Klopstocks Schulter – Eins

Klopstock sagt:

Die Wortbewegung ist die Hauptsache, worauf es in der Verskunst ankommt.

 

Bellhumor im Garten begraben

Windfänger, Steigedach, Teichmesser, Entenfechter,
Luftspringer, Wagehals, Grundfischer, Flutverächter,
Steinträger, Büchsenhold, Nachtwächter, Bettlerfeind,
Zeitkürzer, Stundendieb, Lustmacher, Gästefreund,
Bringwieder, Tragenach, Postrenner, Suchverloren,
Klug von Verstande, zart von Nas und schön von Ohren,
Türöffner, Sperretor, Feldmauser, Schlüsselheld,
Wildstörer, Katzenmord, Wettlaufer, Springinsfeld:
Dies war mein wahrer Ruhm. Doch werden, die mich missen,
Noch mehr von kluger Treu mir nachzusagen wissen.
Als ich von Jahren satt mein müdes Leben schloß,
Gab mir Pomona selbst ein Grab in ihrem Schoß.

(Hans Assmann von Abschatz)

 

TAM ta TAM, TAM ta TAM, TAM ta TAM, TAM ta TAM,

Steigedach, Wagehals, Büchsenhold, Bettlerfeind

TAM ta TAM,  — v —, TAM ta TAM, — v —

Stundendieb, Gästefreund, Tragenach, zart von Nas

— v —, — v —, — v —, — v —

Sperretor, Schlüsselheld, Katzenmord, Springinsfeld

 

Klopstock sagt:

Die Silben sind lang, wenn sie Hauptbegriffe, und kurz, wenn sie Nebenbegriffe ausdrücken. Das Wort Ruf ist lang. In Rufes ist die Silbe Ru lang, und die Silbe fes ist kurz.

 

TAM TAM ta, TAM TAM ta, TAM TAM ta, TAM TAM ta,

Wind-fänger, Teich-messer, Luft-springer, Grund-fischer

TAM TAM ta, — — v, TAM TAM ta, — — v

Steinträger, Nachtwächter, Zeitkürzer, Lustmacher

— — v, — — v, — — v, — — v,

Bringwieder, Postrenner, Türöffner, Feldmauser

Das Königreich von Sede (5)

Eingebettet in Stille, umhüllt von bäumischem Dämmer
Endlich, endlich! den Schrei der Grübeleule zu hören,
Just wenn des Daseins Zweck dem sinnenden Vogel sich aufschließt:
Hat sich des Königs Seher, hat Pulverfass sich begeben
Tief in den alten Wald, in sein Herz, zu den Bäumen der Vorzeit.
Alle die Stunden ging er des Tags, und wurde der Welt fremd;
Alle die Stunden saß er der Nacht, ein unendliches Lauschen;
Hört, was zu hören sein Wunsch war, und ahnt, was am Grunde des Schreis ruht.

Traurig kehrte zurück aus dem Wald, und fröhlich! der Seher,
Pulverfass, der nah am Tintenfässchen die Schatten
Hinter sich ließ der Bäume, die Kneipe betrat; und nach Wein rief.

Wein war verlangt, und Wein ward gebracht, und immer noch mehr Wein,
Bis zu Beginn der Nacht, im Licht des Monds und der Sterne,
Pulverfass, der Seher, von Wein und von Ahnungen trunken,
Heimwärts wankte, und schwankend kam: hin zum Trinkerschicksal,
Einer Verzweigung des Wegs, so genannt, weil der Weg hin zum Schlosstor
Links von ihr abging, rechts jedoch: der zur Jauchegrube.
Kehrte ein Zecher heim vom Tintenfässchen, so gab ihm,
gab dem gesamten Schloss nicht anzuzweifelnde Antwort
Auf die Frage, ob angeheitert, ob völlig besoffen
Er sich der Heimat nährt: die mit Weisheit gesegnete Gablung.

Antwort gab sie auch diesmal, gab Pulverfass ihre Antwort
Und dem gesamten Schloss, als hoch auf die Mauern, zur Wache:
Jauche, in die etwas stürzt, und ein angewiderter Schrei drang.

