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Erzählverse: Der Hexameter (161)

Heute bin ich durch einen freundlichen Kommentar zu Der Hexameter (52) auf Carel Vosmaer aufmerksam geworden, einen niederländischen Homer-Übersetzer, der aber auch eigene Texte in Hexametern geschrieben hat; „Londinias“ zu Beispiel. Nun kann ich zwar so gar kein Niederländlisch, aber das macht  zumindest bei den ersten beiden Versen nichts -wie so viele ernste wie weniger ernste Hexameter-Dichtungen beginnt auch die Vosmaers mit einer Musenanrufung:

 

Muze, bezing me den tocht van ’t viertal mannen uit Neerland
Over de schuimende zee, naar de rossenbedwingende Britten.

 

Und da hört man dann auch: die Hexameterbewegung, die einfach immer da ist, ganz gleich, welche Sprache den Vers gerade ausbildet. Schon erstaunlich …

Muse, besinge die Fahrt mir der vier Gefährten aus Neerland
Über das schäumende Meer zu den rossebeherrschenden Briten.

Das taugt als Übersetzung wahrscheinlich so gar nicht (wie gesagt …); ist aber auch nicht wichtig, wichtig ist nur die Versbewegung und ihre Wiedererkennbarkeit!

Na, ich werde noch ein wenig herumstöbern in der „Londinias“. Lohnt sich bestimmt …

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Bücher zum Vers (107)

Heinz Mitlacher: Moderne Sonettgestaltung.

„Modern“ ist ein zeitabhängiger Begriff – dieses Bändchen ist 1932 bei Noske erschienen und sein Inhalt daher heute sicher nicht mehr „modern“; aber eiige sinnvolle Dinge finden sich selbstredend trotzdem in ihm.

Zu den Reimen des Sonetts sagt Mitlacher etwa (Seite 47):

Vollends unwichtig ist die Reimstellung der Terzinen, die ja von jeher größeren Spielraum gewährten als die Quartette und etwas „vogelfrei“ waren; einen typisch-einmaligen Charakter gewinnen sie nur, wenn sie mit einem Reimpaar enden: dann haben sie oft jenes Epigrammatische des Schlusses, das den Shakespeare-Sonetten anhaftet und das sie vorzüglich zur Prägung von Spruchweisheit geeignet macht:

Es ist am Besten, wo die Wesen trubeln,
Sich durchzuleiden und sich durchzujubeln.

Solche epigrammatische Wirkung ist aber jenen gepaarten Reimen, die im Innern der umschließend gereimten Quartette zusammentreten, versagt: weil sie nicht selbstständig, sondern in die Struktur des ganzen Quartetts einbezogen sind.

Das leuchtet ein, allerdings: „wo die Wesen trubeln“?! Klingt nach einem eher ungewöhnlichen Text … Ich hänge das entsprechende Sonett, „Ewige Bestimmung“ von Franz Werfel, noch an; da lässt sich sicherlich einiges sagen zur Reimgestaltung.

 

Da plötzlich steh ich wie vor offnen Toren
Und seh mich gehen, hör mich Sätze sagen,
Ich weiß mich wagen und in allen Lagen
Des Lebens zag sein oder unverfroren.

Warum hört nie das Heimweh auf, zu nagen?
Ich frage mich, in seinem Traum verloren:
Wieviele Mütter haben mich geboren,
Wie oft noch wird man mich zu Grabe tragen?

Dann weiß ich Nachts, warum die Sterne klagen,
Die um ein Zentrum ihre Bahnen schlagen
Wie Sträflinge den Hof im Trab umjagen.

Doch bald begreift mein weltliches Behagen:
Es ist am Besten, wo die Wesen trubeln,
Sich durchzuleiden und sich durchzujubeln.

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Bücher zum Vers (106)

Kaspar Heinrich Spinner: Der Mond in der deutschen Dichtung von der Aufklärung bis zur Spätromantik.

Kein Buch über den Vers, aber eins voll mit Versen, die für die verschiedenen Dichter – Brockes, Gessner, Wieland, Klopstock, Hölty, Claudius, Bürger, Goethe, Jean Paul, Tieck, Brentano, Eichendorff – klar machen, welche Mond-Vorstellung ihnen zugrundeliegt.

Bei Klopstock zitiert Spinner zum Beispiel diese Hexameter aus dem achten Gesang des Messias (Seite 19):

Wie wenn ein Weiser in Tiefsinn, und seiner Unsterblichkeit werter,
Von den Uneinsamen fern, mit des Mondes Düften zum Walde
Wandelt, und nun, an der Hand der frommen Entzückung geleitet,
Dich, Unendlicher, denkt! wie ihm dann, zu tausenden, neue,
Bessre, große Gedanken die glühende Stirne voll Wonne
Schnell umschweben: So eilet, umringt von den Seelen, der Seraph.

Mit „des Mondes Düfte“ sei eine unfassbare, verschwimmende Vorstellung gegeben, sagt Spinner; der Mond sei hier das Gestirn der göttlichen Weisheit. Und:

„Wenn bei Klopstock der Weise Gott nachsinnt, so ist das nicht mehr bloß verstandesmäßiges Denken wie bei Brockes. Das Empfinden, die Seele, die Nachtseiten des menschlichen Bewusstseins sind mit angesprochen. Das Denken ist, wie man sagen könnte, lunar geworden im Gegensatz zu Brockes‘ sonnenhafter Verstandesklarheit.“

Erschienen ist der Band 1969 bei Bouvier.

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Erzählverse: Der trochäische Vierheber (67)

„Querfeldein“ von Karl August Candidus ist keine große Dichtung, aber doch ein schönes Beispiel dafür, wie der trochäische Vierheber einem Inhalt Form und Gestalt geben kann; ihn beglaubigt.

 

Querfeldein am Ostermorgen
Trug mich Pegasus, bemäntelt,
Denn es flog um Ross und Reiter
Schnee, in dichten großen Flocken,
Ähnlich Schmetterlingsgespenstern,
Bleichen; aber drüber flogen
Hoch im Äther, jubilierend,
Lerchen, lebensrote Herzchen,
Frühlingsgläubig, blütensicher.

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Wolkenreise

Lange Wolkenkarawanen ziehen stetig, ohne Rast
Durch unendlich blaue Weiten, folgen langsam, ohne Hast
Ihren himmelhohen Wegen, tragen, still vom Wind umfasst,
Hin zu ausgedörrten Fluren ihre schwere Regenlast.

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Erzählformen: Das Distichon (89)

Weinenden klage dein Leid, und Frohen erzähle die Freude.
Ach! Es begreifet der Mensch nur, was er selber empfand.

 

Justine Wilhelmine von Kruft ist heute keine wirklich bekannte Dichterin mehr; ihr Distichon klingt zwar auch schon etwas altmodisch (vor allem das „Ach!“, eine Art von Ausruf, die längst aus der Dichtung verschwunden ist), ist aber inhaltlich heute noch genauso gültig wie zu den Lebzeiten der Verfasserin, und weil es die Baugesetze des Distichons recht zuverlässig umsetzt, wirkt es auch „richtig“: Der Hexameter ist zweigegliedert und stellt einen Sachverhalt vor; der Pentameter erklärt ihn.

Die metrische Form:

Weinenden / klage dein / Leid, || und / Frohen er- / zähle die / Freude.
Ach! Es be- / greifet der / Mensch || nur, was er / selber em- / pfand.

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