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Erzählverse: Der Hexameter (21)

Voss und Hölty

Johann Heinrich Voss und Ludwig Hölty waren nicht nur Mitglieder ein und derselben Dichtervereinigung, des „Göttinger Hainbundes“, sondern auch wirkliche Freunde – Voss schrieb in der von ihm besorgten Ausgabe von Höltys Gedichten: „Als beide (gemeint sind Voss und Hölty -F.) an gefährlichen Brustkrankheiten litten, war ihre Abrede: Der Überlebende besorge des anderen Gedichte, wie die eigenen.“ Am Ende war es dann Hölty, der 1776 noch nicht einmal dreißigjährig starb, und Voss, der die Gedichte des Freundes nicht nur herausgab, sondern durchaus auch bearbeitete – eben „wie die eigenen“.

Dadurch wird ein reizvoller Vergleich möglich: der Beginn von Hölty kurzer Idylle Christel und Hannchen, einmal in Höltys Handschrift, und einmal in der von Voss betreuten Buchausgabe.

Die Handschrift:

 

Lindere Luft begann die müden Ernter zu kühlen,
Und das Gold der sinkenden Sonn‘ umbebte die Ähren,
Und die ragenden Garben, als Schnitter Christel sein Hannchen
Rief zum duftenden Busch, wo tausend ländliche Grillen
Liebe zirpten und Ruh. Sie waren beide verlobet,
Harrten beide der Stunde der frohen Vermählung entgegen.

 

Die Buchausgabe:

 

Lindere Luft schon kühlte die gern ausruhenden Ernter,
Rötlich bebt‘ um die Ähren das Gold der sinkenden Sonne
Und an gerichteten Garben der Flur; als Christel, der Schnitter,
Hannchen, die Binderin, rief zum duftenden Busche des Abhangs,
Am sanftrieselnden Bach; wo vertraut sie, in ländlicher Grillen
Tausendfachem Gezirp, sich lagerten. Beide verlobet,
Sprachen sie dort selbander vom nahenden Fest der Vermählung.

 

Da fällt natürlich sofort auf, dass die Buchausgabe einen Hexameter mehr hat. Was bekommt der Leser da? Erstmal einen „sanftrieselnden Bach“, auf den heutige Leser wahrscheinlich gut verzichten könnten. Dann aber auch hilfreiches: „die Binderin“ gibt Hannchen mehr Gestalt und Gewicht, „gern ausruhende“ ist einprägsamer als „müde“. Der Busch wird genauer verortet, „des Abhangs“. Ganz allgemein ist zweite Fassung die sinnlichere, z.B. durch das Ersetzen des „Harrten“ und der „Stunde“ durch „Sprachen“ und „Fest“, oder durch den Verzicht des „Liebe und Ruh zirpen“ – es steht das einfache „Gezirp“. Auch das Ersetzen von „Sie waren“ durch „sich lagerten“ geht in diese Richtung, und einiges mehr.

Und vom Versbau her? Da fällt auf, dass die schwachen Verseingänge „Und das“ und „Und die“ durch kräftigere Wendungen ersetzt wurden (was den Versen guttut), außerdem sind zwei der von Voss so geliebten „geschleiften Spondeen hineingerutscht: „gern aus ruh-“ (gelungen, weil ja die Verlangsamung der Sprache und der Inhalt sich decken), und „Am sanftries-“ (etwas unbegründet, wie der Bach an sich) Was hier immerhin geleistet wird, ist die rhythmische Abwechslung, denn die beiden Verse

Rief zum duftenden Busch, wo tausend ländliche Grillen
Liebe zirpten und Ruh. Sie waren beide verlobet,

sind metrisch gleich gebaut, was ja nie wirklich gern gehört wird:

X x / X x x / X || x / X x / X x x / X x

Wobei das genau hier ja vielleicht ganz gut zu den Grillen und zur Ruhe passen würde …

Der Satzbau ist in der Buchfassung um einiges schwerer zu durchschauen, aber ein Problem ist es nicht.

Insgesamt machen die Verse der Handschrift einen viel leichteren Eindruck, während die der Buchausgabe doch gestaltet wirken, wuchtiger. Ist das nun eine Verbesserung?! Mhm, schwer zu sagen – an vielen Stellen finde ich, ja, die neue Fassung ist besser, aber an anderen tut’s mir um die Erstfassung doch leid. Gut, dass beide Fassungen erhalten sind!

