Erzählverse: Der trochäische Vierheber (7)

In diesem Beitrag möchte ich das erste Kapitel von Ludwig Strauß‘ Legende „Mechtildis unter der Buche“ vorstellen.  Entnommen habe ich diesen Text dem Band: Ludwig Strauß, Gedichte und Schriften, Kösel, München 1963; dort ist das erste Kapitel auf den Seiten 327-329 zu finden.

Die von immergleicher Trauer
Langsam ging, von immergleichem
Traume lieblich aufgehoben
Sinnend schwebte, die Mechtildis,
Guntram väterlichen Grimmes
Zwang sie aus dem Einsamwandeln,
Einsamsitzen vor den Thron.

Ein Eingangssatz, der mich beeindruckt hat, als ich ihn zum ersten Mal las. Man merkt schon, die „normale“ Satzstellung ist aufgegeben, auch der Vers macht sein Gewicht gelten. Die für im Vierheber geschriebene Texte kennzeichnenden Wiederholungen von Satzteilen sind gleich am Anfang vertreten. Beispielhaft für die Versbehandlung in diesem Text ist der letzte Vers: Hier endet der Satz, und Strauß schließt ihn unter Auslassung einer unbetonten Silbe auf einer betonten Silbe! Die lange Sprechpause nach dem Punkt vertritt dabei die unbetonte Silbe.

„Einzig Blut, das von mir dauert,
Soll ich zusehn, wie du absiechst,
Aufgesogen von der Sonne,
Hingenommen von dem Winde,
Wolke halb vergehst im Blauen,
Halb verrinnst im toten Sand?
Eher reiß ich aus der welken
Trauer um den ledigen Fahrer
Der aus Nichts in Nichts geschwunden,
An den Haaren dich herauf.“

Wieder eine lose Satzstellung, Parallelismen, Satzschlüsse auf betonten Silben („Sand“, „herauf“). All das ist kennzeichnend für den Text und bleibt im weiteren so, auch wenn ich es nicht mehr erwähne! Bei „ledigen“ gibt es durch die beiden unbetonten Silben eine kleine Abweichung vom Versmaß.

„Vater“, sagte da Mechtildis,
Ihre Stimme schwer von Ferne,
Mühsam in die blauen, vollen
Blicke fassend Thron und Herrn,
„König, der du Macht hast über
Acker, Wald und Schiff und Menschen,
Hast du aber auch die Krone
Von den Geistern in dem Wasser,
Von den Wesen in den Bäumen,
Von den Seelen in den Leibern?
Kannst dem Winde auch gebieten,
stillzustehn, des Baumes Rauschen
Schweigen und der Welle Stimme
Und die Trauer in der Brust?
Samen streu in deine Äcker,
Bäume setz in deine Forste,
Halm wächst doch im eignen Wesen,
Baum im eigenen Gesetz.“

Wie hält es Strauß mit dem Zeilensprung?! Einige Male trennt er zwar zusammengehöriges, aber im allgemeinen ist er da vorsichtig. Zu dem „über“ etwa, das am Versende steht, tritt der gesamte folgende Vers, was die Trennung weniger hart klingen lässt? Diese Aufzählung ist auch in ihrer Bewegung bemerkenswert:

Acker, Wald und Schiff und Menschen

Ich hatte ja schon auf „klappernde“ Aufzählungen der Art „Silben, Wörter, Sätze, Texte“ hingewiesen mit genau gleichen Aufzählungsgliedern; Strauß‘ Aufzählung ist nun das „andere Äußerste“, denn hier ist kein Glied der Aufzählung einem anderen gleich:

Acker, / Wald / und Schiff / und Menschen

X x / X / x X / x X x

– Ein sehr abwechslungsreich sich gliedernder Vers!

Guntram, vor der fremden Stete
Wirrnis zornig spürend, senkte
Hart zur Brust das bärtige Antlitz,
Nährte aus des Thrones Golde,
Stärkte aus dem Waffenschimmern
Seiner Scharen durch die Tore
Die gebieterischen Mächte
In dem angefochtnen Mute,
Riss das Haupt herauf und schrie:
„Da an Rede Widerrede
Du zu setzen nicht ermattest,
Lass nun schaun, ob auch dem Zwang du
Widerzwang hast aufzubieten,
Welche Kraft wohl länger währt!

„Bärtige“, wieder zwei unbetonte Silben; und an derselben Stelle im Vers wie das „ledige“. Die Satzstellung am Schluss, das scheinbar unverbundene „Welche …“, das aber doch zu „Lass nun schaun,“ gehört, erscheint mir sehr reizvoll!

Unverhoffte Gnade“, sprach er,
„Unverdiente soll dir werden,
Doch gewaltsam wie dem strotzigen
Kind ins aufgehaltne Mundwerk
Heilsam Tränklein wird geflößt.
Um dich wirbt und soll dich haben
Hatto, nachbarlicher König,
Der an Reichtum mit den Reichen
Funkelt, der an Manneswerte
Fürsten, Mannen überstrahlt.

