Erzählverse: Der Hexameter (80)

August von Platens „Das Fischermädchen in Burano“ (1)

Im vor kurzem hier vorgestellten „Hexameter-Brief“ Paul Heyses spielte August von Platen eine gewichtige Rolle – Grund genug, auch einmal einen seiner Hexameter-Texte vorzustellen?! Ich habe dafür aber nicht „Die Fischer auf Capri“ ausgesucht, sondern „Das Fischermädchen in Burano“, ein mittellanger Text, den ich auf zwei Einträge verteilen möchte. Hier der Anfang:

 

Strickt mir fleißig am Netz, ihr Schwestern! Es soll’s der Geliebte
Heut noch haben, sobald im besegelten Nachen er heimkehrt.

Weshalb zaudert er heute so lang? Die Lagune verflacht sich
Schon, und es legt sich der Wind; um das leuchtende hohe Venedig,
Wie es den Wassern entsteigt, ausbreitet sich Abendgewölk schon.
Ostwärts fuhren sie heut mit dem Fahrzeug gegen Altino,
Wo in den Schutt hinsank ehmals die bevölkerte Seestadt.
Häufig erbeuten sie dort Goldmünzen und prächtige Steine,
Wenn sie das Netz einziehn, die betagteren Fischer erzählen’s:
Möchtest du auch, o Geliebter, und recht was Köstliches finden!
Schön wohl ist es zu fischen am Abende, wann die Lagune
Blitzt, und das schimmernde Netz vom hangenden Meergras funkelt,
Jegliche Masche wie Gold, und die zappelnden Fische vergoldet;
Aber ich liebe vor Allem den Festtag, wann du daheimbleibst.
Auf dem besuchteren Platz dann wandelt die kräftige Jugend,
Jeder im Staat, mein Freund vor den Übrigen schön und bescheiden.
Oftmals lauschen wir dann dem Erzähler, und wie er verkündigt
Worte der Heiligen uns, und die Taten des frommen Albanus,
Welcher gemalt hier steht in der Kirche, des Orts Wohltäter.
Doch als seine Gebeine hieher einst brachten die Schiffer,
Konnten sie nicht ans Ufer den Sarg ziehn, weil er so schwer schien;
Lange bemühten die starken gewaltigen Männer umsonst sich,
Triefend von Schweiß, und zuletzt ließ Jeglicher ab von der Arbeit.
Siehe, da kamen heran unmündige lockige Kinder,
Spannten, als wär’s zum Scherz, an das Seil sich, zogen den Sarg dann
Leicht an den Strand, ganz ohne Beschwerde, mit freundlichem Lächeln.

 

Die ersten vier Hexameter sind nicht weiter auffällig – schöne, sichere Verse. Dann aber beginnt die Zeit des „geschleiften Spondäus“, den Platen in vier der fünf folgenden Versen einsetzt, immer in der Versmitte, was einen ganz eigenen Klang schafft:

Wie es den / Wassern ent- / steigt, || aus- / breitet sich / Abendge- / wölk schon.
Ostwärts / fuhren sie / heut || mit dem / Fahrzeug / gegen Al- / tino,
Wo in den / Schutt hin– / sank || eh– /mals die be- / völkerte / Seestadt.
Häufig er- / beuten sie / dort || Gold– / münzen und / prächtige / Steine,
Wenn sie das / Netz ein- / ziehn, || die be- / tagteren / Fischer er- / zählen’s:

Alle geschleiften Spondäen sind farbig gekennzeichnet; der Vers „Wo in den …“ hat sogar zwei davon! Wie heftig sie das Gefüge des Verses verändern, lässt sich vielleicht an zwei anderen Versen zeigen.

