Erzählformen: Der Zweiheber (14)

Auch die anakreontischen Dichter haben sich des Zweihebers bedient, um ihre leichten, spielerischen Texte um „Wein und Liebe“ zu gestalten; wie hier Ludwig Gleim:

 

Der Friedensstifter

Wein und Liebe
Bändigt Helden;
Wein und Liebe
Macht Verträge;
Wein und Liebe
Stiftet Frieden.
D’rum, o Deutschland,
Willst du Frieden?
Wein und Liebe
Kann ihn stiften!

 

Wiederholungen, wie sie in dieser Art von Gedicht häufig sind, unverbundenes Aufzählen; und dann ein wenig Abwechslung, ehe der Grundton, eben „Wein und Liebe“, noch einmal angeschlagen wird. Eigentlich ein Nichts, aber man lässt es sich gerne gefallen?! Und das vielleicht auch, weil der Zweiheber dem ganzen einen Rahmen gibt, in dem es wie selbstverständlich dastehen kann.

Erzählverse: Der Blankvers (75)

Im Herbst letzten Jahres ist Rainer Kirsch gestorben. Auch unter seinen Werken gibt es solche in Blankversen, etwa „Richard III.“, zu finden in „Gedichte und Lieder“, dem ersten Band seiner Werke, erschienen 2004 bei Eulenspiegel, auf Seite 65.

 

Von Mord zu Mord den Weg nach oben, oben
Ist keiner mehr im Weg, man ist es selber
Und muss nach unten morden, jeder Dolch
Ist umdrehbar und muss mit sieben Dolchen
Gehalten werden, dass er sich nicht umdreht
Und sieben Dolche brauchen neunundvierzig
Der Dolch des Dolches Dolch, und Zungen sind
Da sie den Dolchen Richtung geben, Dolche
Der Blick vom Gipfel ist der Blick zum Abgrund
Und aller Toten Zungen, denkt man, reden

 

Zeichnet im Blankvers geschriebene Texte auch für gewöhnlich eine gewisse Nähe zur Prosa aus, ein nur leichtes Geformt- und Geleitetsein der sonst bequem und frei dahinfließenden Sätze: Hier ist es anders, der recht kurze Text kreist um einige wenige Begriffe – Dolch, Mord, Zunge – und zwingt auch die Verse in diese Bewegung, wodurch alles doch sehr gestaltet wirkt, sehr von einem schaffenden Willen gelenkt; und das geht auch, der Text wirkt rund und fertig und ist wirksam?! Wobei die durchgängige Großschreibung der Versanfänge und das Fehlen der Zeichensetzung an den Versenden zum Eindruck des Gestaltetseins beitragen; aber nur für’s Auge, nicht für’s Ohr!

Auf planetlyrik.de findet sich ein Gespräch Rainer Kirschs mit Anthonya Visser aus dem Jahr 1990, in dem auch der Blankvers angesprochen wird. Kirsch:

Eine wirkliche Innovation, die bloß kaum jemand bemerkt hat, ist die Aufrauhung und Geschmeidigung des deutschen Blankverses nach 1945 auf dem Gebiet der DDR. Fürs Drama haben das im wesentlichen Müller und Hacks gemacht, die anknüpften an Brechts „Leben Eduard II. von England“. Für das Gedicht hatte das allein Rilke angefangen, in den großen ,Requiems‘ 1907/08. Aber Rilke hatte die Errungenschaften des Expressionismus nicht zur Hand. Die hatten wir, wir kannten alles von Georg Heym und van Hoddis. Und lasen natürlich die neuen Theaterstücke, eben Heiner Müller und Hacks.

Ohne Titel

In den Flammen: ein Buch. Loh brennend vergeht’s, und die Wörter sind Licht, es ist Licht, kurz,
Des Geschriebenen Sinn, und ein Funkengestieb‘: aus zu Asche zerflockenden Seiten.

Erzählverse: Der Blankvers (74)

Aus der Jugendzeit

In alten Briefen saß ich heut vergraben,
als einer plötzlich in die Hand mir fiel,
auf dem die Jahresziffer mich erschreckte,
so lange war es her, so lange schon.
Die Schrift stand groß und klein und glatt und kraus
und reichlich untermischt mit Tintenklecksen:
„Mein lieber Fritz, die Bäume sind nun kahl,
wir spielen nicht mehr Räuber und Soldat,
Türk hat das rechte Vorderbein gebrochen,
und Tante Hannchen hat noch immer Zahnweh,
Papa ist auf die Hühnerjagd gegangen.
Ich weiß nichts mehr. Mir geht es gut.
Schreib bald und bleibe recht gesund.
Dein Freund und Vetter Siegesmund.“
„Die Bäume sind nun kahl“, das herbe Wort
ließ mich die Briefe still zusammenlegen,
gab Hut und Handschuh mir und Rock und Stock
und drängte mich hinaus in meine Heide.

 

Detlev von Liliencron hat sich entschieden, diese Begebenheit im Blankvers wiederzugeben; und das war, denke ich, eine gute Wahl. Die vollkommene Spannungslosigkeit des Dargestellten wird durch die Satz-Vers-Spannung ein Stückweit ausgegleichen; wobei ein die Sprache stärker formendes Versmaß allerdings auch wieder übertrieben gewirkt hätte. So, und gefördert durch die Kürze des Textes: geht der Leser den Gang durch die Zeilen willig mit.

