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Frühlings-Triolett

Frühlingsdüfte einzusaugen
Bis ins letzte Lungenbläschen,
Roten Kopfs, mit stieren Augen
Frühlingsdüfte einzusaugen,
Was die Brustvolumen taugen –
Glück heißt heut für Mensch wie Häschen:
Frühlingsdüfte einzusaugen
Bis ins letzte Lungenbläschen.

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Bücher zum Vers (26)

Martin Boghardt: Der iambische Trimeter im Drama der Goethezeit

Erschienen bei Buske 1973, klingt der Titel dieses Bandes vielleicht so, als würden leicht abgehobene Nebendinge in ihm verhandelt. Dem ist nicht so! Gleich in dreierlei Hinsicht werden sehr lehrreiche Dinge vorgestellt:

– Es wird aufgezeigt, auf welche Weise der Trimeter in Deutsche gelangte (zuerst einmal durch Übersetzungen aus dem Griechischen), und wie er sich dann so gestaltete und formte, dass er zu einem wirklich deutschen Vers wurde. Das ist immer spannend zu verfolgen und offenbart viel über das Wesen eines Verses.

– Es werden ausführlich Goethes Trimeter im „Faust“ besprochen sowie Schillers Trimeter aus der „Jungfrau von Orleans“ und der „Braut von Messina“. Und wann immer die Verse der beiden durchleuchtet werden, sollte man dabei sein; ihre Verse sind einfach zu gut, als dass man nichts aus Texten lernen könnte, die sich mit ihnen beschäftigen.

– Schließlich geht Boghardt auch noch auf Friedrich Schlegels „Alarcos“ ein. Das ist ein Stück, dass ich ohne die Hinweise in diesem Buch wahrscheinlich nie zur Kenntnis genommen hätte; doch gerade hier versucht Schlegel den Trimeter in vorher und nachher beispielloser Weise einzusetzen. Ob das glückt, wie es glückt, wo es scheitert – alles das erschließt den Vers noch weiter.

Zusammen mit den Anhängen und einigen weiterführenden Anmerkungen erhält der Leser allso ein ziemliches Rundumpaket in Sachen Trimeter, und, wer den Vers selbst versucht, auch reichlich Anregungen und Beispiele. So gesehen, ein allgemein empfehlenswertes Buch!

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Die Bewegungsschule (14)

Über den Vers sollte in den bisherigen Folgen alles Grundlegende gesagt sein. Ich springe daher noch mal zurück an den Anfang; zu den Sinneinheiten, aus denen sich der Vers aufbaut. Eine grundlegende Frage ist da die nach „Wiederholung und Abwandlung“.

„Wiederholung“ meint die erneute Nutzung einer schon verwendeten rhythmischen Einheit; das verstärkt die Wirkung der Einheit, birgt aber die Gefahr, dass das Ohr vom „immer gleichen“ auch gelangweilt wird, dass die Aufmerksamkeit nachlässt. „Abwandlung“ meint die Nutzung einer bisher noch nicht verwendeten rhythmischen Einheit; das erfreut das Ohr, weil es Neues zu hören bekommt, schwächt aber den Eindruck von Geschlossenheit, den ein Vers, ein Text haben sollte.

Die Wahrheit liegt wie üblich in der Mitte, und die Kunst besteht darin, „Wiederholung“ und „Abwechslung“ in Einklang zu bringen!

Als Beispiel für die verstärkende Kraft der Wiederholung möchte ich hier zwei kurze Gedichte von Toyotama Tsuno vorstellen, übersetzt von Manfred Hausmann und zu finden in „Japanische Lyrik“, Arche 1974, auf Seite 103; geradwegs untereinander.

 

Als heute Nacht
deine Hand nach mir suchte,
dachte ich, du seist wach.
Es geschah aber im Schlaf.
Doppeltes Glück.

 

Worum es mir geht, ist die Schlusszeile. Von der Bewegung her ist das ein TAMtataTAM, und das ist, wie schon erwähnt, eine der deutlichsten Bewegungen, die es im Deutschen gibt; und so schließt sie hier das Gedicht auch klar und nachdrücklich. Im Vergleich dazu nun das zweite Gedicht:

 

Der Ton der Tempelglocke
von jenseits der Bucht:
dass er verklingt, macht ihn so schön.

