Bild & Wort (52)

Zu den beiden Bildern dieses Eintrags muss ich wohl doch etwas schreiben … Es ist eigentlich ein Bild, ein „Upside-Down“; dabei liest man ganz gewöhnlich die Panels von links nach rechts. Ist man durch, dreht man den Strip um und liest die Geschichte weiter – dieselben Bilder, und doch nicht.

Damit aber niemand, der dieses wunderliche Etwas an einem stationären Rechner anschaut, einen Kopfstand machen muss, folgen nun beide Ansichten:

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Bücher zum Vers (29)

Günter Häntzschel:
Johann Heinrich Voß. Seine Homer-Übersetzung als sprachschöpferische Leistung.

Ein bis an den Rand mit wissenswertem gefülltes Buch, finde ich. Den Anfang macht eine Beschreibung der vor Voß liegenden Versuche der Homer-Übersetzung; daran schließt sich eine Beschreibung der Homer-Vorstellung von Voß an sowie eine Beschreibung seiner Hexameter-Auffassung.

Der für mich lesenswerteste Teil ist dann der dritte, „Charakteristika der Voß’schen Übersetzersprache“, in dem „Metrische Analysen“, „Grammatikalisch-stilistische Analysen“ und Wortschatzanalysen“ einen tiefen Blick in die Übersetzungstechnich von Voß erlauben, und auch vieles bedenkenswerte über den Hexameter vermitteln.

Abschließend wird dann Voß‘ Übersetzung noch historisch eingeordnet und ein Überblick über ihre Aufnahme gegeben, ehe zum Schluss auf ihr Weiterleben und -wirken eingegangen wird. Wie gesagt: Viel Lese- und Denkstoff!

Wer also schon immer wissen wollte, wie Voss zu der oft fremd wirkenden Gestalt seiner Verse kam, oder sich ein lebendiges Bild über den qualitativen Genitiv machen möchte wie etwa in:

 

Rings nun setzten sich all‘ in Ordnungen, dort wo sich jeder
Rosse gehobenen Hufs, und gebildete Waffen gereihet

 

– hier ist er richtig. Zu diesen beiden Versen merkt Häntzschel auf S. 120 an, in Bezug auf A. W. Schlegels Kritik an dieser Art Genitiv:

Man könne allenfalls die Rosse laufen gehobenen Hufes sagen, dürfe jedoch bei der Erwähnung ihrer bloßen Eigenschaft auf ein Präpositionalgefüge, ‚Rosse mit gehobenem Hufe‘, nicht verzichten. Der rationalistische Einwand, dass hier überdies die stillstehenden Rosse ihre Hufe ja tatsächlich gar nicht heben, dass es sich vielmehr nur grundsätzlich um ’schnelle Rosse‘ handele, zeugt von dem hohen Abstraktionsgrad der deutschen Sprache, deren Normen die Rezensenten respektieren, während es Voß im Gegensatz zu ihnen darum zu tun ist, sie zu sprengen. Wenn Voß nämlich den ‚fertigen‘ Begriff ’schnelle Rosse‘ vermeidet und analog dem sinnlichen Prinzip der griechischen Sprache die Schnelligkeit in einem anschaulichen Bild vermittelt, das aus der Bewegung der Rosse gewonnen ist, bei der diese tatsächlich ‚die Hufe hebend‘, also „gehobenen Hufs“ sichtbar sind, und wenn er dieses Bild dann auf ihre Eigenschaft überträgt, so leitet ihn wieder die Intention, die abstrakte Sprache zu verjüngen; statt des begrifflichen Resultats (’schnell‘) greift Voss auf die von solcher Abstraktion noch freie konkrete Ursache („gehobenen Hufs“) zurück, die erst im Nachhinein zu jenem Resultat führt.

Vielleicht  „gewaltsam“, aber wirkungsvoll versucht Voß,

die im Zeitalter der Ratio verlorengegangene Ursprünglichkeit früherer Kulturen, ihren sinnlichen Aussagewert, wiederherzustellen.

Ob das sinnvoll ist, wie es erreicht werden kann – auch alles das verhandelt dieses 1977 bei Beck erschienene Buch.

