Erzählverse: Der Blankvers (27)

Mein armes Herz, dein ganzes Unheil ist,
Dass du mit deiner tiefen Treue stehst
In einer Welt voll eitlen Flattersinns.
O, hätt’st auch du gelernt den Flattersinn!
Du aber, ach, du hast gelernt zu fliegen,
Zu fliegen wie ein Adler stolz und hoch,
Doch flattern, armes Herz, das kannst du nicht –
Du kannst nicht flattern wie ein Sperling flattert,
Du kannst nicht gaukeln wie ein Schmetterling,
Du kannst nur kühn empor zu Sonne steigen,
Und dein Geschick ist Himmel oder Tod.

 

Verse von Robert Hamerling. Ich denke, das war schon zur Zeit seines Erscheinens kein besonders gutes Gedicht, und heute ist es wohl gänzlich ungenießbar – zu offen stellt es die „großen Worte“ heraus, zu sehr verlässt es sich auf deren Wirkung.  Aber ein Blick darauf lohnt sich eben doch, meine ich; einmal, um zu schauen, wie man aus Nichts Etwas macht, (was keine kleine Leistung ist), und zum anderen, um zu schauen, wie der Blankvers denn mit diesem ganzen Pathos zurechtkommt?! Erstaunlich gut, finde ich; fast, dass er das ganze ein wenig beruhigt und dämpft und den Text dadurch beinahe lesbar macht.

Das Königreich von Sede (40)

Am Graben wird aus Abend Nacht;
Das Froschgequak weicht Schweigen.
Die Dunkelheit ist aufgewacht,
Darin sich Sterne zeigen.
Prinz Klappstuhl schaut zum Himmelszelt,
Um dann den Kopf zu neigen,
Den Blick auf einem Stern, der fällt.
Lies diesen los, was andre hält?
Die Nacht ist voller Fragen.

Bücher zum Vers (24)

Jacob Minor: Neuhochdeutsche Metrik

Minors sehr empfehlenswerte Metrik ist in zweiter Auflage bei Trübner erschienen, im Jahre 1902; das war eigentlich ein ganz guter Zeitpunkt für eine Metrik?! Schon eine Reihe von Jahren entfernt von der klassischen Zeit, aber immer noch mitten im Geschehen, soweit es die Verwendung von metrisch geregelten Versen angeht. Das ist ein Mangel, den ich bei vielen heutigen Metriken feststelle – sie stehen eigentlich außerhalb dessen, worüber sie reden; sie sind kein Teil mehr davon. Das hört man dann gut in der immer etwas langweiligen Art, in der metrische Fragen verhandelt werden?! Davon gibt es bei Minor keine Spur. Zwar fällt er meistens ausgewogene „Einerseits-Andererseits-Urteile“, doch man merkt, dass er  über eine Herzensangelegenheit redet, die ihn direkt und unmittelbar angeht. So gesehen, ein sehr empfehlenswertes Buch! Sicherlich wird das eine oder andere inzwischen inhaltlich anders gesehen, aber das tut dem Wert des Buches keinen Abbruch.

Reingefallen

In die Tonne fällt der Regen
und die Tonne heißt deswegen
Regentonne.
Später scheint dann auch die Sonne.
Nicht bewegen!

Das Ein-Vers-Gedicht (6)

1969 ist bei Heimeran der kleine Band „Römische Grabinschriften“ erschienen, der auf  250 Seiten 660 lateinische Grabinschriften versammelt, zusammengetragen und übersetzt von Hieronymus Geist.

Das ist schon an und für sich ein Buch, das anzusehen sich lohnt – dazu kommt aber, dass viele dieser Inschriften auch metrisch geregelt sind, also zum Beispiel aus Distichen bestehen; oder aus einzelnen Hexametern. Die klingen dann traurig oder fröhlich, geschäftsmäßig  oder auch ganz anders – Nr. 437 auf Seite 165:

 

Quid tibi nunc prodest stricte vixisse tot annis

 

Laut Geist zu finden auf einem Grabstein aus dem  Rom des 2. Jahrhunderts. „Was nützt es dir nun, so viele Jahre streng (nach Vorschrift) gelebt zu haben?“  wäre wohl eine wörtliche Übersetzung, aber Geist versucht in seiner Übertragung, den Hexameter beizubehalten:

 

Was hast du nun davon, dass einwandfrei du gelebt hast?

 

Allerdings ist die Versbewegung am Anfang schwer zu erkennen:

Was hast du / nun da- / von, || dass / einwand- / frei du ge- / lebt hast?

– Das liegt vielleicht daran, dass die Betonung vom Sinn her eher auf dem „hast“ liegt als auf dem „Was“?! Ich grübele schon eine Zeit, wie man den Vers besser ins Deutsche bekommt; so richtig eingefallen ist mir aber noch nichts. Vielleicht hat ja jemand anders eine Lösung?

Ein spitzzüngiger Grabstein, jedenfalls!