 

Hier steht in der Schlusszeile das TAMtataTAM zweimal, und die Wirkung verstärkt sich durch die Wiederholung beträchtlich, der Schluss wirkt sehr bestimmt und überzeugend; so, als könne das Gedicht hier nur zu Ende sein!

Eigentlich ist diese Bewegung sogar dreimal zu hören, ansatzweise zumindest; denn das „von jenseits der Bucht“ der zweiten Zeile unterscheidet sich ja nur durch das lose vorangestellte „von“, so dass „jeseits der Bucht“, TAMtataTAM, zumindestens anklingt?!

Auf jeden Fall zeigen solche Beispiele, dass es auch in nichtmetrischen Gedichten lohnt, über Versbewegung nachzudenken.

(„Japanische Lyrik ist übrigens ein schöner Band; mit einem schönen Nachwort von Manfred Hausmann, auch. Das neue „Das Wort“ stammt daraus.)

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Erzählverse: Der Hexameter (32)

Hexameter von Rudolf Borchardt

Rudolf Borchardts Gedichte schauen nach hinten, in die Vergangenheit; Der 1877 geborene Dichter suchte und fand immer eine Anbindung an die europäische Bildungs- und Dichtungstradition. So lesen sich dann auch seine Hexameter-Stücke, es gibt viel antik-mythologisches zu bestaunen, und es schadet nichts, ein wenig Bildung mitzubringen. Aber auch in der Form macht es Borchardt seinen Lesern nicht immer leicht – Wortwahl, Satzbau, alles mitunter schwierig und gewöhnungbedürftig. Die folgenden zwei Verse mögen das veranschaulichen:

 

Dass mich ein Aug, wie andere Bräutliche, dass mich ein Schrei doch,
Wild und ein süßer, ein einfacher hätte, ein selger getroffen

 

Aber andererseits – lässt man sich ein und liest notfalls drei- viermal, entwickeln die Verse schnell einen gewaltigen Sog. Bei diesen beiden ging es mir jedenfalls so!

Sie stammen aus der „Klage der Daphne“ (Zu finden in Rudolf Borchardt, Gedichte, Klett-Cotta 1957, S. 180 – 185), in der geklagt wird natürlich über Apollo; an einer Stelle begegnet dieser dabei Hermes:

 

Nebeneinander, Entsetzliche, standet ihr, größer, als wir sind,
Harte Gewältiger, gleißender Haut, mit lachenden Zähnen
Zwischen dem schwelgenden Munde, Verzehrende, Flammengeschwister,
Und ihr beredetet euch, über mich, in eigener Sprache.
Furchtbar müssen sie sein so wie ihr, euch willige Bräute,
Große und lachende Mädchen des Zufalls, brennende Dirnen
Ohne ein Herz in Brüsten, in deren vergessende Arme
Und in den Schoß ihr Brennende fahrt zu gewitternder Hochzeit.

 

Lest das doch einfach mal jemandem vor (ein- oder zweimaliges Üben zuvor schadet nicht) – meiner Erfahrung nach erntet man da, äh, interessante Reaktionen …

Dabei ist das noch recht einfach gestaltet und die „Klage“ selbst im Vergleich auch. In „Der ruhende Herakles“ (S. 539 – 560) gibt es ganze Abschnitte, die so seltsam verschachtelt sind, dass man beim ersten Lesen kein einziges Wort versteht … Aber auch daraus gebe ich ein halbwegs verständliches Beispiel. Herkules unterhält sich mit einem Landmann, als der den etwas verwunderlichen Vers spricht:

 

Aber gebeten sein und bedankt sein wollen wir Mädchen.

 

Die Auflösung folgt aber gleich im nächsten Vers – in Wirklichkeit ist der „Landmann“ Athene, und die lässt nun die Verkleidung fallen:

 

Sprachs, und wie aus Neblichem her der unsterbliche Berg ahnt
Erst noch ein Schatte und dann schon gewiss und endlich und gänzlich
Über dem niedergeflossenen Tau der Begeisterte aufsteht:
Also zerliefs am Stecken und schwebte zu Golde der Speer auf –
Hinter der Hundschnur dämmert‘ es groß und umblaute die Ägis
Reglose Brüste, und unter und über dem Goldhaar, heilig
Strömte der Bann, der Gorgo Blick und das einsame Lächeln.

