Prinz Klappstuhl, längst aus den Träumen erwacht,
Kommt heiteren Sinns an den Graben. Es tagt,
Und im schwellenden Licht: auf schlägt er das Buch,
Der versammelten Schar, dicht drängen an dicht
Sich die Frösche, ein Kreis weitoffenen Sinns,
Der Verstorbenen Tun zu berichten; und liest,
Wie im Brunnen der Burg, die man zögernd begann,
Und vollendete: nie, wie im Brunnen ein Frosch
Als Gefangener schwamm –
Laut tönte sein Ruf aus dem Schacht auf!
Archiv für den Monat Oktober 2015
Erzählverse: Der Blankvers (70)
Idyllisch, eigentlich schon kitschig kommt Ada Christens Blankvers-Text aus ihrem Zyklus „Fünf Treppen hoch“ daher; Gegenstand ist die erinnernde Beschreibung einer Heimat, eines Hauses, das liebevoll geschildert wird, ehe das Gedicht dann so schließt:
Ganz unterm Dache aber steckt ein Stübchen,
In dem nichts steht als nur ein Kinderbett.
Ein schläferiges Mägdlein knieet dort,
Das folgsam seine schmalen Hände faltet
Und mühsam nachlallt, was die alte Frau
– Mit ihrem Wackelkinn und tausend Runzeln –
Ihr vorspricht, jedes lange Wort betonend,
Als müsse Gott das ganz besonders hören.
Am Fenster lehnt ein Mann mit weißem Haar
Und ernsten, starken, aber gütigen Zügen.
Er regt die Lippen nicht, er betet leise,
Und seine raue schwielenvolle Hand
Legt federleicht er auf des Kindes Köpfchen,
Als übermannt von Schlaf es flüsternd umsinkt,
Und tiefe Atemzüge durch das Stübchen wehn …
Das ist keiner größeren Beachtung wert, eigentlich. Aber was doch auffällt, hier wie bei vielen anderen Gelegenheiten: Wie weit selbst ein sich stark an die Prosa anschmiegendes Versmaß wie der Blankvers einen Inhalt „beglaubigt“ – liest man den Text laut, versinnlicht man ihn: wirkt er deutlich überzeugender, als er es bei der stummen Betrachtung durch Auge und Verstand vermag!
Wohnungsschaden
Wasser schwappt in Badewannen,
Töne schwappen in Klavieren;
In den Dichtern schwappen Worte,
Hin und her, und türmen sich
Auf, und hoch und immer höher,
Bis, die Badewannen halten’s
Nicht mehr, nicht mehr die Klaviere
Alles, alle: Übergeschwappt.
Bild & Wort (157)
Erzählverse: Der Hexameter (123)
Welchen Grund könnte es geben, die Bibel, genauer: das Buch Hiob in Hexameter zu übertragen?! Der es tat, erklärt es nicht im entsprechenden Büchlein – das Titelblatt sagt es nicht, obwohl es sonst viel sagt …
Das Buch Hiob in deutschen Hexametern. Ein Scherflein zur akademischen Feier der fünfundzwanzigjährigen glorreichen Regierung unsers Allergnädigsten Königs Maximilian Joseph, beigetragen von Dr. Georg Libor Eyrich, geistl. Rat und Professor an der k. Universität zu Würzburg. Würzburg 1824. Gedruckt bei Carl Wilhelm Becker, Universitäts-Buchdrucker.
… und danach spricht nur noch die Übertragung, 88 Seiten lang. Aus dem „39. Kapitel“:
Schwingt sich der Habicht empor durch deine Weisheit, und breitet
Seine Schwingen dem Südwind entgegen? Erhebt sich der Adler
Deinem Befehle gemäß und bauet auf Höhen sein Nest sich?
Klippen bewohnt er, und hauset auf steilen Gebirgen und Felsen,
Späht nach Beute von da; sein Aug‘ entdeckt sie von Ferne;
Blut nur schlürfen die Jungen; wo Leichen sich finden, da ist er.
Klingt eigentlich gar nicht so übel?! Ich weiß nicht, ob das eine eigenständige Übersetzung ist oder die „Hexametrisierung“ einer schon vorhandenen Übersetzung; der letzte Vers lässt mich aber ein wenig an die Luther-Bibel denken, „Seine Jungen saufen Blut, und wo ein Aas ist, da ist er.“ Das klingt in der heutigen Luther-Bibel ein wenig anders – „Seine Jungen gieren nach Blut, und wo Erschlagene liegen, da ist er“ -, aber eigentlich hat es genau die richtige Länge für einen Hexameter?! Die Umformung müsste also leicht von der Hand gegangen sein!
