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Erzählformen: Das Reimpaar (36)

Die folgenden Verse sind, dies als Warnung: vergleichsweise schlecht.

 

Den nackten Stecken in der Hand
Zog er allein durchs deutsche Land

Und schaut‘ nach starken Schmieden aus
Und fand die rechten bald heraus

Und übt in Feuers Licht und Brunst
Bei großen Meistern seine Kunst.

Er schlug, dass hell die Welt erklang
Und Splitter rings und Funke sprang,

Und schmiedet‘ sich ein funkelnd Schwert,
Das macht‘ ihn tausend Ritter wert.

Er zwang die Riesen Not und Leid,
Wusch sich im Blut des Drachen Neid,

Gewann das Kleid Unsterblichkeit
Und deutsche Kunst, die Sternenmaid.

Wie früh sein irdisch Auge brach!
Der Tod ihn hinterrücks erstach.

Doch ruht auf deutscher Seelen Grund
Des werten Helden goldner Fund

Und strahlt in Tag und Nacht hinein
Mit tiefer Glut und klarem Schein.

 

Aber obwohl sie schlecht sind, kommt man ins Grübeln, beschäftigt man sich mit den Umständen:  Die Verse  enstammen  Otto Ernsts „Prolog zu einer Nibelungen-Aufführung“ und sind „Hebbel der Nibelungendichter“ überschrieben; und Friedrich Hebbel ist damit auch der im ersten Verspaar genannte „er“!

Nun waren solche Prologe keine Seltenheit; sie wurden allerdings vor allem in Blankversen geschrieben, oder auch in gereimten iambischen Fünfhebern, und andere Versformen, wie das hier von Ernst gewählte Reimpaar aus iambischen Vierhebern, kamen deutlichst seltener vor. Und auch der Inhalt, der Hebbels Leben in eine Art Nibelungen-Welt überträgt (was immerhin den „Drachen Neid“ und das „Waschen im Blut“ verständlicher macht), ist eher ungewöhnlich?!

Insgesamt ein sehr eigenartiger Text, der weniger schlicht – was vielleicht die Absicht war – wirkt als vielmehr wie nicht gekonnt … Aber wer weiß, vielleicht war er ja für diese besondere Aufführung, und damit: für dieses besondere Publikum genau das richtige!

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Erzählformen: Das Distichon (88)

Jakob Julius David hat nicht sonderlich viele Gedichte geschrieben, und schon gar nicht in Distichen; aber da, wo er dem Leser eine antike Gestalt vor Augen stellten wollte: da doch!

 

Penelope

Endlos währte die Nacht. Mein Lager netzt‘ ich mit Tränen,
Drückt‘ an die Lippen den Pfühl, denkend des fernen Gemahls.
Bänglich graute der Tag. Ich ließ behende mein Bette
Und umwandelte zag Ithakas felsiges Rund;
Stieg zu den Höhen hinauf und wieder abwärts zur Küste,
Die mit gewaltigem Laut heiser die Meerflut umbrüllt.
Und ich spähte nach Wolken; es flog mein Blick nach den Bergen;
Ach! kein helles Fanal leuchtet mehr kündend darauf!
Längst erlosch mir die Glut, die Ilions Fall mir gemeldet,
Tief in der Seele mit ihr starb mir das frohe Vertraun.
Und mein Freund ward die See. Sie machte glanzlos mein Auge,
In das bewegliche Herz zog ihre Unrast mir ein,
Und wie Kunde von Fernen erklingt mir oft ihre Weise,
Sie zu deuten vermag nimmer mein armer Verstand.
So verblüh‘ ich denn einsam. Der Gattin des ratklügsten Mannes
Bleicht in ratlosem Leid langsam das nächtige Haar …

 

Keine Frage: Das sind nur durchschnittliche Hexameter und Pentameter, ein Hinweis von vielen sind da die vier Verse, die mit einer zweisilbigen Einheit beginnen, deren schwere (erste) Silbe mit „Und“ besetzt ist. Aber die Stimmung an sich bringen auch sie recht zuverlässig an den Leser!

