Gerhart Hauptmanns „Till Eulenspiegel“ (2)
Wie angekündigt: Der Rest des „ersten Abenteuers“. Nach der Begegnung mit den Behörden baut Till seine „Bude“ ab und zieht mit seinem Karren los. Hauptmann beschreibt Tills Gefährten so (wieder aus Hauptmanns gesammelten Werken, vierter Band, erschienen 1964 bei Propylän, Seite 601-613):
Und im Grund des Gefährts saß ein Käuzlein. Es rührte sich wenig.
Gift und Galle: So nannte der fahrende Landschelm die Pferdchen,
der, als lachender Gott, sie regierte und so eines weißen
Pudels Dienste genoss, den, wie manchen der Gilde, man Prinz rief.
Weit außerhalb der Stadt schlägt Till sein Lager auf. Dort begegnen ihm Ulrich, ein blinder ehemaliger Soldat, der den Krieg genausowenig los wird wie Till, und dessen Mutter. Till läd sie ein, und:
Dieser aß höchst vergnügt und genoss von dem Weine des Gauklers,
ward gesprächig und schien seiner Blindheit sich nicht zu erinnern.
„Köstlich“, sprach er, „ist so eine Nacht, wenn die Schauer der Stille
mit den wohligen Strömen der laulichen Luft sich vereinen,
gleichsam unter das Weltengewimmel der Sterne sich flüchten!
Und wie bleich das Gebirge sich dehnt in der schummrigen Ferne,
überirdischem Horte gediegenen Silbers vergleichbar
in den nächtlichen Tempeln und Schätzegewölben der Gottheit!“
Mit der Naturschilderung glättet sich auch der Vers, und die Hexameter klingen fast schon etwas kitschig. Doch der Ton ändert sich gleich wieder, den nun wird vom „Krieg geplauscht“:
„Über Zion“, sprach Till, „hing ich, kreisend, im dröhnenden Flugzeug.
Den gewaltigsten Traum, den ich jemals geträumt, träumt‘ ich damals,
von der Größe des Reichs, von der länderumgreifenden Weltmacht
deutscher Art und dem heilgen Beruf, der uns damit gesetzt war.
Deutschland träumte in mir, und sein Traum war geharnischt – das war er! -,
eisenschmetternd und Feuer auswerfend und donnernden Rauchdampf!“
Der Unterschied zu den vorigen Versen lässt sich auch beim Vergleich der Versausgänge erkennen: Stille, flüchten, Ferne, aber Flugzeug, Weltmacht, Rauchdampf! Bei Till sind die Schlusssilben viel schwerer und eigentlich nie mit „schwachem e“ besetzt.
Schließlich spielt Till noch auf der Zither und singt, er schildert
Rossewiehern, Trompeten und brausenden Ruf der Begeistrung,
doch dann bricht er plötzlich ab: Ihm sind tote Soldaten erschienen, die seine Musik nicht dulden. Einer sagt:
Wie du weißt: wir sind tot. Unser Vaterland hat uns erschlagen.
Grausam trieb’s mich hinein in den höllischen Sturm der Geschosse,
stolpernd starb ich, ins eigne Geschlinke die Füße verwickelt,
und ich lag zwanzig Tage, verwesend im eigenen Kote,
stank, solange die Lüfte verderbend mit giftigem Pesthauch!
Als man endlich den irdischen Rest zu bestatten die Zeit fand,
tat man es mit verbundenem Maul, unter Flüchen und Zoten.
Es ist also wirklich viel vom Krieg die Rede, und das bleibt auch so. In den folgenden Abenteuern erweitert sich der abgeschrittene Raum aber, es kommen mehrere Themen hinzu (der Pudel etwa bleibt nicht die einzige Verknüpfung mit Goethes „Faust“), und das ganze lässt den Leser nur schwer wieder los. Was in meinem Fall natürlich auch an Hauptmanns Hexameter liegt – ein seltsamer Vers, gleichzeitig anziehend und abstoßend. Oskar Loerke hat über ihn geschrieben:
Der Vers misst nicht, er er-misst, er zählt nicht, er er-zählt. Der Till-Vers ist einem Atemzuge vergleichbar, in sechs rhythmischen Schlägen zieht er vorüber; diese stellen sich unbefangen ein und setzen sich nicht gleichsam dem Vers auf den Nacken. Sie schalten nicht gleichmacherisch mit ihrem Inhalt. Der Atem wiederholt nicht das Unwiederholbare der Dinge, aber er freut sich an den Dingen, die nicht da wären, wenn er sich nicht wiederholte. Er hat durchblutende, ansaugende, erhaltende Kraft.
Das kann man so gelten lassen, denke ich?! Jedenfalls, wer Muße und Gelegenheit hat, sollte den „Till“ auf jeden Fall zur Hand nehmen – ein lohnender Text!