Ernst Collin-Schönfelds „Kain“ beginnt so:
Zehn Tage hab ich über ihm gekniet
und hab‘ den schlaffen Leib mit wilden Händen
gepackt und ihn geschüttelt und gezerrt
und hab‘ zu ihm geschrien und gefleht,
bis meine Stimme taub klang wie das Brüllen
von Rinderherden und Geblök von Schafen:
So schlag mich doch! Ich winselte wie ein Hund,
erhör mich, Bruder, schlag mich, schlag mich doch!
Und er lag da wie regungsloser Stein.
Einsam, in der Wüste, wird ihm einige Verse später diese Erkenntnis:
Dort saß ich sieben Jahr‘ auf einem Stein,
bis ich begriff, dass dies das Ende ist,
und dass der Mensch nicht so viel ist vor Gott
wie vor ihm selbst ein Tier, das er zwei Jahre
aufwachsen lässt, bis er es eines Morgens
dem Hunger schlachtet; bis ich ganz begriff,
dass dies das Ende für uns alle ist,
dies: wie die Erde werden hohl und leer,
nicht mehr sich rühren und gar nichts mehr sein.
Er kehrt aus der Wüste zurück und begeht grausame Verbrechen, so dass Jagd auf ihn gemacht wird. Der Schluss:
Und wenn sie eines Abends mich erreichen
oder die Hand des Herren mich erlegt,
so will ich wie ein reißend Tier mich wehren
und will die Zähne fletschen wider Gott,
dass er, der uns erschuf, dass ein paar Jahre
wir uns auf Erden tummeln und wie Gräser
vorm Schnee des Winters hilfelos hinschwinden,
erschaudert, wenn er sieht, wie Kain stirbt.
Das ist nicht immer ganz sicher und vielleicht auch ein wenig zu stark unter der Herrschaft der Satzlogik (zuviele Dass-Sätze); aber insgesamt sind es brauchbare Blankverse, als geformte Sprache erkennbar und Rahmen und Bezug gebend?! Die zum Blankvers gehörenden Freiheiten sind mit Augenmaß eingesetzt („winselte“ als doppelt besetze Senkung, „oder die“ als versetzte Betonung am Satzanfang, …); bemerkenswert die fehlende Senkungssilbe im Schlussvers, so dass die beiden Betonungen „Kain“ und „stirbt“ unmittelbar aufeinander folgen.