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Das Königreich von Sede (55)

Schemel sieht, des alten Königs
Alter Narr, auf einer Mauer
Frösche sitzen, viele Frösche,
Und er will die Frösche zählen
Eingedenk des alten Sinnspruchs,
Dass, wenn jemand Frösche sehe,
Auf der Mauer, viele Frösche,
Und wenn wer die Frösche zähle,
All die Frösche auf der Mauer,
Und die rechte Zahl bestimme:
Dass ein Liebesglück bestimmt sei
Diesem Jemand, rein und dauernd.
– Schemel will die Frösche zählen,
Doch die Frösche zählten lang schon,
All die Lebensjahre Schemels,
Und nun hüpfen sie und wechseln
Ihren Standort unablässig,
Unablässig Schemels spottend
Und der Anzahl seiner Jahre.

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Bücher zum Vers (54)

Reiner Wild: Goethes klassische Lyrik.

Etwas zu Goethes Lyrik zu lesen, schadet nie; und seine klassische Lyrik ist schon darum im Blickfeld des Verserzählers, weil es sich dabei um Texte in Hexametern und Distichen handelt – also Formen, die hier im Blog ausgiebig verhandelt werden!

Reiner WIld breitet auf 300 Seiten manches Wissenswerte aus, indem er erst  Goethes Weg zur klassischen Lyrik zeigt; und dann, worin sie bestand und was sie ausmachte. Ich gebe einen Abschnitt wieder, der auf die auch für heutige Versebauer wichtige Frage eingeht: Was bedeutet es, ein „antikes Maß“ zu wählen?!

„Das antike Maß markiert Distanz. Darin entspricht es Goethes italienischer Erfahrung der Antike; die Erfahrung der Fremdheit authentisch griechischer Kunstwerke und die Aufhebung dieser Fremdheit in der Verknüpfung von Natur und Kunst gehören zu den Voraussetzungen für seine produktive Aneignung der Antike. Distanz setzt das antike Versmaß aber auch zur eigenen Subjektivität (des Autors wie der Rezipienten). In seiner vorgegebenen Regelhaftigkeit ist es kein Medium des unmittelbaren Ausdrucks und taugt auch nicht dazu, den Schein solcher Unmittelbarkeit zum Ausdruck zu bringen. Die antike Form signalisiert vielmehr von vorneherein den Kunstcharakter des Gestalteten; sie ist Ausdruck von Artifizialität. Insofern markiert die Verwendung des antiken Versmaßes in der klassischen Lyrik gerade auch die Distanz, welche diese von der Antike trennt. Das antike Versmaß wird in der klassischen Lyrik gleichsam ‚zitiert‘, und die von Goethe genützte Spannung zwischen antiker Metrik und deutschem Sprachfluss lässt gerade auch diesen Zitatcharakter deutlich werden. Zugleich markiert das antike Versmaß aber auch – als ein ‚fremdes‘ Maß und als Zitat – Distanz zur Gegenwart, und in solcher Distanzierung bietet es die Möglichkeit der Gestaltung autonomer Kunst, signalisiert es als Zeichen der Artifizialität die Lösung der Kunst aus ihr vorgesetzten Zwecken. Damit aber wird, vermittelt über die Form, durch die das Kunstwerk sich als eigenständiges behauptet, erneut die Gegenwart zum Thema.“ (S. 190-191)

Nun ist Goethe schon ein ganzes Weilchen tot und das Verhältnis zur Antike heute ein ganz anderes als zu seiner Zeit; aber trotzdem kann ein wenig Nachdenken darüber, was geschieht, wenn man im 21. Jahrhundert ein Distichon in die Welt entlässt, ja nicht schaden?! Und da sind Wilds Ausführungen gar kein schlechter Ausgangspunkt.

Auffallend sind auch die vielen Gedichte Goethes, die Wild vollständig wiedergibt. Das kostet einigen Platz, ist mir aber sehr angenehm! Da kommt vieles wieder ins Gedächtnis, zum Beispiel dieses Distichon aus den gemeinsam mit Friedrich Schiller verfassten „Xenien“:

 

Die Sicherheit

Nur das feurige Ross, das mutige, stürzt auf der Rennbahn,
Mit bedächtigem Pass schreitet der Esel daher.