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Erzählverse: Der Blankvers (24)

Der folgende Blankvers-Text ist der erste Text aus Albin Zollingers „Leimbacher Zyklus“ namens „Lied aus der Nacht“ (geschrieben 1919). Das ist mal wieder so ein Gebilde, bei dem ich nicht weiß, ob ich’s gut oder schlecht finden soll … Aber das sind ja oft die spannendsten Texte.

 

Dichter.

Nachdem vom Schöpfer viele Daseinsbrot
Und Weisung für ein friedsam Leben hingenommen,
Trat eine Seele vor, die also sprach:
Bist du gewillt, o Herr, mich zu begnaden,
Lass mich nicht von den Herdenseelen sein.
Gib mir was sie nicht sehen zu erkennen,
Gib mir, zu lesen, was du uns bedeutest,
Gib mir den Zauber über Sternengärten
Und Macht, im Land der Wahrheit frei zu gehn.
Gib mir, der Blinden Heer hinauf zu führen,
Ihr Hirt zu sein, ihr Priester und dein Knecht.
Und gib der Helden Lohn, gib mir den Lorbeer,
Der Schwachen Hilferuf, demütgen Dank,
Der Großen Vorrecht gib, zwiefache Schönheit,
Zwiefache Liebe gib mir, zwiefach Glück,
Und Herr, erst voll zu sein und frei zu herrschen,
Lass mich ein Dichter sein, so du mich liebst!

Und als die Seele leuchtend so geendet,
Da lächelte der Herr und sprach: So geh!
Und reichte jener seine Hand und dankte
Und wandte sich mit nasser Wimper weg,
Lächelte wieder, da die Seele staunte,
Schalkhaften Barts, wehmütig und verträumt.
Du willst mir Helfer sein, verlangst nicht Frieden,
Getraust dich, an der Schöpfung mitzubaun –
Hab Dank, fürwahr, ich kann die Hilfe brauchen,
Jedoch, du siehst es blieb mir nichts für dich.
Ich schicke dich mit leeren Händen nieder,
Und arm, willst du mir gleichen, sollst du sein,
Durch Blindheit sehend und durch Irrtum weise,
Aus Demut in die Kraft, aus Fall zum Sieg,
Nach vieler Wüste wird dir Wind und Wasser,
Aus Dürre sprosst dir Baum und Blatt und Blust.
Zwiefache Schönheit, wohl! jedoch sie endet,
Willst du sie fassen, ach! wie Falterglanz!
Zwiefache Liebe schmeckt dir zwiefach bitter,
Gehäufte Wonnen abgrundtiefe Qual!
Und Menschenglück – o Sohn, sieh meiner Erde
Unstetesten und leichten Wendegeist!

Dies ferne Echo, niemals, wo dus suchtest,
Dies Bild im Wasser, das die Hand verscheucht.
Lass es dir sagen, du wirst leiden, leiden,
Nur dein Verlangen ist dein bestes Brot,
Nur deine Sehnsucht ist dir Schlummerkissen
Und deine Träume einzges Ufergrün.
Für deine Menschen wirst du Durst erdulden
Und Wunden tragen, die kein Lorbeer kühlt,
Du wirst wie andre, jedoch dreifach leiden,
Und dessen Sinn nicht sehn und nirgends Lohn.

 

Hm. Formal recht gewöhnliche Blankverse – gleich der zweite ist ein Sechsheber, sonst aber regelmäßige Fünfheber mit auch nur einer versetzen Hebung. Dem Satzbau zu folgen fällt mir da schon schwerer, und der Inhalt? „Wunschtraum und Wirklichkeit“?! Aber ich gebe zu, einige der Verse gefallen mir, und einen Text, in dem „schalkhaften Barts“ gelächelt wird, kann ich nicht nur schlecht finden – ein wunderbarer Ausdruck!

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Das Ein-Vers-Gedicht (5)

Heute zu lesen im Internetauftritt der „ZEIT“:  Bitte entschuldigen Sie, Herr Edathy

Noch vor dem eigentlichen Artikel, und daher vielleicht von der Redaktion verfasst, vielleicht vom eigentlichen Verfasser, Thomas Fischer: einer jener makellosen Hexameter, wie sie immer mal wieder in Prosa-Texten stehen, gänzlich unbeabsichtigt und doch, in diesem Fall, mit der knappen, klaren Kraft eines rhythmisch durchgeformten Sinnspruchs!

 

Wer nichts Strafbares tut, den darf die Justiz nicht verfolgen.