An Auflockerungen sind zu verzeichnen: Drei Vierheber, drei verkürzte Verse gerade da, wo dem jungen Briefeschreiber der Stoff ausgeht; ein Reim, mit dem er seinen Brief schließt, Gleichklang statt Inhalt; und (keine Auflockerung, eigentlich, aber doch deutlich vernehmbar) das „Rock und Stock“ des vorletzten Verses. Das alles fügt sich gut ein.

Ohne Titel

Papier ist geduldig, so sagt man und meint: das Geschriebene. Doch das Papier, rein,
Das Papier an sich, ist geduldiger, ja: am geduldigsten (weiß es zu warten).

Erzählformen: Der Zweiheber (13)

Der Zweiheber ist unglaublich vielseitig und kann, zum Beispiel, zu immer neuen Strophen zusammengestellt werden. Eine achtzeilige Strophe nutzt Karl Henckells „Lied des Steinklopfers“:

x X x X x a
x X x X x –
x X x X x a
x X x X b
x X x X x c
x X x X x –
x X x X x c
x X x X b

Eine etwas ungewohnte Verbindung von betont / unbetont endenden Versen und Reimanordnung? Aber wie die dritte und letzte Strophe des Liedes zeigt – das trägt!

 

Heut hab ich Armer
noch nichts gegessen,
der Allerbarmer
hat nichts gesandt;
von goldnem Weine
hab ich geträumet
und klopfe Steine
fürs Vaterland.

 

V1 und V6 liest man, denke ich, mit Betonung auf der ersten Silbe? Aber auch diese beiden versetzten Betonungen schaden dem geschlossenen Versraum nicht; er bleibt dem Ohr erfahrbar!

Erzählverse: Der Blankvers (73)

Ernst Collin-Schönfelds „Kain“ beginnt so:

 

Zehn Tage hab ich über ihm gekniet
und hab‘ den schlaffen Leib mit wilden Händen
gepackt und ihn geschüttelt und gezerrt
und hab‘ zu ihm geschrien und gefleht,
bis meine Stimme taub klang wie das Brüllen
von Rinderherden und Geblök von Schafen:
So schlag mich doch! Ich winselte wie ein Hund,
erhör mich, Bruder, schlag mich, schlag mich doch!
Und er lag da wie regungsloser Stein.

 

Einsam, in der Wüste, wird ihm einige Verse später diese Erkenntnis:

 

Dort saß ich sieben Jahr‘ auf einem Stein,
bis ich begriff, dass dies das Ende ist,
und dass der Mensch nicht so viel ist vor Gott
wie vor ihm selbst ein Tier, das er zwei Jahre
aufwachsen lässt, bis er es eines Morgens
dem Hunger schlachtet; bis ich ganz begriff,
dass dies das Ende für uns alle ist,
dies: wie die Erde werden hohl und leer,
nicht mehr sich rühren und gar nichts mehr sein.

 

Er kehrt aus der Wüste zurück und begeht grausame Verbrechen, so dass Jagd auf ihn gemacht wird. Der Schluss:

 

Und wenn sie eines Abends mich erreichen
oder die Hand des Herren mich erlegt,
so will ich wie ein reißend Tier mich wehren
und will die Zähne fletschen wider Gott,
dass er, der uns erschuf, dass ein paar Jahre
wir uns auf Erden tummeln und wie Gräser
vorm Schnee des Winters hilfelos hinschwinden,
erschaudert, wenn er sieht, wie Kain stirbt.

 

Das ist nicht immer ganz sicher und vielleicht auch ein wenig zu stark unter der Herrschaft der Satzlogik (zuviele Dass-Sätze); aber insgesamt sind es brauchbare  Blankverse, als geformte Sprache erkennbar und Rahmen und Bezug gebend?! Die zum Blankvers gehörenden Freiheiten sind mit Augenmaß eingesetzt („winselte“ als doppelt besetze Senkung, „oder die“ als versetzte Betonung am Satzanfang, …); bemerkenswert die fehlende Senkungssilbe im Schlussvers, so dass die beiden Betonungen „Kain“ und „stirbt“ unmittelbar aufeinander folgen.

Das Königreich von Sede (82)

Pulverfass bemerkt am Abend,
Müßig an der Mauer schabend,
Dass die Mauer Schein ist, dünne
Schicht aus Sein, ein Trost dem Sinne,
Von wer weiß wem aufgetragen
Blankem Nichts: vor allem Tagen.

Erzählformen: Der Zweiheber (12)

Sarah Kirschs schöner Gedichtband „Schwanenliebe“, erschienen 2001 bei DVA, versammelt kurze und kürzeste Gedichte, darunter auf S.115 auch dieses:

 

Wo der Himmel
Zickzack in die
Berge hängt da
Wohnt er ist aber
Niemand zuhause.

 

Das Gedicht (das mir sehr gefällt) ist wirklich kurz – kann sich der Vers, der Zweiheber da überhaupt dem Ohr vermitteln, als eigenständige und mitzuhörende Größe neben dem Satz? Ich glaube, so gerade; denn man hört den Wechsel vom „X x X x“ der ersten drei Verse hin zum „X x x X x“ der beiden Schlussverse gut raus?! Und dann muss das Ohr ja eine Bezugsgröße erkennen … Aber ich vermute, wenn die Verse schon so kurz sind, müssen mehrere davon da sein, damit man sich „einhören“ kann! Oder eben Hilfsmittel wie der Reim; oder zumindest der Verzicht auf Zeilensprünge der härteren Art (wie es hier „die / Berge“ einer ist).