Die Korrelation (2)

Auch Shakespeare hat sich der Korrealtion bedient, etwa bei Ophelias Klage um den so verändert erscheinenden Hamlet:

O, what a noble mind is here o’erthrown!
The courtier’s, scholar’s, soldier’s, eye, tongue, sword;
Th‘ expectancy and rose of the fair state,
The glass of fashion and thie mould of form,
Th‘ observ’d of all observers – quite, quite down!

In zweiten Vers baut Shakespeare, statt einfach the „courtier’s eye, the scholar’s tongue, the soldier’s sword“ zu sagen, zwei korrelierende Dreiergruppen!?

A.W. Schlegel hat in seiner klassischen Übersetzung diese Gruppen aufgelöst:

Oh, welch ein edler Geist ist hier zerstört!
Des Hofmanns Auge, des Gelehrten Zunge,
Des Kriegers Arm, des Staates Blum und Hoffnung,
Der Sitte Spiegel und der Bildung Muster,
Das Merkziel der Betrachter: ganz, ganz hin!

Das klingt … anders. Weniger überraschend, gewöhnlicher?! Der Vergleich zeigt jedenfalls ganz gut, was mit einer solchen Korrelation erreicht werden kann.

Das Duett vom Schienenfett

Dem Bahnhof sein Gelände.
Ein Paar sitzt auf der Schiene,
Sie hübsch, er deutlich bärtig.

ER:
Ende

SIE:
Fertig

ER:
Ende

SIE:
Fertig

ER:
Ende

SIE:
Fettich

ER:
Fettich?

SIE:
Margariiine!

Schon sind sie aufgesprungen
Und haben losgesungen:

Das Duett von Schienenfett

BEIDE:
Wir sind schon lange durchgedreht.
Damit es jedem Rad so geht,
Wolln wir heut Fett verteilen.

So singen sie und eilen
Davon auf allen vieren
Und krabbelnd, robbend schmieren
Sie Fett auf jede Schiene –
Bis sie sich leere Dosen zeigen.

SIE:
Fertig?

ER:
Ende

Der Rest ist Schweigen.

Bücher zum Vers (9)

Hugo Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik

Dieser Band ist weder besonders aktuell (er ist 1964 bei Klostermann erschienen) noch übermäßig handlich mit seinen 800 Seiten – trotzdem empfehle ich ich ihn auch denen, die kein Italienisch können (kann ich auch nicht); die sich bisher nicht für Sonette, Canzonen und Madrigale interessierten; die bisher nicht gekümmert hat, was und wie Dante, Petrarka, Tasso, Michelangelo und Marino (das sind die Autoren, die ein eigenes Kapitel bekommen haben) geschrieben haben. Man kann wirklich eine Menge mitnehmen, denn: Friedrich bietet einmal allgemeine Gedanken zur Lyrik, die er an den besprochenen Autoren und Zeiten entwickelt; er übersetzt viele italienische Gedichte in anziehender Weise; er bespricht die Texte der jeweiligen Autoren sehr fachkundig; und er zeigt Entwicklungen und Entwicklingslinien auf, was gerade für die oben genannten Autoren, die ja weit und lange über Italien hinausgewirkt haben, sehr nützlich ist. Also, wer den Band mal in die Hände bekommt: Auf jeden Fall reinschauen!

Die Korrelation (1)

„Korrelation“ meint im Gedicht die Beziehung von räumlich getrennten Wörtern und Wortgruppen. Im einfachsten Fall gibt es zwei Grundbausteine, zum Beispiel zwei Substantive, die um weitere Bausteine ergänzt werden – Prädikate, Adjektive, Appositionen, alles, was denkbar ist; doch diese Ergänzungen stehen nicht in direkter Nachbarschaft der Substantive, sondern werden auf die folgenden Verse verteilt.

Ein Beispiel gibt das erste Quartett eines Sonetts, das Georg Rodof Weckherlin auf Martin Opitz geschrieben hat, den berühmten Schulmeister der deutschen Barockdichtung:

Indem mein Ohr, Hand, Mund schier müd, die schweren Plagen,
Die dieser große Krieg mit Hunger, Schwert, Pest, Brand
Und unerhörter Wut auf unser Vaterland
Ausgießet, ohn Ablass zu hören, schreiben, klagen,

– Der Dreischritt „zu hören, schreiben, klagen“ des vierten Verses bezieht sich auf das „Ohr, Hand, Mund“ des ersten Verses!