 

Hui. Das muss man nicht mögen, aber eine gewisse Anziehungskraft kann man derlei Versen und Inhalten eigentlich kaum absprechen?!

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Die Eierjagd

Endlich lachte die Sonne; die Kinder eilten, im Garten
Eier zu suchen, doch trug ein vom Regen erschaffenes Bächlein
Diese schaukelnd davon! Am beeteumfassenden Randstein
Stürzten hinunter die Wasser, und wie einen mutigen Menschen,
Der, in ein Fass gezwängt, die donnernden Fälle hinab stürzt
Und in den schäumenden Strudeln versinkt und nicht mehr zu sehn ist,
Schweigend warten die Menschen, mit angehaltenem Atem,
Still auf die Rückkehr des Helden, der solchem Wagnis sich stellte;

Also verloren euch Eier aus köstlichster Schokolade,
Denen nur wenig Schutz die Hülle aus buntem Papier gibt,
Aus ihren Augen die Kinder, die eben erst staunend bemerkten,
Dass, statt in grüne Nester bewegungslos sich zu ducken,
Wie es doch immer der Brauch war beim wohlverborgenen Naschwerk,
Sich die ersehnten Gaben von Wellen getragen entfernten.

Angehaltenen Atems! So stand die Schar der Betrachter,
Hoffend, die Eier erneut im alten Glanz zu erblicken.

Da, es erhob das erste, ein rotes! den Kopf, in den Wellen
Hinter ihm folgte, wohlauf! der Eier beachtliche Zahl nach –
Jubelnd eilten die Kinder, der Beute sich zu bemächt’gen,
Warfen, nach Art des Bären, der zack! den Lachs mit der Pranke
Weit aus dem Fluss, hin ans Ufer mit einer gezielten Bewegung
Wirft, die Eier in liebliche Körbe, geflocht’ne, von welchen
Einen am Arme trug ein jedes der sammelnden Kinder,
Und es gelang ihnen wirklich, die sämtlichen Eier zu bergen,
Ehe der nächste Schauer sie alle wieder ins Haus trieb.

Hier, am Ofen versammelt, genossen sie dann in der Wärme,
Welche die Haare trocknet‘, und Hosen und Strümpfe und Schuhwerk:
Was der Garten gespendet, und sprachen mit fröhlichen Worten
Lange noch über die Jagd auf im Wasser sich tummelnde Eier.

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Bücher zum Vers (25)

Klaus von See: Skaldendichtung

Ein schmales, gerade einmal 100 Seiten umfassendes Bändchen, das 1980 bei Artemis in der Reihe „Einführungen“ erschienen ist. Zum Inhalt hat es die Skaldendichtung, also die altnordische Kunstlyrik des Mittelalters. Kann man das mit Gewinn lesen? Man kann, und sogar aus zwei Gründen: Einmal ist diese Dichtung an sich von Wert, weil sie Antworten gibt auf die immerwährenden Fragen der Dichtung, die vieles in einem neuen, anderen, weiterhelfenden Licht erscheinen lassen; zum anderen schafft es Klaus von See, die Begegnung mit diesem erst einmal sehr fremden Dichten so anschaulich und anregend zu gestalten, dass das Lesen an sich eine Freude ist. Also, wer den Band zufällig irgendwo erspäht: es lohnt sich.

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Das Königreich von Sede (41)

Des Königs Lockenpracht färbt sich in Schüben weiß.
„Was immer dir geschieht“, denkt er, „hat seinen Preis“
Und wandert, diesen Preis genauer zu erfahren,
Umher in den von ihm bisher durchlebten Jahren –

Er hält den kleinen Sohn durchs Fenster in die Welt,
Dass sie ihn kennenlernt; der frische Kriegsschmerz grellt
Durch den gestreckten Arm; er lässt den Knaben fallen,
Kommt wieder zu sich; schreit; beugt sich hinaus – dankt allen
Den Göttern, da der Sturz ein weiches Ende fand
Im Karren voller Heu, der unterm Fenster stand …

Er sucht mit siechem Arm nach einer Handvoll Haare,
Er schließt die Faust darum; „Ihr seid aus jenem Jahre.“