Voss und Hölty
Johann Heinrich Voss und Ludwig Hölty waren nicht nur Mitglieder ein und derselben Dichtervereinigung, des „Göttinger Hainbundes“, sondern auch wirkliche Freunde – Voss schrieb in der von ihm besorgten Ausgabe von Höltys Gedichten: „Als beide (gemeint sind Voss und Hölty -F.) an gefährlichen Brustkrankheiten litten, war ihre Abrede: Der Überlebende besorge des anderen Gedichte, wie die eigenen.“ Am Ende war es dann Hölty, der 1776 noch nicht einmal dreißigjährig starb, und Voss, der die Gedichte des Freundes nicht nur herausgab, sondern durchaus auch bearbeitete – eben „wie die eigenen“.
Dadurch wird ein reizvoller Vergleich möglich: der Beginn von Hölty kurzer Idylle Christel und Hannchen, einmal in Höltys Handschrift, und einmal in der von Voss betreuten Buchausgabe.
Die Handschrift:
Lindere Luft begann die müden Ernter zu kühlen,
Und das Gold der sinkenden Sonn‘ umbebte die Ähren,
Und die ragenden Garben, als Schnitter Christel sein Hannchen
Rief zum duftenden Busch, wo tausend ländliche Grillen
Liebe zirpten und Ruh. Sie waren beide verlobet,
Harrten beide der Stunde der frohen Vermählung entgegen.
Die Buchausgabe:
Lindere Luft schon kühlte die gern ausruhenden Ernter,
Rötlich bebt‘ um die Ähren das Gold der sinkenden Sonne
Und an gerichteten Garben der Flur; als Christel, der Schnitter,
Hannchen, die Binderin, rief zum duftenden Busche des Abhangs,
Am sanftrieselnden Bach; wo vertraut sie, in ländlicher Grillen
Tausendfachem Gezirp, sich lagerten. Beide verlobet,
Sprachen sie dort selbander vom nahenden Fest der Vermählung.
Da fällt natürlich sofort auf, dass die Buchausgabe einen Hexameter mehr hat. Was bekommt der Leser da? Erstmal einen „sanftrieselnden Bach“, auf den heutige Leser wahrscheinlich gut verzichten könnten. Dann aber auch hilfreiches: „die Binderin“ gibt Hannchen mehr Gestalt und Gewicht, „gern ausruhende“ ist einprägsamer als „müde“. Der Busch wird genauer verortet, „des Abhangs“. Ganz allgemein ist zweite Fassung die sinnlichere, z.B. durch das Ersetzen des „Harrten“ und der „Stunde“ durch „Sprachen“ und „Fest“, oder durch den Verzicht des „Liebe und Ruh zirpen“ – es steht das einfache „Gezirp“. Auch das Ersetzen von „Sie waren“ durch „sich lagerten“ geht in diese Richtung, und einiges mehr.
Und vom Versbau her? Da fällt auf, dass die schwachen Verseingänge „Und das“ und „Und die“ durch kräftigere Wendungen ersetzt wurden (was den Versen guttut), außerdem sind zwei der von Voss so geliebten „geschleiften Spondeen hineingerutscht: „gern aus ruh-“ (gelungen, weil ja die Verlangsamung der Sprache und der Inhalt sich decken), und „Am sanftries-“ (etwas unbegründet, wie der Bach an sich) Was hier immerhin geleistet wird, ist die rhythmische Abwechslung, denn die beiden Verse
Rief zum duftenden Busch, wo tausend ländliche Grillen
Liebe zirpten und Ruh. Sie waren beide verlobet,
sind metrisch gleich gebaut, was ja nie wirklich gern gehört wird:
X x / X x x / X || x / X x / X x x / X x
Wobei das genau hier ja vielleicht ganz gut zu den Grillen und zur Ruhe passen würde …
Der Satzbau ist in der Buchfassung um einiges schwerer zu durchschauen, aber ein Problem ist es nicht.
Insgesamt machen die Verse der Handschrift einen viel leichteren Eindruck, während die der Buchausgabe doch gestaltet wirken, wuchtiger. Ist das nun eine Verbesserung?! Mhm, schwer zu sagen – an vielen Stellen finde ich, ja, die neue Fassung ist besser, aber an anderen tut’s mir um die Erstfassung doch leid. Gut, dass beide Fassungen erhalten sind!