Bald wird gewählt
Wieder steht eine Wahl an, und wieder schmückt sich der Marktplatz
Statt mit den bunten Ständen der heimischen Händler und Bauern,
Welche, wie sie’s gewohnt sind, die blanken Äpfel und Birnen
Über die gammligen stapeln, und vor sie, damit deren Flecken
Keinen Kunden vergraulen: mit einer Rednertribüne –
Auf ihr breitet die Worte der Fremde aus, wie er’s gewohnt ist.
Bücher zum Vers (63)
Walther Killy: Elemente der Lyrik
Zuerst Anfang der 70er erschienen; meine Ausgabe hier ist 1983 bei dtv herausgekommen.
Ein schmales Bändchen, knapp über 200 Seiten im Taschenbuchformat; aber inhaltlich sehr empfehlenswert! Killy schreibt in der Einleitung über sein Buch: „Es sucht einige Grundmuster zu begreifen, welche die Lyrik immer wieder, ja immer noch gebraucht.“
Die Kapitelnamen zeigen, welche Muster das sind: „Natur“, „Addition, Variation, Summation“, „Mythologie“, „Allegorie sowie Personifikation“, „Stimmung“, „Maske“, „Kürze“.
Ich fand zum Beispiel das Kapitel „Maske“ mit den darin zu findenen Gedanken zur Bukolik sehr erhellend und anregend; aber auch die anderen Kapitel lesen sich gut!
Erläutert und verdeutlicht werden Killys Auslassungen durch viele Gedichte aus allen Zeiten und Ländern, so dass es neben dem Grundsätzlichen auch einige eher unbekannte Texte zu entdecken gibt. Vorangestellt sind dem Buch aber vier ziemlich bekannte Verse Goethes, die erste Strophe von „Elemente“:
Aus wie vielen Elementen
Soll ein echtes Lied sich nähren,
Dass es Laien gern empfinden,
Meister es mit Freuden hören?
Doch auch diese Verse liest man gerne wieder einmal …
Eine Begegnung im Park (1)
Im Park traf Heinrich Dr. Sotz; der saß seliglächelnd auf einer Bank. „Sehen Sie!“, rief er und wies auf einen Spielzeugroboter, der staksigen Schritts entlangwandelte zu Füßen des Doktors, und setzte er einen Fuß auf, sagte er etwas:
„Knie…“ (links) „…strumpf“ (rechts),
„Pflug…“ (links) „…schar“ (rechts),
„Spitz…“ (links) „…bart“ (rechts).
„Erstaunlich!“
„Sie haben noch Nichts gesehen“, entgegnete Dr. Sotz. „Schauen Sie nur weiter!“
Der kleine Roboter war stehengeblieben. Jetzt wendete er, den gekommenen Weg zurückzugehen, aber mit, ach! wie anderer Bewegung: Ein Tanz, fast. Zuerst machte er zwei kleine, enge Schritte, einen links, einen rechts; dann ein Paar weitausholender Schritte, beinahe schon Sprünge, erst mit Links, dann mit Rechts. Und er redete, nein, sang:
„Bist du Milch-Krug, bin ich Bier-Fass“ …
„Der dem Land-Vogt in die Brust schoss“ …
„Parallelwelt Seminarraum“ …
„wie ein Kohl-Kopf, der im Farn-Kraut sich versteckt hält“ …
„Erstaunlich!“, sagte Heinrich noch einmal. „Dr. Sotz, Sie verblüffen mich immer wieder. Aber, wenn die Frage gestattet ist: was genau macht Ihr kleiner Blechkamerad da eigentlich?“
Sotzens Begeisterung ließ ihn die Arme emporreißen, und er machte einen kleinen Hüpfer; und rief: „Dichten! Ich habe ihn das Dichten gelehrt!“
Erzählverse: Der Hexameter (89)
Ich habe einen weiteren Text ins „Hinterzimmer“ gestellt, eine kurze Beschreibung des Hexameters durch Johann Gottfried Herder – sicher jemand, auf den man achten kann in solchen Fragen: Die allgemeinen Regeln des Hexameters.
Und wenn ich schon gerade bei Herder bin – hier noch eine bemerkenswerte Feststellung von ihm aus seiner Rezension der Oden Klopstocks:
Sonderbar ist’s, dass selbst bei zwei Autoren in einer Sprache der Wohlklang eines Silbenmaßes nicht derselbe ist, und in seinem zartesten Wuchse kaum Vergleichung leidet. Ein Choriambe Klopstocks und Ramlers scheint bei gleich vorgezeichnetem Maße gar nicht das gleiche Ding zu sein, und man versuche nur, zwei Oden beider nacheinander zu lesen. So Klopstocks und Kleists Hexameter, obgleich beide sehr wohlklingend sind: so Klopstock und die Noachide, obgleich in der letzten Ausgabe dieser das Silbenmaß mit vieler Kunst zugerichtet worden. So Horaz und Catull, Virgil und Lukrez u.s.w. Alles wird bloß Werkzeug der Seele, die eine gewisse Farbe der Komposition, eine Stärke oder Schwäche, Fluss oder Strom auch bis ins Silbenmaß überträgt — wir wünschten die Sache mehr untersucht und tiefer charakterisiert.
