Die alten Meister wissen:
Zuzeiten spielt man gut,
Zuzeiten echt beschissen.
Erzählverse: Der Knittel (4)
Jacob Minor findet in seiner „Neuhochdeutschen Metrik“ große Worte in Bezug auf Goethes Knittelvers:
Was die Kunstdichtung im Spaß ersonnen, wurde im Faust von Goethe der erhabenste Ernst. Es war aber auch sonst ein großer Augenblick in der Geschichte unserer Metrik, als Goethe den Knittelvers aufnahm. Hier, und nicht bei Opitz, nicht bei Voss und den Schlegel ist die Urtat und die Schöpfungstat zu suchen. Zum ersten Mal hat sich hier ein Dichter nicht aus Laune und zum bloßen Spiel, sondern in den weihevollsten Stunden, in denen er den Besuch der höchsten Musen empfing, nicht dem nüchternen Schema oder gar einer halb wahren, halb falschen Theorie, sondern allein dem Gehör anvertraut!
Urtat. Ein wahrhaft großes Wort … Aber eben auch nicht ganz falsch, denke ich?! Trotzdem gehe ich auch in diesem Beitrag noch nicht auf die Knittelverse im Faust ein, sondern belasse es bei einem kleinen, recht bekannten Epigramm Goethes!
Gesellschaft
Aus einer großen Gesellschaft heraus
Ging einst ein stiller Gelehrter zu Haus.
Man fragte: Wie seid Ihr zufrieden gewesen?
„Wärens Bücher“, sagt er, „ich würd sie nicht lesen.“
Die ersten beiden Verse sind am Anfang nicht ganz eindeutig in der Bewegung?
Aus einer großen Gesellschaft heraus
Aus einer großen Gesellschaft heraus
Ging einst ein stiller Gelehrter zu Haus.
Ging einst ein stiller Gelehrter zu Haus.
Da muss sich jeder nach dem eigenen Ohr die passenden Bewegungslinien auswählen; ich denke, richtig falsch klingt keine?
Der dritte Vers ist eindeutig, der vierte auch; jedenfalls, wenn man ihn vierhebig lesen will, was ja das Muster der ersten drei Verse nahelegt. Dann rutscht das „Wärens“ in die (zweisilbige) Senkung:
„Wärens Bücher“, sagt er, „ich würd sie nicht lesen.“
Wer mag, kann den Vers aber auch fünfhebig lesen:
„Wärens Bücher“, sagt er, „ich würd sie nicht lesen“.
Das bricht zwar mit dem Beispiel der ersten Verse, aber nun ja … Mir gefällt es allerdings aus einem anderen Grunde nicht – so vorgetragen, bekommt der Vers am Anfang etwas sehr Steifes, fast schon Stechschrittartiges; und das passt nicht zum Rest? Außerdem ist das „Bücher“ ja viel wichtiger, ich finde, es macht mehr Sinn, schnell anzufangen und dann die Bewegung mit einem kräftigen „Bü-“ aufzufangen. Aber, wie gesagt: der Möglichkeiten sind viele, gerade beim Knittel; und auch die Geschwindigkeit des Vortrags spielt da eine Rolle.
Die Bewegungsschule (13)
Zum Vers an sich ist inzwischen fast alles gesagt. Zeit also, sich der Beziehung zwischen den Versen zuzuwenden, und das meint: dem Zeilensprung.
Der verhält sich hier wie bei allen anderen Versen auch (wobei ihn sicher ein Versmaß wie der Trimeter sparsamer verwendet als der Blankvers), kann aber in Hinsicht auf die Versbewegung eine wichtige Rolle spielen! Denn, keine Frage: Eine der Schwierigkeiten des Verses ist die doppelt besetzte Eingangssenkung – dagegen wehrt sich das Deutsche etwas, und man muss als Verfasser doch einigen Widerstand überwinden. Der Zeilensprung kann dabei helfen!
Es ist Kümmernis-Nacht, und der Vollmond wirft
Sein gespenstisches Licht auf das Schloss; aus dem Tor,
An den Graben heran kommt Schemel, der Narr,
Denn es flieht ihn der Schlaf, und die Nacht wird ihm lang –
Sie zu kürzen, besucht er die Frösche.
Die bemerken ihn nicht; von den Bergen herab
In den Wald, und zum Schloss, und dann weiter ins Land
Zog abends, und trug in die Ferne der Schar
Wehmütigen Sinn:
Ein Erschauern, ein Wispern von nacktem Gebein,
Das die Knochenfrösche verkündet.