Blitzt, und das schimmernde Netz vom hangenden Meergras funkelt,

Hier hat Platen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die vorletzte Einheit nicht dreisilbig, sondern zweisilbig zu gestalten:

Blitzt, und das / schimmernde / Netz || vom / hangenden / Meergras / funkelt,

Der Vers ist sehr achtsam gebaut! Wenn die fünfte Einheit zweisilbig ist, ist meistens die vierte dreisilbig, was einen gunten Klang gibt; so macht es Platen hier auch. Und er lässt in der fünten Einheit nicht einfach eine unbetonte Silbe weg, sondern er ersetzt die beiden unbetonten, leichten Silben in antiker Denkweise durch ein „schwere“ Silbe, das eine starke Nebenbetonung tragende „-gras“! Das das „-gras“ aber in der Senkungs-Stelle steht, klingt der Vers dem „deutschen Ohr“ vollkommen unauffällig und vertraut. Jetzt aber dieser Vers:

Welcher gemalt hier steht in der Kirche, des Orts Wohltäter.

– Wieder ist die fünfte Einheit zweisilbig (und die vierte dreisilbig), aber diesmal hat Platen die Unregelmäßigkeit an dieser Stelle noch verstärkt durch einen „geschleiften Spondäus“!

Welcher ge- / malt hier / steht || in der / Kirche, des / Orts Wohl- / ter.

– Und das klngt dann doch schon ganz ordentlich schräg und ist eine Herausforderung im Vortrag?! Aber Platen hat eben sehr „antikisierend“ gedacht und gedichtet, und ich will keinesfalls sagen, die Verse klingen schlecht; sie haben durchaus ihre eigene Kraft und Schönheit. Nur wirken sie im ersten Hören eben fremd.

Der Schluss dieses ersten Teils gefällt mir ausnehmend gut:

Lange bemühten die starken gewaltigen Männer umsonst sich,
Triefend von Schweiß, und zuletzt ließ Jeglicher ab von der Arbeit.
Siehe, da kamen heran unmündige lockige Kinder,
Spannten, als wär’s zum Scherz, an das Seil sich, zogen den Sarg dann
Leicht an den Strand, ganz ohne Beschwerde, mit freundlichem Lächeln.

– Vielleicht auch, weil hier nur ein einziger „geschleifter Spondäus“ vorkommt, der nicht weiter auffällt, dem Text aber trotzdem eine schöne klangliche Abwechslung verschafft?!

Das Königreich von Sede (57)

Tiefe Nacht. Die Frösche schlafen
in der Gruppe, dicht gedrängt;
Einer dreht sich auf die Seite,
Stößt den zweiten an, der dreht sich
Hin zum dritten, und so weiter,
Bis sich jeder Frosch geregt hat,
Jeder Frosch sich umgedreht hat
Und sie alle wieder schlafen,
Still; noch ist es tiefe Nacht.

Bücher zum Vers (55)

Raoul Schrott: Die Erfindung der Poesie.
Gedichte aus den ersten viertausend Jahren.

Raoul Schrott hat, um es wertungsarm auszudrücken, keine Scheu davor, Unübliches zu denken und Ungewöhnliches zu behaupten; das haben etwa 2008 seine Ilias-Übertragung und die damit einhergehenden Thesen zu Homer und Troja gezeigt.

Behält man das im Hinterkopf und macht sich des öfteren einmal eine geistige Anmerkung, zum Gelesenen an anderer Stelle eine zweite Meinung einzuholen, kann man „Die Erfindung der Poesie“ durchaus mit Gewinn lesen; die Verfasser und Werke, die Schrott auf seiner Reise zu den Anfängen der Dichtung vorstellt, sind allemal einen Blick wert, 30 Seiten über „Archilochus“ zum Beispiel oder 35 Seiten über „Guihelm IX., Graf von Poiters und Herzog von Aquitanien“ findet man zum einen nicht oft und zum anderen nicht zwischen den Deckeln ein- und desselben Buches …

Und wenn hier und da etwas ein wenig merkwürdig daherkommt, oder die Übersetzung zu übertrieben modern-flapsig klingt – siehe oben.

Erschienen ist „Die Erfindung der Poesie“ zuletzt 1999 im Deutschen Taschenbuch Verlag!

Heute

Heute durchschlenderte Regen pantoffelfüßig den Himmel,
Trug an die Melancholie freundliche Grüße mir auf.

Erzählformen: Die alkäische Strophe (9)

In Theodor Fontanes erstem Roman, „Vor dem Sturm“, hat die alkäische Strophe in Form von Friedrich Hölderlins „An die Parzen“ einen recht bemerkenswerten Auftritt – ich denke, es lohnt gleich aus mehreren Gründen, den kurzen Auschnitt zu lesen!

