Das Königreich von Sede (67)

Prinzessin Sofarosa geht
von hier nach da; verlangsamt; steht.

Sie hat gehört, wie etwas fiel,
Was fallen wollte, ist am Ziel:

Plumps. Sofarosas Herz erkennt
Den Ton, sie geht davon, nein: rennt.

Erzählverse: Der Hexameter (96)

Zum Wesen des Hexameters gehört es, über längere Strecken gereiht zu werden. Das heißt aber nicht, dass man ihn nicht als Bestandteil eher strophischer Gebilde verwenden könnte, sei es solcher antiken Vorbilds, oder ganz eigener, selbstgeschaffener!

Karl Philipp Conz führt in seiner „Elegie an eine Freundin beim Tode ihrer Schwester“ die Verbindung zweier Hexameter mit einem daktylischen Vierheber der Form

X x (x) / X x x / X x x / X

vor; der ja, eigentlich und irgendwie, ein Teilhexameter ist im Fall einer Zäsur im vierten Fuß:

X x (x) / X x (x) / X x (x) / X || x (x) / X x x / X x

– Also eine dem Hexameter sehr verwandte Form! Die erste Strophe der Elegie:

 

Zwar noch weigert dem Troste dein frisch verwundetes Herz sich;
Tränen trösten dich nur, in die deinen geweinte, gefühlte
Tränen; doch wag‘ ichs und nahe mit Trost.

 

Klingt doch gar nicht übel … Erstaunlich der harte Zeilensprung vom zweiten in den dritten Vers?!

Ich überspringe die nächsten dreizehn Strophen und führe nur noch die beiden das Gedicht schließenden an:

 

Auf von den Bildern des Todes zu milderem Ernste des Lebens!
Du verstehest ihn; nur der flatternde Pöbel der Mädchen
Wähnet es Flitter und gaukelnden Scherz;

Wähnt zum Spiele sich selbst in des Daseins Spiele geschaffen,
Und entehrt sich durch doppelten Wahn. Erheitre dem Leben
Neu dich und seinem erhebendem Ruf!

 

Inhaltlich ein wenig wundersam, aber gut geeignet, die Bau- und Wirkungsweise vorzuführen?! Conz war nun kein großer Dichter; aber vielleicht kann er ja als Anregung dienen, mit dem Hexameter auch in diese Richtung hin Versuche zu unternehmen!

Erzählverse: Der Blankvers (57)

Paul de Lagarde war ein streitbarer und umstrittener Mensch, von durchaus fragwürdigen Ansichten; als Lieblingsschüler Friedrich Rückerts war er „von Haus aus“ Orientalist. Seine folgenden Verse sind „Essener“ überschrieben, eine auf ihre eigen Art umstrittene Gruppe innerhalb des antiken Judentums; und eine eigenartige, fremde Stimmung liegt dann auch über de Lagardes Versen, die nicht ohne Reiz sind!

 

