Mit „Knittel“ ist die Art des Knittelverses gemeint, die seit Goethes Zeiten wieder vermehrt in der deutschen Dichtung gebraucht wurde; der „alte“ Knittelvers aus dem 15. und 16. Jahrhundert soll dagegen nur am Rande erwähnt werden.
Ein Knittel ist, rein von der Bauweise her, sehr schnell beschrieben, denn es gibt nur zwei Regeln:
– Der Knittel ist ein Reimvers. Für gewöhnlich wird der Paarreim verwendet, aber alle anderen Reimformen sind genauso möglich.
– Der Knittel enthält vier Hebungsstellen, also vier betonte Silben; die Anzahl der unbetonten Silben ist sowohl am Versanfang als auch im Versinnereren frei: Keine, eine, zwei, drei – alles ist möglich.
Dadurch scheint der Knittel ein sehr anspruchsloser Vers zu sein. Das ist aber nicht unbedingt so, denn durch den Verzicht auf das „Auf und Ab“, das im gewöhnlichen Reimvers herrscht durch den regelmäßigen Wechsel von betonten und unbetonten Silben, ergibt sich sowohl für den Verfasser als auch für den Leser die Notwendigkeit, die vier betonten Silben erst einmal aufzuspüren; wo die Betonung „sitzt“, ist nicht von vorneherein klar. Der Vers richtet sich dadurch ein Stück näher an den Anfordernissen des Satzes aus und eröffnet dem Verfasser viele neue Möglichkeiten – der Weg zum Gleichklang am Versende ist vielfältiger, die Bewegungsmuster sind zahlreicher und vielgestaltiger als im alternierenden Reimvers! Aber: Auch die Gefahren wachsen, da das Sicherungsnetz des „Auf und Ab“ fehlt und der Verfasser zum einen ein sicheres Gefühl für die Wort- und Versbewegung braucht; und zum anderen auch ein sicheres Gespür dafür, wie gut der Leser die gedachte und beabsichtigte Bewegungslinie erkennen kann und wird.
Einer, bei dem man desbezüglich keine Sorgen zu haben braucht, war Goethe. Daher hier zum Abschluss dieses ersten Beitrags ein kleiner, harmloser Text von ihm als Verdeutlichung des Gesagten; in den weiteren Beiträgen sollen dann Texte von Goethe und anderen Verfassern vorgestellt werden, die die Besonderheiten des Knittels nach und nach anschaulich machen.
Ein großer Teich war zugefroren,
Die Fröschlein, in der Tiefe verloren,
Durften nicht ferner quaken noch springen,
Versprachen sich aber, im halben Traum,
Fänden sie nur da oben Raum,
Wie Nachtigallen wollten sie singen.
Der Tauwind kam, das Eis zerschmolz,
Nun ruderten sie und landeten stolz,
Und saßen am Ufer weit und breit
Und quakten wie vor alter Zeit.
Das muss inhaltlich nicht aufgedröselt werden und macht auch formal von den Freiheiten des Knittels nur mäßig Gebrauch; wichtig ist aber, dass man böse auf die Nase fällt, will man den Versen mit der Vorstellung, mit der Erwartungshaltung eines alternierenden Reimverses beikommen – denn das geht nicht, die Betonungen, immer vier, befinden sich nicht an abzählbar dafür vorgesehenen Stellen, sondern verteilen sich; mal hier, mal da, ein wenig suchen muss man immer, bevor die Bewegungslinie steht … Aber dann ist der Text auch lebendig und schön.
Hier noch eine Lesung, von Peter Härtling:
Ein großer Teich war zugefroren