Erzählformen: Der Zweiheber (5)

Ein drittes Mal Christian Friedrich Daniel Schubart; diesmal dient eines seiner Gedichte dazu, die nächste Ausprägung des Zweihebers vorzustellen. Wenn man bei den beiden schon gezeigten Versen …

x X x X (1 & 2, Morgenstern & Ringelnatz)

x X x X x (3, Uhland)

… die zweite Senkung nicht mit einer unbetonten Silbe, sondern mit zwei unbetonten Silben besetzt, entstehen diese Verse:

x X x x X

x X x x X x

Diese Zweiheber sind eine beliebte Wahl; Schubart hat zum Beispiel sein „Schlittenlied“ in einer Strophe geschrieben, der diese beiden Verse zugrundeliegen. Die ersten beiden Strophen:

 

Schon wiehert der Schimmel
Sein mutig Geschrei;
Er stampft; denn es glitten
Geflügelte Schlitten
Am Stalle vorbei.

Was wichsest du, Kutscher,
Den Schnurrbart? Spann‘ an!
Und schirre den Schimmel;
Denn schön ist der Himmel
Und prächtig die Bahn.

 

Das genügt schon, um zu hören: Diese Verse sind schwungvoll, sie bewegen sich rasch und ungezwungen; und gerade Lieder sind mit ihnen einfach und eindrücklich zu gestalten!

Das Königreich von Sede (79)

Als flammend rot die Sonne sinkt,
Wirft Schemel einen kleinen Stein,
Der, vor den Flammen schattenschwarz,

Durch Schatten fällt; er fällt ins Schwarz
Des Grabenwassers und versinkt.
Nun ist die Sonne fort, der Stein

Erinnrung nur – war je der Stein,
Die Sonne je? Ins stille Schwarz
Lacht Schemel auf; sein Lachen sinkt,

Und sinkt dem Stein nach, gleich ihm: schwarz.

Erzählverse: Der iambische Vierheber (6)

Der im gestrigen Eintrag erwähnte Christian Friedrich Daniel Schubert bevorzugte in seinen eigenen Texten trotz der Liebe zu Klopstocks „Messias“ den Reimvers, schrieb aber gelegentlich auch ungereimte Verse meist iambischer Art. Ein Beispiel ist „Das wundertätige Kruzifix“, dessen Anfang so lautet:

 

Ein Eremit, dem Tode nah‘,
Sprach zu Sebastian, dem Knaben,
Den er als Sohn erzog: „Ich sterbe!
Sebastian, mein Sohn, begrabe
Mich neben dieser Hütt‘, ins Grab,
Das ich mir selbst geschaufelt. Wisse,
Du guter Baste, der du mir
Den süßen Vaternamen gabst,
Dein Vater bin ich nicht, ich fand
Dich einst, als Mordsucht mit dem Schwert
Die Ketzer würgte: ach, der Himmel
Sah rot und schien sich zu entsetzen
Ob diesem Gräu’l! – da fand ich dich
Im Arm des trunknen Kriegers, der
Dich eben aufwärts schleudern wollte,
Um dich zu fangen mit dem Schwerte.“

 

Rasch und ungezwungen sich bewegende iambische Vierheber, allerdings leicht unübliche; denn während es beim Blankvers zum Wesen des Verses gehört, zwischen betonten und unbetonten Vers-Schlüssen zu wechseln, weisen ungereimte, gereihte iambische Vierheber meist ausschließlich betonte Vers-Schlüsse auf. Schubart wechselt hier aber blankverstypisch, was sicher auch zum prosanahen Eindruck der Verse beiträgt!

Erzählverse: Der Hexameter (126)

Die Beschäftigung mit Christian Friedrich Daniel Schubart lohnt in vielerlei Hinsicht. Hier möchte ich aber nur einen kurzen Ausschnitt aus seinem Werk „Leben und Gesinnungen“ anführen:

Ich muss doch hier eines kleinen Abenteuers erwähnen, das mir damals tief ins Herz schnitt und mir noch unvergesslich ist. Fast mit meinem letzten Geldvorrate kaufte ich mir die hallische Ausgabe des Messias, fuhr auf dem grauen Rhenus, legte ein Brett über den Kahn, Klopstocks Messias vor mir. Ich las eben den sechzehnten Gesang und lag mit der vollen Seele auf der Stelle, wie die gerichteten Seelen auf Tabor riefen:

Jupiter, Gott des Donners! Erbarme dich unser!
Brama! Tien! Allvater! Wir fehlten, sündigten, irrten!
Zeus Kronion! Götterbeherrscher, erbarme dich unser!

Rasch auf stand ich in der Begeisterung und – Brett und Messias flogen in (den) Rheinstrom. Wie angedonnert stand ich da und sah bleich und starräugig meiner geliebten Messiade nach, die wie eine geschossene Ente auf dem Wasser fluderte und untersank.

Fludern. Ja. So geht das. Vom „Messias“ war Schubart aber in der Tat tief ergriffen, so tief, dass er ihn auf seinen Reisen immer wieder vortrug; vor durchaus mit-ergriffenem Publikum!

Erzählformen: Der Zweiheber (4)

Zweiheber können selbstredend auch auftaktlos einsetzten, also etwa zweihebige Trochäen als Maß nutzen. Wilhelm Waiblingers „Schlachtgesang“ (aus seinen „Lieder der Griechen“) ist ein Beispiel – ein Auszug:

 

Feldherr
Griechen! Hoher
Väter Enkel!
Zieht die Schwerter!
Lasst die Fahnen
Wirbeln, flattern
Durch die Lüfte!
Donnernd wog‘ aus
Tausend Kehlen
Kriegsgesang durch
Waldgeklüft und
Berg und Eb’ne!

