Wahrlich, ich fürchte den Tod nicht! und nicht des Leibes Zersetzung,
Die das gefräßige Maul der Würmer und Maden vorantreibt,
Nicht den menschlichen Mund, der gelangweilt ein herrliches Leben
Wieder und wieder bespricht, bis endlich alles zerfetzt ist,
Und auch den Zahn der Zeit, der die Reste zermahlt zu Vergessen,
Fürchte ich, wahrlich! nicht. Nur eine Sache entsetzt mich …
Ruhe da draußen! Man kann ja den eigenen Bohrer nicht hören!
Archiv für den Monat August 2014
Bücher zum Vers (43)
Stephen Fry: Feigen, die fusseln. Entfessle den Dichter in dir.
Erschienen 2008 bei Aufbau, ist „Feigen, die fusseln“ ein Mut-Mach-Buch in Bezug auf das Dichten; Fry nimmt sich gleich zu Beginn viel Zeit, dem Leser erst die Angst vor den Versen zu nehmen und ihn dann zu begeistern. Danach folgt über mehr als vierhundert Seiten eine Einführung in die handwerklichen Grundlagen der Versemacherei.
Ein ganz brauchbarer Band – eigentlich; leider findet sich in der deutschen Fassung auch weniger Gelungenes.
– Das englische Original bezieht sich auf die englische Dichtung, die aber an manchen Stellen andere Wege geht als die deutsche; und es benutzt die Begriffe der englischen Metrik, die nicht immer deckungsgleich sind mit denen der deutschen. Das alles „Wort für Wort“ ins Deutsche zu übertragen wird der deutschen Dichtung daher nicht immer gerecht.
– Die Übersetzung ist mal schlecht, mal überfordert: Verse, die im englischen Original als Beispiel für einen bestimmten Sachverhalt dienen, müssen dem Sinn nach passend wiedergegeben werden, und darüber hinaus auch den Sachverhalt verdeutlichen. Das gelingt oft nicht.
– In der Darstellung der „metrischen Muster“ gibt es immer wieder Fehler.
Nun ist nichts davon wirklich schlimm; man kann mit dem Buch immer noch arbeiten und einigen Gewinn davon haben, macht man gerade seine ersten Schritte als Verseschmied. Trotzdem ist es vielleicht ein Gedanke, sich gleich an das Original zu halten:
Stephen Fry: The Ode Less Travelled. Unlocking the Poet Within.
2007 bei Arrow erschienen, ist es ein englisches Buch über die englische Dichtung und frei von allen Schwächen, die sich aus der Übersetzung ins Deutsche fast zwangsläufig ergeben. Was davon für das eigene deutsche Dichten brauchbar ist, kann der Leser im jeweiligen Fall ja anhand deutscher Quellen weiter bedenken.
(Ein Frys Buch entsprechender Band über die deutsche Dichterei wäre, finde ich, ein wirklich guter Gedanke!)
Ohne Titel
Mir fällt aus der Hand,
Was niemals darin war –
Ah, sagt die Welt, und:
Was fort ist, ist fort.
Erzählformen: Das Sonett (7)
Die Henne
War nicht am Anfang diese Henne schon und saß
breit auf dem Ei, dem zimmerlosen Hause
der Einfachheit, das die Gestirne rasend ohne Pause
abzeichnen an den Himmel, unverlierbar Maß?
Im Dunkel aber der umwölbten Klause
bewegt sich schon, was sich ins Dasein fraß,
klopft an die Tür des Tags, die spröd wie Glas
aufkracht im Kreis: da liegt die Welt zum Schmause.
Ja kaum entkrochen, feucht im Erdenwind,
auf Stelzenbeinchen stehend, dreht’s den Kopf,
es äugt die Hirse, zielt, und traut dem Schein.
Die Mutter aber, bei gesträubtem Schopf,
schlägt mit den Flügeln wild, bestaunt das Kind,
und schreitet würdevoll und führt es ein.
„Die Henne“ ist ein Sonett von Franz Janowitz. Ein im Wortsinn unbekümmertes; jedenfalls ist das mein Eindruck. Auch angesichts der drei Sechsheber im ersten Quartett, von denen zumindestens zwei genausogut Fünfheber sein könnten; und von denen der Text im weiteren nichts mehr wissen will, wenn er ausnahmslos den für das Sonett kennzeichnenden iambischen Fünfheber verwirklicht?
Auch inhaltlich scheinen die Quartette ein wenig richtungslos; was sich in den Terzetten ändert, wo der Text dann spätestens ein wirkliches Erzählsonett ist.
Ohne Titel
in meinem kopftank gluckert
das denkbenzin
davon behaglich tuckert
die dichtmaschin‘
die verse macht
mit reimespracht
mein sein mich mensch bezuckert
Scharfblick
1885 ist bei Kröner der „Briefwechsel zwischen Hermann Kurz und Eduard Mörike“ erschienen, ein schmaler Band, in den hineinzuschauen wahrscheinlich nur lohnt, wenn man Mörike wertschätzt?! Ich tu’s, und lese also diesen Briefwechsel und habe in einem Brief Mörikes aus dem Sommer 1837 diese Sätze gefunden:
„Ihre zwei schönen Distichen können sehr wohl für sich bestehen. Mir scheint, sie enthalten die Summe der ganzen Elegie.“
Besagte Distichen finden sich im Brief Kurz‘, auf den Mörike mit seinen Zeilen antwortet:
Mählig versinken die Dächer der Stadt und die Zinnen des Schlosses,
Hülle sie, abendlich Licht, in ein verklärendes Rot!
