Schemel, der nicht schlafen kann,
Macht sich in die Nacht auf,
Hin zum Graben, wo er dann
Wartet. Und bald wacht auf
Jeder, der das Dunkel war:
Frösche, über deren Schar
Steigt der Sonne Pracht auf.
Archiv für den Monat Februar 2017
Erzählverse: Der Hexameter (158)
„Eginhard und Petronilla, oder Die Eifersucht auf der Probe“ ist ein kurzes Hexameter-Stück von Johannes Daniel Falk, bei dem schon der Titel vermuten lässt, hier gehe es nicht allzu ernst zu … Der junge Ehemann täuscht die alte Ehefrau, um mit deren Zofe Annettchen zusammensein zu können:
Als nun ambrosisch die Nacht aufdämmerte, schlich die Gemahlin
Leis‘ und als Zofe vermummt in den Park, der Gemahl in Annettchens
Kämmerlein. Das, was ihr weiter begegnete, lässt sich erraten.
„Kleine Schäkerin du“, rief Eginhard, „büßen anjetzo
Sollst du mir List und Betrug!“ – und sie ließ es sich gerne gefallen.
Während in Hitz‘ und in Frost die betrogene Alte nun zähnklappt,
Schlummerte traulich dies Paar und in Liebe gesellt auf dem Lager.
Inhaltlich muss das nicht weiter vertieft werden, glaube ich; aber ich mag Falks Hexameter, angefangen vom Bau des dritten (mit seinem Einschnitt nach dem ersten Daktylus) bis zum „zähnklappt“ des vorletzten und der dem Vers gerecht werdenden freieren Satzstellung des letzten. Oder dem „geschleiften Spondäus“ „Nacht auf- / dämm-“ des ersten. Oder noch anderes; feine Verse, deswegen!
Erzählformen: Das Distichon (71)
Epigramme wissen voneinander. Das überrascht nicht wirklich: Soooo viele kluge Dinge gibt es dann auch nicht zu sagen, und die Wahrscheinlichkeit ist groß, man wiederholt etwas schon gesagtes. Oder, noch wahrscheinlicher: Man ist über die Epigramme der toten und lebenden Dichter im Bilde und nimmt so aus einem Vorrat von Gedanken, um für einen davon die ganz eigene Form zu finden.
Lebensregel
Frei in unendlicher Kraft umfasse der Wille das Höchste,
Doch nach dem Nächsten nur greife bedächtig die Tat.
– Sagt Franz Grillparzer. Auch die um die Frage nach dem „Höchsten“ geht es bei Emanuel Geibel, in seinem „Wintertagebuch“:
Immer behalte getreu vor Augen das Höchste, doch heute
Strebe nach dem, was heut‘ du zu erreichen vermagst.
Ähnlichkeiten sind vorhanden … Das bessere Distichon aber hat Grillparzer geschrieben: Die Möglichkeiten der Entgegensetzung, die das Verspaar aus Hexa- und Pentameter bietet, sind voll genutzt – „das Höchste – das Nächste“, „der Wille – die Tat“, „umfasse – greife“, „frei – bedächtig“, „nur – unendlich“; dagegen bleibt Geibels Distichon ein wenig blass, die Verkürzung des „heut“ nur aus Metrumsgründen und das „du“ auf einer ihm nicht ganz angemessenen Hebungsstelle verstärken diesen Eindruck!
Bild & Wort (221)
Das Königreich von Sede (98)
Ein Stein, den eines Kindes kleine Hand
Bequem umschließt, von scharfen Kanten frei,
Sein dunkles Grau ist hier, ist da fast schwarz,
Liegt lange schon am Rand des Königswegs
Und hört den Menschen zu, die ihren Schritt
An ihm vorüberlenken – zwei, auch drei
Im fröhlichen Gespräch, ein Einzelner,
Der wanderfroh die alten Lieder singt,
Ein frischverliebtes Paar, das Bodens Burg
So weltvergessen spielt, dass es das Ziel
Der Reise lange schon im Rücken hat:
Zu allem, was sie sagen, schweigt der Stein,
Und schweigt zu Liedern und zum Rätselspiel,
Und kommt ein Mensch vorbei und spricht kein Wort,
Geschieht’s, dass ihm der Stein zum Schweigen schweigt.