Das Heer
Wir nah’n! Wir nah’n!
Durch Tal und Wald!
Hinan! Hinan!
Die Stimme schallt!
Wir machen Bahn
Ohn‘ Aufenthalt!
Wir stürmen an!
Die Bergkluft hallt!
Mit kühner Lust,
Mit Riesenwut,
Mit starker Brust,
Mit Löwenmut!
Das Schwert erklingt!
Die Fahne fliegt,
Der Grieche dringt
Bergan und siegt!

 

Feldherr und Heer verwirklichen den Grundgedanken „Zweihebigkeit“ auf sehr unterschiedliche Weise; hier die ungereimten, trochäischen Verse, durch die der Satz ungehindert fließt und die so kaum als Einheit erfahrbar werden, dort die gereimten iambischen Verse, bei denen die Sätze sich in die Versrahmen fügen und dadurch sehr kurz werden, sehr abgehackt und gehetzt klingen!

Erzählverse: Der trochäische Vierheber (48)

In Ferdinand von Saars „An eine junge Holländerin“, entstanden in Rom im Herbst 1873, betrachtet das „Ich“ im Bahnhof eine junge Frau, bis schließlich deren Zug eintrifft:

 

Horch! Ein Pfiff und laute Rufe.
Türen werden aufgerissen –
Und schon trittst du, rasch den Schleier
Niederlassend, mit den Deinen
Zarten Fußes auf die Schienen,
Wo du im Waggon verschwindest. –
Träumend steh‘ ich vor dem Zuge,
Der zu neuem Lauf sich rüstet
Mit Gestöhn und wildem Schnauben.
Jetzt ein Ruck – ein leises Rollen –
Und er führt dich in die Weite,
Rascher immer, immer mächt’ger
Vorwärts drängend. Und ich folg‘ ihm –
Erst mit Blicken, dann im Geiste,
Wie er hineilt durch die hehre
Götterlandschaft mit den alten
Wundervollen Städtebildern
Bis zu jenem hellen, lichten
Marmorbautenkranz am Arno.
Und von da, hinan, hinunter,
Nach Bologna, nach Venedig,
Durch die grünen deutschen Lande,
Fort am Rheinstrom – bis sich endlich
Aus der Flut entfernten Meeres
Deine Vaterstadt emporhebt:
Amsterdam, so reinlich kühlig –

 

Diesen Aufbruch, diese Reise (mit der der Text nicht endet!) helfen die trochäischen Vierheber erfahrbar zu machen?! Wie immer formen sie den Satz eher unauffällig und werden dabei doch als Verse erfahrbar. Dreimal setzt Saar zwar einen harten Zeilensprung – „nach „hehre“, „alten“, „lichten“, aber das kann dem geschlossenen Eindruck der Verse nichts anhaben. Schön gemacht!

Erzählformen: Der Zweiheber (3)

Die bisher gegebenen Beispiele haben als Vers den iambischen Zweiheber genutzt; das muss aber nicht so sein, im Zweiheber ist jede mögliche Silbenverteilung auch verwirklicht worden. Ludwig Uhlands „Seliger Tod“ nutzt den um eine unbetonte Silbe verlängerten zweihebigen Iambus:

 

Gestorben war ich
Vor Liebeswonne:
Begraben lag ich
In ihren Armen;
Erwecket ward ich
Von ihren Küssen;
Den Himmel sah ich
In ihren Augen.

 

Ja. Inhaltlich ein liebenswürdiges und schön gebautes Nichts; aber seine Wirkung geht viel weniger vom verwendeten Versmaß aus als mehr von der Art, wie sich der kurze Vers und der Satz zueinander verhalten?!

Bücher zum Vers (84)

Eric A. Blackall: Die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache 1700 – 1775.

Das klingt vielleicht nicht sehr spannend, doch dieser 1966 erschienene Band (J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung) breitet auf über 500 Seiten sehr viel Wissenswertes aus über eine entscheidene Zeit; und ist dabei auch gut zu lesen. Als Beispiel gebe ich den folgenden Abschnitt, der an eine Betrachtung der Prosa Lessings und Winkelmanns anschließt:

„Inzwischen war jedoch etwas völlig anderes in der deutschen Prosa am Werke, etwas Erregendes, das sich als höchst ansteckend erweisen sollte:

O du! Die du lieblicher bist, als der tauende Morgen, du mit den großen schwarzen Augen; schön wallet dein dunkles Haar unter dem Blumenkranz weg, und spielt mit den Winden. Lieblich ists, wenn deine roten Lippen zum Lachen sich öffnen, lieblicher noch, wenn sie zum Singen sich öffnen. Ich habe dich behorcht, Chloe! O ich habe dich behorcht! Da du an jenem Morgen beim Brunnen sangest, den die zwo Eichen beschatten; böse, dass die Vögel nicht schwiegen, böse, dass die Quelle rauschte, hab ich dich behorcht.

In dieser Sprache ist kein logisches Prinzip des Satzbaus mehr erkennbar. Klang und Rhythmus sind die beherrschenden Faktoren. Verknüpfung geschieht durch Klang, Form ist durch Rhythmus bedingt. (…) Die Stelle ist einer von Salomon Geßners Idyllen entnommen, die 1756 erschienen. (…) Diese Prosa zeigt eine sanfte Anlehnung an den Vers, worin vielleicht eine Missachtung der Prosa überhaupt mitschwingt, die theoretisch als ungerechtfertigt betrachtet werden kann. Doch historisch war sie von ungeheurer Bedeutung, denn in dieser stark rhythmisierten Prosa liegt der Grundstein für die Prosa des ‚Werther‘ und des ‚Hyperion‘ verborgen.“ (S. 285 – 287)

Aber Geßners Idyllen, das behaupte ich frech, haben durchaus auch einen Wert in sich; und keinen kleinen.