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Erzählverse: Der Hexameter (2)

Der Hexameter verbindet mit der reichsten Mannigfaltigkeit und Abwechslung einen gleichmäßig ruhigen und würdevollen Gang, der ihn besonders für die epische Erzählung geeignet macht. Die Mannigfaltigkeit beruht auf der Verschiedenheit der Versfüße, Wortfüße und Zäsuren; die Gleichmäßigkeit auf der gleichen Anzahl Takte in dem rhythmisch genau abgegrenzten Versganzen. So ist der Hexameter ebenso biegsam wie vielseitig, als ruhig und stark. Die mannigfaltigen Abstufungen machen ihn fähig zum Ausdruck sanfterer und stärkerer Empfindungen, er vereinigt liebliche Anmut mit Würde und Kraft.

Das schreibt Jacob Minor in seiner „Neuhochdeutschen Metrik“ (empfehlenswertes Buch!) als Einstieg in seine Betrachtung des Hexameters, und ich führe seine Worte hier an, weil sie klarmachen, dass der Hexameter zum einen ein sehr „mächtiger“ Vers ist, sehr viel darstellen und abbilden kann; aber zum anderen diese Vielfalt nur hat, weil er über zahlreiche „Stellschrauben“ verfügt!

Und da liegt eine Schwierigkeit verborgen, fängt man selbst gerade mit dem Schreiben von Hexametern an: Man muss erst einmal den eigenen Hexameter finden, die richtigen Einstellungen vornehmen. Das dauert ein wenig, und bis dahin werden die Hexameter wahrscheinlich noch nicht ganz rund klingen; auch weil die Stellschrauben nicht unabhängig voneinander arbeiten – dreht man hier ein wenig, muss man auch dort etwas ändern, wodurch …

Meint: Geduld ist nötig, aber sie wird sich lohnen. Denn gar nicht so lange, und man hat „seinen“ Vers gefunden, der sich durch diese oder jene Feinheit unterscheidet von den Hexametern aller anderen Verfasser und doch zweifelsfrei ein Hexameter ist; und schön!

Als Beispiel kann das Verhältnis von drei- zu zweisilbigen Versfüßen gelten. Die hat Minor einfach ausgezählt für einige Klassiker: In Klopstocks „Messias“ liegt es bei 61:39, in der „Luise“ von Voss  bei 65:35; Goethes Hexameter ist deutlich „langsamer“, im „Reineke Fuchs“ ist das Verhältnis 49:51, in „Hermann und Dorothea“ 51:49.

Das wäre eine Stellschraube des Verses!

Eine andere ist die Zäsur – welche der Möglichkeiten wählt ein Verfasser häufiger, welche seltener? Da wähle ich als Beispiel Hölderlin, denn der hat fast ausschließlich männliche Zäsuren gewählt, also solche, bei denen der Einschnitt hinter einer betonten Silbe liegt. Das prägt den Vers stark! Die folgenden Verse sind aus Hölderlins „Archipelagus“ genommen:

Siehe! da löste sein Schiff || der fernhinsinnende Kaufmann,
Froh, denn es wehet‘ auch ihm || die beflügelnde Luft und die Götter
Liebten so, wie den Dichter, auch ihn, || dieweil er die guten
Gaben der Erd‘ ausglich || und Fernes Nahem vereinte.
Fern nach Cypros ziehet er hin||  und ferne nach Tyros,
Strebt nach Kolchis hinauf || und hinab zum alten Ägyptos,
Dass er Purpur und Wein || und Korn und Vließe gewinne
Für die eigene Stadt || und öfters über des kühnen
Herkules Säulen hinaus, || zu neuen seligen Inseln
Tragen die Hoffnungen ihn || und des Schiffes Flügel, indessen
Anders bewegt, am Gestade der Stadt || ein sinnender Jüngling
Weilt und die Woge belauscht || und Großes ahnet der Ernste
Wenn er zu Füßen so || des erderschütternden Meisters
Lauschet und sitzt und nicht umsonst || erzog ihn der Meergott.

Ich habe die Zäsuren gleich eingetragen: Hölderlins „Einstellung“ des Verses ist da sehr einseitig. Aber die Verse an sich sind herrlich, Hölderlin schrieb großartige Hexameter!

Im nächsten Beitrag wird Thomas Mann im Mittelpunkt stehen; und danach geht es dann an die Betrachtung all der anderen kleinen Hexameter-Schräubchen!