Diesmal steht mit „strotzigen“ eine „doppelt besetzte Senkung“ am Versende! Das ist ziemlich ungewöhnlich … Ich glaube, das werden im Vortrag viele auf „strotz’ge“ verkürzen? Andererseits ist ein recht heftiger Zeilensprung da, das Versende tritt also ohnehin nicht so stark als Pause in Erscheinung; und gerade an dieser Stelle, mit diesem Wort das Metrum zu durchbrechen: passt gut zum Inhalt?!

Dem ein Kampfgott reiht die Heerschar,
Dem ein Blitz wohnt in der Schwerthand,
In den Rennerbeinen Hirschblut,
Dem ein Falkenblick den Spieß lenkt,
Held von Helden, Jäger über
Allen Jägern, wirbt um dich.

Die zusätzlichen unbetonten Silben, die ich angesprochen habe, setzt Strauß häufiger, als es üblich ist. Wenn aber diese Möglichkeit der Auflockerung selten ist, woraus gewinnt der Vierheber dann die nötige Abwechslung, seine Vielgestaltigkeit? Dieser Abschnitt zeigt zwei Möglichkeiten dafür!

Einmal die Wahl der Schluss-Silbe. Es macht für den Eindruck, den der Vers dem Ohr macht, einen gewaltigen Unterschied, ob die letzten beiden Silben durch ein Wort wie „Wesen“ besetzt sind, in dem die letzte Silbe fast ganz stumm bleibt, oder durch ein Wort wie „Heerschar“, in dem die zweite Silbe erstens eine „Sinnsilbe“ ist und zweitens einen langen Vokal aufweist! Dadurch bekommt diese Silbe ein großes Gewicht, sie hat eine starke Nebenbetonung. Strauß setzt diese Möglichkeit nun gleich viermal nacheinander ein: „Heerschar“, „Schwerthand“, „Hirschblut“ „Spieß lenkt“, im letzten Fall durch zwei „schwere“ einsilbige Wörter. Die damit erzielte Wirkung ist sehr stark!

Zweitens entsteht Vielfalt durch die Möglichkeit, sozusagen „am Metrum vorbei“ andere Bewegungsmuster in den Text zu schmuggeln. Hier sieht man das deutlich an diesem Vers:

Dem ein Blitz wohnt in der Schwerthand.

Vom Metrum her ein tadelloser vierhebiger Trochäus:

Dem ein / Blitz wohnt / in der / Schwert-hand.

X x / X x / X x / X x

Allerdings sind zwei der Silben, die in der „Senkung“ stehen, für sich viel bedeutender, „schwerer“, als zwei der Silben, die in der „Hebung“ stehen: „wohnt“ und „-hand“ als Senkungssilben, „Dem“ und „in“ als Hebungssilben. Das führt dazu, dass im lebendigen Vortrag die Versbewegung eher so aussehen dürfte:

v v — —, v v — —

(Wobei ich durch die beiden unterschiedlichen Darstellungsformen keine Verwirrung stiften möchte; hier sollen „X“ und „x“ mehr auf das „theoretische Metrum“ verweisen, „v“ und „—“ mehr, hier: ausdrücklich auf die „gesprochene Wirklichkeit“. Das hängt selbstredend zusammen; aber es ist nicht deckungsgleich.)

Also ein tataTAMTAM, tataTAMTAM – ich weiß nicht, ob die Bewegung deutlich wird, aber in Bezug auf die antike Terminologie sind das „Ioniker a minore“, so gut sie das Deutsche eben hinbekommt; eine sehr eindrückliche Bewegung, und stark vom üblichen „trochäischen Gang“ unterschieden!

Der Vers vor diesem („Dem ein Kampfgott …“) bereitet diese besondere Bewegung schon vor, der Vers danach ist anders gebaut, dann kommt noch eine Erinnerung an den Ioniker; und dann fällt die Versbewegung zurück in üblichere Muster.

Gib mir nun kein Wort und Zeichen,
Denn der Unverständigen muss ich
Fraglos ordnen, was ihr zukommt,
Und zum Neumond wird die Hochzeit
Dir gerüstet hier im Saal.“

Wie weit trägt die angesprochene „besondere Bewegung“ des Ionikers? Hat man sie hier noch im Ohr, liest man die Folge „was ihr zukommt, und zum Neumond wird die Hochzeit“ vielleicht auch als „v v — —, v v — —, v v — —“?! Vielleicht aber auch nicht, denn so klar wie im zuerst besprochenen Vers ist die Bewegung an dieser Stelle längst nicht. „Unverständigen“, noch einmal zwei unbetonte Silben; wie gesagt, Strauß benutzt sie häufiger, als es üblich ist.

Das erste Kapitel endet hier, passenderweise; die Bühne, auf der sich die Legende im weiteren entfaltet, ist bereitet!