Erzählverse: Der iambische Siebenheber (9)
Johann Baptist Vogl hat mit seinem „Der Doktorwein“ ein Beispiel für eine harmlos-heitere, im iambischen Siebenheber gestalteten Erzählung gegeben:
Ein alter König, fromm und gut, todkrank darnieder lag;
Doktoren schrie ein ganzes Heer sich heiser Nacht und Tag.
Ein jeder rief: „Ich bin’s allein!“ und gab ihm dies und das,
Doch aller Mittel ungeacht der Kranke nicht genas!
Das hört‘ ein greiser Rittersmann, des Königs Kampfgenoss,
Der lacht und ruft den Knappen zu: „Schnell, sattelt mir mein Ross!“
Drauf stieg in den den Keller tief, da lag ein Fässchen Wein,
Das nimmt er auf und reitet froh damit zur Hofburg ein.
„Zum kranken König führet mich, ich bring‘ ihm Arzenei;
Und so der Herr mir folgen will, wird er vom Sichtum frei!“
Man ahnt, wie die Geschichte ausgeht: Der König wird über dem Leeren des Fässchens gesund. Das alles hat sich Vogl nicht ausgedacht, es ist nur seine Augestaltung einer alten Legende; und auch sein eigenes Ende war durch den Wein nicht aufzuhalten, wenn auch ratlose Doktoren im Spiel waren.
Die Kräfte sanken zusehends, und schneller, als er es selbst, als die behandelnden Ärzte, als es seine Freunde erwarteten, verschied er (wahrscheinlich an Blutzersetzung) nach leichtem Todeskampfe in den Armen seiner herbeigeeilten Mutter, und umgeben von treuen Freunden, am 12. April früh 7 1/4 Uhr. Möge ihm die Erde leicht sein!
So schließt der Nekrolog, der in der Bayrischen Zeitung zu lesen war. Nicht jeder ist ein König, nicht alles ist eine Geschichte … Trotzdem:
Der König trank mit langem Zug den gold’nen Becher leer –
Sein Auge glänzt, er ruft entzückt: „Gib mir des Trankes mehr!“
Erzählverse: Der Blankvers (95)
„Hieronymus Lorm“, bürgerlich weniger wohlklingend Heinrich Landesmann, hat eine karge Verserzählung geschrieben des Titels „Die Trappisten“, in der es ziemlich am Anfang von einem durch einen Freund betrogenen Grafen heißt:
Nicht klagt der Graf, er deckt den Trug nicht auf,
Er rächt sich nicht und spricht kein einzig Wort.
Er hat Paris verlassen, wandernd zieht er
Zum Norden Frankreichs, wo auf fels’ger Höh‘
Abtei La Trappe sich hebt, so schweigsam düster,
Vereinsamt, streng und ernst wie ihre Mönche,
Die alle Lebensfülle dieser Welt
Und alles Strebens Ziel zusammendrängen
In ihr gebräuchlich Wort: „Des Tods gedenke!“
Denn weiter nichts zu sagen hat die Welt.
„Kein einziges Wort sprechen“ ist hier in Bezug auf den „Trug“ gemeint, trotzdem aber eine gute Voraussetzung für einen Besuch bei den Trappisten … Ein auch im Ausdruck seiner Blankverse eher düsterer Text, der bis zum allerletzten Vers warten muss, ehe es doch noch so etwas wie ein glückliches Ende gibt.
Erzählverse: Der Hexameter (157)
Es gibt unzählige Sonette über das Sonett, und nicht viel weniger Distichen über das Distichon; bei anderen Formen sind solche „Selbstbezüge“ seltener, aber immer doch vorhanden. Emanuel Geibel hat zum Beispiel „Deprekation“ geschrieben, und als Untertitel / Gattungsbezeichnung „Epistel“ hinzugefügt; und diese Epistel handelt – vom Briefeschreiben. Der Anfang:
Stets von allem Geschäft in der Welt das verhassteste war mir,
Briefe zu schreiben. So leicht mir das Wort in lebendiger Rede
Fließt, wenn die Sache mich reizt, so schwer entströmt es der Feder,
Langsam, brüchig und kalt, als ob auf dem längeren Umweg
Aus dem Herzen aufs Blatt mir Gefühl und Gedanke gefrören.