Wolkenglück

Schwerelos.
Weiter nichts:
Einfach bloß
Schwerelos,
Dort im Schoß
Blauen Lichts –
Schwerelos,
Und sonst nichts.

Erzählverse: Der Hexameter (34)

Paul Heyses „Thekla“ (2)

Amphybrachen, also Bewegungseinheiten der Art „x X x“, muss man im Hexameter im Auge behalten; die bilden sich im Deutschen ganz einfach, und zu viele davon machen einen Hexameter langweilig. Johann Heinrich Voss hatte da große Bedenken, er schrieb:

Der leidige Amphybrach, der oft fünfmal in einem Verse sich überwälzt, und, dass man ihn ja recht aushöre, oft zweimal dazwischen sich verschnauft, zum Beispiel:

Fröhlich belausch ich im Dunkel der Buchen das Zwitschern der Vögel.

Also, von der Bewegung, den Sinneinheiten her, wirklich fünfmal ein „x X x“:

Fröhlich / belausch ich / im Dunkel / der Buchen / das Zwitschern / der gel.

Goethe dagegen waren solche Verse kein Ärgernis. Nicht, dass sie bei ihm zahlreich wären; aber im Reineke Fuchs zum Beispiel steht dieser:

Denn es haben mitunter die Pfaffen auch Böses im Sinne.

Denn / es haben / mitunter / die Pfaffen / auch ses / im Sinne.

Dieselbe Schaukelbewegung wie bei Voss. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit wie immer irgendwo in der Mitte … Sicher ist dieses Geschaukel lästig, vor allem deswegen, weil der Hexameter ja von der Vielfalt lebt und mehrere Amphybrachen nacheinander eben eher für Eintönigkeit stehen; aber andererseits gilt wie immer: solange man nichts übertreibt, kann nichts schlimmes passieren.

Mal sehen, wie Heyse mit diesen Amphybrachen zurechtkommt! Im zweiten Gesang der „Thekla“ tritt die Hauptperson erstmals auf: Auf dem Dach eines spärlich geschmückten Hauses – der Hausherr ist vor kurzem gestorben – steht die siebzehnjährige Thekla und ist sauer: Ihr Verlobter Thamyris schläft seinen Rausch aus. Als er aufwacht, kommt gerade der Festzug vorbei; der oberste Kybelepriester erschreckt Thekla mit seinem anzüglichen Verhalten, sie bittet Thamyris, sie wegzuführen, er aber zwingt sie zu bleiben und behandelt sie wie ein Besitzstück. Sie reißt sich los und flieht; In ihrem Zimmer wird sie erst von ihrer Mutter gescholten, dann belauscht sie die Gespräche im jüdisch-christlichen Nebenhaus, wo der Apostel aus dem ersten Gesang die christlichen Bewohner der Stadt zurechtweist, weil sie das heidnische Fest mitfeiern. Thekla ist danach schwer beeindruckt:

 

Möge der Schlaf dich erquicken, du Edelster! Segne der Gott dich,
Dem du betest, und geb in das Herz dir, länger zu weilen,
Mir nicht ganz zu verstummen.

 

(Zu beachten: Der Dativ – statt Präposition – „Dem du betest“.) Da ist die zukünftige Christin schon zu erahnen?!

Amphybrachen gibt es zum Beispiel zu sehen, als sich Thekla auf dem Dach von Thamyris befreit:

 

Doch ihm schäumt unseliger Trotz im Herzen, und herrisch
Hält er sie: Bleib! Ich befehl es! – Da lösen sich unter dem Ringen
Ihr von der Schulter die Spangen, es fällt das Gewand, und der weiße
Busen erglänzt. Auflodernd, die Brust mit den Händen bedeckend,
Stößt sie den Jüngling zurück. Er steht, wie zaubergeblendet,
Plötzlich ernüchtert und schweigt. Da nutzt sie die jähe Verwirrung,
Und vom Söller herab in die Kammer geflüchtet, verschließt sie
Hastig die Tür und bricht mit stürzenden Tränen zusammen.