 

Wer nichts / Strafbares / tut, || den / darf die Jus- / tiz nicht ver- / folgen.

Ein Vers, der bedenkenlos aus dem Umfeld des Artikels gelöst werden kann und als eigenständiges „Ein-Vers-Gedicht“ wahrgenommen zu werden verdient.

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Das Königreich von Sede (30)

Es dämmert. König Boden steht
Hoch oben auf der Mauer,
Und schaut umher und forscht und späht,
Den Blick voll stiller Trauer,
Nach grünem Kleid, nach schwarzem Haar,
Nach grauen Augen, tief und klar,
Und kann all das nicht sehen.

Die Nacht ist kommen, still und kalt;
Der König spitzt die Ohren,
Lauscht in den schweigsam-dunklen Wald
Nach dem, was er verloren,
Nach kleiner Füße festem Tritt,
Nach lebhaft-schöngeschwungnem Schritt
Und weiß, er wird nichts hören.

Es tagt, und König Boden steht
Noch immer auf der Mauer,
Und schaut, und lauscht, und forscht und späht,
Den Blick voll stiller Trauer;
Seufzt, steigt vom Tor und geht zur Ruh
Und spricht sich neue Hoffnung zu:
„Schon morgen wird es glücken.“

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Die Bewegungsschule (7)

Ein Halbvers besteht aus zwei tataTAM, und in den letzten beiden Einträgen ist das zweite tataTAM durch ein TAMTAM ersetzt worden. Es kann aber selbstredend auch das erste tataTAM ersetzt werden –  das erschließt wieder einige neue Sinneinheiten, einige neue Grundeinheiten der Bewegung!

„Grün“, quakte der Frosch; doch die Ampel war rot.

Grün„, / quakte der Frosch

TAM / TAM ta ta TAM

Die erste Silbe ist eine Sinnsilbe, kann also als einsilbige Sinneinheit für sich stehen; dadurch ergibt sich als zweite Sinneinheit das „TAM ta ta TAM„, eine der schönsten und ausdrucksstärksten Sinneinheiten überhaupt!

Und das Publikum jauchzt: „Flieg, Herrlicher, Flieg!“

„Flieg, Herrlicher, flieg!“

TAM / TAM ta ta / TAM

Hier zeigt sich, das auch die Sinneinheit „TAM ta ta“ möglich ist!

Das ist eine besondere Sinneinheit insofern, als dass es die erste der Grundbewegung des Verses entgegengesetzte Einheit ist. Die grundlegende metrische Einheit des Verses ist das tataTAM, und solche Einheiten „vom Unbetonten zum Betonten“ werden seit jeher als „steigend“ empfunden; die auf dieser Grundeinheit aufbauenden Einheiten sind gleichfalls eher „steigend“ (taTAM, tataTAMta), oder zumindest unentschieden (tataTAMtata). TAMtata dagegen ist „fallend“, „vom Betonten zum Unbetonten“ – wieder eine Möglichkeit mehr, die rhythmische Vielfalt zu vergrößern.

Das „steigende“ Grundmetrum hat auch Auswirkungen auf den Halbvers:

ta ta TAM ta ta TAM

Dass im steigenden Grundmetrum der Schwerpunkt „hinten“ liegt, färbt auf den Halbvers ab, und im allgemeinen ist das erste tataTAM weniger anfällig gegen „Bewegungs-Verunreinigungen“ als das zweite, hintere, in dem die Bewegung klar zum Ausdruck kommen sollte. In (6) wurde zum Beispiel gesagt, dass man aufpassen muss, das zweite tataTAM nicht aus Versehen durch ein TAMTAM zu ersetzen statt durch ein TAMTAM; beim ersten tataTAM sieht das schon anders aus.

„Euphemismus“, das meint: „schönfärberisch Wort“!

Das ginge. „schön-“ und „-fär-“ würden dann in etwa gleichstark betont, eine Art „schwebende Betonung“; ich führe dafür diese Bezeichnung ein: TAMTAM.

„Euphemis– / mus“, das meint: || „schönfär- / berisch Wort„!

ta ta TAM ta / ta TAM || TAM TAM / ta ta TAM

Kann man auch beide tataTAM ersetzen durch TAMTAM? Man kann.