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Bücher zum Vers (8)

Robert Gernhardt: Gedanken zum Gedicht

Eines von jenen Büchern, die man bedenkenlos jedem zum Geburstag schenken kann, der sich auch nur ein wenig für Lyrik interessiert – man weiß halt, dass Gernhardt, wie man es von ihm gewohnt ist, Wissenswertes auf unterhaltende Weise vermitteln wird: Eben ein schmales Bändchen, an dem eigentlich jeder Lyrikinteressierte Gefallen finden müsste. Das Material ist teils für diesen Band geschrieben, teils schon vorher an verschiedenen Orten erschienen. Dabei handelt es sich um:

Thesen zum Thema.

Als da wären:
1. Das Image der Lyrik, 2. Die Verbreitungsformen der Lyrik,
3. Die Inhalte der Lyrik, 4. Die Qualität der Lyrik.

Herr Gernhardt, warum schreiben sie Gedichte? Das ist eine lange Geschichte.

Diese Kapitelüberschrift erklärt sich selbst – Gernhardt schildert hier sowohl sein „Warum überhaupt“ als auch sein „Warum so“.

Dreierpack: Interpretationen.

Drei nicht allzu lange, aber ordentliche Interpretationen eines Goethe-Gedichts, eines der Kriminal-Sonette von Rubiner / Eisenlohr / Hahn und eines eigenen Gedichts.

Darf man Dichter verbessern? Eine Annährung in drei Schritten.

Sehr interessantes Thema!  Mit ein Höhepunkt sicher die Schilderung, wie Berthold Brecht die Gedichte eines Lyrik-Bandes von Ingeborg Bachmann „verbessert“ …

Golden Oldies oder Wo zum Teufel bleiben eigentlich die Lyrik-Hämmer der Saison?

Für mich der beste Teil des Buches. Es geht, wie die Überschrift schon vermuten lässt, um die Frage nach der nicht mehr vorhandenen „Breitenwirkung“ heutiger Lyrik; dazu gehört ein sehr spannender Vergleich einer früheren Gedichtsammlung – der „Menschheitsdämmerung“, 1919 von Karl Pinthus herausgegeben – und einer beim Erscheinen des Buches aktuellen Sammlung – dem „Luchterhand Jahrbuch der Lyrik 1988/89“. Gernhardt entwickelt seine Gedanken hier an sehr vielen schon an sich interessanten Beispielen, so dass auch Stoff zum Weiterdenken geliefert wird!

Soviel zum Inhalt. Ich möchte den Band auf jeden Fall empfehlen – selbst ganz hartgesottene Lyrikspezialisten sollten hier, wenn sie auch inhaltlich vielleicht nichts wirklich neues vorgesetzt bekommen, durch die Gernhardtsche Aufbereitung der Themen einen gewissen Lesespaß haben. Erschienen ist der Band 1990 bei Haffmans (meine Ausgabe) und dann nochmal 2002 bei Heyne (ob da inhaltliche Änderungen drin sind, weiß ich gerade nicht). Heute wird er nur noch gebraucht zu bekommen sein, aber wer die Gelegenheit hat …

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Erzählverse: Der trochäische Vierheber (12)

Der Vierheber ist auch für der Drama benutzt worden; ein Beispiel ist  „Der Kaiser und die Hexe“ von Hugo von Hofmannsthal. Der Beginn dieses Stückes liest sich so:

Eine Lichtung inmitten der kaiserlichen Jagdwälder. Links eine Quelle. Rechts dichter Wald, ein Abhang, eine Höhle, deren Eingang Schlingpflanzen verhängen. Im Hintergrund das goldene Gitter des Fasanengeheges, dahinter ein Durchschlag, der hügelan führt.

