Dem alten Meister schwindet
Die Hoffnung, doch er lässt
Nicht nach; und sucht; und findet.
Erzählformen: Die alkäische Strophe (24)
Friedrich Gottlieb Klopstock schätzte es, seine Gedanken zu Fragen der Dichtung auch in Versform darzustellen. In „An Johann Heinrich Voß“, also einen anderen Dichter, der sich viel aus den Fragen der Versbewegung machte, findet sich diese alkäische Strophe:
Dank euch noch einmal, Dichter! Die Sprache war
Durch unsern Iambus halb in die Acht erklärt,
Im Bann der Leidenschaften Ausdruck,
Welcher dahin mit dem Rhythmus strömet.
Das ist nun so gar nicht lyrisch oder odengemäß getragen und feierlich, aber trotzdem passend; denn der große Rhythmiker Klopstock war den iambischen Versmaßen gar nicht zugetan, die nicht sehr viel „rhythmischen Spielraum“ lassen, und lobt hier also die Dichter, die ihm gefolgt sind in seinen Versuchen, diese iambischen Versmaße durch zum Beispiel die Nachbildungen antiker Formen zu ersetzen. Und in welcher Form könnte das besser geschehen als in einer Odenstrophe?!
Erzählverse: Der trochäische Vierheber (71)
Johann Gottfried Herders ungereimte Gedichte reizen mich deutlich stärker als seine gereimten. In „Der Himmel“ schließt er ein Paar von ungereimten trochäischen Vierhebern mit einem ebensolchen Dreiheber ab, und die so gewonnene Strophe nutzt er dreimal:
Dünste steigen auf und werden
In den Wolken Blitz und Donner
Oder Regentropfen.
Dünste steigen auf und werden
In dem Haupte Zorn und Unmut,
Oder werden Tränen.
Freund, bewahre Deinen Himmel
Vor dem Dunst der Leidenschaften!
Deine Stirn sei Sonne!
Inhaltlich gefällig, aber nicht weltbewegend, obwohl „Deine Stirn sei Sonne!“ sehr schön zeigt, wie gut ein kräftiger, klarer Schlussvers einem Gedicht tut; in der Form aber ein guter Vergleichspunkt zu der in (70) vorgeführten, kanzonenähnlichen Gestaltung mit ihren gleichfalls dreiversigen Stollen! Man sieht, auch der nicht-gereihte ungereimte trochäische Vierheber lässt viel Raum für eigene Gestaltungsmöglichkeiten …
Erzählformen: Das Madrigal (31)
Moderne Gedichte sind gerne einmal gänzlich unverständlich; da muss man als Leser dann durch. Es gibt aber auch jahrhundertealte Gedichte, die zumindest mir höchst dunkel bleiben – wie etwa dieses kurze Madrigal von Christian Adolph Overbeck:
Der Phlegmatiker beim Sonnenuntergange
O wenn sie sich die kleine Mühe nähm‘
Und wirklich sich
Um unsere Erde drehte,
Und nicht bloß scheinbarlich!
Bei meinem Bauch! Es wäre so bequem
Für meine liebe Erd‘ und mich!
Hm. Bauch, Erde, mich … Immerhin, von der Form her ist alles madrigalische da – die verschiedenen Verslängen, die freie Reimstellung. die Waise; und sogar eine doppelt besetzte Senkung hat sich eingefunden, obwohl sich die im Vortrag leich ausgleichen lässt, möchte man es denn („uns’re“). Eine Sache, bei der keine Nachlässigkeit geduldet wird, ist der Hiat – von V1 nach V2 wird das Zusammentreffen von Wortend- und Wortanfangsvokal sogar über die Versgrenze hinweg vermieden …
Erzählverse: Der Blankvers (111)
Johann Michael Hamanns „Frage und Antwort“ zeigt schön, wie weit die bloße Reihung einen Text bringen kann:
Wie kömmt’s doch, dass von allen Blumen, die
Auf Feld und Anger blühn, so wenig nur
Den Wohlgeruch, den süßen Duft uns weihn,
Der dieses Veilchen hier so wert uns macht?
Sie trinken alle doch denselben Tau,
Denselben Strahl der Sonne und des Monds?
Sie sprossen alle ja aus einem Schoß,
Und eine Mutter ist es, die sie nährt?
So sprach der Jüngling zu dem weisen Mann.
Wie kömmt’s, mein Sohn, erwidert‘ er, dass von
Den Menschen nicht ein jeder Wohlgeruch
Zum Himmel schickt, durch edle, gute Tat?
Hat die Natur doch keinen je versäumt.
Es leuchtet jedem ja die Sonne mild,
Und milder noch der Mond. Für jeden schmückt
Die Erde sich mit goldner Frucht. Es wölbt
Für jeden sich der blaue Äther, weht
Mit kräftgem Lebenshauch um seine Stirn.
Es flimmert jedem doch der Stern des Rechts,
Und jedem schallt die Stimme des Gefühls.