Solche Korrelationen kennt die europäische Dichtung seit vorchristlicher Zeit. Maßvoll eingesetzt, sind sie sehr wirkungsvoll und können einem Text viel Gutes tun! Allerdings ist die Gefahr groß, die Dinge zu übertreiben. Vom in Weckherlins Sonett gepriesenen Martin Opitz stammt dieses Alexandriner-Couplet:

Die Sonn’, der Pfeil, der Wind, verbrennt, verwundt, weht hin,
Mit Feuer, Schärfe, Sturm, mein’ Augen, Herze, Sinn.

Zweifellos keine große Dichtung, aber doch ein gutes Beispiel, wie solche Korrelationen aussehen können, wenn sie als Kunststück aufgefasst und auf die Spitze getrieben werden! Schreibt man die vier Halbverse untereinander …

Die Sonn’, der Pfeil, der Wind,
verbrennt, verwundt, weht hin,
Mit Feuer, Schärfe, Sturm,
mein’ Augen, Herze, Sinn.

… kann man die zerlegten Sätze wieder zusammensetzen, indem man sie wie Spalten von oben nach unten liest: „Die Sonn‘ verbrennt mit Feuer mein‘ Augen“, „Der Pfeil verwundt mit Schärfe mein Herze“, „Der Wind weht hin mit Sturm mein‘ Sinn“. Wie gesagt: Keine große Dichtung, aber eine sehr ansprechende Gestaltungsmöglichkeit! Ich möchte daher in einigen Beiträgen verschiedene Beispiele vorstellen von Korrelationsgedichten, sowohl solche, in denen maßvoll korreliert wird, als auch solche, in denen haltlos übertrieben wird. An den Schluss diesen Beitrags möchte ich einen Gedichtanfang Johann Wolfgang Goethes stellen:

Will ich die Blumen des frühen, die Früchte des späteren Jahres,
Will ich was reizt und entzückt, will ich, was sättigt und nährt,

In diesem Distichon werden die „Blumen“ und die „Früchte“ des Hexameters im Pentameter durch „reizt und entzückt“ und „sättigt und nährt“ nachträglich & korrelativ ergänzt! Das wirkt ganz anders als bei Weckherlin & Opitz; besser, weil ungezwungener und fließender.

Das Königreich von Sede (18)

„Schemel, du des alten Königs
Alter Narr: Da das Geschirr nun
Abgetragen wird und alle
Satt sind, satt und wohlig müde –
Magst du uns, den Tag zu schließen,
Nicht die alten Lieder singen?“
Schemel griff nach seiner Laute,
Schloss die Augen und besann sich,
Wählte aus den vielen Liedern,
Drin das Früher wohl bewahrt ist,
Eines aus, Der alte Weise,
Das den Hörern wohl vertraut war,
Und ließ seine Stimme schallen.

Schaukelstuhl, der alte Weise,
Trat zur Wiege eines Jungen,
Sah ihn an und klagte leise:
„Kleiner Prinz, mit deinen Taten
Willst du Gutes, doch mißlungen
Ist die Zukunft dir schon heute.
Ach ihr Zeiten, ach ihr Leute,
Ach ihr Welten seid verraten!“

Da begann das Kind zu weinen:
„Soll mir also nichts gelingen?
Werde ich denn nichts vollbringen,
Was die Sänger preisen werden?
Warum hast du mich geboren,
Königin, ein Fluch den Meinen!
Bin ich wirklich auserkoren
Allen Fluch zu sein auf Erden?“

Schaukelstuhl, der alte Weise,
Fand die Königin im Garten,
Sah sie an und klagte leise:
„Majestät, tiefschwarze Saaten
Ruhen in dem Knaben, warten,
Wollen ihn ins Unglück leiten.
Ach ihr Welten, ach ihr Zeiten,
Ach ihr Leute seid verraten!“

Da begann die Frau zu weinen:
„Keine Schuld, von der wir wissen,
Nichts, das wir bedauern müssen,
Trotzdem soll das Glück ihn meiden?
Unter all den Männern, Frauen
Dieses Landes gibt es keinen,
Der dem Gott mit mehr Vertrauen
Dient, und wir, wir müssen leiden?“