 

Ja, ja, „zaubergeblendet“ … Öhöm. Und wie stößt sie ihn eigentlich mit busenbedeckenden Händen zurück? Egal:

Plötzlich ernüchtert und schweigt. / Da nutzt sie / die jähe / Verwirrung,

Drei Amphybrachen in der zweiten Vershälfte – und darüber geht Heyse selten hinaus. Also ein verantwortungsvoller Umgang, solche Halbverse haben dann auch fast alle Verfasser! Nur ein seltsamer Vers ist dabei, aus der Apostelschelte:

 

Horden von Tieren und Teufeln in blinder Verruchtheit taumelnd.

 

Da ist schon metrisch eine Besonderheit dabei:

Horden von / Tieren und / Teufeln in / blinder Ver- / ruchtheit / taumelnd.

Der typische Schluss „X x x / X x“ ist verändert zu „X x / X x“! Das ist sehr unüblich. Und dadurch ergibt sich auf der Ebene der hörbaren Sinneinheiten eine seltsame Erscheinung:

Horden / von Tieren / und Teufeln / in blinder / Verruchtheit / taumelnd.

Vier Amphybrachen in der Mitte, flankiert von zwei „X x“. Seltsam einförmig, sehr untypisch, aber vielleicht gerade darum dem Inhalt angemessen?!

Ich mache Schluss mit meinen beiden Lieblingsversen aus diesem Gesang, Thekla nach ihrer Flucht in der Kammer:

 

Hab ich Ruhe für heut? Wie teuer erkauft! Und ein Morgen
Kommt, und endlich ein Tag, da verlässt mich die Ruhe für immer.

Das Königreich von Sede (44)

Am Wassergraben grün und tief
Trieb satt ein großer Hecht – er schlief
Und sah die letzter Tage
Verspeisten treten in den Traum;
Und klagen stumme Klage.

Erzählverse: Der Blankvers (28)

„Die letzte Kornblume“ von Klabund ist nicht wirklich ein Frühlingsgedicht; aber hier geht es ja auch mehr um die gewählte Form. Und da zeigt sich, es ist keines jener Blankvers-Gedichte, die den Vers durchgängig umsetzen; vielmehr beginnt der Text mit vier gewöhnlichen Blankversen, um dann, mit dem dem „plötzlich“ des fünften Verses, der ein Vierheber ist, vom Blankvers „plötzlich“ nichts mehr wissen zu wollen: Der sechste Vers ist zwar ein Fünfheber, doch mit doppeltem Auftakt; und dann folgen ein Siebenheber, ein Sechsheber und ein Dreiheber, ehe der Text wieder in  den Blankvers zurückfällt und ihn auch durchhält, mit Freiheiten, die das übliche Maß nicht überschreiten. Nur der „Sensenmann“ bekommt noch einen hervorgehobenen, einen vierhebigen Vers!

 

Sie ging, den Weg zu kürzen, übers Feld.
Es war gemäht. Die Ähren eingefahren.
Die braunen Stoppeln stachen in die Luft,
Als hätte sich der Erdgott schlecht rasiert.
Sie ging und ging. Und plötzlich traf sie
Auf die letzte blaue Blume dieses Sommers.
Sie sah die Blume an. Die Blume sie. Und beide dachten
(Sofern die Menschen denken können, dachte die Blume…)
Dachten ganz das gleiche:
Du bist die letzte Blüte dieses Sommers,
Du blühst, von lauter totem Gras umgeben.
Dich hat der Sensenmann verschont,
Damit ein letzter lauer Blütenduft
Über die abgestorbene Erde wehe —
Sie bückte sich. Und brach die blaue Blume.
Sie rupfte alle Blütenblätter einzeln:
Er liebt mich – liebt mich nicht – er liebt mich … nicht. —
Die blauen Blütenfetzen flatterten
Wie Himmelsfetzen über braune Stoppeln.
Ihr Auge glänzte feucht – vom Abendtau,
Der kühl und silbern auf die Felder fiel
Wie aus des Mondes Silberhorn geschüttet.