„Kleists Hexameter“ – das ist der in (87) vorgestellte Vers, den Herder hier mit dem „richtigen“ Hexameter Klopstocks zusammennimmt; „Noachide“, das wird Bodmers in Hexametern geschriebener „Noah“ sein, den Lessing in (49) besprochen hat?!
Dem am Schluss geäußerten Wunsch, jedenfalls: schließe ich mich an! Da liegt viel verborgen.
Der cherubinische Wandersmann
Der „cherubinische Wandersmann“ ist eine Sammlung von zumeist sehr kurzen Epigrammen; geschrieben hat diese der christliche Mystiker Angelus Silesius im 17. Jahrhundert. „Sehr kurz“, das meint: ein Verspaar lang, und damit schließt sich dieser Eintrag an den gestrigen an, denn im Barock war ein solches Verspaar eben ein Alexandriner-Couplet!
Angelus Silesius, oder Johann Scheffler hat diese Form sehr sicher beherrscht, und schon nach dem Lesen von zehn, zwanzig seiner Epigramme ist ihr ganz eigener Tonfall so vertraut, das man hingeht und selbst Alexandriner-Couplets schreibt; ohne Mühe und eines nach dem anderen. Jedenfalls ging es mir so; wer selbst den Versuch machen möchte – hier eine kleine Kostprobe von sechs Epigrammen, einem aus jedem Buch des „Wandermanns“!
Verachtet sein bringt Wonne (2/244)
Verlacht, verlassen stehn, viel leiden in der Zeit,
Nichts haben, können, sein: Ist meine Herrlichkeit.
Gott ist allem gleich nahe (5/72)
Gott ist dem Belzebub nah wie dem Seraphim:
Es kehrt nur Belzebub den Rücken gegen ihm.
Gott nichts und alles (4/38)
Gott ist ein Geist, ein Feur, ein Wesen und ein Licht:
Und ist doch wiederum auch dieses alles nicht.
Das menschliche Herze (3/111)
Gott, Teufel, Welt und alls will in mein Herz hinein:
Es muss ja wunderschön und großes Adels sein!
Ich tue es Gott gleich (1/18)
Gott liebt mich über sich: Lieb ich ihn über mich,
So geb ich ihm soviel, als er mir gibt aus sich.
Ein Wurm beschämt uns (6/32)
O Spott! Ein seiden Wurm, der wirkt, bis er kann fliegen;
Und du bleibst, wie du bist, nur auf der Erde liegen!
Das klingt hier und da etwas altertümlich, unvermeidlich; aber es lässt auch schon ahnen, wie eine größere Menge solcher Epigramme – und das meint hier: viele Hundert! – wirkt. Besonders gut ausdrücken lassen sich in diesem Rahmen Gegensätze, und Angelus Silesius macht von dieser Möglichkeit auch reichlich Gebrauch, ein Epigramm nach dem anderen ist so aufgebaut.
Das Alexandriner-Couplet
Zu Goethes Zeiten war es schon üblich, Epigramme in Distichen zu schreiben. Eines seiner eigenen Distichen aus dem Nachlass liest sich so:
Wenn ich den Dieben gebellt, Liebhabern hab ich geschwiegen,
Und so begünstigten mich beide, der Herr und die Frau.
Kein wirklich überzeugendes Epigramm?! Und auch der Inhalt ist schon früher dargestellt worden; schon von Martin Opitz! Zu dessen Zeit war der bevorzugte Rahmen für das Epigramm das Alexandriner-Couplet, also ein Verspaar dieser Art:
x X / x X / x X || x X / x X / x X / (x)
x X / x X / x X || x X / x X / x X / (x)
Darin klingt derselbe Inhalt dann so:
Grabschrift eines Hundes
Die Diebe lief ich an, den Buhlern schwieg ich stille.
So ward vollbracht des Herrn und auch der Frauen Wille.
… Und wenn ich mich entscheiden müsste: Hier wäre ich für das altehrwürdige Barock-Epigramm. Die Dichter des 17. Jahrhunderts wussten mit ihrem Leib-und-Magen-Vers, dem Alexandriner, umzugehen; und gute Epigrammatiker gab es damals auch. Einige!
Kleiner Monolog
Vergänglichkeit.
Ein schlimmes Wort.
Wer sagt es dort
In einem fort?
Das Leben selbst?!
Du liebe Zeit …