Der Kaiser tritt auf, einen grünen, goldgestickten Mantel um,
den Jagdspieß in der Hand, den goldenen Reif im Haar.
Wohl, ich jage! Ja, ich jage …
Dort der Eber, aufgewühlt
Schaukelt noch das Unterholz,
Hier der Speer! Und hier der Jäger!
Er schaudert, lässt den Speer fallen.
Nein, ich bin das Wild, mich jagt es,
Hunde sind in meinem Rücken,
Ihre Zähne mir im Fleisch,
Mir im Hirn sind ihre Zähne.
Greift sich an den Kopf.
Hier ist einer, innen, einer,
Unaufhörlich, eine Wunde,
Wund vom immer gleichen Bild
Ihrer offnen, weißen Arme …
Und daneben, hart daneben,
Das Gefühl von ihrem Lachen,
Nicht der Klang, nur das Gefühl
Wie ein lautlos warmes Rieseln …
Blut? … Mein Blut ist voll von ihr!
Alles: Hirn, Herz, Augen, Ohren!
In der Luft, an allen Bäumen
Klebt ihr Glanz, ich muss ihn atmen.
Ich will los! Die Ohren hab‘ ich
Angefüllt mit Lärm der Hunde,
Meine Augen bohr‘ ich fest
In das Wild, ich will nichts spüren
Als das Keuchen, als das Flüchten
Dieser Rehe, dieser Vögel,
Und ein totenhafter Schlaf
Soll mir nachts mit Blei versiegeln
Diese Welt … doch innen, innen
Ist die Tür, die nichts verriegelt!
Keine Nacht mehr! Diese Nächte
Brechen, was die Tage schwuren.
Er rüttelt sich an der Brust.
Steh! Es wird ja keine kommen,
Sieben sind hinab, vorbei …
Sieben? Jetzt, nur jetzt nichts denken!
Alles schwindelnd, alles schwank,
Jagen und nur immer jagen,
Nur bis diese Sonne sank,
Diesen Taumel noch ertragen!
Trinken hier, doch nicht besinnen.

Die Hexe, jung und schön, in einem durchsichtigen Gewand,
mit offenem Haar, steht hinter ihm.
Nicht besinnen? Nicht auf mich?
Nicht auf uns? Nicht auf die Nächte?
Auf die Lippen nicht? Die Arme?
Auf mein Lachen, auf mein Haar?
Nicht besinnen auf was war?
Und auf was, einmal verloren,
Keine Reue wiederbringt …?

Der Kaiser
Heute, heute ist ein Ende!
Ich will dir’s entgegenschrein:
Sieben Jahre war ich dein,
War ein Kind, als es begann,
End‘ es nun, da ich ein Mann!

Zu sehen, zu vernehmen ist der Kaiser Porphyrogenitus bei dem Versuch, sich von der Hexe, der er verfallen ist, loszureißen; und das, es ist nicht zu überhören, fällt ihm sehr schwer. Dementsprechend haben die Verse auch etwas zerrissenes, gehetztes!?

Am bemerkenswertesten ist sicher, wie die weitestgehend ungereimten trochäischen Vierheber immer einmal wieder in den Reim „hinüberkippen“ – erst ein Kreuzreim des Kaisers, dann ein Paarreim der Hexe, dann ein doppelter Paarreim des Kaisers -, ohne dass dies groß auffällt in der ohnehin sehr wohlklingenden Sprache der Verse. Einen Unterschied gibt es aber doch:
Die Reim-Verse schließen überwiegend betont, während in den längeren ungereimten Abschnitten zwar immer mal wieder ein betont schließender Vers auftaucht, aber eigentlich kaum häufiger, als es in Vierheber-Texten üblich ist!

Einige Ausdrücke klingen mir etwas schräg – „mit Lärm der Hunde“, „Nicht besinnen auf was war“ … Aber das hat seinen eigenen Reiz?!

Insgesamt ein schöner Text, meinem Ohr nach.

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Das Königreich von Sede (17)

Eingemummelt in den Mantel,
Wohlgewärmt von Schal und Mütze
Sitzt Prinz Klappstuhl nachts am Graben,
Den das Eis seit Wochen deckt;
Längst schon ist des Sommers Wärme,
Ist der Frösche träges Quarren
Fort; verweht; ein fern‘ Erinnern
In des Prinzen Geist. Das regt sich,
Wächst, wird Wunsch – doch in der Stille,
Die im Silberlicht des Mondes,
Die beim hellen Glanz des Eises
Weiter wird und sich vertieft:
Wagt der Prinz es nicht, zu quarren,
Lässt stattdessen auf die Knie sich,
Sich auf seine Hände nieder,
Spannt die Muskeln, löst sie, hüpft!
Eben wie die Frösche hüpfen
In des Sommers warmen Nächten,
Zu erbeuten, zu entkommen,
Und aus reiner Lebenslust.
Dies Gehüpfe aber Klappstuhls,
Eingemummelt in den Mantel,
Wohlgewärmt von Schal und Mütze,
Sieht vom fernen Rand des Waldes,
Sieht vom höchsten Ast des Baumes
Sich die Grübeleule an:
Unbewegt und funkeläugig.

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Das Ein-Vers-Gedicht (3)

Auch unter Gotthold Ephraim Lessings „Sinngedichten“ findet sich ein Ein-Vers-Gedicht:

 

Grabspruch auf einen Gehängten

Hier ruht er, wenn der Wind nicht weht!

