Erzählformen: Das Distichon (7)

Goethes „venetianische Epigramme“ sollte man mehr als einmal lesen, will man verstehen, wie das Distichon tickt. Dieses hier zum Beispiel:

 

Oft erklärtet ihr euch als Freunde des Dichters, ihr Götter!
Gebt ihm auch, was er bedarf! Mäßiges braucht er, doch viel:
Erstlich freundliche Wohnung, dann leidlich zu essen, zu trinken
Gut; der Deutsche versteht sich auf den Nektar, wie ihr.
Dann geziemende Kleidung, und Freunde, vertraulich zu schwatzen;
Dann ein Liebchen des Nachts, das ihn von Herzen begehrt.
Diese fünf natürlichen Dinge verlang‘ ich vor allem.
Gebet mir ferner dazu Sprachen, die alten und neu’n,
Dass ich der Völker Gewerb‘ und ihre Geschichten vernehme;
Gebt mir ein reines Gefühl, was sie in Künsten getan.
Anseh’n gebt mir im Volke, verschafft bei Mächtigen Einfluss,
Oder was sonst noch bequem unter den Menschen erscheint;
Gut! schon dank‘ ich euch, Götter; ihr habt den glücklichsten Menschen
Ehstens fertig: denn ihr gönntet das meiste mir schon.

 

Da gefallen mir die ersten drei Distichen besser als die letzten vier; aber insgesamt ein sehr schöner Text mit einer unaufdringlich, aber wirksam gestalteten Sprache. Das bieten auch die anderen Distichen, so dass man bei der Beschäftigung mit ihnen recht wahrscheinlich als unwahr erweisen kann, was Goethe in einem ihrer Hexameter vom „Deutschen“ behauptet:

 

Eine Kunst nur treibt er, und will sie nicht lernen, die Dichtkunst.

Die Bewegungsschule (19)

Der in der Bewegungsschule vorgestellte Vers berührt sich in vielen Punkten mit anderen Versen. Ich möchte daher hier ein Gedicht von Johann Heinrich Voß einstellen, „Friedensreigen“. Ich stelle seinen Bauplan vor und werfe einen etwas genaueren Blick auf zwei Strophen (wer das ganze Gedicht lesen möchte, kann unter „Gesammeltes“ vorbeischaun, wo ich den Bereich „Anapästische Verse“ etwas umgebaut habe – unter anderem ist da jetzt auch  „Friedensreigen“ zu finden, nebst Anmerkungen von Wilhelm August Schlegel zum Aufbau des Gedichts).

Die von Voß entworfene Strophe hat neun Verse:

ta ta TAM ta TAM ta ta TAM ta
ta ta TAM ta ta TAM ta TAM
ta ta TAM ta TAM ta ta TAM ta
ta ta TAM ta ta TAM ta TAM
ta ta TAM ta TAM ta ta TAM ta
ta ta TAM ta TAM ta ta TAM ta
ta ta TAM ta TAM
ta ta TAM ta TAM
ta ta TAM ta ta TAM ta ta TAM ta TAM

Das Reimschema lautet a b a b c c d d d.

Die verwendeten Verse kommen sehr vertraut daher: V1, V3, V5, V6 sind „Schlussverse“, V7 und V8 sind „Halbverse“; und V9 ist ein „Vollvers“! Sicher, da sind einige „Verkürzungen“ eingemischt, aber die ändern nicht viel. Das tataTAM ist deutlich vernehmbar der Grundbaustein der Versbewegung, wie gleich in der ersten Strophe deutlich wird:

 

Mit Gesang und Tanz sei gefeiert,
O du Tag und, o Nacht, auch du!
Denn er kömmt, der Fried, und erneuert
Die Gefild uns mit Heil und Ruh!
Von der Grenze kehrt, wer gestritten,
Mit der Eichen Laub in die Hütten!
Oh, wie eilt ihr Gang
In der Trommeln Klang,
In der Hörner Getön und dem Siegsgesang!