Das ist aber nicht immer so. Der Schluss des Buches Hiob lautet in der Luther-Bibel seit jeher „Und Hiob starb alt und lebenssatt“ – da ist in der Übertragung Phantasie gefragt, mehr als fünf betonte Silben gibt das auf keinen Fall her! Was macht Eyrich?!
Endlich starb er, ein Greis, nach vollendeter Fülle der Tage.
Uh. Das klingt … nicht so überzeugend. Da ist der alte Luther in seiner kurzen, knappen Art schwer zu schlagen! Was auch die (katholische)“Einheitsübersetzung“ einsehen muss, die gleichfalls ein wenig weitschweifig ist: „Dann starb Hiob, hochbetagt und satt an Lebenstagen.“
Auch nicht viel besser als Eyrichs Hexameter … Dann doch, wie gesagt, lieber Luther in reiner Form. In Luthers Bibel finden sich nicht wenige unabsichtliche Hexameter – wer sucht, wird fündig werden, oder er schaut einfach hier vorbei: (95) -, was bei der rhythmischen Kraft seiner Übersetzung vielleicht gar nicht so erstaunlich ist?!
Erzählverse: Der Blankvers (69)
„Wie die Kinder lesen“ von Hugo Freiherr von Blomberg ist ein Gedicht ohne größeren Tiefgang, dabei aber angenehm zu lesen!
Saht ihr einmal – wie freilich solltet ihr!
Doch schade drum, denn hold und lustig ist es!
Wenn meine Kleine, siebzehn Monde alt,
In Vaters Büchern oder Briefen liest?
Wie sie das Ding schon so verständig anfasst,
Den Zeilen emsig mit dem Finger folgt,
Und ihren ganzen, winzgen Wörtervorrat:
Papa, Mama, und Baba und Raubau
Mit ungemeiner Wichtigkeit und mit
Nicht mindrer Modulierung an den Mann bringt?
(Denn, wie natürlich, kennt sie noch kein Jota!)
Und wir, die Eltern – lach uns aus, wer mag!
Wir horchen wie aufs Evangelium
Und sagen: „Ei, wie schön kann Eva lesen!“
Dann blickt sie stolz und glücklich zu uns auf.
Mir aber wird oft wunderlich dabei
Zumut – und auf dem Bänkchen neben ihr
Mein‘ ich ein ganzes großes Publikum
In gleichem Lesewerk vertieft zu sehn;
Gar alt‘ und hochgelahrte Männer drunter
(Auch, dass es niemand übel nimmt, mich selbst,
obwohl ich eben keins von beiden bin)
Und halten tausend klein‘ und große Bücher,
Nicht etwa Märchen und Romane nur,
Im Gegenteil! Recht vollgewicht’ge Bände:
Der Künste Buch, wie das der Wissenschaft,
Den dicken grauen Tröster: „Weltgeschichte“,
Selbst jenes größte – schwer nur klappt sich’s auf!
Das alte, das „Natur“ betitelt ist:
Und lesen ernst und laut einander vor
Und leiten zeilenweis sich mit den Fingern,
Die großen nämlich -Kleinste hören zu;
Doch mancher, fürcht‘ ich, hält das Buch verkehrt,
Und A bis Z steht lustig auf den Köpfen.
Der große Vater aber, denk‘ ich mir,
Sieht lächelnd nieder auf die kleine Welt
Und streichelt manches kluge Lockenköpfchen,
Als spräch‘ er: „Wie das Kind schon lesen kann!“
Im Stillen aber sagt er: „Warte nur,
Nehm‘ ich dich einst aufs Knie und lehre dich,
Dann lernst du’s anders!
Also, wie gesagt: Das kann man so weglesen und sich gut unterhalten fühlen dabei. Ein wirklich gutes Gedicht ist es meinem Gefühl nach aber nicht; keine Letztform. Und das hat, denke ich, auch mit dem Vers zu tun: Der nicht so bedingungslos selbstverständlich ist, wie er es in einem solchen Gedicht sein muss – für den Leser nicht mehr zu bemerken, und trotzdem da und wirksam. Stattdessen ist ein gewisses Bemühen zu spüren, was sich inhaltlich auch in einer, wie es mir scheint, übertriebenen Anbiederung an den Leser ausdrückt. Wäre das alles nicht – das Gedicht gefiele mir noch um einiges besser! Gerade und besonders der Mittelteil.