 

Da waren zwei auf Streit aus; und Streit haben sie bekommen bei ihrem gemeinsamen Ringen um die „Klassik“…

Erschienen ist „Goethes klassische Lyrik“ 1999 im Verlag J.B. Metzler.

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Ein Schauspiel nur

Gern wollt ich dir noch vieles von mir sagen,
Doch drückt mich des Sonettes enges Band,
Das mir die Muse um den Mund geschlagen.

– So Wilhelm Müller in „April“. Empfand,

Terzett, dein Schöpfer so? War banges Fragen,
Ob auch der Raum genüge, eine Wand,
Vor der sein Wunsch, uns vieles vorzutragen,
Verzagend innehielt, grad wie die Hand,

In ihr die Feder, auf der Seite ruhte?
Ich denke, nein. Vielmehr: Die Feder rennt,
So seh ich’s vor mir, wählt: was passen

Für Dinge in den Vers? Und ich vermute,
Sie tut’s, wie’s Müllers erster Vers benennt:
Leichsinnig, launisch, neckisch, ausgelassen.

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Erzählverse: Der trochäische Vierheber (33)

Es gibt Gedichte, die kann man heute nicht mehr schreiben; und es ist schade, dass man es nicht mehr kann. Für mich zählen dazu die federleichten, ganz absichtslos wirkenden Texte von Johann Wilhelm Ludwig Gleim, zum Beispiel jene aus „Amor und Psyche“, ein Titel, unter dem Gleim 25 kurze Gedichte in trochäischenVierhebern versammelt hat, einem der für solcherlei Tändeleien gerne und viel gebrauchten Maße. Die Nummer vierzehn daraus liest sich so:

 

Traurig klagend fragte Amor
Einen seiner liebsten Brüder:
Wo entzünd ich meine Fackel
An dem allerreinsten Feuer?

Und indem er fragte, sah er
Seiner Psyche lichte Augen.
Willst du’s leiden, sprach er, Liebe?
Hielt die Fackel sanft an ihre
Lichten Augen, und die Fackel
Brannte sanft, wie Psychens Augen!

 

Da unterstützt das Ungezwungene des Vierhebers sicherlich aufs willkommenste das Nicht-Geschehen! Wobei es noch sparsamer geht – Nummer Neun:

 

Sieh, die Könige der Erde
Sollten keine Kriege führen!

Sagte Psyche zu dem Gotte,
Der die Könige der Erde
Kriege lehret. Möchte Psyche
Doch die Könige der Erde
Liebe lehren!
, sagte Amor.

 

Das wirkt so unglaublich beliebig; ich glaube aber, es ist trotzdem schlau gemacht. Inhaltlich noch einen Schritt weiter ins Aussage-Nichts führt die Nummer Drei, mit der ich den Eintrag schließe; was bliebe danach auch noch zu sagen …

 

Rose, Rose! sagte Psyche,
Du bist schön, wie mein Geliebter!
Bist die Königin der Blumen!
Bist von einem Liebesgotte
So gefärbt!
Von deinem Amor!
Sagte da die schöne Rose.

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Erzählformen: Die alkäische Strophe (3)

Um mit dem ganz eigenen Klang der alkäischen Strophe vertraut zu werden, empfiehlt es sich, viele Gedichte zu lesen, die dieses Maß benutzen; und bevorzugt die der besseren Dichter.

Das meint in diesem Fall zuallererst die Oden Hölderlins!

Hölderlin hat viele alkäische Oden geschrieben, und man kann seine Werke sogar nutzen, um der Klangwirkung von Abweichungen im Aufbau der Strophen nachzuspüren!

Eine kurze derartige Ode ist „Der Sonnenuntergang“:

 

Wo bist du? Trunken dämmert die Seele mir
Von aller deiner Wonne; denn eben ist’s,
Dass ich gelauscht, wie, goldner Töne
Voll, der entzückende Sonnenjüngling

Sein Abendlied auf himmlischer Leier spielt‘;
Es tönten rings die Wälder und Hügel nach.
Doch fern ist er zu fremden Völkern,
Die ihn noch ehren, hinweggegangen.

 

Schön! Da ist nun freilich nichts von einer Abweichung zu entdecken; die beiden Strophen sollen auch nur die Grundbewegung wieder in Erinnerung rufen.

