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Erzählformen: Die alkäische Ode (16)

Friedrich Hölderlin,  der Großmeister der deutschen Ode, hat auch diese dreistrophige alkäische Ode geschrieben, „Empedokles“:

 

Das Leben suchst du, suchst, und es quillt und glänzt
Ein göttlich Feuer tief aus der Erde dir,
Und du in schauderndem Verlangen
Wirfst dich hinab, in des Aetna Flammen.

So schmelzt‘ im Weine Perlen der Übermut
Der Königin; und mochte sie doch! hättst du
Nur deinen Reichtum nicht, o Dichter,
Hin in den gärenden Kelch geopfert!

Doch heilig bist du mir, wie der Erde Macht,
Die dich hinwegnahm, kühner Getöteter!
Und folgen möcht‘ ich in die Tiefe,
Hielte die Liebe mich nicht, dem Helden.

 

Über diese Verse haben wiederum kluge Leute viel geschrieben, so unter dem Titel „Poetische Individualität. Hölderlins Empedokles-Ode“ Martin Endres, der bei seinen Ausführungen auch auf den Aufbau und das Wesen der alkäischen Strophe eingeht. Wer mag, kann ja einmal in besagtem Werk vorbeischauen: Die Logik der Form – Die alkäische Ode, so der Titel des entsprechenden Kapitels, beginnt auf Seite 20!

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Erzählformen: Das Reimpaar (20)

Abwechslung ist immer wichtig; das Reimpaar ist da keine Ausnahme! Warum also nicht hier und da das Reimpaar um einen dritten Vers erweitern, der mit demselben Reim endet? Dadurch lässt sich einiger Nachdruck erzielen, mit dem in der Verserzählung zum Beispiel das Ende eines Abschnitts gekennzeichnet werden kann. Aber auch im Epigramm zeigt ein solcher Dreizeiler diesen Nachdruck, wie „Spötter“ von Friedrich von Logau zeigt:

 

Wer andrer Leute höhnisch lacht,
Der habe nur ein wenig Acht,
Was hinter ihm ein Andrer macht.

 

– Klingt zwar etwas altertümlich, aber Logau war ja auch ein Barock-Dichter. Und ein ganz hervorragender Epigrammatiker dazu, weswegen seine „Sinnsprüche“ auch heute noch mit Gewinn gelesen werden können, einmal des Inhalts wegen; und dann ihres Aufbaus wegen, da kann jeder, der heutzutage Epigramme schreiben möchte, sicher einige Anregungen mitnehmen!

Hier leistet das dreimal wiederholte Reimwort eine enge Verklammerung der drei iambischen Vierheber, die sonst – jeder enthält einen Satz – vielleicht ein wenig auseinanderfallen würden?!

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So musste es kommen

Mir ist danach, mal wieder hinzuschmieren
– Na was wohl? Ein Sonett! So richtig schludrig,
Als führe die Trieme, dreißigrudrig,
Mit dreißig Rudern nicht, und führ mit vieren.

Die Reime auch, die das Sonett ja zieren,
Wähl ich nicht duftig-fein, nicht babypudrig;
Sie stinken wie ’ne Wiese voller Kuhdreck,
Sind Fenster, ungeputzte: voller Schlieren …

– Bestandsaufnahme! Was ist vorgekommen,
Bis jetzt? Genau: Noch gar nichts. Das zu ändern,
Stell der Trieme ich ’ne Kuh aufs Deck,

‚Ne Dichterkuh, von ihrer Kunst benommen,
Siehst leeren Blickes du zum Schiffsrand schlendern;
Und ist, kaum war sie da, schon wieder weg.

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Erzählformen: Die alkäische Strophe (15)

Walther Hof gibt in seinem lesenswerten Buch „Hölderlins Stil als Ausdruck seiner geistigen Welt“ (Westkulturverlag Anton Hain 1954) auch einige Hinweise auf das Wesen der alkäischen Strophe (andere Beschreibungen finden sich in (2)!). Auf den Seiten 116 und 117 findet sich zum Silbenbild der Strophe:

x X x X x | X x x X x X
x X x X x | X x x X x X
x X x X x X x X x
X x x X x x X x X x

Die beiden ersten Zeilen sind gleich. Innerhalb der Zeilen sind erste und zweite Hälfte einander insofern entgegengesetzt, als die erste steigendes, die zweite fallendes Maß hat. In der Mitte, der Zäsur, stoßen aber keine Hebungen aufeinander, es kann also hier in keinem Sinn der Eindruck eines Gegeneinander entstehen. Vielmehr geht der Fluss der Bewegung durch die Pause hindurch. Beide Teile sind also einander harmonisch entgegengesetzt als steigender und fallender Ast eines Bogens. Stünde nach der Pause kein Daktylus, so entstünde eine ganz linerare Bewegung, weil die Pause dann gar nicht bemerkt würde. … Durch die Doppelsenkung aber wird die erste Hebung der zweiten Hälfte stärker hervorgehoben und damit auch die gegenrhythmische Unterbrechung in der Mitte. Mit der ersten Hebung der zweiten Hälfte beginnt so der Abklang, und zugleich bildet sie mit der durchklungenen Pause zusammen den Höhepunkt eines rhythmischen Bogens.

