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Das Ein-Vers-Gedicht (17)

Zum Abschluss der kleinen Aphorismen-Reihe noch ein Blick in „Deutsche Aphorismen“, herausgegeben von Klaus von Welser und erschienen 1988 in der Serie Piper. Ein Band, der sich ganz auf die großen Namen verlässt, wie schon die Verfasser der Aphorismen auf der ersten Seite zeigen: Jean Paul, Goethe (zweimal!), Nietzsche, Lichtenberg. Dazwischen eins von Eschmann; aber das ist dann eben über Goethe …

Auch in diesem Band sind viele der Aphorismen Verse. Ich wähle statt eines Hexameters diesmal einen iambischen Siebenheber, er findet sich auf Seite 69:

 

Gib nichts auf keines Menschen Wort; das ist die höchste Freiheit.

 

– Sagt (der nicht ganz so bekannte) Wilhelm Heinse. Im Silbenbild:

Gib nichts / auf kei– / nes Men– / schen Wort; || das ist / die höch– / ste Frei– / heit.

Eine schöne Bewegung unter Einschluss des für den Siebenheber kennzeichnenden, festen Einschnitts nach der achten Silbe! Mithin: Ein Ein-Vers-Gedicht.

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Das Ein-Vers-Gedicht (16)

Ein Gegenstück zum im gestrigen Beitrag vorgestellten Band, in dem Aphorismen „von heute“ versammelt sind, ist der schöne Band: „Abgerissene Einfälle. Deutsche Aphorismen des 18. Jahrhunderts“, herausgegeben von Harald Fricke und Urs Meyer, und erschienen 1998 bei Beck. Vergleicht man die Sammlungen, stellt man fest: die heutigen Aphorismen sind, verglichen mit den 200 bis 300 Jahre älteren, deutlich kürzer! Aber „unbeabsichtige Verse“, sprich: Hexameter finden sich selbstredend auch unter diesen älteren Stücken.

 

Mäßigkeit erleichtert die Übung der Tugend sehr merklich.

 

– Schreibt Johann Georg Heinzmann, und wie das Silbenbild lehrt:

ßig- / keit er- / leichtert || die / Übung  der / Tugend sehr / merklich.

Ein metrisch einwandfreier Hexameter! Er bewegt sich vielleicht etwas einförmig; aber da sein Schöpfer vermutlich gar keinen Hexameter schreiben wollte, kann man das eigentlich weder Vers noch Verfasser zum Vorwurf machen …

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Das Ein-Vers-Gedicht (15)

„Neue deutsche Aphorismen“ heißt eine Anthologie, die, herausgegeben von Tobias Grüterich, Alexander Eilers und Eva Annabelle Blume, 2010 in der Edition Azur erschienen ist (und inzwischen auch schon eine stark überarbeitete zweite Auflage erlebt hat). Eine schöne Sammlung von Aphorismen der Jetzt-Zeit, lesenswert an sich und für alle Verseschreiber, die sich gelegentlich auch als Epigrammatiker versuchen, eigentlich Pflicht!

Wobei einige der vorgestellten Aphorismen, wie könnte es anders sein, schon Verse sind – unabsichtliche, aller Wahrscheinlichkeit nach; aber Verse! Zum Beispiel dieser Aphorismus von André Brie, zu finden auf Seite 138:

 

Geh deinen eigenen Weg. Jeder andere führt nach Canossa.

 

Ein einwandfreier Hexameter …

Geh deinen / eigenen / Weg. || Jeder / andere / führt nach Ca- / nossa.

… und damit ein Ein-Vers-Gedicht!

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Vom Wohlklang der Reime

Wieder ein neuer Text im Hinterzimmer des Verserzählers: Vom Wohlklang der Reime.

Er enthält einen Teil einer Reimlehre Gottfried August Bürgers. Das liest sich sicherlich alles etwas altertümlich, hat aber auch Vorteile – da spricht jemand, der auch selbst ein Dichter war, über etwas, das unverzichtbarer Bestandteil seines Dichtens war, und das gibt dem Inhalt einen ganz anderen Klang als ihn modernere Reimlehren haben, die meist etwas leb- und geistlos wirken auf mich!