 

„Mit Gesang„, „O du Tag„, „Denn er kömmt„, „Die Gefild“ – alles Sinneinheiten der Art „ta ta TAM“ am Versanfang! Und in der zweiten Strophe geht das genau so weiter: „Wer daheim„, „O hinaus„, „Mit der Lieb‚“, „Das Gepäck„, „Ja er lebt„, „Ja er lebt„, sechs „ta ta TAM“ eröffnen die ersten sechs Verse.

Da soll dem Leser und Hörer also etwas eingebläut werden; eine Bewegung erst einmal wirklich bewusst werden, ehe es an ihre Abwandlung geht. Und das gilt durchaus für ganze Verse: Das

ta ta TAM / ta TAM / ta ta TAM ta

des allerersten Verses kehrt immer und immer wieder. Zum Beispiel in der vierten Strophe:

 

Wie umzog uns schwarz das Gewitter
Der Verschwornen zu Fuß und Ross,
Der Tyrannen Schwarm und der Ritter,
Ein unzählbarer Mietlingstross!
Doch ein Hauch verweht das Getümmel
Und es strahlt die Sonn an dem Himmel.
Nun beginnt der Tanz
In dem Eichenkranz
Um der Freiheit Altar und des Vaterlands!

 

V1, V5, V6: Alles „ta ta TAM / ta TAM / ta ta TAM ta“. Nur V3 weicht leicht ab!

Noch zum neuten Vers, dem letzten der Strophe – hier „Vollverse“ zu sehen wird auch durch die Zäsur bestärkt, die in allen Strophen dort sitzt, wo sie in „unserem“ Vers auch sitzt; nämmlich genau in der Mitte. Also:

In der Hörner Getön || und dem Siegsgesang!

Um der Freiheit Altar || und des Vaterlands!

Es gäbe sicher noch viel zu entdecken in dieser Strophe, aber ich lasse es damit gut sein, denke ich. Wer mag, kann ja noch selbst schauen; und vielleicht ist die eine oder andere Anregung dabei für das Entwerfen einer eigenen Strophe?!

Das Königreich von Sede (45)

Im Herz der stillen Sümpfe
Versinkt ein Stiefelpaar,
Und in den Stiefeln: Strümpfe,
Und in den Strümpfen: keiner,
Und auch, ob jemals einer
In beiden wohnhaft war,
Lässt sich nur schwer beweisen …
Ein Stiefelpaar versinkt
Im Sumpf; es schätzt das Reisen.

Erzählverse: Der Hexameter (36)

Paul Heyses „Thekla“ (4)

Der Hexameter ist zur Bewegungs-Vielfalt nicht nur in der Lage, sondern ihr geradezu verpflichtet! Er sollte:

– sich in der Abfolge von zweisilbigen und dreisilbigen metrischen Einheiten von Vers zu Vers unterscheiden.

– sich in den Hauptzäsuren, den Sinneinschnitten innerhalb der dritten oder vierten metrischen Einheit, von Vers zu Vers  unterscheiden.

– metrische Einheiten und Sinneinheiten nicht deckungsgleich aufeinanderfallen lassen.

– Innerhalb des Verses möglichst unterschiedliche Sinneinheiten bilden, und möglichst nie mehr als zwei gleiche aufeinanderfolgen lassen.

Bei soviel verschiedenen Möglichkeiten, den Vers zu gestalten, stellt sich natürlich die Frage: Woran ist der Hexameter denn dann überhaupt noch dem Ohr erkennbar – was ist die immergleichbleibende Grundgröße, die auf jeden Fall wiedererkannt wird?

Einen gewichtigen Anteil an dieser Wiedererkennbarkeit hat sicherlich die sich immer gleichbliebende Schlusswendung „X x x / X x“ – weswegen sie auch eine wichtige Stelle des Verses ist und sorgfältig behandelt werden muss. Mal sehen, wie Heyse das macht im vierten Gesang der „Thekla“!

