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Das Königreich von Sede (28)

Nach dem Fest

Der Abend kommt. Verstummt sind alle Geigen
Und aufgelöst der frohen Tänzer Reigen.
Vom Dorfplatz fort zum Heim strebt man beklommen:
Ein letzter Gruß, ein stilles Nicken. Schweigen.

Nun ist der Sonne letzter Schein verglommen.
Die klare Luft wird trübe und verschwommen,
Da Schwaden in die kühlen Lüfte steigen:
Des Nebelfrosches Stunde ist gekommen.

Wohl dem, in dessen Geist ein leises Lachen,
Ein Blick, ein Händedruck zusammenfinden,
Vergnügt ein Kuss und ein Versprechen wohnen:

Ihn wird des stummen Quaken Leere schonen,
Die kommt, an Mann und Frau sich fest zu binden
Und ihre Ängste zu vertausendfachen.

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Die Bewegungsschule (2)

Ich hoffe, das im letzten Eintrag angeregte Sammeln von tataTAM war ertragreich, und die Notizbücher und Hefte und Kladden sind wohlgefüllt; wie Scheunen nach der Ernte!

Diesmal möchte ich den Vers vorstellen, um den es im eigentlichen geht. Es ist dieser:

ta ta TAM / ta ta TAM || ta ta TAM / ta ta TAM

Also vier tataTAM, mit einem vergleichsweise tiefen Einschnitt genau in der Mitte, einer Pause sowohl inhaltlich als auch auf das Sprechen bezogen! Das wirkt im ersten Augenblick etwas starr und ist es auch; aber das bleibt nicht so, denn nach und nach werde ich zahlreiche Möglichkeiten vorstellen, den Vers abwechslungsreich und spannungsreich zu gestalten. Hier und jetzt allerdings schlage ich vor, ihn wirklich mit vier tataTAM zu füllen, ganz geduldig, immer wieder:

Aus dem Wort wird ein Vers, aus dem Vers ein Gedicht.

Das müssen keine sinnvollen Verse sein, und erst recht müssen es keine wirklichen Gedichte sein – es geht nur um das Einüben einer Grundbewegung, des tataTAMs, diesmal aber nicht mehr einzeln, sondern in Folgen von je vier tataTAM, und zwar immer so, dass die einzelnen tataTAM auch einer Sinneinheit entsprechen – und damit deutlich hörbar bleiben!

Das ist nicht schwierig, das ist nicht spannend; muss das wirklich sein? Na ja, wenn ich in einer Schul-AG oder im Verein Schachtraining mache, dann gehört das Lösen von Aufgaben, die ein „Matt in einem Zug“ (also einen sofortigen Gewinn) fordern, fest dazu. Das sind Aufgaben, die auch fast völlige Anfänger schon lösen können; und da kommt dann oft die Frage, warum das sein müsse, solche Aufgaben seien doch viel zu einfach. Das stimmt zwar, aber nur, solange man die Anordnung von Figuren, wie sie da auf dem Brett steht und sichtbar ist, für sich betrachtet. Doch es geht beim Schach ja auch darum, vorauszudenken: Ich mache das, sie das, ich das, sie das, ich das, und immer so weiter; solche „Varianten“ sind oft lang, und es kann geschehen, dass in der Stellung, bis zu der man sich vorgedacht hat, keine einzige der Figuren mehr da steht, wo sie am Anfang der Überlegungen gestanden hat. Und in diesem Augenblick, wo alles wie im Nebel zu verschwimmen beginnt: da muss ein Schachspieler in der Lage sein, das eigentlich so einfache „Matt in einem Zug“ trotzdem zu bemerken! Und das geht nur, wenn es zuvor immer und immer wieder eingeübt worden ist.