Unter Hölderlins spätesten Gedichten, also denen aus der Zeit seiner Krankheit, findet sich gleichfalls eine zweistrophige Ode, „An Zimmern“:

 

Von einem Menschen sag ich, wenn der ist gut
Und weise, was bedarf er? Ist irgend eins
Der einer Seele gnüget? Ist ein Halm, ist
Eine gestreifteste Reb auf Erden

Gewachsen, die ihn nähre? Der Sinn ist des
Also. Ein Freund ist oft die Geliebte, viel
Die Kunst. O Teurer, dir sag ich die Wahrheit:
Dädalus Geist und des Walds ist deiner.

 

Eine andere Sprache, auch; aber vor allem sind die beiden dritten Verse um zwei Silben verlängert zu einem fünfhebigen Iambus anstelle des gewöhlichen vierhebigen – und das bringt den ausgeglichenen Bau der Strophe doch in Schieflage, es klingt nicht unbedingt schlecht, aber eben nicht mehr wie eine alkäische Strophe?!

Aus derselben Zeit gibt es noch eine andere alkäische Ode Hölderlins, von der ich die letzten drei Strophen vorstellen möchte:

 

Da, wo des Stromes regsame Wellen sind,
Dass einer, der vorüber des Weges kommt,
Froh hinschaut, da erhebt der Berge
Sanfte Gestalt und der Weinberg hoch sich.

Zwar gehn die Treppen unter den Reben hoch
Herunter, wo der Obstbaum blühend darüber steht
Und Duft an wilden Hecken weilet,
Wo die verborgenen Veilchen sprossen;

Gewässer aber rieseln herab, und sanft
Ist hörbar dort ein Rauschen den ganzen Tag;
Die Orte aber in der Gegend
Ruhen und schweigen den Nachmittag durch.

 

Vom Inhalt abgesehen: die drittletzte Strophe setzt den Aufbau der alkäischen Strophe ohne Abweichung um. In der vorletzten aber ist der zweite Vers verändert – auch hier sind zwei zusätzliche Silben eingeschoben! Und auch die letzte Strophe zeigt besonderes, zumindest wäre es für heutige Sprecher sehr ungewohnt, den letzten Vers so zu lesen, wie das Metrum es verlangte:

Ruhen und schweigen den Nachmittag durch.

Viel näher liegt:

Ruhen und schweigen den Nachmittag durch.

– Und da ist erstaunlich deutlich der Unterschied zu hören zwischen dem „gewöhnlichen“ Vers, in dem die vier Schluss-Silben die zuvor schnelle Bewegung wieder einfangen und die Strophe ruhig ausklingen lassen, und dem „Weiterrasen“, das durch den „Nachmittag“ in den Vers kommt?! Zum Vergleich:

Wo die verborgenen Veilchen sprossen;

Deutlich andere Bewegung, das.

Aber so nachhörenswert solche Abweichungen auch sind; viel lohnender sind bestimmt die „richtigen“ Oden Hölderlins. Wie anfangs gesagt: wer alkäisch schreiben möchte, sollte  sich mit ihnen vertraut machen.

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Erzählverse: Der Hexameter (78)

In „Kampagne in Frankreich 1792“ schreibt Goethe:

Das Publikum selbst schätzte längere Zeit die vossischen früheren Arbeiten, als geläufiger, über die späteren; ich aber hatte zu Voß, dessen Ernst man nicht verkennen konnte, immer ein stilles Vertrauen und wäre, in jüngeren Tagen oder andern Verhältnissen, wohl einmal nach Eutin gereist, um das Geheimnis zu erfahren; denn er, aus einer zu ehrenden Pietät für Klopstock, wollte, solange der würdige, allgefeierte Dichter lebte, ihm nicht geradezu ins Gesicht sagen: dass man in der deutschen Rhythmik eine striktere Observanz einführen müsse, wenn sie irgend gegründet werden solle. Was er inzwischen äußerte, waren für mich sibyllinische Blätter. Wie ich mich an der Vorrede zu den „Georgiken“ abgequält habe, erinnere ich mich noch immer gerne, der redlichen Absicht wegen, aber nicht des daraus gewonnenen Vorteils.