Der beginnt damit, dass sich das „einfache Volk“ über den Apostel austauscht.

 

Besser, wir schicken geheim ihm Botschaft, bieten ihm Geld an.
Wer am mächtigsten ist, mit dem sich gütlich vertragen,
Dünkt mich immer das klügste, es sei nun, dass er ein Gott ist,
Oder ein Mensch; denn ein Gott ist jeglicher, der die Gewalt hat.

 

Diese vier Verse führe ich an, weil in dreien von ihnen die Schlussformel durch einen davor liegenden Sinneinschnitt deutlich gekennzeichnet wird:

Besser, wir schicken geheim ihm Botschaft, bieten ihm Geld an.
Wer am mächtigsten ist, mit dem sich gütlich vertragen,
Dünkt mich immer das klügste, es sei nun, dass er ein Gott ist,
Oder ein Mensch; denn ein Gott ist jeglicher, der die Gewalt hat.

Im zweiten Vers klingt die Schlusswendung nicht ganz so deutlich durch (ist aber natürlich vernehmbar). Dieser Vers ist auch der einzige, in dem die letzte Silbe ein „schwaches e“ als Vokal hat. Das ist darum von Bedeutung, weil man ein wenig darauf achten muss, nicht zu viele von diesen schmalbrüstigen Vokalen dabei zu haben, weil der Vers bei einem solchen „schwachen e“ nicht ausschwingen kann, sondern mehr „in sich zusammenfällt“; und wenn das über viele Verse nacheinander geschieht, bekommt der Vortrag schnell etwas bemühtes, stockendes, es ist ein dauerndes Ab- und wieder Ansetzen hörbar.

Ich zeige das an ein paar Thekla-Versen. Der Apostel, der im übrigen Tryphon heißt, und sein Gastgeber Nathanael erhalten Besuch, von Midas, dem obersten Kybele-Priester. Der versucht den Apostel einzuschüchtern, doch:

 

Wenn mich Menschen erschreckten, ich wäre unwürdig der Gnaden
Gottes des Herrn, der stark mich schirmt in drängender Fährde,
Wie er auch heut erst wieder den Feind mit Lähmung geschlagen.
Darum wird kein Schnauben des Zorns mich irgend erschüttern;
Denn ich wandle, wohin mich der Odem des Herrn will tragen,
Der die Fichten im Walde zerbricht und die Wolken dahintreibt
Und die erkorenen Boten umherführt unter den Völkern.

 

Schon erstaunlich, wie stark das „-treibt“ des vorletzten Verses sich heraushebt aus den anderen schwachen Schluss-Silben! Ich denke, wenn man alle vier, fünf Verse etwas Abwechslung reinbringt, bekommt das Ganze ein schönes Gleichgewicht … Im drittletzten Vers ersetzt Heyse die Schlussformel „X x x / X x“ wieder einmal durch „X x / X x“ – das hatten wir ja schon. Für meinen Geschmack macht er das etwas zu oft – er stört dadurch eben die Wiedererkennbarkeit des Vers-Schlusses. Klar ist das erlaubt seit Homers Zeiten, doch bei den meisten Dichtern liegt die Häufigkeit um die zwei Prozent …

Inhaltlich lässt Midas die Maske fallen, nachdem Nathanael gegangen ist, und schlägt Tryphon ein Geschäft vor: Geld gegen das Verlassen der Stadt. Dem Gottesmann platzt natürlich der Kragen! Midas zieht wütend ab und wird von Thekla beobachtet; sie wirft dem Apostel eine Warnung ins Zimmer. Dann stellt sie fest, dass niemand im Haus mehr mit ihr redet. Erst abends erbarmt sich eine alte Dienerin und weiß zu berichten, dass Tryphon von der römischen Staatsmacht gefangengenommen und eingekerkert wurde! Jedoch, nach dem Abgang der Alten:

 

Und nun saß in der Nacht, die mit ruhigen Sternen hereinsah,
Thekla wieder allein und atmete tiefer und leichter.