Das ist, mal wieder, ein eher sinnfreies Stück zum „Königreich von Sede“ aus der Übungskladde. Quatsch, aber geeignet, um einige Dinge zu verdeutlichen?!
Der Vers ist ohnehin etwas zu kurz, um einen längeren Satz aufnehmen zu können; durch den Zeilensprung fällt dann der Neueinsatz am Versbeginn leichter, da zum Beispiel Nebensätze („Denn …“), darunter auch Relativsätze („Das …“), eine unbetonte Silbe gleichsam vorgeben, an die leicht „angebaut“ werden kann. Außerdem können mit zwei unbetonten Silben beginnende Satzteile an die Spitze des Verses treten, die dort nur schwer stehen könnten, begönne der Satz dort. Das alles sind keine sehr scharfen Zeilensprünge, weil ja zumindest die Grenze zwischen den Sinneinheiten beachtet wird; und so bekommt der Text Lebendigkeit und Abwechslung, während der Verfasser sich die Arbeit erleichtert. Was aber nicht heißt, dass keine heftigen Zeilensprünge vorkommen können hier und da; „der Schar // Wehmütigen Sinn“ zum Beispiel fügt sich ganz brauchbar ein, scheint mir?!
Jedenfalls ist das ein Punkt, den man im Auge haben sollte. Auch hier gilt: Versuchen, was geht und dem eigenen Geschmack entspricht, sich einfinden und vertraut werden. Der Vers bietet, ich erwähnte es, dem Schreibenden einigen Widerstand; aber gerade das macht ihn geeignet, sich über Fragen der Versbewegung Klarheit zu verschaffen!
Zu später Stunde
Dicke Romane gebiert des Nachts deine emsige Feder;
Schriebest du Distichen, Freund! bliebe zu schlafen dir Zeit.
Erzählverse: Der Hexameter (31)
Die Hexameter-Zeitmaschine
Jeder Dichter strebt danach, seine Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern. Ich für meinen Teil finde da vieles auf den älteren Stufen der deutschen Sprache, und der Hexameter ist eine Art Zeitmaschine, die den heutigen Dichter in die alten Zeiten reisen lassen kann. Denn zum einen liegen die Anfänge dieses Verses schon über 250 Jahre zurück, und zum anderen haben auch die damaligen Dichter gerne auf altes Sprachgut zurückgegriffen, wodurch man also noch weiter in die Vergangenheit gelangt!
Eine der Erscheinungen, bei denen sich diese Reise wirklich lohnt, ist der Genitiv: heute stark im Rückgang begriffen, doch früher ein unglaublich ausdrucksstarker Bestandteil der Sprache.
So hatte der Genitiv früher eine bemerkenswerte Arbeitsteilung mit dem Akkusativ: War das Objekt voll und ganz von der Handlung im Verb betroffen, so stand der Akkusativ, war es nur zum Teil betroffen, stand der Genitiv!
Ich esse das Brot meint da also, dass das ganze Brot gegessen wird; Ich esse des Brotes dagegen, dass nur ein Teil des Brotes von mir gegessen wird. Feine Sache, das, von oft erfrischendem Klang. Er nahm des Blutes in die Hand, steht bei Hölty; was müsste man da heute sagen – Er nahm etwas von dem Blut in die Hand?! Bah …
Der Genitiv steht also als „etwas loseres Objekt“. Das geht auch bei absolut, also ohne wirkliches Objekt gebrauchten Verben – ein sehr loses Abhängigkeitsverhältnis; der Genitiv beschreibt dann meistens den Grund einer Handlung. Womit wir wieder beim Hexameter sind – in der „Luise“ des Johann Heinrich Voss finden sich etwa diese beiden Verse:
Sprachs; da droht ihm Luise mit aufgehobenem Finger,
Feuerrot; und sie lachten des hold errötenden Mägdleins.
Mal abgesehen davon, dass es nicht nett ist, über (wie wir heute sagen) jemanden zu lachen (auch wenn es an höchster Stelle üblich ist, siehe Luthers der im Himmel wohnet, lachet ihrer): dieser Genitiv hat einen schönen Klang. Und die Präposition spart man sich auch … Einfach mal ausprobieren!