Kaum, dass ich munter begann, gleich blickt die verwünschte Kritik mir
Über die Schulter herein, und den Ausdruck allzu bedenklich
Wägend verpfusch‘ ich ihn leicht zu farblos steifer Korrektheit,
Statt im behaglichen Fluss frischweg von der Leber zu plaudern
Ganz, wie der Schnabel mir wuchs. (…)
Das sind, wie immer bei Geibel, formsichere, aber nicht besonders aufregende Verse, die zum Verständnis des Hexameters aber gerade darum viel beitragen können. Ihr Inhalt jedenfalls scheint in Bezug auf Geibel als Briefeschreiber wahr gewesen zu sein – der Schauspieler Max Grube schreibt diesbezüglich:
Besonders peinigten ihn die Antwortschreiben auf die ihm zur Prüfung übersandten Manuskripte, welche oft von recht unberufener Hand herrührten, die er aber doch mit rührender Gewissenhaftigkeit behandelte.
Einmal hatte ihm eine Dame vier Bände Poesie geschickt, noch dazu in augenmörderischer Schrift. Geibel war empört. „Diese Frechheit, rief er einmal über das andere, „aber ich habe es ihr auch geschrieben – eine wahre Unverschämtheit!“ Nach einer Weile setzte er hinzu: „Item, lieber Grube, Sie können mir ehrlich sagen, ob ich nicht zu grob geworden bin. Ich habe den ganzen Vormittag über den Brief gedacht.“ Und nun produzierte er ein Schreiben,
Mit dem könnt‘ eine Edelfrau
Am höchsten Feiertage geh’n.
Er erklärte es jedoch für den Inbegriff aller Grobheit und ich fürchte, er hat es sich noch einen Vormittag kosten lassen, um den herben Inhalt in noch freundlichere Worte zu fassen.
Das eingeschobene Zitat ist aus dem Faust I, wo der erste Vers vollständig „Ein Schmuck! Mit dem könnt‘ eine Edelfrau“ lautet. Aber man versteht, wie Geibel auf seine eigene, in der Epistel geäußerte Einschätzung kommt … Anders erging es ihm, so seine Aussage später in der Epistel, mit seinen Dichtungen, die nicht am Schreibtisch entstanden, sondern
Draußen im Freien, auf schweifendem Gang, wenn der Odem des Frühlings
Leis hinzog durch den Wald, mich bezaubernd, oder zur Herbstzeit,
Wenn von den Wipfeln das Laub sacht rieselte, goldenen Tränen
Ähnlich, und tief im Gemüt die entschlummerte Schwermut weckte.
Oder im Bette, des Nachts, aufdämmert‘ es mir, und am Morgen
War es zu Rhythmen erblüht, und fertig schrieb ich es nieder.
Bild & Wort (220)
Erzählformen: Das Distichon (70)
Eine Art von Nachtrag zu (62), wo es um den Antispast im Distichon ging:
An einen Prediger
Lieber! Ganz im Vertrauen gesagt: Es buhlt mit dem Ehrgeiz
Deine Andacht; du trägst Hörnlein, und Satanas lacht.
Das ist eines der ganz wunderbaren Distichen aus der Feder Eduard Mörikes (den man, meint man es ernst mit dem Disitichenschreiben, unbedingt studieren muss!), und auch hier findet sich ein dreigeteilter Pentameter, dessen zweiter Teil, der über dem Einschnitt liegt, die Form eines Antispasts hat: „du trägst || Hörnlein“, ◡ — — ◡. Zusammen mit dem Zeilensprung vom Hexa- in den Pentameter bleibt da nicht viel übrig von der Zweigliedrigkeit des Distichons; und trotzdem ein Verspaar von großer Schönheit und Geschlossenheit.