 

Denn sie weiß jetzt, was zu tun ist: Sie will den Apostel aus dem Gefängnis retten!

Ohne Titel

Abgefüllt mit Poesie!
Zeilen voll mit Leid und Hoffen
Hab ich gierig leergesoffen –
Versetrunkner war ich nie.

Die Bewegungsschule (18)

Ich möchte, wie in den letzten Bewegungsschule-Einträgen schon, noch einige Sinneinheiten in ihrer Bewegung vorstellen, darüber aber auch den zuvor vorgestellten Vers nicht vergessen. Daher hier und heute ein Blick auf Victor von Scheffels „Waldfrevel“, der „unseren“ Vers verwendet! Scheffel nutzt die möglichen Freiheiten des Verses etwas großzügiger, als ich das bisher vorgeschlagen habe, und das vor allem in zweierlei Hinsicht:

– Scheffel nutzt die „Verkürzung“ deutlich häufiger, hat also oft statt „ta ta“ (zwei leichte Silben) nur „ta“ (eine leichte Silbe).

– Scheffel setzt gelegentlich eine schwere Silbe auf eine leichte Versstelle.

Ich schaue im weiteren auf das erste Dutzend Verse seines Textes und mache dabei diese beiden Abweichungen kenntlich – ta ist eine „freiere“ Verkürzung, ta eine schwere Silbe, die als leichte Silbe genutzt wird. Zuerst aber der reine Text:

 

Ein gastlich Quartier um Mitternacht
Hab vom Wald ich geheischt; gern bot er mir dar
Ein windstill Lager im dicht’sten Gehölz,
In samtweichem Moose, von Farren umschwankt,
Den umsponnenen Stein als Kissen des Kopfs,
Altknorrige Eichen als Hüter.

Unlang war der Schlaf; es umschwebte mich nicht
Süß gaukelnder Traum und entführte mir nicht
Zu dir, mein Magnet, die Gedanken.
Jäh fuhr ich empor mit unwirschem Fluch,
Geweckt von dem Schalle der hauenden Axt,
Der, doppelt so stark
Denn bei Tag, weit rief durch die Nacht hin.

 

Und dazu nun die „Bewegungsbilder“ in der Form Vers, Silbenbild, Anmerkung.

Ein gastlich Quartier um Mitternacht
ta TAM ta ta TAM || ta TAM ta TAM
Der erste Vers hat zwei Verkürzungen, die im bisher vorgestellten Versrahmen bedenklich wären; „Mitternacht“ wäre aber auch da möglich.

Hab vom Wald ich geheischt; gern bot er mir dar
ta ta TAM / ta ta TAM || TAM / TAM ta ta TAM
Ein Vers, der die Grundbewegung sehr klar wiedergibt!

Ein windstill Lager im dicht’sten Gehölz,
ta TAM TAM TAM ta || ta TAM ta ta TAM
Eine „freiere“ Verkürzung; die Zäsur ist verschoben.

In samtweichem Moose, von Farren umschwankt,
ta TAM ta ta TAM ta || ta TAM ta / ta TAM
„-weich-“ ist hier „kurz“, was hinter dem „samt-“ sicherlich geht; für Scheffel ist das Silbengewicht nicht so entscheidend, er hört mehr die Betonung! Die Zäsur ist wieder versetzt. (Farren = Farnen.)

Den umsponnenen Stein als Kissen des Kopfs,
ta ta TAM ta ta TAM || ta TAM ta / ta TAM
„als“ ist vielleicht auch schon ein „TAM“. „Kissen des Kopfs“ klingt unfreiwillig komisch, heutzutage.

Altknorrige Eichen als Hüter.
TAM TAM ta ta TAM ta / ta TAM ta
Ein Schlussvers, passend am Ende des Anschnitts. „Altknorr-“ ist eine schwebende Betonung?!