Prinz Klappstuhl kommt an den Graben; er schweigt,
Und sein Schweigen verschmilzt mit der Frösche Gequak

Aus mehreren Gründen keine sehr guten Verse; geich den ersten Halbvers als „TAM TAM TAM / TAM“ zu gestalten heißt ja zum Beispiel, die Grundbewegung des Verses erst einmal nicht zuzulassen?! Ich denke, man kann beide tataTAM ersetzen, sollte damit aber vorsichtig sein …

So! Damit ist der Grundvers vorgestellt, und wer mag, hat spätestens nach diesem Eintrag einen sehr ausdrucksstarken, bewegten Vers zu Verfügung – der darauf wartet, versucht zu werden! Das würde ich auch wirklich vorschlagen und anregen. Hier im Faden wird es aber trotzdem noch weitergehen, denn noch fehlen die „Feinheiten“, die Dinge, die eher die Ausnahme denn die Regel sind. Dazu zählen vor allem:

– Die Zäsur. Die erfolgt in dem allermeisten Versen nach der zweiten metrischen Grundeinheit, aber es gibt Ausnahmen.

– Die Länge der Verse. Es gibt die Möglichkeit, unter bestimmten Bedingungen und an bestimmten Stellen verkürzte Verse zu nutzen!

Dazu kommt noch die Frage, wie sich der Zeilensprung bemerkbar macht, und zwei weitere, seltene Lizenzen bei der Silbenanordnung. Trotzdem: Jetzt ist es an der Zeit, den Vers zu erproben!

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Erzählverse: Der Hexameter (20)

Friedrich Hölderlins „An den Aether“

Hölderlins Hexameter sind mit die besten. Woran das liegt? Schwer zu sagen. Friedrich Gundolf hat  mit Blick auf die Geschichte des deutschen Hexameters geschrieben:

Klopstock versuchte das Hexameter-Schema mit einem gemäßeren pathetischen Gehalt zu füllen, aber man spürt bald die Lücken, bald die überquellenden Wülste: die griechischen Maße, unterm südlichen Himmel beim Rollen des heroischen Meeres geboren, wollten sich dem protestantisch deutschen Enthusiasmus nicht schmiegen. Goethe, dem heidnischen Wiedereroberer Roms, gehorchten sie; aber sie gehorchten doch nur. Doch die Hexameter Hölderlins sind keine metrischen Versuche, keine erfolgreichen Nachahmungen: sie sind der völlig ursprüngliche Ausbruch der inneren Griechheit in deutscher Sprache, sie sind der angeborene Rhythmus dieser Seele, ihr unbefangener, notwendiger Ausdruck, nicht ein Zeugnis seines Könnens, sondern seines Müssens. Kein Schüler der Griechen, sondern nur ihr Bruder konnte so singen. Seine hellenischen Rhythmen sind Urgebilde, von innen nach außen geboren, nicht literarische Kunststücke, von außen nach innen geformt, wie selbst Goethes Achilleis.

Oha. Ich mag solche Texte schon einfach darum, weil sie zeigen, dass man über metrische Fragen mit einem gewissen Schwung schreiben kann!? Inhaltlich hätte ich da schon ein, zwei Bedenken, aber worauf es ankommt, hört man doch durch: Hölderlins Hexameter sind etwas besonderes. Seine besten stehen wahrscheinlich im „Archipelagus“, aber die folgenden stammen aus „An den Aether“ – nicht schlecht, natürlich, und allemal ein erstes brauchbares Beispiel dafür, wie kunstvoll Hölderlin Satz und Vers zu versöhnen versteht.

 

Aber des Aethers Lieblinge, sie, die glücklichen Vögel
Wohnen und spielen vergnügt in der ewigen Halle des Vaters!
Raums genug ist für alle. Der Pfad ist keinem bezeichnet,
Und es regen sich frei im Hause die Großen und Kleinen.
Über dem Haupte frohlocken sie mir und es sehnt sich auch mein Herz
Wunderbar zu ihnen hinauf; wie die freundliche Heimat
Winkt es von oben herab, und auf die Gipfel der Alpen
Möcht‘ ich wandern und rufen von da dem eilenden Adler,
Dass er, wie einst in die Arme des Zeus den seligen Knaben,
Aus der Gefangenschaft in des Aethers Halle mich trage.

 

Anzumerken gibt es da nicht viel … „Raums genug“ ist ein partitiver Genitiv, „rufen dem Adler“ ging früher leichter von der Zunge als heute; zweimal sitzt eine eher schwache Silbe auf einer Hebungsstelle:

Wunder- / bar zu / ihnen hin- / auf; || wie die / freundliche / Heimat

Aus der Ge- / fangen- / schaft || in des / Aethers / Halle mich / trage.