Hm. Die Zäsur ist im deutschen Elfsilber immer ein Problemfall gewesen; Bemerkenswert, wie sie Hof hier zu beschreiben versucht?! Zum dritten und vierten Vers (Seite 117, 118):

Den beiden ersten Zeilen, deren jede bis zu einem gewissen Grade in sich geschlossen und im Gleichgewicht ist, folgen nun die beiden letzten, die für sich unselbstständig sind und erst zusammen ein Ganzes bilden. Und zwar stehen die beiden Zeilen dieses „Abgesangs“ genau im gleichen Verhältnis zueinander wie die Hälften der ersten beiden Zeilen. Die erste Zeile des Abgesangs stellt eine Verlängerung der ersten Halbzeile dar und hat steigenden Rhythmus, die zweite hat den fallenden Rhythmus der zweiten Halbzeile, verdoppelt deren Daktylus und endet klingend, so dass sie gegenüber dem Hebungsschluss der zweiten Halbzeile wirklich einen Ausklang darstellt. Sie verdoppelt gleichsam die Versfüße des „Adoneus“, dessen Wesen idealer Ausklang ist. Entsprechend dieser Verstärkung des Bauprinzips der Halbzeilen ist auch die Zäsur zwischen dritter und vierter Zeile stärker als zwischen den Halbzeilen und, da ja auch hier ein Übergang besteht, der Bogen höher und gespannter als innerhalb der beiden ersten Zeilen. Endlich findet sich auc zwischen der zweiten Zeile und dem Abgesang der Übergang eines Wellentals, der Übergang von fallendem und steigendem Rhythmus, und zwischen Strophenschluss und Anfang der neuen Strophe ergibt sich dasselbe Verhältnis, so dass das Strophenenjambement von diesem Maß geradezu herausgefordert wird. Aber auch wo es nicht vorhanden ist, bietet das Versmaß niemals einen harten und unbedingten Abschluss, sondern immer einen weichen und offenen Ausklang.

Das liest sich sehr ähnlich dem, was andere auch sagen zum Strophenbau, aber eben nicht ganz genau so; und die grundlegenden Dinge noch einmal erklärt zu bekommen, schadet ohnehin nicht. Daher folgt jetzt auch noch, als Schluss, der nächste Satz  Hofs, dessen Inhalt man nicht oft genug wiederholen kann:

Das alkäische Maß ist also zwar vierzeilig, aber dreiteilig.

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Das Königreich von Sede (71)

So wie die Augen des Froschs den Mücken folgen, ihr Schwarm tanzt
Über dem Grabenrand, doch in wirr-verschlungenen Bögen
Trägt sie aufs Wasser der Schwung und weiter, nah an die Blätter,
Breite der Wasserrose, da sitzt der Frosch und er spannt an
Alle die Glieder, bereit für den nahrungsverheißenden Absprung:
Also folgen den Dienern die Augen Schemels, ein jeder
Hat ein Tablett in den Händen, darauf die Becher sich drängen,
Weines voll, und näher zu Schemel führt sie ihr Weg nun.

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Bücher zum Vers (74)

Renate Böschenstein: Idylle

Ein 1967 in der „Sammlung Metzler“erschienener Band und, wie die allermeisten Bände dieser Reihe: ein lesenswerter.

Aber warum „Idylle“? Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis lehrt, dass (neben anderen) Goethe, Schiller, Voss, Hölderlin, Kleist, Jean Paul, Hebbel, Platen und Mörike (Vers-)Idyllen geschrieben und / oder über die Gattung nachgedacht haben; und diese Namensliste ist sicherlich Grund genug für einen genaueren Blick, auch wenn die Idylle als Gattung heute nicht mehr so im Vordergrund steht! Und das ist nur der deutsche Anteil an einer europäischen Idyllen-Tradition, die sich in der griechischen Antike begründet und von da an jahrtausendelang in allen europäischen Literaturen anzutreffen war …

Dementsprechend sind die  Grundgedanken dieser Gattung auch heute noch wirksam, vielleicht eher im verborgenen, aber spürbar; und manchmal kommen sie an unerwarteter Stelle zum Vorschein! So zum Beispiel im April dieses Jahres, als auf zeit.de ein langes Interview mit Wolf Haas erschien, in dem unter anderem zu lesen war:

ZEIT: Stiften Krimis hinterrücks so was wie gesellschaftlichen Zusammenhalt?