Unlang war der Schlaf; es umschwebte mich nicht
TAM TAM / ta ta TAM || ta ta TAM ta / ta TAM
„Unlang“, wieder eine schwebende Betonung.

Süß gaukelnder Traum und entführte mir nicht
TAM TAM ta ta TAM || ta ta TAM ta / ta TAM
Sehr auffällig, das wiederholte „nicht“ des Vorverses!

Zu dir, mein Magnet, die Gedanken.
ta TAM / ta ta TAM / ta ta TAM ta
Wieder ein Schlussvers. „Dir“ ist als Pronomen betont; einer der seltenen Fälle, dass ein Bauwort betont wird. Der „Magnet“ ist wohl die Angebetete des Sprechenden, „Wilhelmina“.

Jäh fuhr ich empor mit unwirschem Fluch,
TAM / TAM ta ta TAM || ta TAM ta ta TAM
„-wirsch-“ ist schwer, aber auf eine „leichte“ Stelle gestellt; das geht wirklich nur, wenn nur die Betonung betrachtet wird, und selbst da knirscht es?!

Geweckt von dem Schalle der hauenden Axt,
ta TAM / ta ta TAM ta || ta TAM ta ta TAM
Die Zäsur ist verschoben.

Der, doppelt so stark
ta / TAM ta ta TAM
Ein auflockernder Halbvers. Das „Der“ gewinnt Gewicht durch das folgende Komma, das „Alleinstehen“ – vielleicht ists schon ein „TAM“?!

Denn bei Tag, weit rief durch die Nacht hin.
ta ta TAM / TAM TAM / ta ta TAM ta
Der dritte Schlussvers, wieder am Absatzende. „weit rief“, „TAM TAM„, würde in meinen Schluss-Versen nur am Versanfang erscheinen; aber hier hat es ohne Frage eine sehr schöne Wirkung auch in der Versmitte!

Soweit. Wer mag, kann sich ja den restlichen Text im Netz anschauen und auf die Bewegungslinien hin abhören?! (Wikipedia hat, erstaunlicherweise, einen längeren Eintrag zur „Waldeinsamkeit“ – das ist der Zyklus, aus dem „Waldfrevel“ stammt.) Was auffällt: Die zusätzlichen Verkürzungen (ta) stehen immer am Versanfang oder nach der Zäsur, also da, wo eine Pause vorangeht. Ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist …

Aber wie auch immer: Der Vers, den Scheffel hier für sich gefunden hat, trägt, finde ich. Er nutzt die möglichen Freiheiten etwas großzügiger, als ich es bisher vorgeschlagen habe, hat aber trotzdem eine Mitte und vor allem ein Bewusstsein dafür, was er macht und was er lässt. Dadurch wird er als Vers, als bestimmter Wort-Raum  erkenn- und erfahrbar!

Erzählverse: Der Hexameter (35)

Paul Heyses „Thekla“ (3)

Der dritte Gesang beginnt mit einem Aufruhr vor Theklas jüdisch-christlichem Nachbarhaus: Der am Tag zuvor gekommene Apostel predigt, zur Begeisterung der Christen und zur Empörung der Heiden. Sein Reisebegleiter vom Vortag, der Goldschmied Hermogenes, kommt herüber zu Theklas Mutter Theoklia und berichtet. Zum Beispiel über die Empörung vor der Tür des Nachbarhauses:

 

Aber ein stämmiger Bursch schrie laut und ballte die Fäuste:
Memmengeschwätz! Gebt Raum! Und säß ein Dutzend Dämonen
Unter dem Schädel des Schurken, ich schlüg ein Loch in die Zelle,
Dass sie eilten, woanders und ruhiger unterzukommen!