Schaukelstuhl, der alte Weise,
Starb und kam in Donmas Hallen,
Sah ihn an und klagte leise:
„Viele Menschen flehten, baten,
Taten viel, dir zu gefallen –
Willst du’s ihnen nicht vergelten?
Ach ihr Leute, ach ihr Welten,
Ach ihr Zeiten seid verraten!“

Da begann der Gott zu weinen:
„Hilfe würd ich gerne bringen
All den Menschen, die da singen,
Die da beten, lauthals flehen,
Hoffen auf des Gottes Segen,
In den Tempeln, vor den Schreinen:
Doch das Schicksal steht dagegen,
Nur sein Wille wird geschehen.“

Schaukelstuhl, der ewig weise,
Ward geboren, hob die Augen,
Sah die Welt und klagte leise:
„Kein Gedanke, keine Taten,
Kein Gebet kann etwas taugen,
Denn wir sind des Schicksals Beute.
Ach ihr Zeiten, ach ihr Leute,
Ach ihr Welten seid verraten!“

Schemel ließ das Lied verklingen,
Leise in die Nacht verklingen,
Und die Gäste saßen schweigsam,
Still bedenkend, was der Vorzeit
Weiser Rat für sie bedeute:
Lange Zeit im weiten Dunkel.

Erzählverse: Der Hexameter (2)

Der Hexameter verbindet mit der reichsten Mannigfaltigkeit und Abwechslung einen gleichmäßig ruhigen und würdevollen Gang, der ihn besonders für die epische Erzählung geeignet macht. Die Mannigfaltigkeit beruht auf der Verschiedenheit der Versfüße, Wortfüße und Zäsuren; die Gleichmäßigkeit auf der gleichen Anzahl Takte in dem rhythmisch genau abgegrenzten Versganzen. So ist der Hexameter ebenso biegsam wie vielseitig, als ruhig und stark. Die mannigfaltigen Abstufungen machen ihn fähig zum Ausdruck sanfterer und stärkerer Empfindungen, er vereinigt liebliche Anmut mit Würde und Kraft.

Das schreibt Jacob Minor in seiner „Neuhochdeutschen Metrik“ (empfehlenswertes Buch!) als Einstieg in seine Betrachtung des Hexameters, und ich führe seine Worte hier an, weil sie klarmachen, dass der Hexameter zum einen ein sehr „mächtiger“ Vers ist, sehr viel darstellen und abbilden kann; aber zum anderen diese Vielfalt nur hat, weil er über zahlreiche „Stellschrauben“ verfügt!

Und da liegt eine Schwierigkeit verborgen, fängt man selbst gerade mit dem Schreiben von Hexametern an: Man muss erst einmal den eigenen Hexameter finden, die richtigen Einstellungen vornehmen. Das dauert ein wenig, und bis dahin werden die Hexameter wahrscheinlich noch nicht ganz rund klingen; auch weil die Stellschrauben nicht unabhängig voneinander arbeiten – dreht man hier ein wenig, muss man auch dort etwas ändern, wodurch …

Meint: Geduld ist nötig, aber sie wird sich lohnen. Denn gar nicht so lange, und man hat „seinen“ Vers gefunden, der sich durch diese oder jene Feinheit unterscheidet von den Hexametern aller anderen Verfasser und doch zweifelsfrei ein Hexameter ist; und schön!

Als Beispiel kann das Verhältnis von drei- zu zweisilbigen Versfüßen gelten. Die hat Minor einfach ausgezählt für einige Klassiker: In Klopstocks „Messias“ liegt es bei 61:39, in der „Luise“ von Voss  bei 65:35; Goethes Hexameter ist deutlich „langsamer“, im „Reineke Fuchs“ ist das Verhältnis 49:51, in „Hermann und Dorothea“ 51:49.

Das wäre eine Stellschraube des Verses!