Erzählverse: Der Hexameter (122)
Gereimte Hexameter sind ein Unding. Hexameter und Reimverse, fein säuberlich getrennt, kommen dagegen sehr gut miteinander aus, wie das Beispiel der Idyllendichtung lehrt; in der immer mal wieder aus dem Gesprochenen, den Hexametern, in den Gesang gewechselt wird, die Reimverse. So beginnt die Idylle „Der Sänger am Felsen“ von Caroline Pichler mit einem Lied, gesungen von Alexis, dessen letzte Strophe so lautet:
Klag‘, o meine Flöte! Klage!
Kürzt den Faden meiner Tage
Bald der strengen Parze Stahl;
Klage dann auf Lethes Matten
Irgendeinem guten Schatten
Meine Lieb‘ und meine Qual!
Alexis wird im Anschluss von Mycon in Hexametern angeredet:
Sei mir gegrüßt, Alexis! Mich hat dein Gesang von des Hügels
Schattiger Höhe heruntergelockt. Das dumpfe Gemurmel
Jenes Baches, der Nachtigall sanft klagende Stimme
Tönt nicht so schwermutsvoll, als deine Lieder, die mächtig
Selbst mein heitres Gemüt zu sanfter Trauer bewegen.
– Alexis antwortet, selbstverständlich auch in Hexametern, und immer so weiter im Wechselgespräch bis zum Schluss der Idylle. In anderen Idyllen wird in der Mitte gesungen, in wieder anderen bildet das Lied den Schluss; aber immer fügen sich die Reimverse und die Hexameter zu einem ausgewogenen Ganzen!
Bild & Wort (156)
Die Bewegungsschule (46)
Es ist an der Zeit, einmal wieder an den „Bewegungsschulen-Vers“ zu erinnern! Im letzten Trimeter-Eintrag ging es um Verse aus Adelbert von Chamissos „Fortunat“; der enthält aber auch eine Fülle anderer Versarten. Unter anderem finden sich ganz am Schluss des Bruchstücks, anschließend an iambische Trimeter, die folgenden Verse, in denen „Agrippina“ in höchster Verzweiflung „zurückweicht“:
Wildgrimmiger Leu du verdarbst in der Brust
Und der Liebe Gewalt und der Mitleid ganz
Richtender Gott weh, weh Rasender mir
Die zum Zorn ich gereizt den verderblichen Mann!
Denn raubte die Tat die entfliehende Zeit
Hält karg sie den Raub, und die Saat trägt Frucht
Und entschnellt, fleugt, trifft, der befiederte Pfeil
Spiel kindischer Lust ich bewege das Rad
Es im Schwung hinrollt, und erfasst und entrafft
Die erschrockene bangaufschreiende mich
Zu der Tiefe hinab.
Das ist inhaltlich ein wenig … wirr?! Auch durch die eigene Zeichensetzung. Ich kenne die Verse nun schon ein Weilchen, aber so wirklich verstanden, was in ihnen verhandelt wird, habe ich immer noch nicht. Oder nur so halb. Nun waren diese Verse ja auch gar nicht zur Veröffentlichung vorgesehen, wer weiß also, als wie „fertig“ Chamisso sie angesehen hat – aber das Unzusammenhängende hilft sicher auch, die Seelenlage der Agrippina zu verdeutlichen; und dabei hilft auch der verwendete Vers, der in seiner raschen, stürmischen Grundbewegung für diese Augenblicke höchsten Gefühls gut geeignet ist! Wer Chamissos Vers mit den bis (14) entwickelten Möglichkeiten vergleicht, stellt fest: Er bedient sich genau dieser Möglichkeiten – nur V3, der betont einsetzt, fällt aus der Reihe. Die Zäsur wird streng eingehalten; erst ganz am Schluss verzichtet ein Vers sogar völlig auf sie:
Die erschrok– / kene bang– / aufschrei– / ende mich
ta ta TAM / ta ta TAM / TAM TAM / ta ta TAM
An die Stelle des Einschnitts tritt also eine im Klang besondere schwebende Betonung, die die Versmitte im Gegenteil vollständig „vereinheitlicht“, ehe der letzte Vers, als Halbvers, dann die tiefstmögliche Pause herbeiführt, indem er schon in der eigentlichen Versmitte, dem Ort des Schnittes: schließt. Höchst eindrucksvoll!
Go: Die alten Meister (34)
Die alten Meister malen
Ein steinern Bild, aus dem
Gedankenfarben strahlen.