 

Hansen-Grell hatte mittlerweile alles gefunden, was ihm wünschenswert erschien, und präsentierte jetzt, nachdem er, ängstlich die Diele haltend, den weiten Weg zwischen Ofen und Fenster zurückgelegt hatte, seinem Gaste eine bis an den Rand hin gefüllte Tasse Kaffee.

Dieser nahm, schlürfte und lobte und sagte dann: „Ich bin überrascht, Sie bei Hölderlin zu finden. Nach dem Bilde, das ich mir von Ihnen gemacht habe, mussten Sie mit der ums Morgenrot fahrenden Lenore für dieses und jenes Leben verbunden sein. Ich kann Ihnen auch allenfalls den wilden Jäger oder die Chevyjagd gestatten, aber Hölderlin? Nein.“

Hansen-Grell hatte sich auf den gegenüberliegenden Binsenstuhl gesetzt und sagte, während er seine beiden Hände auf das bequem übergeschlagene Knie legte: „Sie berühren da einen feinen Punkt, wenn Sie wollen, einen Widerspruch in meiner Natur. Vielleicht auch in mancher andern. Es ist ganz richtig, dass ich meiner Empfindung und, wenn ich von so Unbedeutendem sprechen darf, auch meiner Dichtung nach ganz in die neue Schule hineingehöre; ich halte es wohl oder übel mit den Romantikern und werde nie von etwas anderem träumen als von nordischen Prinzessinnen und siegreichen Schlangentötern. Und wird es mir gelegentlich des romantischen Apparates zu viel, so pfleg‘ ich mich, nach der Lehre vom Gegensatz, mit einer Art Passion auf Rokokodinge zu werfen und vor Puder und Reifrock nicht zu erschrecken. Aber etwas Klassisches nie, weder nach Form noch Inhalt.“

Lewin lächelte und wies auf das zwischen ihnen liegende Buch.

„Ich komme darauf“, fuhr Hansen-Grell fort, „das ist es ja eben, was mich von einem Widerspruche sprechen ließ. Ich werde nie klassisch empfinden, nie auch nur den Versuch machen, einen Hexameter oder gar eine alkäische Strophe aufzubauen, und doch, wo immer ich mit dieser Welt des Klassischen in Berührung komme, fühl‘ ich mich in ihrem Banne und sehe, solange dieser Zauber anhält, auf alles Volksliedhafte wie auf bloße Bänkelsängereien herab. Ich habe dann plötzlich aller naiven Dichtung gegenüber ein Gefühl, als ob ich hübsche Dorfmädchen auf einem Hofball erscheinen sähe; sie bleiben hübsch, aber die Buntheit und die Willkürlichkeit ihres Aufputzes lässt selbst ihren wirklichen Reiz als untergeordnet erscheinen.“

„Ich kann Ihnen darin nicht zustimmen“, erwiderte Lewin. „Sie sprachen schon selbst das Wort aus, auf das es mir anzukommen scheint, solange der Zauber anhält. Da liegt es. Auch in der Kunst gilt das Toujours perdrix, und jedes Zuviel weckt das Verlangen nach einem Gegenteil.“

„Möglich, dass Sie es mit dem Toujours perdrix getroffen haben“, sagte Hansen-Grell, „aber nach meiner eigenen persönlichen Erfahrung muss ich es doch in etwas anderem suchen. Vielleicht haben Sie Ähnliches beobachtet. Unsere dichterische Produktion, und das ist der Punkt, auf den ich Gewicht lege, entspricht unserer Natur, aber nicht notwendig unserem Geschmack. Dieser kann sich über jene erheben. Wollen wir einen Einklang herstellen, soll unser Geschmack, der unsere Lektüre bestimmt, auch unsere Produktion bestimmen, so lässt uns die Natur, die andere Wege ging, im Stich, und wir scheitern. Wir haben dann unseren Willen gehabt, aber das Geborene ist tot.“