Wenige Schritte entfernt, am Graben, hatte Prinz Klappstuhl
Dieses vernommen; er riss sein Denken vom Denken der Frösche
Los und rannte zur Grube, und holte dabei aus der Tasche:
Wäschekammern, ein Paar. Ein solches trug jeder, dem einmal
Antwort gegeben hatte der Gabelung tiefere Weisheit,
Bei sich. Die eine drückte der Prinz auf die eigene Nase;
Streckte die Hand aus und zog den Seher mit Schwung aus der Grube;
Nahm dann die zweite und setzte sie Pulverfass auf die Nase.
Schweigend standen sie nun, und kamen zu Atem; doch schließlich
Fragte der Prinz, die Stimme erfüllt von leicht näselnder Neugier:

„Sag mal – ein Seher zu sein, was bringt das, wenn solcherlei … Unglück
Nicht vorhersehbar ist, und also nicht zu verhindern?“

„Klappstuhl, Junge“, begann nicht nur näselnd: auch lallend der Seher,
„Alles vorherzusehen, verlangte, zu jeder Minute
Über die Kugel gebeugt zu schauen die eigene Zukunft;
Aber was gäb’s dann zu sehen? Nur mich, der ich über die Kugel
Hingebeugt bin, und mich drin sehe, wie über die Kugel …“

Pulverfass verstummte, und während der Prinz noch versuchte,
Schlau zu werden aus dem, was der Seher ihm eben verkündet:
Trat ihm dieser so fest, wie sein Rausch es irgend erlaubte,
Auf den Fuß, und ein Schrei! drang, laut und vernehmlich, zum Schloss hin,
Drang auch zum Tintenfässchen, und weiter zum alten Wald noch,
Tief hinein, nun schon leis‘, und doch zweifelsfrei: eine Antwort.

Das Königreich von Sede (4)

Der Morgen ist gekommen und gegangen,
Vom fernen Tempel her erklangen
Die Mittagsglocken schon, als sich der Prinz zurück
Zum Schloss begibt. In seinem Schritt ein Hüpfen,
Von Froschgedanken weit sein Blick,
So will er just durchs Haupttor schlüpfen,
Als dieses ihm entgegenschwingt
Und ernster Stimmen Klang vom Torweg zu ihm dringt.

Es ist des Königs Rat, dem vieles zu besprechen
Und vieles zu bedenken war;
Nun ist es Zeit, um aufzubrechen.
Man grüßt den Prinzen, doch erhellt der Schar
Der Bauern, Krieger, Händler, Richter
Kein einzges Lächeln die Gesichter.

Der König steht nahbei; Er hat den Sohn entdeckt,
Der, faulig riechend und verdreckt,
Sich daran macht, den Hof zu überqueren.
„Mein Junge, sag: Wenn in den nächsten Tagen
Der Krieg beginnt und wilde Söldnerhorden,
Die Hunger, Schmerz und Tod der Menschen wenig scheren,
Die, wen sie finden, lachend morden,
Durchs Land mit Schwert und Feuer jagen –
Was werden, Junge, sag! dann wohl die Frösche tun?“
Er schweigt und lässt den Blick auf seinem Jüngsten ruhn.

Der schweigt mit ihm, noch immer leicht entrückt.

„Sie werden quaken!“, schreit ihn da der König an,
Wie nur ein König schreien kann –
„Oh Vater, herrlich!“, ruft der Prinz verzückt.

Das Königreich von Sede (3)

Im Wissen, all den Fröschen, die geduldig
Sein Menschenlied bedachten, etwas schuldig
Zu sein, hat sich der Prinz, schon in der nächsten Nacht!
Erneut zum Graben aufgemacht,
Und hat der Frösche rauem Quaken
Mit wachem Geist gelauscht, im Herzen still;
Wie einer lauscht, der Frosch sein will.

Ohne Titel

Das Blümelein steht auf
Und empor reckt es die Blätter
Im Triumph, wirft die Blüte zurück
Und lacht, verlacht das Exil

Der Fensterbank

Erzählverse: Der Ioniker (5)

In diesem abschließenden Beitrag möchte ich noch einige „zeitgenössische Ioniker“ vorstellen. Ich bitte mir nachzusehen, dass es meine eigenen sind – ich wüsste im Augenblick nicht, wo ich mir andere beschaffen könnte …

Die folgenden Verse sind „Ein-Vers-Gedichte“, also Einzelverse ohne irgendeinen Zusammenhang. Manchen sieht man auch an, dass sie als Übungsverse geschrieben wurden; andere würde ich als vollwertige Gedichte gelten lassen. Aber ich hoffe, den typischen „Ioniker-Klang“ haben sie alle!

