Erzählformen: Siebenzeiler (3)

Auch die beim Verszähler schon häufiger vorgestelle vierzeilige Brunnenstrophe lässt sich nach Art der in (1) und (2) gezeigten Strophen zu einem Siebenzeiler mit der Reimfolge ababccb erweitern, wie zum Beispiel in Gottfried Kellers „Parteigänger“:

 

Ich bin ein wilder Reiter,
Auch beißt und schlägt mein Gaul,
Ich bin ein grober Streiter
Und führ‘ ein grobes Maul;
Und sind auch allerwegen
Mir rostig Schild und Degen –
Drein schlag‘ ich drum nicht faul!

 

Der dreizeilige „Abgesang“ kann aber auch eine andere Reimanordnung haben, zum Beispiel ababcxc, wie in Wie schön blüht uns der Maien:

 

Wie schön blüht uns der Maien,
Der Winter fährt dahin.
Mir ist ein schöns Jungfräulein
Gefallen in meinen Sinn.
Bei ihr, da wär ich wohl,
Wenn ich nur an sie denke,
Mein Herz ist freudenvoll.

 

Also mit einer „Waise“, einem ungereimten Vers als sechster Zeile. Und der Abgesang ist auch nicht daran gebunden, die Verse des Vierzeilers genau zu kopieren – gegenüber der gerade gezeigten Strophe hat die folgende, von Gustav Schwab in „Die Maid von Bodman“ genutzte eine um einen Iambus verlängerte fünfte Zeile, sprich: einen Vierheber unter lauter Dreihebern!

 

In Beten und in Sehnen
Die Jungfrau harrt im Haus,
Bis bei den Sarazenen
Der lange Streit ist aus.
Es kehret heim der Kämpfer Schar,
Sie schaut hinaus nach Einem,
Den wird sie nicht gewahr.

 

Dadurch verkürzen sich die drei Verse des Abgesangs immer um eine Silbe, was eine ganz eigene Bewegung zur Folge hat … Ich mag diese Strophe gerne, schreibe sie gerne und empfehle sie allen am Siebenzeiler Interessierten weiter!

Erzählverse: Der trochäische Achtheber (1)

Caspar Gottlieb Lindner hat 1739 ein langes Gedicht veröffentlich, das dabei auch einen langen Titel hatte: „Poetische und historische Beschreibung der höchstmerkwürdigen und überaus blutigen Tartarischen Schlacht bei Liegnitz in Schlesien, welche sich im Jahr 1241, den 9. April, unter dem heldenmütigen Herzoge, Heinrich dem Frommen, ereignet hat“.

Das klang dann so:

 

Zittre doch, erschrockne Erde! Bebe doch, bestürztes Feld!
Winselt, jammert, Jung‘ und Alte! Seht! da liegt der edle Held,
Seht! da liegt der fromme Fürst, seht! da schmerzt ihn seine Wunde,
Seht! da nimmt man ihm das Schwert, seht! da plündern ihn die Hunde,
Ach! da tritt man Schild und Lanze, Bogen, Pfeil und Helm entzwei,
Ach! da bringen ihm die Mörder noch viel andre Wunden bei,
Ach! da wird aus Rachbegier, seht für mich, ich mags nicht schauen,
Ach! da wird das edle Haupt unsres Herzogs abgehauen,
Ach! da wird es, o! der Bosheit, o! des Schimpfes, o! der List,
Den Geflüchteten zum Schrecken auf den längsten Speer gespießt.

 

Der trochäische Achtheber sieht so aus:

X x / X x / X x / X (x) || X x / X x / X x / X (x)

Kleinere Abweichungen sind möglich. Es ist jedenfalls ein Vers mit viel Raum; Lindner nutzt ihn. Sicher auf eine Art, die einem heutigen Leser fremd erscheint, aber trotzdem nicht gänzlich ohne Geschick, wie der laute Vortrag beweist! Schule gemacht hat dieses Beispiel aber trotzdem nicht, der Achtheber wurde erst im 19. Jahrhundert beliebter als Erzählvers, und dann in leicht anderer Form, als ihn Lindner hier verwendet. Wobei seine Wahl nicht ohne Reiz ist – wenn der Vers auf eine unbetonte Silbe schließt, schließt die erste Vershälfte männlich, wodurch im Versinnern zwei betonte Silben aufeinandertreffen:

Ach! da / wird aus / Rachbe- / gier, || seht für / mich, ich / mags nicht / schauen,

Schließt der Vers aber mit einer betonten Silbe, wodurch an Versende und Versanfang zwei betonte Silben aufeinandertreffen, schließt die erste Vershälfte mit einer unbetonten Silbe!

Den Ge- / flüchte- / ten zum / Schrecken || auf den / längsten / Speer ge- / spießt.