Mir gefällt Strauß‘ Text sehr gut. Vom Inhalt her ist es eine „handelsübliche Legende“, aber die Art, wie Strauß sie mit Hilfe des Vierhebers in sprachliche Wirklichkeit formt, beeindruckt mich bei jedem Lesen, jedem Sprechen wieder …

Erzählverse: Der trochäische Vierheber (6)

Die Art und Weise, wie ungereimte, gereihte trochäische Vierheber in der deutschen Dichtung gebraucht werden, speist sich aus drei verschiedenen Einflüssen. Der erste ist der Einfluss der Antike, die Übersetzung und Nachahmung der „Lieder Anakreons“; davon war hier  schon die Rede. Der zweite ist der Einfluss spanische Romanzendichtung; davon wird hier noch die Rede sein. Und der dritte ist der Einfluss der „Kalevala“, des finnischen Epos, das Elias Lönnrot in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus gesammelten mündlichen Quellen zusammengestellt hat. Der „Kalavela-Vers“ wird im Deutschen oft durch einen vierhebigen Trochäus wiedergegeben, eine Entscheidung, über die viel gestritten worden ist, die aber auch nicht besser oder schlechter ist als andere.

Klingen tut das ganze dann jedenfalls wie in dem folgenden, ganz kleinen Ausschnitt aus der „14. Rune“ (das Gesamtwerk umfasst 22795 Verse!) in der Übersetzung von Dagmar Welding (in 3. Auflage erschienen ???? bei Mellinger in Stuttgart):

„Waldwirt, du vom Tapiohofe,
du des Tapiohofes Wirtin,
und du Waldesgreis, du Graubart,
du des Waldes goldner König,
Mimerki, du Waldesmutter,
liebe Waldesgabenmutter,
in dem blauen Mantel, Alte,
rotbestrumpfte Sumpfeswirtin,
komme nun das Gold zu tauschen,
komm nun Silber einzuwechseln,
Gold hab ich von Mondesalter,
Silber von der Sonne Alter,
in dem Handgemeng‘ gewonnen,
scharfen Schlachten schwer erbeutet;
nützt sich ab im Beutel liegend,
dunkelt trüb im Zundersacke,
ist da niemand, Gold zu tauschen,
und kein Wechsler für das Silber!“
So war Lemminkäinen lustig
lange gleitend hingeeilet,
sang im Laubwald seine Strophen,
in des tiefen Urwalds Öde;
Sang geneigt des Waldes Wirtin
und geneigt des Waldes Wirt sich,
macht von sich entzückt die Mädchen,
stimmt für sich die Tapiotöchter.

Das ist als Übersetzung „abgeleitet“, die Verse bewegen sich nicht unbedingt so, wie sie es in einem „rein deutschen“ Text täten; von daher ist es nicht sinnvoll, hier genauer in die Verse hineinzuschauen. Für mich liegt der Reiz an anderer Stelle!

Wenn man sich nämlich einliest in die Kalevala, dann gewinnt man bald den Eindruck, und festigt ihn mit jedem weiteren Dutzend Verse: Wiederholung ist etwas herrliches, und der trochäische Vierheber ist ein Maß, das Wiederholungen wunderbar tragen und vermitteln kann!

Um mal die ganz großen Worte zu wählen: Hier drin steckt auch ein Stück Befreiung von dem Zwang der heutigen Sprache, möglichst viel möglichst fehlerfrei mit möglichst kleinem Aufwand aussagen zu müssen. Hier findet sich eine Möglichkeit, Dinge auszubreiten vor dem Leser, sich in Einzelheiten zu verlieren; denn der Vers trägt das alles, er hält die Aufmerksamkeit des Lesers (oder eher: des Hörers?!) fest durch seinen immer gleichen Aufbau, der aber doch jedesmal leicht anders gestaltet ist. Wiederholung und Abwandlung der Wiederholung: damit ist viel zu erreichen! Ich hänge zum Schluss noch einen kleinen Absatz aus der „6. Rune“ an, das zu verdeutlichen; und empfehle die Kalevala für lange Winterstunden. Es lohnt sich! Im nächsten Beitrag geht es dann aber wieder mit Vierhebern neuerer, deutscher Dichter weiter.

Inhaltlich geht es darum, dass jemand mit Pfeil und Bogen auf seinen Feind wartet, der irgendwann auftauchen muss:

Lange wartet er auf Väinö,
lauert lange unermüdlich,
sogar sitzend an dem Fenster,
spähend um die Speicherecke,
horchend an des Triftwegs Ausgang,
wachsam blickend übers Blachfeld,
Köcher voller Pfeil am Rücken,
unterm Arm den guten Bogen.
Spähet dann noch weiter draußen,
an dem andren Hause drüben,
an der Feuerspitze Ende,
an der Feuerlandzung Höhlung,
dicht am feur’gen Wasserfalle,
an des heil’gen Stromes Strudel.

Und der Leser wartet mit. Bis dann schließlich, „Eines schönen Tags geschah es, / Einem Morgen unter andren“,  der Gesuchte reitend in Sicht kommt …

Erzählverse: Der trochäische Vierheber (5)

Ich möchte in den weiteren Beiträgen auf wirklich lange Erzähltexte zu sprechen kommen; solche, die mehrere tausend Verse umfassen. Diese Texte werden in der Regel nicht aus der Jetztzeit stammen, sondern vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts oder aus noch früherer Zeit.

Um aber zu zeigen, dass auch heutzutage in trochäischen Vierhebern erzählt werden kann und erzählt wird, stelle ich hier erst noch etwas von Robert Gernhardt ein, einen Ausschnitt aus seinem sehr langen Gedicht Ein Gespräch im Hotel „Schwarzer Bock“, Ansbach 1993. Entnommen habe ich den Ausschnitt dem Band Robert Gernhardt. Gesammelte Gedichte 1954 – 2004, der 2005 im S.Fischer-Verlag erschienen ist; die Verse finden sich darin auf den Seiten 340-342.