Lewin wollte antworten, Hansen-Grell indes fuhr in Entwickelung seines Gedankens mit Lebhaftigkeit fort: „Im übrigen, was unseren schwäbischen Hyperion angeht«, und dabei schlug er mit dem Finger auf das vor ihm liegende Bändchen, „so löst sich der Widerspruch, den ich Ihnen anfänglich zugestand, auf eine vielleicht viel einfachere Weise. Hölderlin, aller Klassizität seiner Form unerachtet, ist Romantiker von Grund aus. Darf ich Ihnen meine Lieblingsstrophen vorlesen?“

„Ich bitte darum.“

Es dunkelte schon. Da Hansen-Grell aber die Strophen so gut wie auswendig wusste, so genügte jede Beleuchtung, und er las:

Nur einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen,
Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,
Dass williger mein Herz, vom süßen
Spiele gesättiget, dann mir sterbe!

Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht
Nicht ward, sie ruht auch drunten im Orkus nicht;
Doch ist mir einst das Heil’ge, das am
Herzen mir liegt, das Gedicht, gelungen:

Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt!
Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel
Mich nicht hinabgeleitet; einmal
Lebt‘ ich wie Götter, und mehr bedarfs nicht.

Er legte das Buch aus der Hand und fuhr ohne Pause fort: „Das sind alkäische Strophen, klassisch in Bau und Form, und doch klingt es in ihnen romantisch trotz Orkus und aller Schatten- und Götterwelt der Klassizität.“ Nun erst sah er auf Lewin.

Dieser schwieg noch immer. Aber sein Schweigen sagte mehr, als es die enthusiastischsten Worte gekonnt hätten. Endlich sprach er vor sich hin: „Wie schön, und wie ist die Stimmung getroffen!“

Erzählverse: Der trochäische Vierheber (35)

„Der Kaiser von China spricht:“ ist ein ziemlich bekanntes Gedicht von Hugo von Hofmannsthal; über das man auch viel nachlesen kann, zum Beispiel über das zugrundeliegende China-Bild oder Hofmannsthals Vorstellungen bezüglich seiner Dichtung und der Dichtung im allgemeinen – zwei Möglichkeiten dafür wären Balsam für die europäische Kultur oder die Ausführungen Dieter Schreys (ein gutes Stück die Seite runter).

Aber man kann das Gedicht sicherlich auch mit Blick auf die Art anschauen, wie Hofmannsthal den Vierheber benutzt hat:

 

In der Mitte aller Dinge
Wohne Ich, der Sohn des Himmels.
Meine Frauen, meine Bäume,
Meine Tiere, meine Teiche
Schließt die erste Mauer ein.
Drunten liegen meine Ahnen:
Aufgebahrt mit ihren Waffen,
Ihre Kronen auf den Häuptern,
Wie es einem jeden ziemt,
Wohnen sie in den Gewölben.
Bis ins Herz der Welt hinunter
Dröhnt das Schreiten meiner Hoheit.
Stumm von meinen Rasenbänken,
Grünen Schemeln meiner Füße,
Gehen gleichgeteilte Ströme
Osten-, west- und süd- und nordwärts,
Meinen Garten zu bewässern,
Der die weite Erde ist.
Spiegeln hier die dunkeln Augen,
Bunten Schwingen meiner Tiere,
Spiegeln draußen bunte Städte,
Dunkle Mauern, dichte Wälder
Und Gesichter vieler Völker.
Meine Edlen, wie die Sterne,
Wohnen rings um mich, sie haben
Namen, die ich ihnen gab,
Namen nach der einen Stunde,
Da mir einer näher kam,
Frauen, die ich ihnen schenkte,
Und den Scharen ihrer Kinder,
Allen Edlen dieser Erde
Schuf ich Augen, Wuchs und Lippen,
Wie der Gärtner an den Blumen.
Aber zwischen äußern Mauern
Wohnen Völker meine Krieger,
Völker meine Ackerbauer.
Neue Mauern und dann wieder
Jene unterworfnen Völker,
Völker immer dumpfern Blutes,
Bis ans Meer, die letzte Mauer,
Die mein Reich und mich umgibt.