 

Nicht „Macht Platz“, oder „Zur Seite“, oder „weg da“, sondern: Gebt Raum! Mmmm… Alleine für diesen Ausdruck hat sich das Lesen schon gelohnt. „Schädel“, „Schurken“, „schlüg“ erinnert mich daran, dass ich mal ausprobieren wollte, wie sich der Hexameter als Stabreimgrundlage macht …

Jedenfalls halten die Einwohner den Apostel für einen mit Dämonen verbündeten Zauberer:

 

Liefert den Zauberer aus! Heraus mit dem Judenpropheten!

 

Als der Apostel sich wirklich zeigt, bekommt der „stämmige Bursch“ einen Anfall und wälzt sich zuckend in der Gasse. Theklas Mutter ist von alledem… nicht angetan. Sie eilt zur Kammer der Tochter – und findet sie weit aus dem Fenster gelehnt, um besser hören zu können. Die Mutter ist entsetzt!

 

Kind, vom Fenster zurück! Was hast du getan? Der Bezaubrung
Gabst du dich preis, unwissend, wie finsterer Macht du anheimfällst!

 

Die Tochter sieht das anders. Sie sagt über die Predigt:

 

Mutter, ich kann nicht sagen, wie wohl mir ward. Die Gedanken
Schweben so leicht; mir ist, ich sei vom Tode genesen.

 

Wenn man beim Amphibrach auch unterschiedlicher Meinung sein kann, bei einer anderen über dem Grundmetrum hörbaren rhythmischen Einheit sind sich alle einig. „X x x X„, der Choriambus, gilt als eine der schönsten rhythmischen Figuren der deutschen Sprache! Hier wird sie sowohl von der Mutter (Gabst du dich preis) als auch von der Tochter (Schweben so leicht) benutzt, die jeweiligen Verse haben aber trotzdem einen sehr verschiedenen Klang.

Theoklia lässt Thamyris rufen und klagt dem Noch-Verlobten ihr Leid. Der erweist sich aber als der Depp, den man in ihm schon vermutet hatte:

 

Ists nicht Diese, so sind zehn Andere, die sich die Augen
Längst ausgaffen nach mir. Nun will ich hinauf zu der Närrin;

 

Und damit lässt er die Mutter stehen. Thekla kündigt dem Wütenden die Verlobung auf und schließt mit

 

Fahre du wohl, und mögen dich glückliche Sterne geleiten!

 

So hübsch würde man das heutzutage wohl nicht mehr ausdrücken … Beachtenswert aber auch hier der Choriambus (Fahre du wohl) und die Zäsur nach „mögen“; die ist zwar schwach, aber wenn man da keine kurze Pause spricht, klingt der Vers gar nicht?!

Thamyris, jetzt noch viel wütender, stürzt zum Nachbarhaus, um dem Apostel an den Kragen zu gehen; dabei läuft er dem Philosophen, der am Vortag mit dem Apostel und dem Goldschmied in die Stadt gekommen war, in die Arme. Demas (so des Philosophen Name) hält ihn auf und führt ihn fort; aber nur, damit Thamyris nicht zu Schaden kommt, nicht, weil er das Christentum schätzt:

 

Was, seit Menschen gelebt, noch einzig der Mühe des Lebens
Wert schien, edler Genuss und herzliche Freude der Sinne,
Toll ists, das zu verachten, sich des zu schämen, ein Wahnsinn.

 

edler Genuss„. „Memmengeschwätz!“ ganz am Anfang war übrigens auch so ein Choriambus. Wenn man erst einmal anfängt, darauf zu achten …

 

Nein, ein Märchen gesponnen und tapfer geglaubt und im Notfall
Sich drauf kreuzigen lassen. Sie dünken sich wunder wie edel,
Wenn sie gen Himmel gestarrt und darob die Hälse gebrochen.

 

Tja, wahrlich kein Christenfreund, wenn auch aus weniger abergläubischen Gründen als das einfache Volk…. Jedenfalls zieht er mit Thamyris ab, um die Dinge juristisch anzugehen. Die Geschichte nimmt an Fahrt auf!