Haas: Vielleicht. Die meisten Krimis empfinde ich gattungsmäßig eigentlich als Idyllen.

ZEIT: Deshalb auch der große Erfolg von Regionalkrimis?

Haas: Genau. Gerade durch die kriminelle Störung wirkt die Welt eigentlich intakt und abgegrenzt, die Polizeiarbeit hat so was Integres, fast wie die letzte nicht entfremdete Arbeit. Und die landestypischen Spezifika, das typisch Italienische, Skandinavische, Englische, haben in einer globalisierten Welt ja auch fast was von einer folkloristischen Behauptung.

Böschenstein eröffnet ihren Band mit einem Abschnitt „Probleme der Gattung Idylle“, worin ausführlich die Schwierigkeit besprochen wird, diese Gattung überhaupt erst einmal zu bestimmen; Haas nennt einige der Größen, die sie dabei gleichfalls in Augenschein nimmt, mit „Jetztzeitbezug“.

Nun lese ich keine Krimis, aber diese Betrachtungsweise finde ich dann doch recht bedenkenswert!

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Erzählverse: Der iambische Trimeter (18)

„O Phantasie“ – so ruft Friedrich Rückert in seinem „Liedertagebuch“ von 1850 die Vorstellungskraft an; und schon da darf man gespannt sein, wie sich das Reiche, Bunte, Ausschmückende und Überbordende dieses Begriffs denn mit Rückerts oft staubtrockener Art verbinden lässt?!

 

O Phantasie, aus diesem Nebeljammertal,
Von dessen Brodem mir der Seelenodem stockt,
Komm, flügle mich auf goldner Schwing‘ in ein Gebiet
Von jenen vielen, die dir zu Gebote stehn.
Sei’s nun ein christlich himmlisches Jerusalem,
Sei’s ein aristophanisch Wolkenkuckucksheim.

 

– Schwer lässt es sich verbinden, scheint mir. Aber trotzdem ein lesbarer Text, im eindeutigsten Rückert-Ton … („in ein Gebiet“, ich glaube, das „ein“ muss ziemlich stark betont werden, damit es den folgenden Vers mittragen kann?! Sonst stünde dieser etwas verloren da.)

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Ohne Titel

Auf den Menschen sitzen Teufel,
Kleine Teufel, aber viele,
Wirklich böse, aber dämlich:
Jeder redet, zu versuchen
Den, auf dem er sitzt, und alle
Reden lauthals durcheinander,
Und der Mensch, auf dem sie sitzen,
Neigt den Kopf: Da ist ein Summen,
Leise, fern und unerklärlich,
Unverständlich auch, er schüttelt
Zwei, drei Mal sich und ists los.

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Erzählverse: Der Hexameter (103)

Ein „märchenhaftes Epos“ hat Albrecht Schaeffer seinen 1921 beim Insel Verlag erschienenen, 160 Seiten umfassenden „Gevatter Tod“ genannt; und das ist sicher eine zutreffende Beschreibung! Inhaltlich erinnert vieles an beispielsweise die Märchen der Brüder Grimm; der Hexameter, die für den Text gewählte Versform, ist der epische Vers.

Schaeffers Hexameter vom Beginn des 20. Jahrhunderts klngen deutlich anders als die zu Beginn des 19. Jahrhunderts geschriebenen; rauer, weniger rund. Vieles, was damals nicht denkbar gewesen wäre, wird nun umgesetzt, wie zum Beispiel längere Strecken einsilbiger Wörter!

Am Anfang der „zweiten Phase“ etwa spricht eine Frau, die schon 17 Kinder geboren hat und ein weiteres Mal dicht vor der Geburt steht, so mit ihrem Mann (Seite 14):

 

Aber ich bin es auch satt. Ja, höre nun, dies wollt ich sagen.
Denn ich weiß es seit langem bereits: dies ist nun das letzte
Mal, dass ich in die Welt ein Lebendiges setze. Ich selber,
Mann, verlasse sie nun. Es ist mir gleich, denn ich sagt es
Schon und sag es noch mal: die Last bin ich satt, und ich will nun
Ein Vergnügen für mich. Ich geh zu den heiligen Engeln,
Welche, soviel uns gesagt, nicht zeugen oder gebären.

 

– Vom vierten bis zum sechsten Vers gibt es hier eine Strecke von sagenhaften 26 einsilbigen Wörtern zu bestaunen! Das hat, wenig überraschend, Auswirkungen auf die Art, wie der Vers sich bewegt; insgesamt passt die leichte Kurzatmigkeit aber gut zum trocken-verbitterten Ton der Sprecherin?!

Und auch wenn es ein wenig schwieriger ist, die betonten Silben zu erkennen, gelingt es eigentlich doch immer.