In der Tat: was Johann Heinrich Voß in der Vorrede zu seiner Übersetzung von Vergils Georgica sagt zum Hexameter, ist oft etwas dunkel; dem heutigen Leser nicht weniger, als es das Goethe war. Aber einige bemerkenswerte Abschnitte sind doch drin – dieser etwa:

Mit der rhythmischen Periode hält häufig die Periode des Sinns gleichen Schritt. Aber es würde Einförmigkeit entstehen, wenn sie es immer täte. Oft sind die Glieder der einen nur Gelenke der anderen, und umgekehrt. Man nehme:

Jener sprachs; und verwirrt enteilte sie, Qualen erduldend.

Hier schließen die rhythmischen Glieder mit “verwirrt” und “erduldend”; die des Sinns mit “sprachs”, “enteilte sie” und “erduldend”. Man vernachlässige die rhythmische Teilung, und setze “angstvoll eilte sie”; die Periode des Sinns bleibt, wie sie war, aber der Vers ist zerstört.

Will sagen: Für gewöhnlich liegen die Vers-Einschnitte und die Satz-Enschnitte an der gleichen Stelle; das ist aber nicht notwendigerweise so, sie können auch auseinandertreten! Der gewählte Beispielvers hat zwei Satz-Einschnitte:

Jener sprachs; || und verwirrt enteilte sie, || Qualen erduldend.

Der Vers-Einschnitt aber, und das meint: die Zäsur des Hexameters, liegt an keiner dieser beiden Stellen, sondern in der Mitte des Verses:

Jener sprachs; und verwirrt || enteilte sie, Qualen erduldend.

Mit „angstvoll eilte sie“ sieht der Vers so aus:

Jener sprachs; und angstvoll eilte sie, Qualen erduldend.

Die Zäsur läge zwischen „angst-“ und „-voll“, aber da kann sie auf gar keinen Fall sich bemerkbar machen: „der Vers ist zerstört“.

Das finde ich aus zwei Gründen bemerkenswert.

Einmal durch die Art, wie Voß hier „Satz“ und „Vers“ als voneinander unabhängige und gleichberechtige Größen denkt;

Und zum anderen durch die Folgen, die sich daraus für den Vortrag ergeben – denn wenn der Verseinschnitt da und von den Satzeinschnitten verschieden ist, dann muss er im Vortrag ja auch hörbar gemacht werden? Und tatsächlich scheint mir der Vers am besten zu klingen, wenn er mit drei Einschnitten gelesen wird:

Jener sprachs; | und verwirrt | enteilte sie, | Qualen erduldend.

– Wobei der Verseinschnitt deutlich schwächer sein sollte als die Satzeinschnitte! Ein ganz kurzes Zögern und Absetzen, mehr nicht; eben deutlich genug, dass dem Ohr der Bau des Verses bewusst bleibt.

Alle, die prüfen möchten, wie geheimnisvoll Voß‘ Text wirklich klingt und wirkt – ich habe ihn ins „Hinterzimmer“ gestellt: Aus der Vorrede zur Georgica-Übersetzung

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Ohne Titel

Erwartung? Eine Schlinge,
Darin der Geist sich fängt;
Man ist noch guter Dinge
Und wird doch schon gehenkt.

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Erzählformen: Die alkäische Strophe (2)

Wie im vorigen Vortrag schon angedeutet: Strophen sind mehr als eine Ansammlung von betonten und unbetonten Silben. Jede von ihnen hat ganz bestimmte Eigenschaften, die zusammen ihr Wesen ausmachen.

Über die alkäische Strophe hat Josef Weinheber zum Beispiel gesagt:

„Keine andere antike Strophe zeichnet rhythmisch so unüberbietbar die Spannungen und Entladungen des Rhetorisch-Polemischen nach. Keine ermöglicht eine solche Mannigfaltigkeit, Farbigkeit und Größe des Satzes. Der Wechsel der Rhythmen macht diese Strophe zu einer eigenwilligen und streitbaren. Das Auf und Ab der Schlacht ist in ihr, und die Lust am Kampf.“

(Sämtliche Werke, Band 4, Müller 1954, Seite 247)

Das mag nun zutreffen oder nicht; aber es ist jedenfalls die Beschreibung einer ganz eigenen Form, eine Wesens-Bestimmung?! An einer solchen haben sich auch andere versucht, oft mit Bezug auf die verwendeten Verse. Ich führe noch drei weitere an; es lohnt sich wahrscheinlich, beim Lesen das im vorigen Beitrag gezeigte Silbenschema im Kopf oder zumindest vor Augen zu haben.