Der Text enthält eine Fülle von Formen, keineswegs nur Vierheber; an einer Stelle aber wird das „Ich“ gefragt „Und das soll ich dir abnehmen?“ – und setzt zu einer längeren Erzählung in Vierhebern an. Dieser:

Warum nicht? Ein Unbehauster
War auch ich in jenem Frühjahr,
Als die Frau mir anvertraute:
Du, da gibt es einen andern.
Nichts wie weg. Erst kurz vor Würzburg
überlegte ich: Wohin denn?
Amberg? Bamberg? Nürnberg? Bayreuth?
Dann die Flatter hinter Würzburg.

Bis die Abfahrt kam, das zog sich.
Fahr mal, wenn dein Herz verrückt spielt.
Runter. Valium. Drei Kreuze.
Das war knapp. Dann wieder Straßen,
Regen, Hinweisschilder, Ansbach.
Ansbach – war ich da nicht schon mal?
Wird schon dunkel. Also Ansbach.

Ansbach also. Zimmersuche.
Ja, das nehm‘ ich. Eilig weiter.
Schließlich muss der Mensch was trinken.
Aber wo? Auf Ansbachs Marktplatz
war nicht los. Doch sehr in Eile
kommt wer keuchend, rennt ins Helle,
stöhnt dabei. Im Licht der Lampen
wirkt er strange. Wie hieß denn noch mal
diese Jacke? Und weg war er,
rot und schwarz kariert. Noch als ich
das Lokal betrat, da lag’s mir
auf der Zunge. Ja, ein Helles!

Dunkler Abend. Je mehr Helle,
desto düsterer sie alle,
Schankraum, Kellner, Gäste, Zukunft.
Plötzlich kreischt es. In der Tür steht
eine Frau und weist nach oben,
kreischend, dass in ihrem Zimmer
jemand unter ihrem Bett läg‘,
nie gesehn, und Worte stöhne,
nie gehört. Dann ging die Post ab:
Aus dem Nebenzimmer stürzen
sieben Amis, breit wie Bären,
alle in den gleichen Jacken,
alle mit der gleichen Aufschrift,
alles Judo-Fighter. Alle
sind nur zu bereit zu fighten,
alle rauf. Wir andern warten.
Hören erst mal nichts, dann Flüche,
Klatschen, Winseln, Poltern. Dann ein
Schrei, so markerschütternd elend,
dass sich jedes Haar sträubt. Alle
schaun wir auf die Tür und sehen,
wie da wer im trüben Licht der
Toilette schreit. Im Halbkreis,
fast verlegen, steht die Meute,
deren Anführer zurückblafft.
Alles Amis, auch der Schreier,
offenkundig Opfer eines
derart übergroßen Schreckens,
dass er selber schreckt. Beklommen
treten wir zurück. Im Gastraum
herrscht erst Schweigen. Dann sagt einer
was von Drogen. Und ein andrer
was von Horror. Und ein Dritter
will ein Helles. Und dann läuft der
Film zurück: Die Amibären
kommen wieder rein, verschwinden
nebenan. Ein Krankenwagen
holt wen ab, und als er heulend
losfährt, weiß ich unvermittelt,
wie das hieß, was selbst im trüben
Licht der Toilette unschwer
zu erkennen war, schwarz-rote
kleine Karos, großer Kragen:
Lumberjack! Ja, noch ein Helles!

Der Text beginnt „lyrisch“ durch das seltsam anmutende „Unbehauster“; danach aber, spätestens ab dem zweiten Abschnitt, erzählt er mit Begriffen der Gegenwart über die Gegenwart; und das auf eine Art, wie es Prosa nicht könnte, meiner Meinung nach!

Wie behandelt Gernhardt den Vers? Auf einer so langen Vers-Strecke könnte man auf vieles hinweisen, aber ich beschränke mich auf drei Dinge.

Amberg? Bamberg? Nürnberg? Bayreuth?

Ich habe in den vorigen Beiträgen darauf hingewiesen, dass Verse dieser Art – X x / X x / X x / X x /, mit dem Zusammenfall von Wort- und Verfuß-Grenzen – „klappern“ und besser vermieden werden. Es gibt allerdings eine Ausnahme, und das ist die Aufzählung. Da ist dieser tiefe Einschnitt willkommen, denn dadurch werden die Bestandteile der Aufzählung vereinzelt, es entsteht ein Liste; was ja im Sinne einer Aufzählung ist. Solche Verse haben alle Verfasser!

Später folgt auch hier ein weiterer solcher Vers:

Schankraum, Kellner, Gäste, Zukunft.

Und weiter hinten im Gedicht, nach dem hier vorgestellten Ausschnitt, bedient sich Gernhardt dann auch noch einmal aus dem allgemeinen Vorrat solcher Aufzählungen: „Friede, Freude, Eierkuchen“.

