Erzählverse: Der trochäische Fünfheber (2)

Der trochäische Fünfheber ist, wie so viele andere Verse und Formen auch, nach Deutschland eingewandert. Der deutsche trochäische Vierheber hat seine Wurzeln vor allem im antiken Griechenland, in Spanien und in Finnland; der trochäische Fünfheber dagegen kam aus der serbischen Volksdichtung ins Deutsche, unter anderem durch Herder und Goethe, die beide Dichter genug und berühmt genug waren, dem Vers gleich einige Anerkennung zu sichern.

Im Serbischen hat der Vers eine feste Zäsur nach der vierten Silbe:

X x / X x || X x / X x / X x

Von ihr weiß der deutsche Vers nichts, aber mindestens eine Zäsur hat er doch; und sie liegt häufig in der ersten Vershälfte, meint: hinter der dritten, vierten oder fünften Silbe.

X x / X || x / X x / X x / X x

X x / X x || X x / X x / X x

X x / X x / X || x / X x / X x

Dadurch gewinnt der Vers gleich einiges an Vielfältigkeit, von den anderen Möglichkeiten der Zäsurierung (eigentlich ist alles erlaubt) ganz zu schweigen!

Nachspüren kann man solchen Einschnitten zum Beispiel in den Werken von Eduard Mörike. Der hat nicht sonderlich viele Texte im trochäischen Fünfheber geschrieben, aber einige doch; und sein sicheres Gefühl für Versgestaltung und Versbewegung bewährt sich auch hier!

„Die Rückkehr“, eine „zu einem Bilde“ entstandene „Steyerische Szene“, beginnt so:

 

Warm, im Sonnendunste, schwimmt der Abend
Noch im Tal und zögert lang, zu scheiden.
Und vor seiner Hütte sitzt der Schäfer
Ruhig auf der Bank, sein Pfeifchen schmauchend,
Während drin am Herde sich die Hausfrau
Sputet, dass das Essen fertig werde.
In der Pfanne zischt das Schmalz, es siedet
In dem Topf die fette Schöpsenkeule.
Festlich ist der Tisch gedeckt, die Wände
Schmücken langgewundne Tannenreiser,
Rote Vogelbeeren, Blumen, Bänder;
Denn heut‘ kommen vom Gebirg die Hirten
Alle heim, nach sommerlanger Weide.
Zug um Zug die wohlgepflegten Rinder,
Allgemach die Steige nieder schwankend,
Grüßen mit Gebrüll die Heimat wieder.

 

Ganz verschiedene, sehr abwechslungsreiche Zäsuren?! Am Schluss, in den letzten fünf Versen, engt es sich dann  ein auf zwei Möglichkeiten; die Zäsur erfolgt nach der fünften, der dritten, der dritten, der dritten und wieder der fünften Silbe.

Nebelwelt

Am Fenster steht Frau Flaum schon viele Stunden,
Geduldig schaut sie in die stille Welt:
Aus ihrem Blick ist jedes Ich verschwunden.

Der Nebel zieht herbei vom nahen Feld,
Um sacht durchs leere Auge einzuschweben
Und aufzulösen, worauf er auch fällt.

Begierden, Ängste, Zögern oder Streben,
Zu Schemen werden sie und Schattenlicht.
Doch ruht ein Lachen tief in jedem Leben:

Befreit nun steigt es, spürt den Nebel nicht,
Verbreitet sich und füllt das ganze Wesen,
Wird Körper, wird ein strahlendes Gesicht,

Und schallend lacht Frau Flaum und ist genesen
Vom Trübsinn, den der graue Herbst gebiert;
Setzt Wasser auf, macht Tee und schwingt den Besen

Und weiß, dass jemand Liebes kommen wird.

Erzählverse: Der trochäische Fünfheber (1)

Der trochäische Fünfheber kann als ungereimter, gereihter Erzählvers verwendet werden. Er hat diese Gestalt:

X x / X x / X x / X x / X x

Damit ist er anderen Versen recht ähnlich, hat aber doch seine eigenen Ansprüche, Möglichkeiten und auch Tücken. Zwei Vergleiche mit Versen, die der Verserzähler schon seit längerem vorstellt, geben da einen ersten Eindruck!

x X / x X / x X / x X / x X / (x)

Das ist der Blankvers, im Vergleich zum trochäischen Fünfheber ein recht vielgestaltiger Vers, da er

– mit einer betonten oder unbetonten Silbe schließen kann; der trochäische Fünfheber schließt immer unbetont.