 

Dein Hirn juckt, und dir fällt ein Vers ein – doch warum? Nun: du kratzt dich.

Es braucht Mut. Wofür, wann? Das ist unklar, doch ich weiß eins: Es braucht Mut.

Ein Tanzschritt sei dein Lied, den das Wort mit dem Wort macht; aus Freude.

Was aufgeht, ist der Knopf, ist die Rechnung, ist schmackhaft: der Kuchen.

Ein Gesicht, das der Angstschweiß herabrinnt: wie der Frühtau die Rose.

Umsonst klang das Gedicht auf, umsonst sang es den Wohllaut den Tauben.

Die Uhr tickt. Sie schlägt zwölf. Vergeht Zeit, wenn die Uhr schweigt? Wer misst das?

Ein Wehklagen, und Gott, wie so oft: um ein Trostwort verlegen.

Der Kleinmut der Magie, die das Breitschwert in die Streitaxt verwandelt.

Das Kernstück des Gedichts ist Geduld; wie der Herzschlag Geduld hat.

Wer den Kopf in den Sand steckt, ist dem Strauß hörig, wer’s nicht tut – dem Sprichwort.

Ein beidhändig geschwungenes Schwert, das ein Ziel sucht und findet.

Im Baum tagt es, schon krächzt Krähe um Krähe dem Schwarm zu: Ich lebe!

Ein Gedicht ist ein Wort, dem ein Wort folgt, und ein Schlusswort; und Stille.

Erzählverse: Der Ioniker (4)

Versbetrachtung, Teil zwei.

Ich glaube, eines der Hauptprobleme des Ionikers ist, dass er Worte der Gestalt „— v“ – „Erde“, „Wasser“, „Feuer“ – nur sehr schwer unterbringen kann, erst recht, wenn die metrischen Einheiten, wie von Klopstock ja verlangt, „oft“ auch gleichzeitig Sinneinheiten sein sollen. In „v v — —“ passen solche Worte einfach nicht rein, und es bleibt eigentlich nur „Luft“ …

Von daher ist es sinnvoll, zu schauen, wie Klopstock dem entgegengewirkt hat. Einmal sicher durch das Ersetzen von „v v — —“ durch “ v v — v“, andererseits aber auch durch das Aufgeben der Übereinstimmung von metrischer Einheit und Sinneinheit. Um letzteres soll es nun gehen!

Von den 27 Versen zeigen knapp über die Hälfte in den ersten drei Einheiten (die Kadenzen sind ohnehin bis auf eine Ausnahme alle „sauber“) Übereinstimmung von metrischer Einheit und Sinneinheit, es sind dies die Verse 03, 05, 06, 07, 09, 10, 14, 15, 17, 18, 21, 22, 23, 24, 26.

Bei den anderen Versen gibt es verschiedene Arten der Trennung von Metrum und Sinn. Da sind einmal die Fälle, in denen die Sinneinheit nicht eine, sondern zwei metrische Einheiten umfasst, mit der Grenze innerhalb eines Wortes. Es sind dies einmal  Zusammenfassungen der Art „v v — / v v —“

des Unend– / lichen Lob (02), sein beseel– / teres Bild (08), in der End– / lichen Heer (13)

Diese Fälle stören die dem Ioniker eigene Bewegung kaum, vielleicht sind sie ein wenig schneller als zwei einzelne Sinneinheiten.