Aber weiter. Eine Frage bezüglich des Vers-Schlusses lautet: Wie hält es der Verfasser dort mit einsilbigen Wörtern? Die dadurch erzielte Wirkung ist sehr verschieden von der Wirkung zweisilbiger Wörter. Einmal kann so ein Zeilensprung eingeleitet werden:

Hören erst mal nichts, dann Flüche,
Klatschen, Winseln, Poltern. Dann ein
Schrei, so markerschütternd elend,

„ein / Schrei“, mit einiger Wirkung! Aber auch ohne Zeilensprung sind Einsilber am Versende möglich:

wirkt er strange. Wie hieß denn noch mal
diese Jacke? Und weg war er,
rot und schwarz kariert. Noch als ich
das Lokal betrat, da lag’s mir

Hier sind die auf der Hebungsstelle stehenden Einsilber auch noch recht schwach, es fällt schwer, sie zu betonen; durch den immer noch vorhandenen, wenn auch nicht so strengen Zeilensprung löst sich das Versende beinahe auf, wird unhörbar?

Das hält Gernhardt allerdings sehr häufig so. Etwa an der schon genannten Stelle:

Hören erst mal nichts, dann Flüche,
Klatschen, Winseln, Poltern. Dann ein

Hier verteilt er eine dieser angesprochenen viergliedrigen Aufzählungen ungleich auf zwei Verse! Ein anderes Beispiel:

…                 Dann sagt einer
was von Drogen. Und ein andrer
was von Horror. Und ein Dritter
will ein Helles.

Das sind, strenggenommen, drei glasklare Vierheber:

Dann sagt einer was von Drogen.
Und ein andrer was von Horror.
Und ein Dritter will ein Helles.

– Aber Gernhardt zieht es vor, „Vers“ und „Satz“ nicht aufeinanderfallen zu lassen; auch so verschwimmt dem Ohr die Verseinheit. Sie geht aber trotzdem nicht verloren! Ich denke, man spürt zu jedem Zeitpunkt, dass man Verse liest.

Vielleicht haben diese Entscheidungen auch etwas mit der Länge des Textes zu tun – Gernhardt hat auch einige kürzere Stücke geschrieben in ungereimten trochäischen Vierhebern, da müsste man mal vorbeischauen und vergleichen. Wer die „gesammelten Gedichte“ im Schrank stehen hat (ich empfehle sie!), kann ja mal reinschauen, zum Beispiel bei:

Osterballade, Lang her, Lied der Bücher (mit Bezug auf Heines Vierheber),  Lob des Alleinseins, Abend in Fort Lauderdale

Es gibt aber noch einige mehr zu entdecken!

Erzählverse: Der trochäische Vierheber (4)

Die bisher betrachteten „anakreontischen“ Vierheber sind, wie gesagt: hell, leicht, tändelnd und spielend, oft in der Natur verortet (wenn überhaupt). Als Gegenstück stelle ich hier nun einen Text von Christian Morgenstern ein, nicht allzulang, aber schon ein vollwertiges Erzählgedicht; und auf See, im Nebel, dramatisch, technisch … das „Gegenteiligste“, was mir gerade einfiel!

Im Nebel

Schaurig heult das große Dampfhorn
seine Warnung in den Nebel …
Irgendwo antwortet schaurig,
leis bald, lauter bald, ein andres …
Angstvoll stehn die Passagiere,
jeden Nerv gespannt die Mannschaft …
Schaurig heult das große Dampfhorn …
Dumpf antwortet’s aus dem Nebel …
Alles späht, horcht, misst die Pausen,
die Maschine schafft mit Halbdampf,
langsam schiebt durch undurchdringlich
Dunkel der Koloss sich vorwärts …
Schaurig heult das große Dampfhorn …
Dumpf antwortet’s aus dem Nebel …
In den Schiffsraum steigen Wachen,
an den Luken, an den Booten
harrt Bemannung, von der Brücke
schallt des Kapitäns Befehlsruf …
Schaurig heult das große Dampfhorn …
Dumpf antwortet’s näher und näher …
Die Erregung wächst zum Fieber …
Ahnt wer, dass des Todes Hand die
Kompassnadel abgelenkt hat,
dass der Mann am Steuer falsch fährt?
Schaurig heult das große Dampfhorn …
Laut antwortet nächste Nähe …
Böllerschlag -: Schwerfällig tasten
weiße Kugeln in die Dämmrung …
„Schiff an Steuerbord!“ – Zu spät! – Schon
schießt es rauschend, ungeheuer,
unaufhaltsam aus dem Nebel –
grässlich mischen sich die Hörner –
rasend rolln die Steuerketten –
„Rückdampf!“ – Schreie – Donnerkrachen –
alles stürzt zu Boden – Flammen
speit der Kesselraum – der Spiegel
senkt sich – aller Kampf vergebens! –
„Boote ab!“ – Umsonst! – In Wirbeln,
Strudeln, Kratern dreht sich alles
tollen Tanzes in die Tiefe …
Wo verblieb der fremde Fahrer?
Sank er? Fuhr er feig des Weges?
Lautlos lastet dicker Nebel
über totenstillen Wassern.

Bei „Im Nebel“ denkt man wohl eher an Hermann Hesses berühmtes Gedicht („Seltsam, im Nebel zu wandern!“); aber davon ist Morgensterns Schilderung eines Schiffsunglücks sehr weit entfernt!