 

Inwieweit das alles dem Inhalt dient, ist mir nicht gänzlich klar?! Aber genug, zu sehen, wie der Blankvers hier sich verwirklicht, dort als mitgehörte Bezugsgröße sich bewährt und dem Text eine schöne Lebendigkeit sichert. Braune Stoppeln und Blankverse an Anfang und Ende, und dazwischen einige Lockerungen …

Die Bewegungsschule (17)

Das TAMtaTAM kommt in vielen Versarten vor – zwar tut sich der hier in der Bewegungsschule vorgestellte Vers schwer damit, aber in alternierenden Versen ist diese Bewegung häufig, und auch in den Hexameter fügt sie sich ohne Schwierigkeiten ein.

Jedenfalls, solange es sich um ein einzelnes TAMtaTAM handelt! Will man es zwecks Wirkungsverstärkung verdoppeln, geht das weder im Hexameter noch im „Auf und Ab“-Vers. Ausnahme ist da der trochäische Vierheber, wo diese Verdopplung häufig unter Ausfall einer unbetonten Silbe erreicht wird, meint: aus „TAM ta TAM ta TAM ta TAM“ wird

TAM ta TAM || TAM ta TAM

Ein schönes Beispiel für die Wirkungen, die sich damit erreichen lassen, ist Christian Morgensterns „Das Wasser“:

 

Ohne Wort, ohne Wort
rinnt das Wasser immerfort;
andernfalls, andernfalls
spräch es doch nichts andres als:

Bier und Brot, Lieb und Treu, –
und das wäre auch nicht neu.
Dieses zeigt, dieses zeigt,
dass das Wasser besser schweigt.

 

So reichlich wie hier, in jeden zweiten Vers also, kommt diese Erscheinung eher selten vor, aber die Wirkung der Bewegungs-Verdopplung, dreimal mit gleichzeitiger Inhalts-Verdopplung, einmal ohne: wird dadurch doch sehr deutlich?!

Morgenstern hat das TAMtaTAM auch sonst gerne eingesetzt. Wieder gedoppelt, und in Verbindung mit dem verwandten TAMtataTAM steht es zum Beispiel in „Auffahrt“, in diesem Ausschnitt:

 

Mit Wellenhunden
fällt euch an
der Hass der Höhe
wider das Tal.
Aber ihr fliegt,
blutbespritzt,
unbesiegt
empor, empor.

 

Wieder die Verdoppelungen, ab „wider …“:

TAM ta ta TAM / TAM ta ta TAM / TAM ta TAM / TAM ta TAM / ta TAM / ta TAM.

– wobei die letzten beiden Glieder von Umfang und Bewegung her schwächer sind, dafür aber inhaltlich übereinstimmend.

Der gesamte Text ist deutlich länger, besteht aber durchgängig aus Versen mit zwei betonten Silben. Dank der ohne Regel davor, dazwischen und dahinter eingefügten unbetonten Silben ergeben sich alle nur denkbaren Bewegungslinien, die zwei Betonungen enthalten, und dadurch ist das ganze Gedicht lohnender Anschauungsstoff, will man über die Bezüge, die Wirkungen zwischen diesen Bewegungslinien nachdenken; genau wie andere Gedichte dieses Aufbaus, von Morgenstern und anderen Verfassern.

Genau betrachtet

Sommer lag auf der Stadt, als sich Heinrich ans offene Fenster
Setzte, um früh am Morgen der fröhlichen Menschenmenge
Zuzusehen, die draußen die Einkaufsstraße belebte.
Sicher, es war das Fenster, genau betrachtet, geschlossen,
Was die Gespräche, die Rufe, das fröhliche Lachen der Kinder
Nicht in das Zimmer ließ, und eigentlich gab es kein Fenster,
Welcher Umstand die Farben, das Licht, die Bewegungen fernhielt;
Heinrich schaute stattdessen die weißgestrichene Wand an,
Hinter der, möglicherweise, die Einkaufsstraße sich dehnte
Oder eben auch nicht. Je nun, das geht so in Ordnung,
Dachte Heinrich, denn gibt es die Straße, was könnt‘ ich an diesem
Abend schon sehen, in Regen und Kälte, mitten im Winter?