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Erzählverse: Der Blankvers (104)

In Klabunds „Ben Jonson und der Spitzbube“ fügen sich Blankverse auf eine sehr schöne Art in die Prosaerzählung ein. Erzählt wird von Walter Tracey, der sich, nachdem er in London sein Vermögen durchgebracht hat, als Straßenräuber versucht:

 

Der erste, der ihm auf der Straße vor London in die Hände fiel, war niemand anders als der Dichter Ben Jonson. Dieser zog seine Pistole und apostrophierte den Banditen in dem von ihm erfundenen Blankvers wie folgt:

Du Höllenhund, du Abfall allen Drecks,
Du Jauchetonne, die die Luft verpestet,
Du Schurke, Gauner, Lump und Strolch: entfleuch!
Dass diese Kugel, eisenrohrentsprungen,
Dir nicht die krätz’ge Brust zerreißt, dein Leib
Ein Fraß der wilden Hund‘ und Katzen werde!

Der Räuber, der den Dichter erkannte, parierte seinen Hieb geistesgegenwärtig mit der gleichen Waffe:

Ich habe bessere Verse schon gehört
Und bin vor ihnen nicht davongelaufen.
O schweig, Ben Jonson, schweig und gib klein bei!
(Da du nicht groß beigeben kannst, denn groß
Ist Shakespeare nur, dem seinen Ruhm du neidest.)
Du Schneiderjunge holpriger Trochäen,
Gedankengauner, Dieb an fremdem Geist,
Du Räuber auf den Straßen Phantasias:
Heraus mit deinem Gold! Ich nehme Geld
In Vers und Prosa, wie es eben kömmt.
Doch wehrst du dich mit deiner Donnerbüchse
(Die älter, wahrlich, als der Hammer Thors),
Wird man auf deinem Grabstein lesen können:
Hier liegt Ben Jonson, dessen leere Verse
Den Tod ihm brachten und sein voller Beutel.

Ben Jonson musste sich in jeder Richtung geschlagen bekennen. Er lieferte Tracey seine Guineen aus und ging missmutig seines Weges.

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Zwei Freunde

Zwei Freunde, die gesehen haben, was sie gesehen haben, erzählen sich wechselseitig Geschichten.

„Während ein Dichter über einem neuen Gedicht brütet, sterben alle anderen Menschen. Als er fertig ist, will er sein Werk jemandem vortragen und kann es nicht.“

„Zwei Dichter, die beide eben ein Gedicht vollendet haben, begegnen sich. ‚Ich habe ein Gedicht geschrieben‘, sagt der eine; ‚Ah‘, sagt der andere und erschlägt ihn.“

Über den Geschichten der Freunde ist es Nacht geworden, und dunkel; sie schweigen.

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Bücher zum Vers (105)

Walter Jost: Probleme und Theorien der deutschen und englischen Verslehre. Mit einem Sonderteil über die Form des alemannischen Mundarthexameters bei Johann Peter Hebel und den Schweizern.

Ein sperriger Titel, der eine eher trockene Abhandlung erwarten lässt; und tatsächlich lassen sich Josts Ausführungen selten „einfach so weglesen“. Lohnenswert sind sie aber trotzdem! Ein knappes Beispiel aus dem Hexameter-Kapitel, betreffend das „Gleichmaß von zwei- und dreisilbigem Takt“:

Die Forderung nach kräftiger Hebung im Zweisilber. Der Hexameter mit seinen Takten von zweierlei Silbenzahl bedarf in besonderem Maße der Rücksicht auf das Gebot annährender Gleichheit der Taktdauer.  Dazu bekennen sich auch Metriker, die nur bedingt taktgläubig sind, so mit Entschiedenheit Minor, so ohne wesentliche Einschränkung de facto auch der dem Taktprinzip abgeneigte Saran.

Heusler, der vom Dreivierteltakt des deutschen Hexameters ausgeht, will die Ebenbürtigkeit des Zweisilblers gegenüber dem Dreisilbler so erreichen: ‚Der zweisilbige Hexametertakt‘, schreibt er, ‚verlangt eine gewichtigere Iktussilbe als die zweisilbigen Takte der meisten anderen Maße, weil er die Waage halten muss den umgebenden und als taktsetzend empfundenen dreisilbigen Takten; quantitativ ausgedrückt: weil seine Hebungssilbe zwei Morae misst.‘

Entsprechend hatte schon Voß, der den Hexametertakt als vierzeitig betrachtet, bei trochäischer Taktfüllung, das heißt bei Füllung lang-kurz, der Hebung ‚Überlänge‘ zugesprochen, um zeitliche Gleichheit mit dem Daktylus herzustellen.“ (Seite 74)

Und auf diese Art aufzählend, vergleichend und beurteilend fährt er fort, sowohl in Bezug auf den deutschen als auch auf den englischen Hexameter.