 

Wobei sich, wie bei allen Kurz- und Kürzestgedichten, sicher gleich die Frage nach der Überschrift stellt. Kann ein Ein-Vers-Gedicht überhaupt eine Überschrift haben?! Kommt darauf an – auf das nämlich, was drinsteht. „Grabspruch“ zum Beispiel geht in Ordnung, das ist ja nur eine Art Gattungsbezeichnung; Der „Gehängte“ ist da sicherlich viel bedenklicher, weil ohne seine Erwähnung der eigentliche Vers nicht viel Sinn macht! Ich lasse die Frage einfach mal offen und werfe einen Blick auf den eigentlichen Vers. Der weist ja doch einiges an sprachlicher Gestaltung auf:

x X / x || X / x X / x X

Metrisch gesehen ein vierhebiger Iambus, der durch einen Einschnitt angenehm geteilt wird in einen kürzeren vorderen (x X x) und einen längeren hinteren Teil (X x X x X); beide symmetrisch gebaut. Diese beiden Teile sind dann wiederum in sich ansprechend gestaltet: Das „ruht“ bildet den Mittelpunkt des ersten Teils, der entgegengesetzte „Wind“ den Mittelpunkt des zweiten Teils, der zudem bei den drei betonten Silben noch ein Alliteration zu bieten hat: we, Wi, we.

Ist das viel, ist das wenig an sprachlicher Gestaltung? Bezogen auf die Länge des Textes: Einiges, scheint mir. Wobei das dann auch so eine Frage ist – sind die sprachlichen Erscheinungen, die in einem sehr kurzen Text spürbar werden, dieselben, die auch in einem längeren Text wirken? Oder muss man anderes bewerten, gar dasselbe anders werten?! Diese Ein-Vers-Gedichte sind halt ein Grenzbereich, und da verschwimmt vieles. Was dagegen sehr klar ist: Hier ist Lessing ein wirklich gutes „Sinngedicht“ gelungen!

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Ghasel vom verlorenen Glück

Als spät am Tage dicht der Regen fällt,
Dir lieblos ins Gesicht der Regen fällt:
Da gibst du endlich jede Hoffnung auf
Und stellst dich dem Gericht. Der Regen fällt
Das längst erahnte Urteil, und du weinst,
Derweil durchs letzte Licht der Regen fällt.

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Erzählverse: Der Blankvers (15)

Der folgende Text stammt von Gerhart Hauptmann, ich habe ihn aus dem vierten Band („Lyrik und Versepik“) seiner „Sämtliche Werke“, erschienen 1964 bei Propyläen; da steht er auf Seite 167.

Es ist ein seltsamer Text, der aufhorchen lässt; am bemerkenswertesten ist für mich die Art, wie Hauptmann hier mit Wiederholungen umgeht, denen von Klängen ebenso wie denen von ganzen Wörtern und Ausdrücken?! Was das für Wirkungen hat, und warum: das zu ergründen lohnt sich …

Rein vom Vers her ist sicher der eine, hervor- und herausragende Siebenheber bemerkenswert!

 

Das Spielzeug

Der Imperator wirft sein Spielzeug hin,
ein silbernes Gerippe, auf den Tisch
von Marmor, und es schnappt und schnickt und schnalzt,
es schnellt empor und tanzt. Der Imperator,
der eben noch gegähnt und sich geräkelt,
lacht auf. Das silberne Skelettlein klirrt,
verhöhnt den Tod. Kein Totentanz, ein Tanz des ewigen Lebens
ist, was es tanzt. Am Ende rutscht es aus
und streckt mit Faxen alle viere von sich. –
Jawohl, ’s ist alles nur ein Possenspiel,
so denkt, sich schneuzend, jetzt der Imperator,
das Klapperbeinchen tanzt die Posse gut
und spaßig. Und er ruft ihm zu: „Steh auf!“ –
Da schnellt’s zwei Spannen hoch. „Der Tod“, so lallt
der Imperator, „ist ein hohler Popanz,
ein dummer Kinderschreck!“ Er lallt und lacht.
Ein dummer Kinderschreck, den Dichter hätscheln! –
Er lallt und lacht, brüllt plötzlich auf: „Du lügst!“
Meint er sich selbst? Er springt zwei Ellen hoch
und stirbt. Der kleine Silberdämon tanzt
noch immer, klirrend, klappernd, auf dem Tisch,
streckt alle viere von sich, springt empor.
Doch nicht der Imperator! Der bleibt still!
Das Spielzeug hüpft und tanzt. Genug nun, Spielzeug!