Schon fester ist die Bindung da nach Verben des Mangels oder des Verfehlens. In Gotthard Ludwig Theobul Kosegartens „Jucunde“ finden sich diese Hexameter über die (platonische) Seele:
Wieder erkennend das vormal Erschaute im irdischen Abglanz,
Schaudert sie, stockt, besinnt sich, entbrennt für das Schöne, verfolgt es
Tag und Nacht, vergisst der Speis und des Trankes, versäumet
Jegliche Pflicht des Bürgers, verschmähet die Ehr und den Reichtum:
Den ersten Vers finde ich schwach, aber hier geht es ja auch um das vergisst der Speis und des Trankes – klingt erstmal ungewohnt, aber auch das gibt es noch als Rest im heutigen Pflanzennamen Vergissmeinnicht – wenn man so will, ein sprachliches Fossil! Einen anderen Rest dieser ehemaligen Fülle bietet der dagegen auch heute noch mögliche Satz Diese Genitive entbehren nicht eines gewissen Reizes.
Zum Schluss schlage ich noch schnell einen Bogen zurück zum Anfang, zum „partitiven Genitiv“. Das Beispiel stammt hier aus August Gottlieb Eberhards „Hanchen und die Küchlein“:
Unglück tragen mit Stolz, und des Glückes genießen in Demut,
Das nur versöhnt das Geschick, und adelt vor Gott und vor Menschen.
Und einem solchen „Wort zum Sonntag“ ist dann wirklich nichts mehr hinzuzufügen.
Erzählverse: Der Blankvers (27)
Mein armes Herz, dein ganzes Unheil ist,
Dass du mit deiner tiefen Treue stehst
In einer Welt voll eitlen Flattersinns.
O, hätt’st auch du gelernt den Flattersinn!
Du aber, ach, du hast gelernt zu fliegen,
Zu fliegen wie ein Adler stolz und hoch,
Doch flattern, armes Herz, das kannst du nicht –
Du kannst nicht flattern wie ein Sperling flattert,
Du kannst nicht gaukeln wie ein Schmetterling,
Du kannst nur kühn empor zu Sonne steigen,
Und dein Geschick ist Himmel oder Tod.
Verse von Robert Hamerling. Ich denke, das war schon zur Zeit seines Erscheinens kein besonders gutes Gedicht, und heute ist es wohl gänzlich ungenießbar – zu offen stellt es die „großen Worte“ heraus, zu sehr verlässt es sich auf deren Wirkung. Aber ein Blick darauf lohnt sich eben doch, meine ich; einmal, um zu schauen, wie man aus Nichts Etwas macht, (was keine kleine Leistung ist), und zum anderen, um zu schauen, wie der Blankvers denn mit diesem ganzen Pathos zurechtkommt?! Erstaunlich gut, finde ich; fast, dass er das ganze ein wenig beruhigt und dämpft und den Text dadurch beinahe lesbar macht.
Das Königreich von Sede (40)
Am Graben wird aus Abend Nacht;
Das Froschgequak weicht Schweigen.
Die Dunkelheit ist aufgewacht,
Darin sich Sterne zeigen.
Prinz Klappstuhl schaut zum Himmelszelt,
Um dann den Kopf zu neigen,
Den Blick auf einem Stern, der fällt.
Lies diesen los, was andre hält?
Die Nacht ist voller Fragen.
Bücher zum Vers (24)
Jacob Minor: Neuhochdeutsche Metrik
Minors sehr empfehlenswerte Metrik ist in zweiter Auflage bei Trübner erschienen, im Jahre 1902; das war eigentlich ein ganz guter Zeitpunkt für eine Metrik?! Schon eine Reihe von Jahren entfernt von der klassischen Zeit, aber immer noch mitten im Geschehen, soweit es die Verwendung von metrisch geregelten Versen angeht. Das ist ein Mangel, den ich bei vielen heutigen Metriken feststelle – sie stehen eigentlich außerhalb dessen, worüber sie reden; sie sind kein Teil mehr davon. Das hört man dann gut in der immer etwas langweiligen Art, in der metrische Fragen verhandelt werden?! Davon gibt es bei Minor keine Spur. Zwar fällt er meistens ausgewogene „Einerseits-Andererseits-Urteile“, doch man merkt, dass er über eine Herzensangelegenheit redet, die ihn direkt und unmittelbar angeht. So gesehen, ein sehr empfehlenswertes Buch! Sicherlich wird das eine oder andere inzwischen inhaltlich anders gesehen, aber das tut dem Wert des Buches keinen Abbruch.
Reingefallen
In die Tonne fällt der Regen
und die Tonne heißt deswegen
Regentonne.
Später scheint dann auch die Sonne.
Nicht bewegen!