„Das Wesen dieser kunstvoll gebauten Strophe liegt in dem Widerspiel ihrer Bewegung. Diese ist zunächst und zumeist iambisch: ein gleichmäßiges Schreiten. So beginnt der erste Vers mit einem Auftakt und regelmäßig alternierend. Die Zäsur in der Versmitte lässt diese Bewegung stocken, doch der folgende Daktylus beschleunigt sie wieder. Der zweite Vers wiederholt dieses mutvolle Spiel in respondierender Parallelität. Das Thema ist damit genannt. Jetzt gewinnt die Bewegung Stetigkeit im iambischen Gleichmaß des zäsurfreien dritten Verses. Sein unbetonter Schluss deutet auf Weiterführung. Doch nun folgt in rhythmischer Gegenläufigkeit der auftaktlos einsetzende vierte Vers, dessen Doppelsenkungen die Bewegung nochmals deutlich beschleunigen, bis der regelmäßige Wechsel der letzten Hebungen und Senkungen ein Ausschwingen ermöglicht. Daktylisch beginnend und iambisch endend, zeigt der Schlussvers die Figur der Anfangsverse in der Umkehrung. Die Strophe ist eine dynamische, gerundete Form.“
(Frank, Handbuch der deutschen Strophenformen)

„Die alkäische Strophe ist mit hoher Kunst gebildet. Die beiden ersten Verse sind steigend-fallend, und zwar derart, dass das Gewicht des verses sich auf das Versende verlegt. Der dritte Vers ist ruhig steigend und ausgeglichen, ein Übergang zum vierten, der von Anfang an schnell fällt und wie ein Bach niedergeht. Den beiden elfsibigen Anfangsversen folgen ein neunsilbiger und ein zehnsilbiger Vers. Die Gewichtsverteilung ist kunstvoll; man achte darauf, wie die beiden Daktylen am Schluss der beiden ersten Verse und die beiden am Anfang des vierten sich auswiegen. Der dritte Vers ist der langsamste; er tut viel, um den schnellen Fall des vierten vorzubereiten. So ist hier alles aufeinander bezogen, alles in Zusammenwirkung und Verbindung.“
(Jünger, Rhythmus und Sprache im deutschen Gedicht)

„In der alkäischen Strophe treffen an den Vers- und Kolongrenzen immer Hebung und Senkung zusammen, das heißt, das rhythmische Auf und Ab wird niemals unterbrochen, die Bewegung läuft, wenn nicht der Satz von sich aus einen Einschnitt bildet, bruchlos weiter. […] In der alkäischen Strophe sind jeweils die ersten Teile der Stollen und des Abgesangs iambisch gebaut, sie steigen; die zweiten fallen. Die Bewegungen gleiten fließend ineinander über. Die Strophe atmet, oder mit einem anderen Bild, sie hebt und senkt sich dreimal, das dritte Mal in einer doppelt so breiten Welle wie zuvor, wie die Dünung des Meeres. […] Da im alkäischen Maß die Vers- und Kolongrenzen nicht eigens markiert sind, ergibt sich die Gliederung nur aus dem Wechsel von Steigen und Fallen. Nur dieser Wechsel wird gefühlt. Jedes Kolon bestimmt sich in seinem Charakter aus seiner Mitte, denn nur hier ist eindeutige Bewegung (Steigen oder Fallen), die Enden sind unbestimmter Übergang, rundes Hinübergleiten in die umgekehrte Bewegung, oder, wenn man so will, ein sanftes Anhalten, ein momentanes Ruhen auf der Scheitelhöhe des Bogens. Dieses Gleiten […] verleiht der alkäischen Strophe etwas elementares, naturhaftes, ganz im Sinne des alten Satzes ’natura non facit saltus‘, oder auch etwas seelisches im Sinne der auf und ab flutenden Seelenbewegung.“
(Binder, Hölderlins Odenstrophe)

Zum Abschluss noch eine Beispiel-Strophe – da Josef Weinheber den Eintrag begonnen hat, soll er ihn auch schließen mit der ersten Strophe einer seiner alkäischen Oden:

 

Die Tiefe stumm, die einsame Größe fremd
in Haufens Fug, im Rausch des Maschinensiegs;
und ohne Widerhall die ewge
Klag um der Dinge verlornes Anrecht –

 

(Sämtliche Werke, Band 2, Müller 1954, Seite 35)