Neben der Atemlosigkeit des Erzählers also viel Abwechslung auch im Versbau.

Bild & Wort (219)

Die „Stimme von oben“ ist der für die Steine verantwortliche Spieler; „tot“ sind Steine beim Go, wenn keine Möglichkeit mehr haben, das Geschlagenwerden zu vermeiden.

Erzählformen: Das Distichon (69)

In Anton Wildgans‘ „Der Hufschmied“ hält ein mit Fichtenstämmen beladener Wagen vor eine Schmiede, die ihn ziehenden „wuchtigen Braunen“

 

Warfen die Häupter klirrend im messigfunkelnden Kummet,
Peitschten die Fliegen von sich, scharrten und stampfen den Grund.
Doch da nahte der Meister mit Eisen und Werkzeug, der Fuhrmann
Hob nun dem Hengste das Bein, legte den Huf sich aufs Knie.
Rasch mit dem Messer zuerst gereinigt, geschnitten, geebnet
Wurde das mächtige Horn, knirschend flog weißlicher Span.
Jetzt mit der Zange ergriff der Meister das glühende Eisen,
Presste dem Hufe es an, rauchend zischte es auf.
Doch da entriss sich der Gaul unbändigen Ruckes, beinahe
Wären Fuhrmann und Schmied unter die Räder gestürzt.
Aber sie duldeten nicht die Laune des störrischen Tieres,
Und mit gelenkiger Kraft wurde es wieder bezähmt.
Klingend traf nun der Hammer die Nägel, es stoben die Funken,
Und das Eisen saß fest, und das Werk war getan.

 

Das sind, aus mancherlei Gründen, keine wirklich guten Distichen; zu wenig Fluss, zu leblos, und die fehlenden leichten Silben in vielen zweiten Pentameter-Hälften sind sicher eine Schwächung. Trotzdem hat das Beharren auf der reinen Vorgangsschilderung einen nicht geringen Reiz; was das Gedicht dadurch gewinnt, wird erst später klar, als das die Szene beobachtende „Ich“ das Gesehene zu einem Vergleich zwischen „Menschheit“ und „Tierheit“ nutzt. Daraus zwei Distichen:

 

Und es finden sich Brave und finden sich tüchtige Meister,
Und bisweilen gelingt’s, dass sie ein Stückchen des Wegs
Weiterhelfen der keuchenden, lahmenden, blutenden Menschheit
Nur aus liebender Pflicht, achtlos der eignen Gefahr.

 

Hm. Die Achtlosligkeit der Hexameter-Zäsur gegenüber teilt Wildgans mit anderen Verfassern des 20. Jahrhunderts; das macht die Verse aber nicht besser. Und inhaltlich ziehe ich die eigentliche Beschlagung allemal vor …

Rat

Schreiben willst du? Dann schreibe (Hexameter; nichts als die Wahrheit).

Erzählverse: Der trochäische Vierheber (61)

Johann Friederich von Cronegks „An den Amor“ ist die gewöhnliche, tändelnde Anakreontik:

 

Oft besungner Gott der Liebe,
Gott, den Dichter zärtlich ehren,
Den ich sonst vergnügt erhoben,
Jetzo lass mich mit dir zanken!
Ist denn dies der Lohn der Lieder,
Die ich dir so oft geweihet?
Ist denn dies der Lohn der Liebe,
Die ich Chloen zugeschworen?
Sonsten war ich frei und fröhlich:
Das Geschwätze müß’ger Toren,
Und die Predigten Tartüffens,
Und der finst’ren Weisen Schlüsse,
Und der ganze Schwarm der Sorgen
Konnten mich nicht traurig machen.
Und du Vater aller Freuden,
Und du, Amor, machst mich traurig!

 

– Einige Verse mehr aus einem längeren Text, weil es die einfach braucht, um in diesen Strom von Nichtigkeiten einzuschwingen, der aber trotzdem durchdacht ist und Form und Wirkung hat! Was mich erheitert hat beim Lesen, war aber schon ganz vorne das „Jetzo lass mich mit dir zanken!“ Den Vers werde ich so schnell nicht wieder los …

Der Windhund

Dr. Sotz, der eines Abends aus dem Park nach Hause ging,
Sah, wie eine Hundeleine sich in einem Strauch verfing,
Ohne dass an ihrer Enden erstem sich ein Hund befand,
Noch an ihrer Enden zweitem eines Herrchens Menschenhand.

Eines bess’ren Blickes wegen strich er mit der rechten Hand
Graues Haar, das seit der Böe vor den Augen sich befand,
Schnell zurück – das seit der Böe? Inne hielt er, und er fing
An zu lächeln, als er abends aus dem Park nach Hause ging.