Gemeint sind „-bar“ und „-schaft“. Bemerkenswert, dass beide auf Stellen stehen, an denen Hölderlin geändert hat (vorher „Töricht oft“ und „Von dem dürftigen Stern“) – das kann aber auch Zufall sein.

Insgesamt hat Hölderlin fast nur „männliche“ Zäsuren, sprich, solche nach einer betonten Silbe; das gilt nicht nur hier, sondern in allen seinen Hexameter-Stücken. Trotzdem sind keine zwei Verse völlig gleich, es kommt in der Versbewegung nirgends Langeweile auf. Eigentlich klingen die Verse so schön, dass es fast gleichgültig ist, was drin steht …

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Dichterschicksal

Verse schwappen um die Stirn,
Gurgeln leise in den Ohren,
Sickern unbemerkt durchs Hirn,
Treiben ab und sind verloren.

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Die Bewegungsschule (6)

Die in (5) neu eingeführten „TAM“ haben ermöglicht, Wörter der Form „Topfschrank“ im Vers zu verwenden, und um das vorzuführen, kamen auch vor allem solche Wörter vor. Aber ein „TAM“ kann selbstverständlich auch ein Einsilber sein! Ein Halbvers als Beispiel:

Auf dem Tisch stand Brot, ta ta TAM / TAM TAM

… womit auch eine neue Sinneinheit gewonnen ist: Das „TAMTAM

Allerdings muss man bei diesen einsilbigen Sinnwörtern ein wenig aufpassen, denn Sinnwort ist nicht gleich Sinnwort! Je mehr Bedeutung ein Wort hat, desto schwerer ist es, und desto wahrscheinlicher trägt es die Betonung, wenn es neben Wörtern steht, die weniger Bedeutung haben!?

Seit alters her stufen sich die Wortarten so ab:

Substantiv / Adjektiv – Verb – Adverb …

Wenn also ein einsilbiges Substantiv neben einem einsilbigen Adverb steht, trägt das Substantiv die Betonung! Steht ein einsilbiges Adjektiv neben einem einsilbigen Verb, trägt das Adjektiv die Betonung; und immer so weiter. Selbstredend ist das keine in Stein gemeißelte Regel, aber ein guter Fingerzeig doch immer!

Ist ein einsilbiges Wort zum Beispiel ein Substantiv und hat einen langen Vokal und hat viele Konsonanten, trägt es „in einsilbiger Umgebung“ ziemlich sicher die Betonung, auch wenn das Versmaß etwas anderes sagt; oder es wird dann gegen das Sprachgefühl „gedrückt“, was zumindest für Spannung sorgt.

der des Nachts Schmerz litt – das soll dem Beispiel „ta ta TAM TAM TAM“ folgen, aber das „Schmerz“ ist hier doch um einiges gewichtiger als das „litt“? Also eigentlich ein „ta ta TAM TAM TAM“, was dem hier vorgestellten Vers aber wesensfremd ist. Man vergleiche mit und ihn quält nachts Schmerz – das ist ein wirkliches „ta ta TAM TAM TAM„?!

Aus dem gleichen Grund sollten die Wörter der Art „Topfschrank“ nicht auf die letzten beiden Silben rutschen:

Sie verteilt Grießbrei – auch eher „ta ta TAM TAM TAM“. Was, wohlgemerkt! nicht wirklich schlimm ist; in den meisten Fällen kann derlei im Vortrag ohne Schwierigkeiten ausgeglichen werden. Aber wie immer – in diesen Beiträgen hier geht es darum, eine Bewegung, eine Bewegungslinie so klar wie möglich hinzubekommen, um ein Gefühl dafür zu entwickeln! „dem sie Grießbrei schenkt“: „ta ta TAM TAM TAM

Wem das zu abgehoben klingt – einverstanden. Das ist jetzt auch wirkliche Kleinarbeit, die sich später im Vers vielleicht gar nicht umsetzen lässt; schließlich wollen dann viele verschiedene und wichtige Dinge beachtet werden! Von daher: einfach mal mitnehmen, bei Gelegenheit drüber nachdenken – und immer mal wieder Einsilber vergleichen, sowohl für sich als auch im Vers. Aussprechen, hinterherhören, und für’s eigene Sprachgefühl gewichten: „Von diesen beiden hat der mehr Gewicht; von diesen beiden der.“