Ähnlich liegt der Fall bei den Zusammenfassungen der Art „v v — / v v — —“:

zu dem e– / wigen Heil hin! (19), Der unsterb– / liche Mensch weg (20)

Auch hier ist die Bewegungslinie des Grundverses weitestgehend erhalten. Anders liegt der Fall, wenn sich in zwei metrische Grundeinheiten zwei mit ihnen nicht deckungsgleiche Sinneinheiten einlagern! Eine Kombination von zwei Sinneinheiten, die häufiger vorkommt, hat die rhythmische Gestalt “ v — / — v v —“:

Erwach, / Har / fengetön (01), Erhebt, / sing/ ich dem Herrn (11), Des Seins / tie/ fen Entwurf (12)

( / = Trennung der metrischen Einheiten, / = Trennung der Sinneinheiten) Das deutlich vernehmbare „— v v —“ bringt dabei einen neuen Klang in den Vers, denn diese Einheit ist nicht, wie die metrischen Einheiten des Ionikers, „nach einer Seite offen“, sondern eine abgeschlossene Einheit, die dem Vers mehr einen Ruhepunkt gibt, ein Verharren, als Vorwärts-Bewegung. Und natürlich können hier auch einige „— v“-Wörter untergebracht werden! Für mein Ohr gehört auch dieser Fall noch dazu:

Der Angst / Stim/ me sich mischt (25)

Hierbei ist aber ein Stück weit auch die Einheit „v — — v“ zu vernehmen in „Der [b]Angst Stim[/b]me“, was ja vom Sinn her erst einmal zusammengehört. Ganz deutlich ist diese leicht unschöne Einheit (Klopstock nennt sie „abstechend“)  in folgendem Fall zu vernehmen:

Ohn‘ Aufhö/ ren / am Thron sein (16)

Wieder bekommt der Vers einen anderen Klang, diesmal einen etwas unruhigen.

In allen bisher gezeigten Fällen waren zwei metrische Einheiten betroffen, während die dritte Einheit immer die Übereinstimmung von metrischer Einheit und Sinneinheit aufwies. In den beiden verbleibenden Versen sind dagegen alle drei vor der Kadanz liegenden metrischen Einheiten keine Sinneinheiten. Es sind dies:

Und Erzen/ gel / entflamm/ endes Lob (04), Und sanft Lis/ peln / den Har/ fen entlockt (27)

Im letzten Fall gelangen dadurch sogar zwei „— v“-Wörter in den Vers, aber dafür werden auch so versfremde Einheiten wie “ v — — v“ und, zum einzigen Mal im Versinnern, „v — v“ hörbar. Aber das sind recht eindeutig Ausnahmen, so dass derlei wohl eher unter „Abwechlung erfreut“ fällt als unter „Viele Köche verderben den Brei“?!

Erzählverse: Der Ioniker (3)

Versbetrachtung, Teil eins!

Ohne viel Aufwand kann man etwas über die Versanfänge sagen und über die Versschlüsse, die Kadenzen.

Am Versanfang stehen ja zwei Möglichkeiten zur Verfügung, „v — —“ und „v v —“, die Frage ist also, geht der Vers eher langsam und gewichtig los oder schnell und flüchtig? Für Klopstock ist die Antwort eindeutig, „v — —“ eröffnet den Vers 24 mal, „v v —“ nur 3 mal.

Die Kadenz – man könnte angesichts ihres Umfangs auch sagen, die kürzere Vershälfte – kann vier verschiedene Formen annehmen. Diese sind unterschiedlich oft vertreten:

„v v — — / v — v“ kommt 16 mal vor,
„v v — — / v — —“ kommt 5 mal vor,
„v — — / v — v“ kommt 3 mal vor,
„v — — / v — —“ kommt 3 mal vor.

Also, wie zu erwarten, ein deutliches Übergewicht für die Normalform „v v — — / v — v“. Und obwohl bei so wenigen Versen natürlich keine sonderlich genauen Aussagen möglich sind, kann man doch Klopstocks Satz …

Der Baccheus darf nur selten für den Ionikus in der vierten Abteilung gesetzt werden; es muss aber auch nicht zu selten geschehen, damit der Schluss des Verses merklich, aber auch nicht eintönig sei.

… etwas verdeutlichen: In der vierten Einheit steht 21 mal der Ioniker und 6 mal der Baccheus, „selten, aber nicht zu selten“ meint hier also 22%.

Ob und wie am Versanfang die metrischen Einheiten gleichzeitig Sinneinheiten sind oder nicht, und, wenn sie es nicht sind, auf welche Weise: Das muss man sich noch genau anschauen. Für den Versschluss ist die Frage dagegen leicht zu beantworten – die metrischen Einheiten entsprechen so gut wie immer den Sinneinheiten, die einzige wirklich gewichtige Ausnahme ist „dass sie reift‘, aufgehäufet.“, „v v — // v — v“.