Erzählverse: Der Hexameter (30)

Franz von Sonnenbergs „Donatoa“

Hier ist mir alles ein Rätsel – Sonnenberg als Mensch ist ein Rätsel, sein „Donatoa“ ist ein bändelanges hexametrisches Rätsel, und das, was Zeitgenossen und Nachwelt über beide geschrieben haben, ist erst recht ein Rätsel. So urteilt etwa das „Damen Conversationslexikon“ 1837 über Sonnenberg:

Sonnenberg, Franz von, Franz Anton Joseph Ignaz Maria, Freiherr von, einer der glücklichsten Nacheiferer Klopstocks, obwohl er zu jung endete und zu ungestüm bildete und schuf, um allseitig erstarken und zur Harmonie gelangen zu können: – eine wehmüthig-säuselnde, aber stolzgewachsene Weimuthssichte unter Myrthengebüsch in der Mitte des Libanons, während auf dem Scheitel des heiligen Berges der Messiassänger als majestätische Zeder thront. 1779 zu Münster in Westphalen geb., entwarf er schon auf dem Gymnasium nach Klopstocks Messiade den Plan zu dem Epos: „das Weltende,“ – ein glühender Orkan aus wildbewegter Jugendbrust, fessellosstürmend, zerstörungslustig, mit himmelanstrebenden Fittigen einherbrausend, ohne das linde Säuseln des stillwaltenden Genius, ohne den sanften Hauch harmonischer Ruhe, ohne das milde Wehen des Friedens, wie er herüberflüstert aus Abendglocken und ruhenden Wäldern, aus Wiegenliedern und Küssen der Mutter. Dem Wunsche der Seinen gemäß widmete er sich dem Studium der Rechte, bereiste dann Deutschland, die Schweiz und Frankreich, und lebte nach seiner Rückkehr abwechselnd in Jena und in dem nahgelegenen Drakendorf. Hier war es, wo er sich allen körperlichen Entbehrungen unterwarf, um rastlos an seinem zweiten Epos: „Donatoa“ zu arbeiten, durch diese Überspannung aller seiner Kräfte aber in Apathie und tiefe Schwermut verfiel. Am 22. Nov. 1805 endete er freiwillig durch einen Sturz aus einem Fenster in Jena. Erst nach seinem Tode erschien seine „Donatoa“ (Halle 1806, 2 Bde.), ein erhabenes Gedicht von dem Untergange der Welt, welches schmerzlich bedauern lässt, dass die reiche Welt des jungen Dichters so früh schon unterging. Seine übrigen „Gedichte“ erschienen 1809 zu Rudolstadt.

Wohlgemerkt: Das ist ein Lexikon … Aber was um alles in der Welt ist eine „Weimuthssichte“? Also eine ganz normale jetzt, keine wehmütig-säuselnde …

Mit der Einschätzung der Werke Sonnenbergs liegt der Verfasser aber nicht so falsch. Ein knapper Ausschnitt aus Donatoa“, gleich vom Anfang – „Der Schutzgeist der Erde beklagt ihren Untergang“:

 

Dunkel, wie dunkel es dort auf den Wogen, und fern in den Tälern
Flammen wehn, Tod! rufet der Donner, wie wirrt es so rot sich,
Wirrt sichs im Dunkel so weiß! Die Kinder Gottes, sie töten
Wütend einander, sie wagten es nicht einschlummernd vor Schwäche,
Weh, sie ermutigten erst sich durch Mahl, um töten zu können.
Menschengeschlecht! Dein Abend ist da, stets düsterer steigt es,
Der aus der Unterwelt, drängt deine sanfteren Führer,
Drängt sie immer ferner von dir, du hörest, mein Schutzkind!
Meine Stimme nicht mehr, nicht deiner liebenden Schützer
Zärtliche Klag‘, ihr Bitten nicht mehr, wir sind dir umsonst da!

 

O-ha … Aber man sieht, das „zu ungestüme Bilden und Schaffen“ war keine so ganz falsche Beschreibung?! Dabei ist es nicht so, dass Sonnenberg nicht geradeaus hätte schreiben können – in seinen anderen Gedichten klappt das sehr gut, und auch hier sind ja, im Gegensatz zur Syntax, die Hexameter von feinstem Bau.

Trotzdem braucht es schon eine ganz eigene Geisteshaltung, sich auf derlei einzulassen, denke ich. Goethe zum Beispiel fehlte sie – Sonnenberg las ihm zwar aus „Donatoa“ vor, doch Goethe war ganz und gar nicht angetan. Ich lasse es zum Schluss, wie am Anfang, einen Lexikoneintrag sagen, diesmal aus „Herders Conversations-Lexikon“ von 1857:

Sonnenberg, Franz Ant. Jos. Ign. Maria von, epischer Dichter und ein Nachahmer Klopstocks, geb. 1779 zu Münster, gest. 1805 zu Jena durch einen Sturz aus dem Fenster, besang das Weltgericht in 12 Gesängen in dem Gedichte „Donatoa“ (Rudolst. 1806), wovon Goethe sagte, dasselbe offenbare eine „physisch glühende Natur, mit einer gewissen Einbildungskraft begabt, die aber ganz in hohlen Räumen sich erging“; mancher Leser des Donatoa möchte solch Urteil doch etwas zu herb finden.

Zu herb? Vielleicht. Nachvollziehbar aber allemal!

Das Königreich von Sede (39)

Ich habe den glücklichen König gekannt!
Der ist später im heißesten Feuer verbrannt,
Von den eigenen Mägden geschürt und den Knechten
(„Nun ist es an uns, Herr König, zu rechten!“) –
Doch hab ich den glücklichen König gekannt,
Als Knaben; noch ehe das Glück ihn fand.