Nun gilt es zwar als unhöflich, auf eine Frage mit einer Gegenfrage zu antworten, aber vielleicht gelten da für „weise Männer“ ja andere Regeln …
Eine andere Frage, auf die eine Antwort zu erhalten wertvoll wäre, ist diese: Was gewänne oder verlöre dieses nicht eigentlich in Blankversen, sondern in sehr regelmäßigen iambischen Fünfhebern, die dafür einige harte Zeilensprünge aufweisen, geschriebene Gedicht, fehlten einige Elemente der Aufzählung?!
Erzählverse: Der iambische Siebenheber (11)
Manchmal erkennt man den Wert und die Eigenart einer Sache erst, wenn sie fehlt. Der iambische Siebenheber, wie er beim Verserzähler vorgestellt wird, hat zum Beispiel einen festen Einschnitt nach der achten Silbe:
x X / x X / x X / x X || x X / x X / x X (/ x)
Wie prägend dieser Einschnitt für den Vers ist, zeigt sein Fehlen, etwa in Fred Endrikats „Der Philosoph ohne Regenschirm“:
Es ist nicht alles schön auf dieser wunderschönen Welt,
Novemberstürme gibt es auch im Monat Mai.
Beschimpfe nicht den Regen, der auf dich herniederfällt,
Bedenk: Der meiste Regen fällt an dir vorbei.
Ein netter Gedanke; von der Form her sind es zwei iambische Siebenheber (V1, V3) und zwei iambische Sechsheber (V2, V4), die allerdings keine der bei solchen Langversen üblichen, sondern beliebige Einschnitte aufweisen; und nicht, dass es darum schlechte Verse wären, doch etwas gegen die dadurch entstehende Beliebigkeit in der Versbewegung, eine gewisse „Lichtlosigkeit“ ankämpfen muss man beim Vortrag?!
(Auch ungewöhnlich: Der Kreuzreim. Siebenheber sind fast immer paargereimt, da sonst das Reimwort zu weit abdriftet, wahrscheinlich …)
Septembermond
Über die Dächer hebt sich in leuchtender Fülle der Mond auf,
Wolkenverborgen; es sieht niemand (und jedermann: weiß).
Erzählformen: Die Brunnenstrophe (23)
Die Brunnenstrophe an sich ist pflegeleicht; sie kann aber auch ohne große Mühe abgewandelt werden. Klabunds „Lied im Herbst“ zum Beispiel verkürzt den vierten Vers von drei Iamben auf nur einen Iambus:
Wie Krieger in Zinnober
Stehn Bäume auf der Wacht.
Ich taumle durch Oktober
Und Nacht.
Blut klebt an meinem Rocke.
Mein Weg ist weit und lang.
Des Tales dunkle Glocke
Verklang.
Auf einem schwarzen Pferde
Reit ich von Stern zu Stern.
Die Sonne und die Erde
Sind fern.
Ich bin von vielen Winden
Zu Gott emporgereicht.
Werd ich den Frühling finden?
Vielleicht …
Das ist sicher eine andere Strophe, eine andere, am Schluss mutwillige Bewegung?! Spannend aber, wie im Vortrag dieser vierte Vers auch gegen die Erwartung der sich vollendenden Brunnenstrophe verwirklicht werden muss; und wie leicht das in der Schlussstrophe geht, wodurch alle Spannung vom Gedicht abfällt …
Erzählverse: Der trochäische Vierheber (70)
Martin Greifs „Herbstblumen“ bietet inhaltlich nicht viel, aber das soll ja nicht daran hindern, den Eigenheiten der Form und des Verses nachzuspüren …
Blumen duften durch den Garten,
Doch es sind nur späte Blumen,
Keine Rosen stehn dabei.
Drum, wie lieblich sie auch duften,
Mehr der Trauer als der Freude
Wecken sie im Herzen auf.
Meldet jede doch darunter
Nur dasselbe wie die andre,
Dass der Glanz des Sommers fliehe,
Dass der Herbst schon angebrochen,
Dass der Winter nicht mehr fern.
Der erste Satz schließt in V3 auf eine betonte Silbe – das wird allgemein ganz gern gemacht, die längere Pause – „der Punkt“ – ersetzt dabei die fehlende unbetonte Silbe! Auch der zweite Satz ist drei Verse lang, auch V6 schließt dann betont; und der dritte Satz ist fünf Verse lang und schließt, das wundert nun nicht mehr, wieder betont. Damit weist das Gedicht eine deutliche Dreiteilung auf; und obwohl die „Kanzonenform“ eigentlich gereimten Gedichten vorbehalten ist, setzt sie auch dieser ungereimte Text um – einem „Aufgesang“ aus zwei gleichgebauten Stollen (V1-V3, V4-V6) folgt ein „Abgesang“, der länger als ein einzelner Stollen, aber kürzer als der gesamte Aufgesang ist! Dadurch gewinnt der Text eine Abgeschlossenheit und Überzeugungskraft, die ihm angesichts seines Inhalts sicher nicht schadet …