 

Reime von einfachen oder verdoppelten gleichen Konsonanten sind in männlichen sowohl als weiblichen Wörtern wohlklingend. Zum Beispiel gab, Bad, klar, empor, Natur, Stier, Gabe, Gnade, ziere, geboren, Fluren, Stamm, Lamm, Flamme, Kette, Affe und weitere.

Von gleichem, ja vielleicht noch vorzüglicherem Wohlklang sind auch die Wörter, in denen die flüssigen Konsonanten l, m, n, r sich vor andere stellen, weil sie sich mit dem folgenden sehr leicht vermählen, und dem Wort noch mehr Metallklang geben. Zum Beispiel Wald, Gestalten, stammte, Falbe, Stunde, warb, Garben, Sturme.

Wenn die flüssigen untereinander selbst sich gatten, so entstehen dadurch die schönsten, tönendsten Reime, zum Beispiel Halme, Palme; lerne, ferne; Zorne, Dorne; Harme, erbarme; und weitere.

 

– Als kleiner Ausschnitt. Das kann man nun für sich selbst annehmen oder ablehnen; aber alleine über das, was einer der berühmteren Reimer deutscher Sprache über den Wohlklang von Reimen schreibt, nachgedacht zu haben, bringt die meisten heutigen Reimfreunde (vor allem die am Anfang ihrer Bemühungen) einen nicht kleinen Schritt weiter, denke ich! Und sei es nur durch die Schärfung des Bewusstseins dafür, dass Reime nicht stumm auf dem Papier stehen, sondern gesprochener Klang sind und als solcher beurteilt werden wollen (und müssen).

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Bücher zum Vers (76)

Karl Ludwig Schneider:
Klopstock und die Erneuerung der deutschen Dichtersprache im 18. Jahrhundert

Ein nicht allzu dicker Band von 140 Seinen, erschienen 1963 bei Winter, der einen Inhalt verhandelt, nicht nur geschichtlich von Bedeutung!

„Klopstock selbst ist ein Geschenk, die einzige Gestalt größten Maßes als Mensch der Sprache zwischen Luther und Goethe.“ Dieses Wort findet sich in Ernst Kletts  beim Verserzähler schon kurz angesprochenen  Vortrag Über den deutschen Hexameter und mag als Beispiel dienen für die Wertschätzung, die Friedrich Gottlieb Klopstock genießt, obwohl er heute nur noch wenig gelesen wird.

Grund für diese Wertschätzung ist die von Schneider behandelte „Erneuerung der deutschen Dichtersprache“, die Klopstock als Einzelner geleistet hat und die zum Beispiel die Werke Goethes, Schillers, Hölderlins erst möglich gemacht hat.

Dazu gehören „Die Abgrenzung der poetischen von der prosaischen Sprachgestaltung“ , so das Dritte Kapitel Schneiders, was ja eine bis heute immer neu zu entscheidende Frage ist:  Welche Schnittmengen haben die poetische Sprache, die Sprache der Prosa und die Alltagssprache miteinander?!

Klopstocks Antworten darauf stellt zum Beispiel das vierte Kapitel vor, „Das Stilprinzip der Kürze“, in dem Klopstocks Gebrauch von Simplex und Kompositum, seine Neuerungen in der Wortbildung, sein Gebrauch der Partizipien, sein Bestreben zur Intensivierung durch das Fortlassen von Artikeln, Präpositionen und Konjunktionen und anderes mehr erklärt wird. Äußerst lesenswert!

