Karl immermanns humoristisch-satirisches Versepos „Tulifäntchen“ habe ich schon in (19) vorgestellt; Ich komme hier noch einmal darauf zurück, weil ich gestern einige schöne Sätze von Benno von Wiese darüber gelesen habe (in seinem Buch „Perspektiven II“, erschienen 1979 im Erich Schmidt Verlag, auf den Seiten 115 und 116).
Die Gravität der trochäischen Kurzverse, die einen langen epischen Atem nur vortäuschen, (…) dient als bewusster Kontrast zum komisch-satirischen Stoff. Komische Wirkungen werden durch die parodistische, gewollt übersteigerte Verwendung überlieferter epischer Mittel erreicht. Versform und Sprachgestaltung nähern sich durch den Widerspruch des Großartigen zum Nichtigen oft dem Grotesken, ja sogar dem Absurden.
Wie klingt das bei Immermann? So – Tulifäntchen, daumengroß, begegnet „Ritter Fis von Quinten“:
Welche Triller, welche Läufe
Dringen aus dem Busch, dem grünen?
Klingt es doch wie Sterbeklaglaut!
Aber singt man, wenn man abfährt?
Tulifäntchen kam getrabet,
Sprang behend vom Ohr des Schimmels;
In das Dickicht, ohne Bangen,
Abenteuerdurstgequälet,
Schritt der Held, Don Tulifäntchen.
Blut’ge Steine! Roter Rasen!
Einen Jüngling, bleich zum Tode,
Trug das rote Bett von Rasen.
Tulifäntchen flog zum Wunden,
Sprang auf seine Brust mitleidig,
Neigte sich zum Ohr des Blut’gen,
Und er wisperte ins Ohr ihm:
„Sprich, wer bist du? Wer erschlug dich?
Kann ich helfen? Kann ich noch dir
Was erzeigen? Liebes, Gutes?“
Sprach’s. Da griff der Todeswunde,
Welcher war ein Mann des Sanges,
Mollakkord auf der Gitarre,
Die er hielt in seinem Arme,
Präludierte, sang. Er sang es
Mit dem reinsten, schönsten Vortrag:
„Nicht kannst du mir helfen, Kleiner,
Liebes, Gutes nicht erzeigen.
Mich ereilt der Tod inmitten
Meiner harmonienschwangern,
Sang- und klangdurchrauschten Tage.
Sieh das Blut in meinem Schopfe,
Fühl im Schädel dieses Loch!“
Das kindlich Naive, das unreflektiert Märchenhafte, die innere Natürlichkeit auch und gerade noch im Albernen, die unbekümmerten Spiele der Phantasie, die schon mit der Form und Sprache des Epos zu spielen wagen – alles dies gibt „Tulifäntchen“ den sonst bei Immermann nirgends erreichen Schmelz des Leichten und Unbeschwerten.
Sagt von Wiese und hat recht – vor allem mit dem „sonst nirgends erreichten“. Weswegen …
Noch heute lässt sich das Graziöse dieser Dichtung, ihr phantasievolles Scherzen, ihr liebenswürdiger, von jeder Galle freier Humor und ihr schlagfertiger Witz ohne jeden Vorbehalt genießen.
… zumindest für mich diese seine Aussage zutrifft in Bezug auf „Tulifäntchen“, während ich den „restlichen Immermann“ deutlich weniger reizvoll finde!