Ich denke, in Bezug auf die Versbewegung ist es ganz ähnlich. Später, wenn alle Möglichkeiten, die Grundbewegung abzuwandeln, eingeführt sind (und das werden einige sein), und sich eine Fülle von Wegen auftut, den Satz durch den Vers zu führen; und wenn außerdem, weil es ein „richtiges“ Gedicht werden soll, die Aufmerksamkeit mindestens so stark inhaltlichen Fragen gilt wie denen des Versbaus: dann muss immer noch das Gefühl für die Grundbewegung des Verses da sein, damit der Vers dem Verfasser nicht ausbricht aus dem gesteckten Rahmen, und damit dem Hörer wie der Leserin dieses so wichtige Gefühl von Schlüssigkeit, von Notwendigkeit sich vermittelt und vor allem das, was einen metrisch geregelten Vers an erster Stelle ausmacht, erkennbar bleibt: Das spannungsvolle Wechselspiel zwischen metrischem „Soll“ und rhythmischen „Ist“.

Also.

Wenn der Frosch sich bewegt, ists ein Sprung in den Teich.

… und derlei Verse, soviele eben machbar sind beim Warten auf den Bus, in der Mittagspause, oder wann immer ein, zwei, fünf Minuten drohen, ungenutzt zu verstreichen.

Das Sammeln von Wörtern muss darüber übrigens nicht zum Erliegen kommen … Gerne mehrsilbige, weil sich die beim Schreiben nicht immer einstellen. Also vielleicht tataTAM tataTAM – ein Halbvers mit mindestens einem viersilbigen Wort?!

Das Gemeinschaftsgefühl, ein Verkehrspolizist, die Bearbeitungsfrist (Klatsch, eins auf die Finger; nicht reimen!), der berauschende Wein, penetranter Geruch,  Episodenbeginn, der Gefangenenchor.

Und immer so weiter – ein leeres Blatt Papier findet sich!

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Abschied

„Ich werde mir unsere gemeinsame Zeit auf ewig bewahren“, sagte die Erinnerung. „Ich nicht“, sagte das Vergessen, und nach einer letzten Umarmung schieden sie für immer voneinander.

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Erzählverse: Der iambische Trimeter (8)

Eduard Mörikes „An Longus“ ist ein recht bekannter Text. Länger auch; ich stelle hier aber nur das Ende ein.

 

Durch Buße kommt ein Arger wohl zum Himmelreich:
Doch kann der Sehrmann Buße tun? O nimmermehr!
Drum fürcht ich, wenn sein abgeschiedner Geist dereinst
Sich, frech genug, des Paradieses Pforte naht,
Der rosigen, wo, Wache haltend, hellgelockt
Ein Engel lehnet, hingesenkt ein träumend Ohr
Den ewgen Melodien, die im Innern sind:
Aufschaut der Wächter, misset ruhig die Gestalt
Von Kopf zu Fuß, die fragende, und schüttelt jetzt
Mit sanftem Ernst, mitleidig fast, das schöne Haupt,
Links deutend, ungern, mit der Hand, abwärts den Pfad.
Befremdet, ja beleidigt stellt mein Mann sich an,
Und zaudert noch; doch da er sieht, hier sei es Ernst,
Schwenkt er in höchster Sehrheit trotziglich, getrost
Sich ab und schwänzelt ungesäumt der Hölle zu.

 

Was ein „Sehrmann“ ist, darum kreist der gesamte Text; es ist hier aber gar nicht mal so wichtig. Es lohnt sich vielmehr, der Art nachzuspüren, wie Mörike den Satz durch die Verse leitet, so dass sich alles fügt und rund wirkt, ohne dabei an Lebendigkeit und Spannung zu verlieren. Wirklich großartig gemacht! Dazu gehört dann auch das gelegentliche Inanspruchnehmen einer der für den Trimeter kennzeichnenden „metrischen Lizenzen“ wie zum Beispiel dem „Aufschaut der Wächter“, wodurch dieses Aufschauen gerade deutlich wird! Auch hier:

Links deutend, ungern, mit der Hand, abwärts den Pfad.

Vom Metrum her betrachtet sieht der Vers so aus:

Links deu- / tend, un– / gern, mit / der Hand, / abwärts / den Pfad.