Ein Meer von Sonnenglut der rote Sand:
Das Licht so licht, dass es als Schleier sich
Um Palmen, Felsen, Berge, Himmel windet:
Kein lebend‘ Wesen in dem Feuerdunst,
Kein Vogel drüber, keines Lüftchens Hauch:
Geschmolznes Erz der ganze weite Raum.
Wie muss es aussehn in der Gotteswelt,
Wenn dorthinein sich Menschenherzen wagen,
Nur um von ihren Brüdern frei zu sein.
Von Hellas‘ Tempeln und aus Roms Palästen,
Aus Seleucias stolzen Kuppelbauten
Und von des Nils gesegneten Gefilden
Flieht alles Beste in der Wüste Schutz,
Die gar nichts bietet, was das Herz erfreut,
Die nur nichts hegt, was Herzen wehe tut.
Und wenn des heißen Tages warme Asche
Als Nacht sich um den glühenden Boden legt,
Dann wird am Quell, der wen’ge Schritte weit
Einsame Palmen und Mimosen tränkt,
Der Menschen Stimme wach: Ein heil’ger Chor
Dankt für die Einsamkeit dem guten Gott,
Der seine Blumen, seine Freuden alle
Den Schlechten schuf, doch seinen Kinder hier
Ein ruhig‘ Plätzchen ließ, ihm treu zu sein.
Hyänen und Schakale schweigen still,
Wann ihre Gäste den fernen Vater loben.
Endloser Zug zielsichrer Wandervögel
Kreist lichtbeschwingt der Sterne stille Schar,
Und Nacht für Nacht blickt hinter sie das Herz
Der Flüchtlinge, die nach der Heimat suchen.
Wer zählt die Tage, wer die Nächte hier?
Sie flohen die Zeit und wollten ewig leben
Und wissen schon nicht mehr, was Sterben heißt:
Sie löschen aus wie Vogellied im Wald.
Und wenn der Abend eine Leiche sah
Von welken Händen in den Sand verscharren,
So stehn am Morgen neue Brüder schon,
Den leeren Platz zu füllen, vor der Zelle.

Erzählformen: Das Reimpaar (19)

Ein einzelnes Reimpaar aus iambischen Vierhebern ist ein vergleichsweise kleiner Raum – selbst bei „weiblichem“ Reim umfasst er gerade einmal achtzehn Silben. Aber wenn ein Haiku, siebzehnsilbig, wenn es silbenreich im 5-7-5 daherkommt, oder ein Hexameter, der in seiner längsten Ausgestaltung gleichfalls auf siebzehn Silben kommt; wenn diese beiden Formen einem vollständigen Gedicht zugrunde liegen können, dann kann es ein Reimpaar selbstverständlich auch!

 

Frühlingstrost

Was zagst du, Herz, in solchen Tagen,
Wo selbst die Dornen Rosen tragen?

 

– Das findet sich als sechstes unter Ludwig Uhlands „Frühlingsliedern“. Und ist ein gutes Beispiel für die Geschlossenheit, die ein Gleichklang immer hervorruft.

Bücher zum Vers (69)

Werner Jung: Kleine Geschichte der Poetik

Kein unmittelbar auf den Vers bezogenes Buch; aber da Verse nicht vom Himmel fallen, sondern unter bestimmten Bedingungen entstehen, doch ein weniger fernliegender Gegenstand, als vermutet werden könnte!

„Poetik muss von Beginn an, einsetzend mit der griechischen Antike, als das Nachdenken über die literarische Kunst, als Reflexion des Werks und seiner Wirkung und Selbstreflexion des Künstlers angesehen werden.“

So schreibt Jung in seiner Einleitung, und versteht man Poetik derart, dann lässt sich gegen eine Beschäftigung mit ihr, auch eine geschichtliche, nichts sagen, viel aber dafür; und will man dabei einen ersten Überblick gewinnen, taugt Jungs knapp über zweihundert Seiten starker Band durchaus – angefangen bei besagter Antike, also Aristoteles, geht die Reise über das Mittelalter, die Renaissance, das Barock, die Aufklärung, die Goethezeit, Vormärz, Biedermeier und Naturalismus bis hin in unsere Tage und zu der Frage, wie die denn mit dem Verlust nahezu aller Normen umgehen und klarkommen.

Erschienen 1997 bei Junius.

Erzählverse: Der Hexameter (95)

Wenn man im Netz unterwegs ist, landet man oft an seltsamen Orten … Eben war ich auf der Suche nach „Andromeda“, einer englischsprachigen Hexameter-Dichtung von Charles Kingsley (lesenswert, ich schreibe demnächst was darüber); gelandet bin ich bei einem Artikel einer neuseeländischen Zeitung aus dem Jahre 1912, der sich mit der Frage beschäftigt, wieviele und welche Hexameter in der Bibel zu finden sind! Wer mag: PapersPast / Dominion.