Gewöhnungsbedürftig ist zuerst einmal die Überfülle an Satzzeichen; aber der kann man ja ganz einfach dadurch entgehen, dass man den Text laut liest und ihm mit den Ohren statt mit den Augen nachspürt. Wie bei allen Erzählt-Gedichten und Erzähl-Versen ist das auch hier ein sehr guter Gedanke!

Den Vierheber selbst nutzt Morgenstern dabei, na: „unauffällig“. Er erlaubt sich nur eine Abweichung vom Metrum: Dumpf antwortet’s näher und näher … hat eine überzählige unbetonte Silbe gegen Ende. Und die Einheit des Verses bewahrt er durchgängig, nur zweimal gibt es einen wirklich harten Zeilensprung: Ahnt wer, dass des Todes Hand die / Kompassnadel abgelenkt hat, und „Schiff an Steuerbord!“ – Zu spät! – Schon / schießt es rauschend, ungeheuer,

Das ist beim Vierheber aber eigentlich immer so: zusätzliche oder fehlende Silben sind die seltene Ausnahme, und der Vers bleibt so gut wie immer als achtsilbige Einheit zu erkennen.

Trotzdem wirken die Verse keineswegs einförmig; Morgenstern nutzt viele Möglichkeiten, innerhalb dieses recht engen Rahmens für Abwechslung zu sorgen. Bezogen auf den letzten Beitrag, in dem ja der Hinweis stand, Verse der Art [i]Viele sollten wieder sterben[/i] seien gefährlich, weil sie „klappern“, meint, die Grundbewegung des Verses überbetonen, weise ich auf diesen Vers hin:

Alles späht, horcht, misst die Pausen,

Da steht das „horcht“ in der Senkung, zählt also eigentlich als unbetont; so kann man aber unmöglich lesen, erst recht nicht, da es durch zwei Komma auch noch zeitlich vereinzelt ist. Das einfachste ist da bestimmt, „späht, horcht, misst“ alles gleich schwer, lang, betont zu lesen; und durch diese Gleichförmigkeit verwischt die Grundbewegung des Verses, das Auf und ab, ziemlich stark.

Man kann das auch in die andere Richtung versuchen, wie bei diesem Vers aus dem im zweiten Teil vorgestellten Gedicht von Götz:

Und es hat ein kühner Fremdling

Hier sind die ersten vier Silben sich sehr ähnlich. Zwar besetzen zwei davon eine Hebungsstelle, aber im Vortrag wird jeder diese vier Silben gleich leicht, kurz, unbetont lesen?! Auch hier verwischt dann die Grundbewegung. Das passt zur Leichtigkeit des Götz-Textes durchaus, bei Morgenstern wäre es fehl am Platz und kommt auch nicht vor.

Darin liegt nun eine der Herausforderungen des Vierhebers: Wählt man zuviele „schwere“ oder zuviele „leichte“ Silben nacheinander, verliert der Vers seine einprägsame Gestalt; wählt man zu wenige, wird er hölzern und klappert. Da gilt es, ein Maß zu finden!

Was Morgenstern sonst noch alles so anstellt im Vers – schaut mal rein. Ich erwähne nur noch diese beiden Verse:

schießt es rauschend, ungeheuer,
unaufhaltsam aus dem Nebel –

Denn deren eindrücklicher „Dreischritt“ hat mich an einen anderen erinnert, aus „Der alte Sänger“ von Adelbert von Chamisso:

Unaufhaltsam, unablässig,
Allgewaltig drängt die Zeit.

Das hat sicher auch etwas mit dem „unaufhaltsam“ zu tun, aber ich denke, es ist vor allem diese Nachdrücklichkeit in der Bewegung, die sich einprägt; denn trochäische Vierheber sind es hier wie da!

Erzählverse: Der trochäische Vierheber (3)

Ich schreibe noch einen zweiten Beitrag zu den Gedichten der Anakreontik, weil ich glaube, diese Art von Texten ist eine (! von vielen) Möglichkeiten, sich in den Vierheber einzuschreiben. Wenn man ihn als Erzählvers gebraucht, schreibt man schnell hunderte von Versen; für so ein kleines „anakreontisches Nichts“ reicht ein Dutzend, und das Gefühl für den Vers stellt sich genausogut ein, jedenfalls das für den „prosanahen Vierheber“.

Ich vergleiche dabei ganz frech ein Gedicht von Ludwig Gleim mit einem kleinen eigenen Text. Zuerst der Gleim:

 

Die Wahl

Könnt ich malen wie Apelles,
Lauter Mädchens wollt ich malen;
Könnt ich nur wie Orpheus spielen,
Lauter Mädchens sollten tanzen;
Könnt ich Tote lebend machen,
Lauter Mädchens sollten leben;
Aber könnt ich, wie ich wollte,
Viele wieder sterben lassen,
Viele sollten wieder sterben,
Viele wollt ich überstreichen,
Dass sie ungemalet blieben,
Und vom ersten Tanz ermüdet
Sollten viele nicht mehr tanzen.