Der umfangreiche „Sonderteil“ ist an sich gleichfalls sehr lesenswert, dürfte aber weiter südlich wohnenden Vers- Hexameterfreunden mehr Freude bereiten als mir, der ich dem „Alemannischen“ doch eher fremd gegenüberstehe!

Erschienen ist der Band 1976 bei Lang.

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Erzählformen: Siebenzeiler (4)

Karoline von Günderode hat viele etwas eigenartige Formen verwendet – „Der Trauernde und die Elfen“ zum Beispiel nutzt eine siebenzeilige Strophe aus iambischen Vierhebern, die xaxaxbb gereimt ist! Die dritte der fünf Strophen, der am Grab seiner „Trauten“ Trauernde begegnet den Elfen:

 

Und sieh! ihm naht der Elfen schönste
Und spricht: „Was trauerst du so sehr?
Komm! Ist dein Mädchen dir gestorben?
Vergiss sie! Komm zum Tanze her!
Frei sind wir Elfen, ohne Sorgen,
Leicht wie der Sinn ist unser Fuß,
Und froh und leicht sind Lieb‘ und Kuss.“

 

Auch wenn der Gleichklang des Reimes hier weniger Unterstützung bietet, gliedert sich die Strophe doch, wie so viele Siebezeiler, im Verhältnis „Zwei zu Zwei zu Drei“,  in Aufgesang (zwei gleiche Stollen) und Abgesang?! So gesehen, wenig neues; Die Wirkung ist aber doch eine ganz eigene!

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Das Königreich von Sede (104)

Längst ist es dunkel in Sede, im Schloss und am Graben ist’s dunkel,
Still auch, in Kammern und Hof kein Laut; still stehen die Wachen
Hoch auf den Turm und schauen, gestützt auf die Speere, ins Dunkel,
Immerzu blind, und sie lauschen: Von dort, wo das Dunkel ein Nichts ist,
Her aus den Bäumen des alten Walds erreicht sie ein Schrei, kurz,
Kaum vernehmbar, doch voll der wissenden Trauer, und fort schon;
Dunkel erneut und Stille, und nicht bemerkt auf dem Turm man
Pulverfass, den Seher – ein Dunkel, den Dunkeln befreundet,
Tritt aus dem Tor er und geht, die Grübeleule zu suchen.

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Erzählformen: Das Distichon (87)

Tritten des Wandrers über den Schnee sei ähnlich mein Leben,
Es bezeichne die Spur, aber beflecke sie nicht.

 

Im Winter 1805 waren bei Karl Ludwig von Knebel Freunde zu Gast und ins Gespräch vertieft; draußen schneite es unbemerkt. Als Johann Wolfgang Goethe hinaussah und die durch den Schnee völlig veränderte Umgebung bemerkte, schlug er vor, jeder der Anwesenden solle ein Gedicht darauf machen, und Knebel schrieb obiges Distichon, von dem Goethe so begeistert gewesen sein soll, dass er ausrief: „Knebel, für dieses Distichon gäbe ich einen Band meiner Werke!“

Die metrische Form:

Tritten des / Wandrers / über den / Schnee || sei / ähnlich mein / Leben,
Es be- / zeichne die / Spur, || aber be- / flecke sie / nicht.

— ◡ ◡ / — ◡ / — ◡ ◡ / — || — / — ◡ ◡ / — ◡
— ◡ / — ◡ ◡ / — || — ◡ ◡ / — ◡ ◡ / —

„Es be-“ ist eine sehr schwache zweisilbige Einheit, vor allem das „es“ hat eigentlich zu wenig Gewicht, um auf der Hebungsstelle stehen zu können. Zur Not geht dergleichen; besser, man kommt ohne aus! (Dass Goethe da keine Bedenken hatte, wundert nicht: Ihm sind selbst seine „zu leichten ersten Einheiten“ in Hexa- und Pentameter vorgeworfen worden. Oft!)