Aber gut; die Frage hat sich auch im deutschen Sprachraum schon gestellt. Wer in die Bibel schaut, wird finden; und wahrscheinlich wesentlich mehr als der englischsprachige Suchende. Schon aufgrund der Menge der Übersetzungen …

In den Psalmen, die im obigen Artikel besonders ergiebig scheinen, ist der erste in Frage kommende Vers,  der elfte des zweiten Psalms, in der Luther-Bibel von 1912 noch kein Hexameter; in der von 1984 dann aber doch!

 

Dienet dem Herrn mit Furcht und küsst seine Füße mit Zittern

 

Da kann man nichts gegen sagen:

Dienet dem / Herrn mit / Furcht || und / küsst seine / ße mit / Zittern

– Erheiternderweise ist der Vers auch bei der „Konkurrenz“, sprich, in der katholischen Einheitsübersetzung, ein Hexameter; nicht gleich, aber ähnlich:

 

Dient dem Herrn in Furcht und küsst ihm mit Beben die Füße

 

Auch hier sind die Hexameter-Vorgaben erfüllt:

Dient dem / Herrn in / Furcht || und / küsst ihm mit / Beben die / ße

– Aber der Vers bewegt sich dann doch um einiges schlechter als der luther-biblische, bei dem die Aufteilung in Wortfüße, sprich hörbare Sinneinheiten, viel abwechslungsreicher und lebendiger ist!

Das Königreich von Sede (66)

Schemel sieht die Wellen ziehen,
Schwarz die erste, schwarz die zweite;
Schemel sitzt, vom Schlaf verlassen,
Nachts am Graben und erwartet
Voll Geduld der Sonne Ankunft.
Dunkel wälzt, voll Finsternissen,
Sich die nächste Welle über,
Alle Schwärze an sich bindend,
Alle Schwärze mit sich nehmend,
Fort von hier, in andre Nächte;
In den Himmel, den geleerten,
Den von Finsternis befreiten,
Tropft der Dämmrung erstes Licht.

Erzählverse: Der trochäische Vierheber (40)

Paul Heyses Fähigkeit, sich in allem Versmaßen sicher bewegen zu können (wenn die Ergebnisse auch nie wirklich berauschend waren), kam ihm beim Abfassen seiner „Reisebriefe“ zugute: Er konnte frei wählen. Den an Joseph Victor von Scheffel gerichteten Reisebrief verfasste er in gereihten und ungereimten trochäischen Vierhebern, also genau dem Maß, in dem Scheffels berühmter und im Brief angesprochener „Trompeter“, der vom Verserzähler unter (21) vorgestellt wurde, geschrieben ist! Der Anfang:

 

Lieber alter Freund, gedenkst du
Unsrer Sorrentiner Tage,
Da wir in der Rosa magra,
Jener billigen, bescheidnen
Künstlerherberg‘ alten Stiles,
Traulich hausten Tür an Tür?
Du, von Capri erst gelandet,
Da wir kaum in rotem Landwein
Uns den Willkomm zugetrunken,
Gabst des Säckinger Trompeters
Erst‘ Kapitel mir zum besten,
Frischgedichtet in Paganos
Palmenschatten; ich dagegen
Ließ dich sehn die Arrabbiata,
Kaum noch von der Tinte trocken.
(Lest Ihr eine Predigt? fragt‘ uns
Die Luisa, die von anderm
Mündlich feierlichem Vortrag,
Von Gedichten und Novellen
Nie ein Sterbenswort gehört.
Und wir lachten.) …

 

– Das epische Gedicht wie die Novelle, beide entstanden 1853. Und ich fürchte, neben deren mündlichem Vortrag ist auch der einer Predigt heute nicht mehr wirklich vielen Menschen im Ohr … Heyses Verse, jedenfalls, sind ganz nah an der Prosa. Immer noch Verse, sicherlich; aber sicher auch des „feierlichen Vortrags“ bedürftig, um als Verse wirklich zur Wirkung kommen zu können?!