 

„Apelles“ war ein berühmter Maler der Antike; „Mädchens“ sagt man heute nicht mehr, bleibt aber der Lautwirkung wegen selbstredend stehen. Was bietet Gleim nun dem Leser? In der für die Anakreontik kennzeichnenden Mischung aus Wiederholung und Abwandlung stellt er dem Leser drei Möglichkeiten vor Augen, die er dann, etwas ungewöhnlich, in der zweiten Gedichthälfte einfach wieder zurücknimmt (obwohl es eigentlich ja eine Ausweitung ist: „Aber könnt ich, wie ich wollte“).

Meine Verslein setze ich nun einfach darunter, um zu zeigen, wie ein solches Gedicht vielleicht „ins Heute“ geholt werden kann; selbstredend nur in meiner Sprache und nach meinem Geschmack!

 

Der von letzter Sommerwärme
In den Park gelockte Dichter
Sitzt auf einer Bank, und allen,
Die an ihm vorüberschlendern,
Schreibt er lächelnd kleine Verse –
Salbungsvolle Schmeicheleien
Allen Herren, allen Damen
Unbeschwerte Nettigkeiten,
Reime ohne Sinn den Kindern;
Sagt der Hunde Namen so, dass
Dieses eine Wort Gedicht ist …

 

Eigentlich macht dieser Text nichts anders als der über zweihundert Jahre ältere: er stellt dem Leser ein Bild vor Augen, dann fächert er das Bild in einem Dreischritt auf; schließlich geht er noch einen weiteren Schritt, hinaus über die eigentlich geschlossene Dreiheit „Mann – Frau – Kind“, und findet dabei irgendwie die kleine Besonderheit, die geeignet ist, das Gedicht zu schließen.

Das ist nun keinesfalls ein besonders eindrucksvolles Gedicht; aber es ist, finde ich, ein Text, den man auch im 21. Jahrhundert ohne größeres Befremden lesen kann und damit vielleicht ein Hinweis darauf, dass die Art, in der die Anakreontiker den Vierheber verwendet haben, auch den heutigen Verfassern in angepasster Form zur Verfügung steht!

In Bezug auf die Form widersprechen beide Texte dem, was ich im letzten Beitrag geschrieben habe: Meine Verse haben nur in knapper Mehrheit einen Einsilber im Verseingang – sechs zu fünf; bei Gleim sind die Zweisilber selbst dann mit acht zu fünf in der Überzahl, wenn man die verkürzten Zweisilber „könnt“ großzügig zu den Einsilbern zählt.  Gut tut das seinem Gedicht nicht immer, denn Zweisilber im Verseingang vergrößern die Gefahr solcher Verse:

Viele / wieder / sterben / lassen,
Viele / sollten / wieder / sterben,

Dabei fallen die „metrischen Grundeinheiten“, die Trochäen „X x“, mit den im Deutschen sehr häufigen „Worteinheiten“ der Art „X x“ zusammen, wodurch der Vers seine innere Spannung verliert und zu „klappern“ beginnt, wie Heine und andere das so schön genannt haben: die ständige Wiederholung ein und derselben Bewegung erinnert an ein Marschieren, eine Art leblosen Stechschritt.

Das ist eine Sache, auf die man im Vierheber ein wachsames Auge haben muss! Ein Vers dieser Art ist sicher unbedenklich, und es gibt auch Fälle, wo man derlei zur Unterstützung des Inhalts einsetzen kann; aber im allgemeinen sind zwei Verse dieser Art nacheinander, wie hier bei Gleim, die äußerste Grenze.

Besser bewegt sich zum Beispiel dieser Vers:

Und / vom / ersten / Tanz  / er- / müdet

Da „schneiden“ sich die Trochäen (rot) und die Wort-, bzw. Sinneinheiten (grün), wodurch der Vers lebendig wirkt. Wobei gerade dieser sich inhaltlich nicht gegen eine gewisse Einförmigkeit sträuben würde …

So, damit lasse ich den anakreontischen Vierheber erst einmal ruhen; im nächsten Beitrag geht es dann um einen längeren Erzähltext in Vierhebern!

Erzählverse: Der trochäische Vierheber (2)

Mitte des 18. Jahrhunderts wurde der Vierheber von den „Anakreontikern“ benutzt als Nachbildung eines in der Antike von Anakreon verwendeten Verses, erst zur Übersetzung der Gedichte des Anakreon, danach in Gedichten ähnliches Inhalts – es ging also um leichte, tändelnde, scherzende Gedichte, die vor allem um die Liebe kreisten, den Wein, die Freundschaft.

Der Vierheber bildet die Sprache durchaus. Wenn der Verfasser sich vertraut und dem Vers auch, dann kann er diesem „Druck“ bewusst nachgeben, und die meisten der im folgenden behandelten epischen Dichter haben das auch getan; das Ergebnis sind dann deutlich von der gewöhnlichen Sprache abweichende Verse.

