knörrich)

Klopstocks Ästhetik des zu überwindenden Widerstands: je stärker die Stauung einer Bewegung, desto mehr lädt sie sich auf, gewinnt an Kraft; je ausgeprägter ihre Begrenzung, desto machtvoller zugleich ihr Anschwellen über diese Grenze hinweg. (Winfried Menninghaus)

 

Die Gegenüberstellung: Ionikus – Iambus

Prometheus ( v v —  — )

Nun heran ihr,
Die im Schwarm schon
Um die Felskluft,
Eure Nachtburg,
Aus dem Busch auf,
Eurem Schirmdach,
Strebend aufsummt!

Eh‘ ihr auszieht
In das Fernland,
Diesem Nachbar
Werdet hilfreich
Und befreit ihn
Vom Gewaltschlag
Wilder Rachlust!

Krieger ( v — v — )

Der Ruf des Herrn,
Des Vaters, tönt;
Wir folgen gern,
Wir sind’s gewöhnt;
Geboren sind
Wir all‘ zum Streit,
Wie Schall und Wind
Zum Weg bereit.

Wir ziehn, wir ziehn
Und sagen’s nicht;
Wohin? wohin?
Wir fragen’s nicht;
Und Schwert und Spieß,
Wir tragen’s fern,
Und jens und dies,
Wir wagen’s gern.

(Johann Wolfgang Goethe, Pandora)

 

Klopstock sagt:

Silbenmaß ist Mitausdruck durch Bewegung.

Klopstocks Schulter – Zwei

Dass ihn etwas bewege, dies ist das heißeste Dürsten
Unseres Geistes; er liebt alles, was so ihn erquickt.

(Klopstock)

 

Klopstock sagt:

Wortfüße bestehen nicht immer aus einzelnen Wörtern, sondern oft aus so vielen, als, nach dem Inhalte, zusammen gehören, und daher beinah wie ein Wort müssen ausgesprochen werden. Dieser Hexameter:

Schrecklich erscholl der geflügelte Donnergesang in der Heerschar

hat vier Wortfüße.

— v v  — Schrecklich erscholl
v v  — v v der geflügelte
— v v  — Donnergesang
v v — — in der Heerschar.

Der Zuhörer hört nur die Wortfüße: und fällt, nach diesen allein, sein Urteil über den Vers.

ta ta TAM TAM / in der Heer-schar / v v — — / ta ta TAM TAM

 

Klopstock fragt:

Sie kennen den schönen Rhythmus des Jonikus?

 

Johann Heinrich Voss: Der Zauberanblick (1.Strophe)

v v — —, v v — —, v v — —, v v — —
v v — —, v v — —, v v — —, v v — —
v v — —, v v — —

O du Jungfrau, die so altklug aus der Kindheit du hervorblühst
Wie das Röslein in dem Stirnhaar, und mich anlachst, wie gereift schon
In dem Liebreiz Afroditas:

ta ta TAM TAM