Aber mich führt ihr hinweg, ihr Musen und Grazien rettend!
Kühlere Morgenluft haucht um die Schläfe mir schon.
Kurz begleitet diese Verse mit den Sätzen:
„Diese Versart, die mir immer so lieb war und von der ich leider in meiner Unmündigkeit mich auch durch die moderne Lyrik habe abschüchtern lassen, ist mir nun durch Sie zu besonderem Danke bestätigt worden; ich mag sie aber bloß in der „ungestiefelten“ Form, wie auch Goethe und Schiller schreiben. Das beste, was ich gemacht habe, sind zwei Verse aus einer Elegie beim Abschied von Tübingen 1835, die in einer vierwöchentlichen Faulenzerei nicht zu Stande gekommen ist.“
Hm.
Also wenn ich das recht verstehe, konnte Mörike vier Verse als „Summe“ einer Elegie erkennen, die er nicht nur nicht gelesen hat; sondern die noch nicht einmal geschrieben wurde …
So sind sie halt, die großen Dichter.
(Ich bin keiner, und vielleicht liegt es daran – aber wirkich gut gefallen mir Kurz‘ Verse nicht?!)
Ohne Titel
Es stehen an der Ampel
Die Mutter und ihr Kind;
Genervtsein und Gehampel.
Bild & Wort (78)
Ohne Titel
Regen fällt aus allen Wolken:
Herbert Regen, der getippt hat,
Sieht, wie die getippten Zahlen
Nach und nach den Bildschirm füllen …
Regen fällt aus allen Wolken,
Sintflutartig, und den Tippschein,
Der mit den getippten Zahlen,
Die zu Herberts großer Freude
Nach und nach den Bildschirm füllten,
Diesen Tippschein, der aus Herberts
Tasche unbemerkt herausfiel,
Tragen nun geschwind zum Rinnstein,
Und vom Rinnstein in den Gully,
Und ins Nichts und ins Vergessen,
Regen! deine Wellenkinder.
Regen fällt aus allen Wolken.
Bücher zum Vers (42)
David Denby: Große Bücher.
Eines der (zu) vielen „Bücher über Bücher“, auf Deutsch 2001 bei Goldmann erschienen. Denby schildert, wie er 30 Jahre nach seinem Studium noch einmal an die Universität geht und in den entsprechenden Veranstaltungen zusammen mit jungen Studenten die „großen Bücher“ liest; und er vergleicht seine Gefühle, Erkenntnisse und Erfahrungen mit denen, die er als junger Mensch hatte, und auch mit denen seiner jetzigen Mitstudenten.
Das ist gar nicht mal uninteressant; aber ein „Buch zum Vers“ ist es sicherlich nicht! Dafür aber, in manchen Kapiteln, ein „Buch zur Verserzählung“, denn es werden einige epische Vers-Texte besprochen. Homer bekommt sogar zwei Kapitel – eins für die Ilias, eins für die Odyssee -, Vergil und seine Aeneis füllen auch ein Kapitel; und schließlich Dante mit der Göttlichen Komödie, dem Inferno. Man erfährt zu allen Texten durchaus bedenkenswerte Dinge; ich gebe aber ein kurzes Stück aus dem Dante-Kapitel, es findet sich auf den Seiten 242 und 243:
„Eine von Shapiros Studentinnen, Francesca, eine große jungen Frau mit vollen, rosigen Lippen und wirren Locken, sprach so gut Englisch, mit einem so geringfügigen Akzent, dass ich sie kaum als Italienerin erkannt hätte. In der Abschluss-Stunde des Seminars bat sie der Professor, die einleitenden Zeilen des Inferno zu lesen, und als sie die ersten dreißig Zeilen des Canto I las, war es mucksmäuschenstill im Raum. (…) Francesca las ohne große Betonung. Sie las mit leiser, fester Stimme, leiser und flacher als ihre normale Sprechstimme, aber der Klang war unheimlich: Es war wie eine hinreißende Melodie auf einer Viola, wobei die Musik mühelos aus den ruhigen, tiefen Tönen aufstieg. Nein, das kann nicht passieren. Es kann nicht sein – dieser Moment ist zu vollkommen. Aber es passierte tatsächlich; die Studenten waren ganz still, und als sie, die Augen auf das Buch gerichtet, las, wurde ihr Sopran höher und immer höher, und die Musik von Dantes Italienisch strömte mühelos in den Raum. “
Das kann man jetzt ein klein wenig übertrieben finden in der Darstellung; aber ich nehme es als willkommene Erinnerung daran, dass Verstexte, epische oder welche auch immer, auf den Vortrag angewiesen sind; auf das laute Lesen.