Man kann aber auch ohne große Schwierigkeiten in unmittelbarer Nähe der Prosa bleiben. Diesen Weg sind die Anakreontiker gegangen, zum Beispiel der von mir sehr geschätzte Johann Nikolaus Götz:

Die herrschenden Gedanken

Wie die gelben Schmetterlinge,
Doris, um die Rosen fliegen,
Also fliegen die Gedanken,
Die aus meiner Seele kommen,
Hin und her um deine Schönheit.
Taumeln dann, von deiner Anmut
Und von deinen Blicken trunken,
Wie die jungen Bienenschwärme
Auf den süßen Kleegefilden
Von Gerüchen trunken taumeln.
Dann ermuntern sie sich alle,
Sich auf Zweige hinzusetzen,
Und einander deine Reize
Und Geschichten zu erzählen.
Wenn sie nun beim Abendstrahle
In ihr Nest zurücke kehren,
Und es hat ein kühner Fremdling
Ihre Wohnung eingenommen:
Beißen sie ihn fort, und üben
An ihm und an seinen Kindern
Nicht einmal das süße Gastrecht.

Eigentlich ist das nur heiße Luft, ein Versuch, „Etwas“ aus „Nichts“ zu machen. Eine Anrede, die aber keinem wirklichen Menschen gilt, ein Vergleich, dann noch einer, andersherum angeordnet; dann eher etwas in Richtung „Vögel“ (sich auf Zweige setzen, Nest), ohne dass es ausgesprochen würde, und dann der etwas kräftigere Schluss mit seinem „Fortbeißen“; die Rechtfertigung und Erklärung des Titels.

Trotzdem liest sich der Text sehr angenehm, er „fließt“, die Verse sind unterscheidbar, ohne dass sich die Sätze  verlieren; alles ist aufeinander abgestimmt und bezogen. Ein typisches Gedicht der Anakreontik eben!

Für die Betrachtung des Verses wichtig: die Mehrzahl der Verse fängt mit einem Einsilber an, nur wenige mit einem Zweisilber der Form „X x“. Das ist durchaus die Regel im Vierheber! Das einleitende einsilbige Wort ist dabei meist nur darum „hebungstauglich“, weil die nachfolgende, die zweite Silbe, noch schwächer ist als die erste und dadurch die Rangordnung „betonte Silbe, unbetonte Silbe“ gewahrt bleibt:

Von Ge- /chen / trunken / taumeln.

Götz handhabt das sicher, nur einmal schwimmt ein Vers etwas, der vorletzte:

An ihm / und an / seinen / Kindern

Da ist „an“ sicher nicht „an sich“ stärker als „ihm“, inhaltlich betrachtet eigentlich eher schwächer; und die Reihung von  vier eigentlich unbetonten Einsilbern lässt den Vers keine Sicherheit gewinnen. Aber diese gewisse Lässigkeit ist durchaus eine der Eigenschaften, die Götz‘ Verse so anziehend machen!

 

Erzählverse: Der trochäische Vierheber (1)

Der trochäische Vierheber sieht im Silbenbild so aus:

X x X x X x X x

Wobei X  eine betonte Silbe meint, und x eine unbetonte Silbe.

Dieser Vers ist schon wirklich lange in der deutschen Dichtung vertreten, vor allem in gereimter Form als Bestandteil strophischer Gedichte. Hier, soll er aber in seiner ungereimten und gereihten Form betrachtet werden! Verwendet worden ist er so in vielen Bereichen, ich möchte ihn hier vor allem als epischen Erzählvers vorstellen; aber auch die anderen Verwendungen werden erwähnt, unter anderem gleich zu Beginn des Fadens.

Diese Art des „Vierhebers“ (ich erspare mir ab jetzt das „trochäisch“) ist ein sehr einfach zu schreibender Vers, eigentlich ein für Einsteiger bestens geeignetes Maß: man schwingt fast sofort in seinen Tonfall ein, und die Ergebnisse sind immer als „gestaltete“ Sprache zu erkennen!

Wenn er aber nicht nur „brauchbar“ klingen soll, sondern „wirklich gut“: dann braucht ein Verfasser auch beim Vierheber eine klare Vorstellung davon, wie das Innenleben des Verses aussieht. Daher wird es hier nach und nach um die Eigenheiten des Verses gehen. Dazu zählen:

– Der Vers ist mit acht Silben recht kurz. Welche Sätze, welche Satzteile fügen sich gut in diesen Rahmen, welche weniger gut?!

– Der Vers ist starr; er hat zum Beispiel viel weniger Möglichkeiten, die grundlegende Silbenanordnung abzuwandeln, als der Blankvers. Trotzdem muss er auf längere Strecken abwechslungsreich klingen, muss die Aufmerksamkeit des Hörers wachhalten.

Wie gelingt das?! Wie muss dazu der Versbeginn, wie das Verinnere, und wie vor allem das Versende gestaltet werden? Was darf man dabei nicht machen??

– Der Vers ist ungereimt, sollte aber, wie jeder Vers, als grundlegende Einheit des Textes erfahrbar sein; sich nicht vollständig dem Satz unterordnen. Wie bestimmt sich im Vierheber dieses Spannungsverhältnis zwischen Vers und Satz?

– Welche der Lösungen, die in vergangenen Jahrhunderten für diese Fragen gefunden worden sind, sind auch heute noch anwendbar? Welche neuen Möglichkeiten sind denkbar?

Es gäbe noch ein paar andere Dinge, aber ich denke, das genannte reicht fürs erste, damit kann man schon einiges anfangen!