Ein von Schneider besprochenes Beispiel ist Klopstocks Hang, das „und“ zu vermeiden:

Sieh, er krümmte sich, wand vergebens sich, nun noch zu leugnen,
Dass Gott sei! Er brüllet‘ es, heulet‘ es; rang nach Vernichtung,
Winselte, raste nach ihr, griff aus mit der Sterbenden bangem
Furchtbaren Greifen nach ihr, und war! …

– Messias, 16. Gesang, Verse 693-696. Schneider:

Die konsequente Ellipse der Konjunktion in den Zeilen 693-695 ermöglicht es, sie in der letzten Zeile nun in einer Weise zur Anwendung zu bringen, die aus diesem bedeutungsarmen Wort ein Stilistikum von unvergleichlicher Wirkung macht, das den höchsten Grad der Verzweiflung ausdrückt. Man mag aus solchen Meistergriffen ersehen, dass Klopstock nie mechanisch ausließ. Dadurch, dass er die Konjunktion „und“ mied, wo immer es angängig war, machte er sich das Wort frei für wichtige Ausdrucksfunktionen.

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Erzählverse: Der iambische Vierheber (5)

Gelegenheitsgedichte bekommen nicht immer die Aufmerksamkeit, die ihnen zusteht – von den richtigen Verfassern geschrieben, haben sie ihren ganz eigenen Wert! Der folgende Ausschnitt stammt aus einem „Brautgedichtchen“, wie der Idyllendichter Franz Xaver Bronner selbst das Werklein nennt der Empfängerin (die Tochter des berühmten Idyllendichters Salomon Gessner) gegenüber.

 

Oft, wenn sein Herz vom süßen Drang,
Sich mitzuteilen, überfloss,
Und rings in öder Wildnis doch
Kein mitempfindend Wesen traf;
Oft, wenn geschäftig seine Hand
Aus Weiden kleine Reusen flocht,
Und wenn er einsam seinen Kahn
Auf raschen Fluten treiben ließ,
Beim Angeln und beim Netzeziehn,
Beim Hahnengruß und Eulenruf,
Schwang auf der Sehnsucht Fittichen
Sein Geist sich zu Palämons Haus
In seiner Lieben Arme hin –
Wie ein gefangnes Vögelchen
Begierig sich ins Freie schwingt,
Bis es des Fadens Fessel fühlt,
An dem ein loser Knab‘ es hält.

 

Leicht hingetupfte Verse, doch nicht ohne Reiz! Ungereimte iambische Verse formen die Sprache noch weniger als ungereimte trochäische Verse, was hier ganz gut hörbar wird?!

Statt Herden hütenden Hirten, wie sie gewöhnlich die Idylle bevölkern, setzt Bronner nicht nur hier, sondern auch sonst auf Fischer (was in den Zeiten, in denen die Idylle wichtiger genommen wurde als heute, tatsächlich Gegenstand von Diskussionen war).

Das Gedicht ist recht lang; wer mag, kann es im Hinterzimmer des Verserzählers finden unter seinem Titel Der Getröstete, wo in der in Versform gehaltenen Vorrede des Verfassers schon manches klar wird. Ich gehe aber sicher noch einmal auf dieses Stück ein!

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Erzählverse: Der Blankvers (63)

Leopold Schefer ist einer der vielen zu Lebzeiten berühmten, heute aber gut und gründlich vergessenen Dichter des 19. Jahrhunderts. Und das völlig zu Recht! Vor allem die eher didaktischen Gedichte, mit denen er bekannt geworden ist, kann man heute nicht mehr lesen. Tut man es aber doch, stellt sich schnell ein eigenartiges Gefühl ein – als steckte man den Kopf in eine Blechtonne, gegen die unaufhörlich getreten wird:

 

Das Sonnenstäubchen

Die Sonne zwar ist größer, aber nicht
Erstaunenswerter als – ein Sonnenstäubchen!
Der Mensch ist kleiner, aber nicht geringer
An Geist und Liebe als der Geist des Alls,
Und Gott und Mensch sind nur aus einem Stoff,
Dem einen Element im ganzen All.
Aus diesem Wort nimm dir Gesetz und Leben!

 

Ein unüblich kurzes, aber bezeichnendes Beispiel aus Schefers „Vigilien“ – manchmal ist ein Gedicht eben auch ein Holzhammer … Aber auch hier tut der Blankvers unbewegt und ungerührt seinen Dienst und ordet auch diesen Inhalt unauffällig, aber spürbar. Ein wunderbares Maß!