Aber so kann er sicher nicht gelesen werden! Im wirklichen Vortrag kommt viel deutlicher die Endgültigkeit der Entscheidung zu Gehör dadurch, dass der Vers viel schwerer klingt, als er es mit seinen sechs betonten Silben eigentlich sollte:

Links deutend, / ungern, / mit der Hand, / abwärts / den Pfad.

Dazu noch die Wanderung einer Betonung von dem „mit“ aufs „-gern“?! So jedenfall würde ich den Vers lesen wollen. Vielleicht gibt es noch andere Möglichkeiten; sicher aber ist, das Mörike hier sehr eindrückliche Verse gelungen sind!

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Erzählverse: Der Blankvers (22)

Nach Herders seltsam ereignisreichen, ereignislosen Gedicht in trochäischen Vierhebern, das ich gestern vorgestellt habe, hier als Ergänzung noch ein derartiges Gedicht in Blankversen:

 

Magellan

Es strandeten zwei Schiffe Magellans;
Das Boot kann wenig fassen. „So bleib ich,“
Spricht Magellan, „allein am Strande, bis
Mein Volk gerettet ist.“ Er tats und blieb.
Gerettet holte man den Admiral
Zuletzt hinüber. Groß war Wort und Tat.

 

Auch geschichtlich betrachtet ist das etwa zeitgleich mit „Guatimozin“ – also um 1520. Im Versbau wieder nachlässig, den Übergang vom zweiten in den dritten Vers finde ich immer erst beim zweiten Lesen … Inhaltlich eigentlich gänzlich unauffällig?! Aber vielleicht sind ja gerade solche Stücke geeignet, einmal darüber nachzudenken, was denn die Versifikation überhaupt für einen Inhalt bedeutet …

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Erzählverse: Der Hexameter (17)

Der „Ioniker a minore“ im Hexameter

Kann eine rhythmische Figur der Form „x x X X“, “ ta ta tam tam“ im Hexameter vorkommen?! Nicht so einfach, aber mit etwas gutem Willen geht es!

Dafür muss sich aber der entsprechende deutsche Hexameter recht stark am antiken Vorbild ausrichten. Bei den Griechen und Römern konnte die letzte Silbe entweder „lang“ oder „kurz“ sein, soll heißen, im Versausgang waren diese beiden Formen möglich:

— v v — v
— v v — —

Bei der zweiten Form ist der Ionikus schon erkennbar, oder? Alles, was es dann noch braucht, ist ein Sinn-Einschnitt vor der viertletzten Silbe, und das „ta ta tam tam“ wird hörbar!

|| v v — —

Beispiele nehme ich aus der Ilias-Übersetzung von Voß – die ist ganz sicher „an der Antike orientiert“ … Zwanzigster Gesang, Vers 25:

 

Denn wo Achilleus allein den Troern naht in der Feldschlacht

 

„In der Feldschlacht“ ist das gesuchte „v v — —“! „Präposition + Artikel + Kompositum“ ist dabei eine gerngenommene Wahl, aber es geht natürlich auch anders – zwanzigster Gesang, Vers 374:

 

Trojas Söhn‘, und es stürmte der Streiter Gewühl und Geschrei scholl

 

„und Geschrei scholl“. Es geht aber auch mit Adjektiven, etwa im vierten Gesang, Vers 534:

 

Welche, wie groß der Held, wie gewaltig er war und wie ruhmvoll

 

Bitte: „und wie ruhmvoll“! Natürlich sind die letzten beiden Silben auch darum annährend gleichschwer, weil die Pause am Versende immer dazu führt, dass die letzte Silbe etwas mehr Beachtung erfährt. Dementsprechend sind Ioniker im Versinnern zwar denkbar, aber da wird die zweite Silbe wohl doch etwas schwächer gelesen als die erste. Damit das ganze überhaupt möglich wird, braucht es einen bukolischen Schnitt – also eine Sinnpause vor der (schweren) fünftletzten Silbe – und einem (Haupt)-Schnitt in der dritten, mit zwei unbetonten Silben ausgestatteten Einheit; und schließlich eine vierte Einheit, in der beide Silben (fast) gleichschwer sind. Hm, ich sehe schon, es ist wieder Zeit für ein Beispiel – diesmal aus Vossens eigener Praxis, der „Luise“ (zweite Idylle, Vers 25):