 

Dabei geht es dann um dieselben Fragen wie immer beim Vierheber:

– Welche Verse zum Beispiel betont schließen, und warum; manchmal schließt mit ihnen ein Sinnabschnitt, was ja üblich ist, manchmal fließt der Satz aber auch einfach weiter:

Namen, die ich ihnen gab,
Namen nach der einen Stunde,
Da mir einer näher kam,

– Was wiederholt wird, und wie es wiederholt wird:

Spiegeln hier die dunkeln Augen,
Bunten Schwingen meiner Tiere,
Spiegeln draußen bunte Städte,
Dunkle Mauern, dichte Wälder

– Wo der Text gehäuft die Deckung von metrischer Einheit und Worteinheit zulässt, die deutlich hörbare, eigentlich eher unerwünschte „Klapperei“:

Aber zwischen äußern Mauern
Wohnen Völker meine Krieger,
Völker meine Ackerbauer.

– Wie abwechslungsreich die unbetonte Schlusssilbe gestaltet ist, wie oft trägt sie wie viel an Nebenbetonung:

Bis ins Herz der Welt hinunter
Dröhnt das Schreiten meiner Hoheit.
Stumm von meinen Rasenbänken,
Grünen Schemeln meiner Füße,

Ich denke, da kann man sich einiges abschauen bei Hofmannsthal; und für die eigenen Vierheber nutzbar machen?!

Erzählformen: Die alkäische Strophe (8)

August von Platen hat die Odenmaße sehr von ihrer antiken Form her gedacht. Hier zwei Strophen aus einer seiner Oden:

 

Reiz lockt und Schönheit, deren die Welt entlang
Kein reicher Maß ausspendete Gott als hier;
Doch schmerzt die Habsucht jeden, welchem
Liebe beglückender als Genuss dünkt.

Huldreiches Wort anhören mit offener Hand,
Was kennt das Herz Unedleres? Ach, es klagt,
Dass, gleich der Pest, Leichtsinn entstelle
Solche Gebärden und solche Züge!

 

Wenn man sich noch einmal die „antike“ Strophe in Erinnerung ruft …

# — v — # | — v v — v #
# — v — # | — v v — v #
# — v — # — v — #
— v v — v v — v — #

mit ihrer Möglichkeit, an den mit „#“ gekennzeichneten Stellen eintweder eine lange (—) oder eine kurze (v) Silbe zu gebrauchen, erkennt man, Platen hat wirklich von hier aus gedacht. Der Aufbau der ersten Strophe, in „Längen-Kürzen-Schreibweise“:

— — v — — | — v v — v —
— — v — — | — v v — v —
v — v — — — v — v
— v v — v v — v — —

Sicher, da könnte man auch einige Silben als „kurz“, also als im Deutschen unbetont ansehen; aber eigentlich hat Platen eher noch mehr „Längen“ unterbringen wollen, als ich ihm hier gegönnt habe?!

Das Herbeischaffen von Längen hat er auf ganz verschiedenen Wegen versucht: am Anfang und am Ende hat er – „Reiz lockt“, „Genuss dünkt“ – sehr „schwere“ Einsilber (umfangreich, Sinnsilbe) auf eine Senkungsstelle gesetzt; bei „ausspendete“ nutzt er den „geschleiften Spondäus“, der also nicht nur im Hexameter von den „Antikisieren“ verwendet wurde!

In der zweiten Strophe hat er einen solchen Spondäus gleich viermal, zweimal im ersten, einmal im zweiten und einmal im dritten Vers:

— — v — — | — v v — v v —
— — v — — | — v v — v —
— — v — — — v — v
— v v — v v — v — v

(Warum der erste Vers hier eine Silbe zuviel hat – „offene“ – weiß ich nicht wirklich …)

Das stellt an den Vortrag sicher einige Anforderungen?! Ein Text von so großer, künstlich erzeugter Schwere muss erst einmal fremd klingen; doch wenn man Geduld hat und so lange versucht, bis die Verse annehmbar klingen, ohne ihre Eigenart zu verlieren: dann bemerkt man, dass sie sehr kraftvoll sind und auf ihre eigene Art auch schön.

Trotzdem kann ein solcher Vers- und Strophenbau nicht Maßstab sein, und im nächsten EIntrag zur alkäischen Strophe gibt es dann wieder Beispiele, die von den Gegebenheiten des Deutschen her gedacht und geschrieben sind!