Eine andere ist die Zäsur – welche der Möglichkeiten wählt ein Verfasser häufiger, welche seltener? Da wähle ich als Beispiel Hölderlin, denn der hat fast ausschließlich männliche Zäsuren gewählt, also solche, bei denen der Einschnitt hinter einer betonten Silbe liegt. Das prägt den Vers stark! Die folgenden Verse sind aus Hölderlins „Archipelagus“ genommen:

Siehe! da löste sein Schiff || der fernhinsinnende Kaufmann,
Froh, denn es wehet‘ auch ihm || die beflügelnde Luft und die Götter
Liebten so, wie den Dichter, auch ihn, || dieweil er die guten
Gaben der Erd‘ ausglich || und Fernes Nahem vereinte.
Fern nach Cypros ziehet er hin||  und ferne nach Tyros,
Strebt nach Kolchis hinauf || und hinab zum alten Ägyptos,
Dass er Purpur und Wein || und Korn und Vließe gewinne
Für die eigene Stadt || und öfters über des kühnen
Herkules Säulen hinaus, || zu neuen seligen Inseln
Tragen die Hoffnungen ihn || und des Schiffes Flügel, indessen
Anders bewegt, am Gestade der Stadt || ein sinnender Jüngling
Weilt und die Woge belauscht || und Großes ahnet der Ernste
Wenn er zu Füßen so || des erderschütternden Meisters
Lauschet und sitzt und nicht umsonst || erzog ihn der Meergott.

Ich habe die Zäsuren gleich eingetragen: Hölderlins „Einstellung“ des Verses ist da sehr einseitig. Aber die Verse an sich sind herrlich, Hölderlin schrieb großartige Hexameter!

Im nächsten Beitrag wird Thomas Mann im Mittelpunkt stehen; und danach geht es dann an die Betrachtung all der anderen kleinen Hexameter-Schräubchen!

Bücher zum Vers (8)

Robert Gernhardt: Gedanken zum Gedicht

Eines von jenen Büchern, die man bedenkenlos jedem zum Geburstag schenken kann, der sich auch nur ein wenig für Lyrik interessiert – man weiß halt, dass Gernhardt, wie man es von ihm gewohnt ist, Wissenswertes auf unterhaltende Weise vermitteln wird: Eben ein schmales Bändchen, an dem eigentlich jeder Lyrikinteressierte Gefallen finden müsste. Das Material ist teils für diesen Band geschrieben, teils schon vorher an verschiedenen Orten erschienen. Dabei handelt es sich um:

Thesen zum Thema.

Als da wären:
1. Das Image der Lyrik, 2. Die Verbreitungsformen der Lyrik,
3. Die Inhalte der Lyrik, 4. Die Qualität der Lyrik.

Herr Gernhardt, warum schreiben sie Gedichte? Das ist eine lange Geschichte.

Diese Kapitelüberschrift erklärt sich selbst – Gernhardt schildert hier sowohl sein „Warum überhaupt“ als auch sein „Warum so“.

Dreierpack: Interpretationen.

Drei nicht allzu lange, aber ordentliche Interpretationen eines Goethe-Gedichts, eines der Kriminal-Sonette von Rubiner / Eisenlohr / Hahn und eines eigenen Gedichts.

Darf man Dichter verbessern? Eine Annährung in drei Schritten.

Sehr interessantes Thema!  Mit ein Höhepunkt sicher die Schilderung, wie Berthold Brecht die Gedichte eines Lyrik-Bandes von Ingeborg Bachmann „verbessert“ …

Golden Oldies oder Wo zum Teufel bleiben eigentlich die Lyrik-Hämmer der Saison?

Für mich der beste Teil des Buches. Es geht, wie die Überschrift schon vermuten lässt, um die Frage nach der nicht mehr vorhandenen „Breitenwirkung“ heutiger Lyrik; dazu gehört ein sehr spannender Vergleich einer früheren Gedichtsammlung – der „Menschheitsdämmerung“, 1919 von Karl Pinthus herausgegeben – und einer beim Erscheinen des Buches aktuellen Sammlung – dem „Luchterhand Jahrbuch der Lyrik 1988/89“. Gernhardt entwickelt seine Gedanken hier an sehr vielen schon an sich interessanten Beispielen, so dass auch Stoff zum Weiterdenken geliefert wird!

Soviel zum Inhalt. Ich möchte den Band auf jeden Fall empfehlen – selbst ganz hartgesottene Lyrikspezialisten sollten hier, wenn sie auch inhaltlich vielleicht nichts wirklich neues vorgesetzt bekommen, durch die Gernhardtsche Aufbereitung der Themen einen gewissen Lesespaß haben. Erschienen ist der Band 1990 bei Haffmans (meine Ausgabe) und dann nochmal 2002 bei Heyne (ob da inhaltliche Änderungen drin sind, weiß ich gerade nicht). Heute wird er nur noch gebraucht zu bekommen sein, aber wer die Gelegenheit hat …