– viele Möglichkeiten zur Auflockerung des strengen „Auf und Ab“ besitzt: Versetzte Betonungen (vor allem am Versanfang), doppelt besetzte Senkungstellen, gelegentliche verlängerte oder verkürzte Verse … All das steht dem trochäischen Fünfheber kaum zur Verfügung: Er hat immer zehn Silben und schreitet fast ausnahmslos im strengen Auf und Ab daher, beginnend mit einer betonten Silbe.

Wie schafft es der trochäische Fünfheber dann aber, die über längere Erzählstrecken nötige Vielgestaltigkeit zu verwirklichen? Teilweise gar nicht, es ist einfach ein deutlich spröderer Vers als der Blankvers; teilweise durch die abwechslungsreiche Gliederung des Verses durch Zäsuren – bei einer Länge von zehn Silben gibt es da schon einige Möglichkeiten!

Der zweite Vergleichsvers ist der trochäische Vierheber:

X x / X x / X x / X x

Die selbige Grundbewegung, aber nur acht statt zehn Silben – ein kleinerer Raum also! Verglichen damit kann der trochäische Fünfheber

– etwas ausgestaltender erzählen: die zusätzlichen zwei Silben geben Raum für ein wenig mehr Schmuck, ein Adjektiv hier, eine Adverbiale da.

– etwas näher am Prosatonfall erzählen – der Vers wird nicht ganz so stark wie der Vierheber von den Anforderungen des Satzes verformt; Wiederholungen sind seltener, genauso wie Umstellungen gegenüber dem gewöhnlichen Satzbau.

Die Gefahr der größeren Länge ist: Der Vers klingt bei zu häufiger Verwendung der im Deutschen so häufigen „trochäischen Wörter“ der Form „X x“: leicht eintönig, besonders, wenn keine deutlichen Zäsuren vorhanden sind!

Aber zu den Feinheiten ein andermal. Hier, zum Schluss und als erstes Beispiel, die ersten Verse von Carl Spittelers „Kosmoxera oder Die Armbandgeschichte. Eine Kriminalnovelle aus dem himmlischen Pitaval“.

 

In den Zeiten, als der Weltraum jung war
Und die Jahre, keck und rosenwangig,
Spielten Kreisel in den Glockentürmen,
War durch keinen Graben noch geschieden
Von der Himmelsstadt die Weltenlandschaft
Und die Brücke hin und her vernichtet;
Frei lustwandelten die Himmelsbürger
Vor den Toren in den dunklen Wäldern,
Welche, noch verschont vom Fluch des Lebens,
Still und einsam standen und vertraulich,
Eine Wohnstatt allen Liebespaaren.

 

Da wird schon manches erkenn- und hörbar?! Eine Sache, die Beachtung verdient, ist sicher die große Zahl an Einsilben zu Versbeginn; dass eben kein „X x“-Wort den Vers einleitet!

Erzählverse: Der Hexameter (84)

Der Hexameter kann alles!

Und weil das so ist, kann er auch: kitschig sein. Sehr sogar … Belegbar ist das etwa an August Gottlob Eberhards „Hannchen und die Küchlein“, zu seiner Zeit ein sehr beliebtes und oft nachgedrucktes Werk. An seinem Anfang erwartet Hannchen, die „Pfarrerswaise“, Antonie, ihre Jugendfreundin, die nach drei Jahren in der Fremde eben heimkehrt; ein Warten aber mit durchaus gemischten Gefühlen, ist doch unklar, wie das höhergestellte „gnädige Fräulein“ inzwischen über den Rangunterschied denkt. Aber alles wird gut:

 

Doch kaum seufzte sie so, da knarrete draußen die Pforte,
Eilet‘ es über den Hof, und nahet‘ es schon sich dem Stübchen.
Auf flog plötzlich die Tür, und: „Hannchen!“ „Antonie!“ tönt es!
Tönte mit steigendem Jubel: „Antonie!“ „Hannchen!“ noch einmal!
Und dann lagen sie Brust an Brust in entzückter Umarmung,
Wechselten zärtliche Wort‘ und Küss‘ und freudige Tränen,
Gleich zwei blühenden Blumen mit traulich verschlungenen Blättern,
Lieblichen Balsamduft zuströmend die eine der andern.

 

Ja. Genau. Und das ist dann schon so übertrieben, dass ich dem Text noch nicht einmal mehr böse sein kann …

Eberhards Hexameter sind, sieht man vom Inhalt ab, aber sicher gebaut und wirksam; will man nur seinem ganz eigenen Tonfall nachspüren, lohnt sich ein Besuch beim „Hannchen“ sicherlich!