 

Väterchen, wachst du schon? Da ich aufstand, schliefst du so ruhig;

 

Väterchen, wachst du schon? Da ich aufstand, schliefst du so ruhig;

Alles, wie oben angekündigt; Aber wenn man den Vers spricht, merkt man schnell, dass es hier zumindest mehr Überzeugung braucht, den Ioniker hörbar zu machen … Andere Beispiele verhalten sich ähnlich – zweite Idylle, Vers 84:

 

Hurtig das Becken gereicht, und das Handtuch! Glüht mir das Antlitz

 

In „und das Handtuch“ wird natürlich die letzte Silbe durch das folgende Rufzeichen etwas gestützt. Aber allgemein – nein, das ist nicht so ganz das Wahre. Dann doch lieber die Ioniker am Versende. Ich schließe daher mit einem „Vergleichs-Ioniker“ aus Vossens „Bezaubertem Teufel“:

 

Wetter! so setze doch ab! Du Esel säufst wie ein Postknecht!

 

Hübsch! Aber wie gesagt – für diese Art von Erscheinung braucht es ein antikisierendes Verständnis des Verses. Im rein deutschen Hexameter, sagen wir, goethischer Ausprägung wird sich derlei seltener finden … Nichtsdestotrotz liest es sich eindrucksvoll, der Vers gewinnt an Schwere und Ausdruck, verliert aber dafür an Natürlichkeit. Ab und an ist das auch schön!

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Ohne Titel

Eichenschränke, gestellt in die Zeit. Sie lösen sich auf, nichts
Bleibt, nur Wind, nur der Holzwürmer Gelächter im Wind.

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Erzählverse: Der trochäische Vierheber (16)

Manchmal mag man einen Text, ohne wirklich zu wissen, warum. So geht es mir jedenfalls mit diesem kurzen Stück Johann Gottfried Herders:

 

Guatimozin

Guatimozin und sein Liebling,
Er der Mexikaner Kaiser,
Dieser seine treue Seele,
Lagen jetzt auf glühnden Kohlen,
Dass sie ihren weißen Teufeln
Noch mehr Schätze, als sie wussten,
Zeigen sollten. Guatimozin
Schwieg; da wendete sein Liebling
Sein Gesicht voll Qualen zu ihm,
Seufzend. „Freund,“ erwiderte der Kaiser,
„Ist mein Bette denn von Rosen?“
Also starben beide schweigend.

 

Handwerklich, vom Vers her scheint mir das gleich an einigen Stellen zweifelhaft; den drittletzten Vers zum Beispiel kann man eigentlich nicht anders lesen denn als Fünfheber, und trochäische Vierheber mit längeren Versen zu mischen, ist höchst unüblich!? Aber die Art, wie Herder das Geschehen hinstellt vor den Leser, wiegt das alles auf; und der letzte Vers schließt den Text dann eigenartig passend. So scheint es mir jedenfalls; vielleicht aber auch nur, weil ich diesen Text eben mag.

Den geschichtlichen Hintergrund, die spanische Eroberung des Azteken-Reiches, kann man samt dem wirklichen „Guatimozin“ und seinem Schicksal aber ohne weiteres nachlesen!

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Das Königreich von Sede (27)

Der König sitzt im Hühnerstall,
Noch atemlos vom Rennen –
Der Gattin wüster Wutanfall
Vertrieb ihn zu den Hennen …

Die nehmen ihn gelassen auf;
Als Grund, sich aufzuregen,
Gilt ihnen statt des Königs Lauf
Erfolg beim Eierlegen.

Den König rührt ihr schlichtes Tun.
Er hat den Atem wieder
Und singt, zu ehren Ei wie Huhn,
Ganz leise Legelieder.